GÜTERVERKEHRSBRANCHE
Was bewegt die Güterverkehrsbranche? Verschiedene Faktoren wirken sich auf die Güterverkehrsbranche aus. Wir machen uns als Stimme der verladenden Wirtschaft für ein wettbewerbsfähiges Güterbahnsystem stark. Dafür beobachten wir unter anderem die Verlagerung und setzen uns bei der Politik für eine diskriminierungsfreie Bahn ein.
Zukunft des Binnengüterverkehrs
Weiterentwicklung des Güterverkehrs: Varianten des Bundesrates greifen zu kurz
Wettbewerb
Interoperabilität
Die Optimierung von Prozessen und Schnittstellen und der Zusammenhang mit dem 4. EU-Bahnpaket.
Nachhaltigkeit
Die Motion von Ständerat Josef Dittli verlangt ein Gesamtkonzept, wie Schienengüterverkehr und multimodale Logistiklösungen zur Senkung des CO2-Ausstosses beitragen können.
INFORMATIV
Zukunft Schienengüterverkehr in der Fläche / Wagenladungsverkehr
- Cargo Forum Schweiz Vernehmlassungsantwort zur «Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen für den Schweizer Gütertransport»
- 15.2.2023: Medienmitteilung Weiterentwicklung des Güterverkehrs: Varianten des Bundesrates greifen zu kurz
- VAP Vernehmlassungsantwort zur «Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen für den Schweizer Gütertransport»
- LITRA, ASTAG, IG Kombinierter Verkehr, VAP und VöV mit der Kommission Güterverkehr äussern sich gemeinsam zur Vernehmlassung des Bundes zur «Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen für den Schweizer Gütertransport».
- 8.2.2023: Medienmitteilung zur Zukunft des Binnengüterverkehrs
- Interview im RailBusiness, 21.11.2022: Frank Furrer zur Fortführung des Wagenladungsverkehrs
- Medienmitteilung, 2.11.2022: Unterstützung für einen starken Schienengüterverkehr in der Fläche
- 2.11.2022: Bundesrat gibt zwei Varianten in Vernehmlassung
- Erläuternder Bericht zur Vernehmlassungsvorlage, BAV
- Faktenblatt Digitalisierung
- Faktenblatt Schienengüterverkehr
- Positionspapier an KVF‑N, 22.6.2022: Zukunft Schienengüterverkehr in der Fläche
Energiekrise
- Medienmitteilung vom 21.10.2022: Der Schienengüterverkehr muss vor Energiepreissteigerungen geschützt werden
- Forderung der europäischen Verbände
- Verordnung 2022/1854
- Die Güterbahnen: 28% – im Jahr 2023 befürchteter Stromanteil an der Gesamtkosten im SGV
Vision
- Vision Schienengüterverkehr der Begleitgruppe zur Entwicklung des Schienengüterverkehrs, 2022
- Vision auf Französisch
- Vision auf Italienisch
Kurzfassung einer Studie im Auftrag der verladenden Wirtschaft
Verlagerungsbericht 2021
- Bericht des Bundesrats über die Verkehrsverlagerung vom November 2021
- Blogartikel: Verkehrsverlagerung: Im Transit auf gutem Weg
Gefahrguttransporte
Rechtliches
Grundlagenstudien des Bundes
- Verkehrsperspektiven 2040
- Verkehrsperspektiven 2050
- Energieperspektiven 2050+
- Verlagerungsbericht 2021
Unterirdischer Gütertransport
- Gesetzliche Grundlage und neue Investoren für “Cargo sous terrain”
- Vernehmlassung zum Bundesgesetz: Antwort VAP
- Vernehmlassung zum Bundesgesetz: Antwort Cargo Forum Schweiz
- Erläuternder Bericht zur Vernehmlassungsvorlage
- Bundesgesetz über den unterirdischen Gütertransport: Vernehmlassungsentwurf
Archiv
Der Güterverkehr in der Covid-19-Krise
- Milderung der pandemiebedingten Auswirkungen auf den Schienengüterverkehr im Jahr 2021
- Finanzielle Unterstützung Schweizer Schienengüterverkehr in der Krise
- Medienmitteilung Unterstützung des Güterverkehrs in der Krise
- Vernehmlassungsantwort zum Bundesgesetz über die Unterstützung des öffentli-chen Verkehrs in der COVID-19-Krise
- Positionspapier Der Güterverkehr zeigt Stärke in der Krise
Verlagerungsbericht 2019 – Branche fordert zusätzliche Massnahmen
- Bericht des Bundesrats über die Verkehrsverlagerung vom November 2019
- Positionspapier der Branche
- Position der Branche (Präsentation)
- Position der Branche (PDF)
- Medienmitteilung der Branche
- BAV: Botschaft zum Bundesbeschluss über eine Erhöhung und Laufzeitverlängerung des Zahlungsrahmens für die Förderung des alpenquerenden Schienengüterverkehrs
- BAV: Bundesbeschluss über eine Erhöhung und Laufzeitverlängerung des Zahlungsrahmens für die Förderung des alpenquerenden Schienengüterverkehrs
- BAV: Faktenblatt Sinkende Lastwagenzahlen und hoher Marktanteil der Bahn
- BAV: Faktenblatt Verlagerungswirkung der NEAT
- BAV: FAQ Verlagerungsbericht 2019
- BAV: Verkehrsentwicklung im alpenquerenden Güterverkehr infolge Fertigstellung der NEAT
Standorte
Erste und letzte Meile
In der Schweiz werden über 850 Anschlussgleise genutzt. Leider ist ein steter Abgang zu verzeichnen. Wie sich der VAP für den Erhalt der Standorte einsetzt und weitere nützliche Informationen finden Sie im Kapitel Standorte.
Netz
Beim Netz geht es um den Zugang zu den Schienenwegen, den Trassen. Für eine optimale Auslastung benötigt es weitsichtige Bauplanung, faire Preise und eine gute Organisation.
Wie wir uns dafür engagieren und weitere nützliche Informationen finden Sie unter folgendem Link.
Die Zukunft gehört dem kombinierten Verkehr
Welche Zukunft haben Güterbahnen in der Schweiz? Diese und weitere Fragen diskutiert der VAP im Doppelinterview mit Peter Knaus, Leiter Bündner Güterbahn der Rhätischen Bahn (RhB), und Peter Luginbühl, Leiter Betrieb Matterhorn-Gotthard-Bahn (MGBahn). In der Debatte sprechen die Experten über Eigenbetrieb und Outsourcing, Eigenwirtschaftlichkeit, Innovationen, Wettbewerb und eine Flexibilisierung des Schienengüterverkehrs.
Herr Luginbühl, bei der Matterhorn-Gotthard-Bahn ist die Schienengüterlogistik ausgelagert. Weshalb?
Peter Luginbühl: Als vorwiegend im touristischen Umfeld tätiges Unternehmen ist unser Schwerpunkt die Personenmobilität. Der Güterverkehr macht zirka 2% des Gesamtergebnisses im Bereich Service public aus. 2011 hat man sich entschieden, sich im Güterverkehr auf den Bahntransport zu konzentrieren. Die vor- und nachgelagerten Schnittstellen gegenüber dem Kunden haben wir in die Verantwortung der Alpin Cargo AG als Gesamtlogistikdienstleisterin gegeben. So können wir uns beide auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren: Wir sind verantwortlich für den Transport auf der Schiene, Alpin Cargo für die Schnittstelle zum Kunden, also auch für die letzte Meile. In Zermatt zum Beispiel erfolgt die Feinverteilung mit Elektrofahrzeugen und mit Pferdekutschen.
Inwiefern ist dieses Outsourcing ein Vorteil?
Peter Luginbühl: Für unsere Ausgangslage mit einer limitierten Grösse und einem recht überschaubaren Ertragsbeitrag des Güterverkehrs zum Gesamtergebnis hat sich dieses Betreibermodell bewährt. Auch aus Sicht der Güterkunden ist es ideal.
Würden Sie wieder auslagern?
Peter Luginbühl: Ja. Unser Betreibermodell funktioniert sehr gut. Trotzdem stellen wir es alle fünf Jahre in Frage und führen eine Standortbestimmung durch. Wir sind nur ungefähr ein Viertel so gross wie die Bündner Güterbahn der RhB. Da macht es keinen Sinn, das selbst zu betreiben.
Herr Knaus, Sie betreiben den Schienengüterverkehr selbst. Wie sieht dieser Eigenbetrieb aus?
Peter Knaus: Wir haben Aufträge des Kantons Graubünden, unter anderem den Service public anzubieten. Früher hat man die Transportunternehmen regelrecht auf die Schiene gezwungen. Heute ist das anders. Wir fahren das auf der Schiene, was wirtschaftlich sinnvoll ist. So entsteht für uns und unsere Kunden eine Win-win-Situation. Für Kurzdistanzen oder die letzte Meile arbeiten wir mit Strassentransportunternehmen zusammen. An unserer jährlichen Transportplattform und im persönlichen Kontakt tauschen wir uns mit diesen Geschäftspartnern regelmässig aus.
Welche Nachteile sehen Sie bei Ihrem Modell?
Peter Knaus: Einen enorm hohen Aufwand für das hauseigene Rollmaterial. Dazu ein Beispiel: Unsere gesamte Wagenflotte von rund 320 Wagen ist mit Vakuumbremsen ausgestattet. Nun hat die RhB aus strategischen Gründen beschlossen, alle Wagen bis 2040 auf Druckluftbremsen umzustellen. Gemäss unserer Strategie 2023–2030 werden wir die Hälfte der Flotte modernisieren und die andere Hälfte erneuern, weil das die wirtschaftlichere Variante darstellt.
Nach welchen Schlüsselkriterien wird bei Ihnen der Verkehrsträger gewählt?
Peter Luginbühl: Wir sind davon überzeugt, dass sich die Schiene zwar für alle Güter, aber nicht für alle gleichermassen optimal eignet. Aktuell transportieren wir zwischen Visp und Zermatt etwa 40 bis 50% der Güter auf der Schiene. Deren Stärken gegenüber der Strasse liegen in den grossen Kapazitäten, in der hohen Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit. Die genaue Ankunftszeit in Zermatt können wir zu 99% garantieren. Bei jedem Verkehrsträger muss man abwägen, welches der beste ökonomische und ökologische Modalsplit ist.
Peter Knaus: Auch Lastwagen werden immer ökologischer. Das wiederum bedeutet, dass die Strassen weiterhin gut frequentiert sind. Der Kanton ist froh um jeden Lastwagen, der von der Strasse wegkommt, damit weniger Staulagen im Individualverkehr entstehen.
Welche Produkte sind geeigneter für die Schiene, welche hätten noch Potenzial?
Peter Knaus: Güter für Langdistanzen, die auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit angewiesen sind, zum Beispiel Lebensmittel. Ebenso Brief- und Paketpost und Stückgut, die pünktlich ausgeliefert werden müssen. Terminfrachten, die wir ab 4.00 Uhr transportieren. Kehricht und Recyclingmaterial muss innerhalb von 24 Stunden verbracht werden. Baustoffe wie Zement oder Salz sind ebenfalls für den Schienengüterverkehr sehr geeignet. Zudem führen wir extrem viel Rundholz, etwa 95%, nach Tirano. Dafür sind wir prädestiniert, denn auch die Verzollung ist wirtschaftlicher als mit einem LKW. Die meisten Güter führen wir im Kombiverkehr, ausser das Rundholz und das Stückgut. Der Kombiverkehr hat grosses Potenzial für die Zukunft. Potenzial sehe ich in unserem Gebiet beim Pelletstransport.
Peter Luginbühl: Wir haben sehr ähnliche Produktschwerpunkte wie die RhB. Nur Holz transportieren wir nicht. Bei uns kommt noch Heizöl in grossen Mengen hinzu. Im Weiteren transportieren wir viel Gepäck für die Tourismusdestination Zermatt. Über die letzten Jahrzehnte sind die Sendungen kleiner geworden, nicht zuletzt aufgrund des Versandhandels.
Stichworte Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit: Was meinen Sie dazu?
Peter Luginbühl: Als kleine Bahn können wir Stabilität und Pünktlichkeit extrem gut gewährleisten. 95% unserer Kunden oder mehr sind höchst zufrieden mit unserer Zuverlässigkeit. Im europa- oder schweizweiten Güterbahnsystem sieht das ganz anders aus. Hier ist Pünktlichkeit ein Riesenproblem. Da muss die Branche noch einiges verbessern und zu einem verlässlicheren Partner werden.
Peter Knaus: Das sehe ich genauso. Gerade bei Lebensmitteltransporten oder Terminfrachten sind wir extrem pünktlich. Wenn wir mit den Grossen zusammenarbeiten, wird es herausfordernder, die gewünschten Termine einzuhalten. Beim Projekt WEF-Transport beispielsweise waren wir auf Zulieferer von der Normalspur angewiesen. Wenn die nicht pünktlich bei uns in Landquart ankommen, können wir die Container auch nicht pünktlich in Davos anliefern. Das stellt für unsere Kunden ein grosses Problem dar, da am WEF zugeteilte Zeitfenster zwingend eingehalten werden müssen.
Welche Entwicklung erkennen Sie in der Produktion?
Peter Luginbühl: Derzeit haben wir noch eine Mischproduktion, wobei wir vorwiegend mit Ganzgüterzügen arbeiten. Wir kommen immer mehr davon weg, bei Personenzügen Güterwagen anzuhängen. Zum einen werden die neuen Triebzüge und die Kapazitäten unserer Gleisanlagen diesen Anforderungen nicht mehr gerecht. Ausserdem gehen uns die Logistikflächen für den Umschlag verloren. Wir werden uns zunehmend auf Ganzgüterzüge konzentrieren.
Peter Knaus: Auf dem Stammnetz fahren wir täglich 52 reine Güterzüge. Die neuen Züge mit automatischer Kupplung sind nur dafür ausgelegt, sich selbst zu bewegen. Durch die schiere Menge an Güterzügen bleibt uns eine gewisse Flexibilität erhalten. Bei den Terminfrachten haben wir fixe Jahresfahrpläne, da ist alles durchgeplant. Wir haben nur noch Richtung Arosa und Bernina Mischverkehre im Einsatz, da hier die Trassen für reine Güterzüge nicht ausreichen.
Apropos Trassen: Mit welchen Herausforderungen sind Sie hier konfrontiert?
Peter Knaus: Tagsüber gibt bei uns der regionale Personenverkehr den Takt vor. Daran müssen wir uns anpassen. Ebenso an die Prestigezüge wie Glacier- und Bernina-Express. Unsere flexibelsten Zeitfenster sind von 4.00 bis 6.30 Uhr. Ab 21.00 Uhr wird vorwiegend gebaut, da können wir nur sehr eingeschränkt fahren. Die RhB und der Kanton unterstützen uns gut in der Trassenthematik und beziehen die verschiedenen Interessengruppen ein.
Peter Luginbühl: Bei den Trassen sehe ich vier Herausforderungen. Erstens die Wirtschaftlichkeit. Unsere Wunschtrassen sind oft besetzt durch touristische Züge, die eine höhere Wirtschaftlichkeit haben. Zweitens die Eigenwirtschaftlichkeit. Wir haben enorm hohe Investitionen und grosse Finanzierungsthemen. Wir leisten einen wichtigen Beitrag an die Versorgungssicherheit unserer Region. Drittens die Flexibilität durch die Geschwindigkeit. Wir können nicht so schnell auf Veränderungen im Angebot reagieren, wie das ein Transportunternehmen kann. Viertens Innovationskraft. Wir produzieren immer noch so wie vor 30 Jahren. Ich bin gespannt, ob wir über die Digitalisierung tatsächlich werden transformieren können.
Welche Best-Practice-Fälle gibt es, von denen Sie und andere etwas lernen können?
Peter Luginbühl: Ich sehe die Feinverteilung auf der letzten Meile als Erfolgsmodell. Unser Partner macht das so, dass vermehrt auch Kunden kommen, gerade weil er so flexibel ist. Und schliesslich erachte ich die Entsorgung von Kehricht als ein aus ökologischer und ökonomischer Sicht spannendes Geschäftsmodell.
Peter Knaus: Ein gutes Beispiel ist meines Erachtens die Umstellung der Getränketransporte. Die Firma Valser transportiert ihre Getränke seit über 40 Jahren von Vals via Ilanz nach Untervaz. Der frühmorgendliche Umschlag in Ilanz an der Rampe verursachte grosse Geräuschemissionen. Da kam die Idee auf, mit Wechselbehältern umzuschlagen. Gemeinsam mit dem Mutterkonzern Coca-Cola und dem Kanton haben wir geeignete Wechselbehälter beschafft. Diese haben sich sehr bewährt. In absehbarer Zeit transportieren wir diese sogar mit Elektro-LKWs mit Anhänger. Dazu haben wir im Dialog mit Kanton und Polizei eine Spezialbewilligung für Anhänger für die Strecke Schnaus–Ilanz erwirkt. . Der einzige Knackpunkt bildet im Moment noch die LSVA-Rückerstattung im Kombiverkehr Strasse-Schiene. Diese Rückerstattung ist noch an die LSVA gebunden. Zukünftig muss diese an den kombinierten Verkehr gekoppelt sein. Da müssen sich noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern.
Welche Innovationen werden sich in den kommenden Jahren im Schienengüterverkehr bewähren?
Peter Knaus: Powerpacks, also Batterien, die auf den Güterwagen montiert sind, erachte ich als nachhaltige Lösung. Diese können als Energielieferant für Kühlcontainer, aber auch für Bauarbeiten in den Tunnels gebraucht werden. Wir haben sogar Schiebewandwagen mit modernen Powerpacks ausgestattet. Im Bereich des Güterwagentrackings haben wir ebenfalls grosse Fortschritte gemacht. Neu wissen wir, wo die Güterwagen stehen, wie schnell sie fahren, wie der Batteriestand ist, welche Temperaturen in den Kühlcontainern herrschen usw. Diese Daten können wir in einem digitalen Dispositionssystem verwerten. Wir haben auch schon über ein Uber-System für Stückgut nachgedacht. Das wäre sehr innovativ, aber der Knackpunkt sind hier die Gestehungskosten und die geeigneten Partner.
Peter Luginbühl: Es wird den Schienengüterverkehr auch in 30 bis 50 Jahren noch geben. Dazu müssen wir weg von den aktuell starren Systemen. Angefangen bei den Wagenaufbauten über starre Logistikprozesse im Güterumschlag oder Waggonmanagement bis hin zur Wagenflexibilität. Überall da ist Potenzial, mit Innovationen zukünftigen Anforderungen zu begegnen.
Was braucht es, damit sich solche Innovationen umsetzen lassen?
Peter Knaus: Ich bin Mitglied im BAV-Expertengremium für technische Neuerungen. Der Bund ist hier sehr offen und unterstützt Innovationen, die einen langfristigen Nutzen bringen. Der Kanton Graubünden ist ebenfalls sehr offen für Innovationen und unterstützt diese bei einem wirtschaftlichen und ökologischen Nutzen nach Kräften.
Peter Luginbühl: Im regionalen Personenverkehr hat es den Druck eines privaten Wirtschaftsakteurs wie Google gebraucht, damit die Dinge in Bewegung kamen. Das täte vermutlich auch uns gut. Es wäre spannend, wenn ein Marktdritter Druck aufbauen würde.
Was meinen Sie zu europaweit integrierten Datenplattformen?
Peter Knaus: Spannende Ausgangslage für die Akteure im Gütertransport, nicht nur auf der Schiene. Die Entwicklung dafür ist herausfordernd, und ob alle ihre Daten zur Verfügung stellen würden, bin ich mir nicht sicher. Aktuell können unsere Kunden mithilfe von Trackings sehen, wo die Lademittel aktuell stehen. Das erlaubt es zum Beispiel einem Mineralöltransportkunden, seine und unsere Disposition effizienter zu gestalten. Insbesondere beim Holzverlad würde ich eine höhere Durchgängigkeit zu unseren Kunden begrüssen.
Peter Luginbühl: Wir müssten die Wagen mit Ortungsgeräten ausrüsten. Erst dann könnten wir weitere Schritte Richtung Datenaustausch machen, auch verkehrsträgerübergreifend. Wir von der MGBahn machen uns diese Gedanken weniger, weil wir lokal ausgerichtet sind.
Wo sehen Sie die grössten Hebel, um den Schienengüterverkehr weiterzubringen?
Peter Luginbühl: Bei der Flexibilisierung des Schienengütersystems. Wir werden nie so flexibel sein wie die Strasse. Aber wir müssen schneller auf Kundenbedürfnisse reagieren können und die Stärken der Schiene ausspielen. Das Potenzial auf der Schiene ist riesig. Der Druck zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene kommt von allein.
Peter Knaus: Da muss man sicherlich zwischen Meterspuren und Normalspuren unterscheiden. Wir mit Meterspuren haben ein überschaubares Netz. Im Vergleich zu den SBB können wir sehr schnell reagieren. Eine planerische Umstellung von zwei Wochen ist verglichen mit den SBB schnell – und verglichen mit einem Strassentransportunternehmen langsam. Dieses stellt innerhalb von Tagen um. Je mehr Geld wir haben, umso schneller können wir in Triebfahrzeuge und Güterwagen investieren respektive die Flotte modernisieren und umso flexibler könnten wir auf die Wünsche unserer Kunden reagieren.
Inwiefern würde mehr Wettbewerb bei den Güterbahnen die Dynamik des Schienengütermarkts verändern?
Peter Luginbühl: Mehr Wettbewerb, mehr Dynamik. Allerdings ist die Eintrittsschwelle in unseren Markt für neue Akteure sehr hoch. Wer eine Güterbahn betreiben möchte, braucht ein regelkonformes Triebfahrzeug und teures Rollmaterial. Das ist eine andere Hausnummer, als einen LKW für ein paar Hunderttausend Franken zu kaufen. Beispiele wie Railcare oder Post zeigen, dass Wettbewerb zu Innovation und Preisdruck führt.
Peter Knaus: Konkurrenz tut gut und spornt an, sich zu entwickeln. Die Verantwortlichen von Railcare haben ein sehr gutes Transportlogistikkonzept, sie verbinden Strasse und Schiene mit der eigenen Flotte. Auch Konkurrenzunternehmen auf der Schiene sind auf freie Trassen angewiesen. Sie können nicht einfach losfahren, wenn sie vollgeladen sind. Preislich haben kleine Güterbahnbetreiber den Vorteil, dass sie einen geringeren Overhead einkalkulieren müssen.
Was halten Sie vom VAP und was würden Sie unserem Verband empfehlen?
Peter Knaus: Mit Generalsekretär Frank Furrer hatte ich stets einen guten Kontakt. Ich habe das Projekt Transportlogistik des Regionalen Paketzentrums in Untervaz geleitet. Da habe ich sehr eng mit dem VAP zusammengearbeitet. Er war ein unabhängiges und sehr wertvolles Projektmitglied. Ich empfinde den Austausch mit Frank Furrer, Jürg Lütscher und anderen VAP-Vertretern, die eine Verladersicht einbringen, als konstruktiv und spannend.
Peter Luginbühl: Ich wusste bis vor Kurzem nicht, dass es diesen Verband gibt. Meine Empfehlung wäre es, dass Sie Ihren Verband bei den Güterverkehrsunternehmen besser bekannt machen. Ich finde es nämlich toll, was der VAP so alles tut.
Was wurde noch nicht gesagt?
Peter Luginbühl: Dieses Gespräch hat mir wertvolle Impulse gegeben, danke dafür.
Peter Knaus: Danke, dass Sie uns zu diesem Gespräch eingeladen und uns die Gelegenheit gegeben haben, uns zu präsentieren.
Zu Peter Knaus und der Bündner Güterbahn Peter Knaus ist Leiter Güterverkehr der Bündner Güterbahn der Rhätischen Bahn (RhB). Zudem vertritt er die Schmalspurbahnen in der Kommission Güterverkehr (KGV) des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV) und gehört der Begleitgruppe Schienengüterverkehr des Bundesamtes für Verkehr (BAV) an. Unter dem Dach der RhB bietet die Bündner Güterbahn eine breite Palette von Transportlösungen für Unternehmen und Privatpersonen in Graubünden an. Mit ihrer vielfältigen Wagenflotte – darunter Containerwagen, Schiebewandwagen und Kesselwagen – befördert sie Güter aller Art. Die Bedienungspunkte erstrecken sich über das gesamte Bündnerland und umfassen wichtige Industriezentren, Logistikzentren sowie landwirtschaftliche Betriebe. Dadurch gewährleistet die Bündner Güterbahn eine umfassende Güterversorgung in der gesamten Region und ist ein unverzichtbarer Bestandteil der regionalen Logistikinfrastruktur. |
Zu Peter Luginbühl und der Matterhorn-Gotthard-Bahn Peter Luginbühl ist seit 2017 Leiter Betrieb Matterhorn-Gotthard-Bahn. Der diplomierte Controller war davor einige Jahre als Leiter Unternehmensentwicklung HR bei den SBB tätig. Die Matterhorn-Gotthard-Bahn betreibt ihren Güterverkehr mit der Alpin Cargo AG, einer Tochter der Planzer-Gruppe. Sie bietet vielfältige Dienstleistungen für das lokale Gewerbe an. Dazu zählen Güterumschlag, Lagerlogistik und Transporte sowohl auf der Schiene als auch auf der Strasse. Die Mineralölversorgung stellt einen weiteren wichtigen Service dar. Alpin Cargo bedient auf der letzten Meile nicht nur Unternehmen, sondern auch Privatpersonen. Diese können ihre Dienste für Umzüge, das Einlagern von Hausrat sowie Heimlieferungen mit Montage und E‑Transporte in Anspruch nehmen. |
Freude herrscht bei SBB, Besorgnis bei SBB Cargo
SBB ist finanziell kerngesund. Das hat sie am 11. März 2024 mit der Jahresrechnung 2023 kommuniziert. Nur Tochter SBB Cargo gilt weiterhin als Sorgenkind und soll finanziell unterstützt werden. Wir vom VAP meinen: Das darf keiner Dauersubventionierung des Einzelwagenladungsverkehrs (EWLV) gleichkommen. Und die vorgeschlagene Finanzspritze von CHF 1,25 Mrd. ist angesichts der Jahresrechnung 2023 hinfällig.
Darum geht’s:
- Resultate 2023: schwarz und rekordverdächtig
- Ewiges Sorgenkind bleibt defizitär
- Rekordresultate und Milliardenhilfe – wie passt das zusammen?
- Unternehmerische Verantwortung gefragt
Resultate 2023: schwarz und rekordverdächtig
1,3 Mio. Reisende, CHF 269 Mio. Gewinn, 9,9 % Mehreinnahmen beim Personenverkehr, 92,5 % Pünktlichkeit trotz 20’000 Baustellen, Verschuldung auf CHF 11,3 Mrd. gesunken, alle Investitionen aus dem Cashflow finanziert: Das Geschäftsjahr 2023 der SBB strotzt nur so vor frohen Botschaften und Superlativen. Erstmals in der Post-Covid-Ära schreiben die SBB wieder schwarze Zahlen. Diese erfreuliche Performance geht in erster Linie aus einem Rekordstand an Fahrgästen und aus stattlichen Gewinnen aus den SBB Immobilien hervor. Es erstaunt daher auch nicht, dass die Verantwortlichen zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Ewiges Sorgenkind bleibt defizitär
Bei der Sparte Güterverkehr der rückverstaatlichten SBB Cargo sieht die finanzielle Lage deutlich weniger rosig aus. Zwar verbesserte sich das Ergebnis 2023 von SBB Cargo Schweiz gegenüber dem Vorjahr um CHF 148 Mio. auf minus CHF 40 Mio. Doch das ist vorwiegend auf Wertberichtigungen von 2022 zurückzuführen. Die Verkehrsleistung reduzierte sich gegenüber dem Vorjahr um 7,5 %. Haupttreiber waren laut SBB der Preisdruck, das strukturelle Defizit im EWLV und die konjunkturelle Abkühlung.
Unklar bleibt nur, wie hoch dieses sogenannte strukturelle Defizit tatsächlich beziffert werden soll. In der politischen Debatte spricht SBB von CHF 80 bis 100 Mio., im Geschäftsbericht 2023 stehen CHF 40 Mio. Hat SBB Cargo im Ganzzugsverkehr einen Gewinn von CHF 40 bis 60 Mio. generiert?
Rekordresultate und Milliardenhilfe – wie passt das zusammen?
Auf diese Frage gibt Peter Füglistaler, Direktor beim Bundesamt für Verkehr (BAV), in seinem Kommentar auf LinkedIn eine plausible Antwort: «Ich weiss es nicht». Dass es den SBB finanziell gut geht, ist tatsächlich löblich. Schliesslich wünschen sich die Verlader starke Partner im Transportgeschäft. Trotzdem halten wir vom VAP an unserer Position fest: Die finanzielle Schieflage von SBB Cargo darf nicht mit der notwendigen Modernisierung und Umgestaltung des EWLV verwechselt werden. Im Januar 2024 hat der Bundesrat in seiner «Botschaft zum Gütertransportgesetz» zu Recht Massnahmen für die Modernisierung des flächendeckenden EWLV beantragt (vgl. Blogbeitrag «Weichen für den Binnengüterverkehr auf der Schiene richtig gestellt»). Statt eines Sanierungsbeitrags an den EWLV fordern wir eine gezielt eingesetzte degressive und befristete Überbrückungsfinanzierung für eine nachhaltige Transformation des EWLV Richtung Eigenwirtschaftlichkeit. Nur so kann sich der EWLV modernisieren und wachsen.
Unternehmerische Verantwortung gefragt
Derzeit bespricht das Parlament die «Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Schweizerischen Bundesbahnen (Nachhaltige Finanzierung der SBB)». Demnach soll der Bund die pandemiebedingten Defizite der SBB im Fernverkehr übernehmen. Dazu VAP-Präsident und Ständerat Josef Dittli: «Wieso soll der Bund, der gerade lineare Kürzungen und Verzichtsplanungen angekündigt hat, mit Steuergeldern ein Staatsunternehmen unterstützen, das Rekordresultate erreicht? Hier appelliere ich eindringlich an die unternehmerische Verantwortung der Akteure.»
Weichen für den Binnengüterverkehr auf der Schiene richtig gestellt
Der Bundesrat hat im Januar seine Botschaft zum Gütertransportgesetz zuhanden des Parlaments veröffentlicht. Er strebt die Modernisierung des flächendeckenden Einzelwagenladungsverkehrs (EWLV) an und legt damit die Grundlage für dessen Eigenwirtschaftlichkeit. Trotz zahlreicher Vorbehalte schlägt er dafür Investitionsbeihilfen und befristete Betriebsabgeltungen sowie Anreize für Verlader vor.
Darum geht’s:
- Bundesrat strebt Eigenwirtschaftlichkeit an
- Der EWLV soll grundlegend umgestaltet und modernisiert werden
- Der Betrieb des EWLV soll in der Modernisierungsphase befristet gefördert werden
- BAV kritisiert Leitlinien der Branche
- Vorlage im Überblick
- So geht es weiter
Bundesrat strebt Eigenwirtschaftlichkeit an
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 10. Januar 2024 die Botschaft zum Gütertransportgesetz zuhanden des Parlaments verabschiedet. Wir vom VAP begrüssen es, dass die favorisierte Variante 1 weiterverfolgt wird. Mit dieser Vorlage will der Bundesrat den Schienengüterverkehr technisch und organisatorisch modernisieren, die multimodalen Transportketten stärken und die Schifffahrt besser einbinden. Die übergeordneten Ziele sind die Versorgungssicherheit im ganzen Land zu stärken und die Multimodalität zu fördern, um zu den Umwelt- und Energiezielen des Bundes beizutragen. So sollen die aktuelle Flächenbedienung gesichert, der Anteil des Schienengüterverkehrs mittelfristig erhöht und die Basis für einen eigenwirtschaftlichen Betrieb gelegt werden.
Der EWLV soll grundlegend umgestaltet und modernisiert werden
Die Grundlage dazu ist eine umfassende Umgestaltung des EWLV respektive des Netzwerkverkehrs mit der dazugehörigen technischen Modernisierung (insbesondere der Digitalisierung), einer Einbettung in das Logistiksystem Schweiz und dem Aufbau eines diskriminierungsfreien, intramodalen Wettbewerbs. Letzterer soll die Qualität der Logistikdienstleistungen und deren Effizienz massgeblich verbessern und künftige Innovationen vereinfachen. Die Vorlage sieht dafür Investitionsmittel für die Einführung der digitalen automatischen Kupplung (DAK) in Höhe von 180 Mio. Franken vor. Weitere Investitionsmittel sind für digitalisierte Prozessoptimierungen, Datenaustauschplattformen und Ähnliches vorgesehen.
Der Betrieb des EWLV soll in der Modernisierungsphase befristet gefördert werden
Um die aktuelle Flächenbedienung aufrechtzuerhalten, soll der Betrieb während acht Jahren finanziell unterstützt werden. Dabei werden angeblich ungedeckte Kosten gedeckt. Diese Abgeltungen werden entsprechend dem Fortschritt der Umgestaltung laufend abnehmen und in mehrjährigen Leistungsvereinbarungen mit allen am Netzwerkverkehr beteiligten Güterbahnen festgelegt.
BAV kritisiert Leitlinien der Branche
Damit dieser Umbau gelingt und der EWLV während der Umgestaltungsphase im aktuellen Umfang stabil betrieben werden kann, hat die Branche Leitlinien für konkrete Massnahmen und Fördertatbestände vorgelegt. Das BAV kritisiert diese jedoch als ungenügend und verlangt eine weitere Bearbeitung. Es bemängelt insbesondere die fehlende Perspektive für eine umfassende Neugestaltung zur Erhöhung der Effizienz und Auslastung. Es sieht eine Tendenz zur Strukturerhaltung und zu einem weiteren Abbau des Angebots. Es sei derzeit nicht in der Lage, auf dieser Basis Leistungsvereinbarungen abzuschliessen. Wir vom VAP verstehen die Vorbehalte des BAV, da die Leitlinien einen Kompromiss von Verladern und Güterbahnen darstellen, bei dem der VAP grosse Eingeständnisse im Interesse der Sache gemacht hatte. Eine substanzielle Nachbearbeitung ist nun notwendig, gerade aus Sicht der Gütertransportkunden als Nutzer der Logistikdienstleistungen.
Wir sind bereit, die weitere Entwicklung massgeblich zu unterstützen. Als wichtige Voraussetzung für diesen Umbau sehen wir ein umfassendes, operatives Controlling als Erfolgskontrolle für die Wirksamkeit der Massnahmen und Anreize sowie den Aufbau einer digitalen Plattform. Damit liessen sich alle Akteure effizient und flexibel in der Planung und Abwicklung ihrer Dienstleistungen verknüpfen. Der Umbau soll in Form eines Projektes methodisch strukturiert und zielgerichtet umgesetzt werden.
Vorlage im Überblick
- Investitionsbeihilfen: Für die Einführung der DAK stellt der Bundesrat 180 Mio. Franken zur Verfügung. Das deckt ca. einen Drittel der Umbaukosten ab. Die Umrüstung des Rollmaterials muss europaweit koordiniert werden und soll bis ins Jahr 2033 erfolgen. Von der DAK wird eine substanzielle Verbesserung der Produktivität und Qualität des Schienengüterverkehrs erwartet.
Faktenblatt DAK (PDF, 971 kB)
- Betriebsabgeltungen: Um den EWLV während der Umbauphase auf dem aktuellen flächendeckenden Niveau zu halten, sieht der Bundesrat vor, ihn auf acht Jahre befristet und degressiv finanziell zu fördern. Am Ende dieser Periode soll Eigenwirtschaftlichkeit erreicht sein. Für die ersten vier Jahre beantragt er 260 Mio. Franken.
Faktenblatt Güterverkehr (PDF, 712 kB)
- Anreize für Verlader: Unbefristet vorgesehen sind Umschlags- und Verladebeiträge und eine Abgeltung der ungedeckten Kosten des bestellten Gütertransportangebots für total 60 Mio. pro Jahr.
Vollständige Botschaft zum Gütertransportgesetz.
So geht es weiter
- Noch in der ersten Hälfte 2024 sollen die offenen Punkte zwischen BAV und der Branche diskutiert und die Leitlinien entsprechend ergänzt und präzisiert werden.
- In diesem Rahmen und nach Verabschiedung des revidierten Gesetzes soll bis Ende 2024 ein Ausschreibungsprozess für die verschiedenen Dienstleistungspakete innerhalb des Netzwerkverkehrs gestartet werden.
- Die Verhandlungen über mögliche Leistungsvereinbarungen sind für 2025 geplant, damit allfällige Fördermassnahmen Anfang 2026 greifen können.
Details lesen Sie in dieser gemeinsamen Medienmitteilung von VAP, LITRA, ASTAG, IG Kombinierter Verkehr und VöV.
Gotthardbasistunnel (#9): Rückverlagerung auf Strasse vermeiden
Die Güterzugentgleisung vom 10. August 2023 hat gravierende Schäden am Gotthardbasistunnel verursacht. Deshalb wollen die SBB mit dem Fahrplanwechsel vom 10. Dezember 2023 die Kapazitäten des nachhaltigen Güterbahnverkehrs zugunsten des Freizeitverkehrs am Wochenende massiv einschränken. Das könnte zu einer Rückverlagerung von bis zu 15% der Bahngüter auf die Strasse führen.
Darum geht’s:
- Neues Fahrplankonzept streicht Güterverkehrstrassen
- Gesetzliches Verkehrsverlagerungsziel gefährdet
- Alternative für Personenverkehr vorhanden
- NEAT schrittweise zweckentfremdet
- Kein Dialog auf Augenhöhe
- Rückverlagerung auf Strasse gemeinsam vermeiden
Neues Trassenkonzept streicht Güterverkehrstrassen
Laut Medienupdate vom 2. November 2023 gehen die SBB davon aus, dass der Gotthardbasistunnel erst im September 2024 wieder vollständig für Reise- und Güterzüge zur Verfügung steht. Die Reparaturarbeiten dürften weit länger dauern als ursprünglich erwartet. Die Verantwortlichen der SBB haben bekanntgegeben, mit dem Dezember-Fahrplanwechsel an den Wochenenden deutlich mehr und schnellere Reisezüge durch den Gotthardbasistunnel fahren zu lassen. Sie streichen dem Güterverkehr unter anderem ein Zeitfenster von 7.30 bis 9.00 Uhr freitagmorgens und teilen es dem Personenverkehr zu.
Gesetzliches Verkehrsverlagerungsziel gefährdet
Das eigenmächtig entwickelte Trassenkonzept hat gravierende Konsequenzen für den nationalen Modalsplit. Eines unserer Mitglieder geht davon aus, dass 10% bis 15% der Sendungen des kombinierten Güterverkehrs auf die Strasse rückverlagert werden und die Versorgung des Tessins am Wochenende nicht mehr vollumfänglich gewährleistet werden kann. Auch Bauarbeiten können im erwähnten Zeitfenster nicht vorgenommen werden.
Diese Entwicklung widerspricht der Schweizer Verkehrsverlagerungspolitik. Demnach will der Bundesrat den alpenquerenden Gütertransport von der Strasse auf die Schiene verlagern. Schon 2022 wurde das gesetzliche Ziel von 650’000 Lastwagenfahrten klar verfehlt: Es fuhren noch immer 880’000 Lastwagen durch die Schweizer Alpen.
Alternative für Personenverkehr vorhanden
Für die Branchenvertreter der verladenden Wirtschaft ist die Trassenneukonzeption der SBB umso abwegiger, als sehr wohl eine vernünftige Alternative für den Personenverkehr besteht: Gerade aus ökologischer Perspektive sollten Freizeitreisende an Wochenenden die Bergstrecke nutzen und den Gotthardbasistunnel den Güterzügen überlassen. Immerhin verbrauchen diese wegen ihrer schweren Last sehr viel mehr Strom über die Bergstrecke als Personenzüge. Die Verlader sind an sieben Tagen die Woche auf eine zuverlässige Transportinfrastruktur für die Güterversorgung der Schweiz angewiesen.
NEAT schrittweise zweckentfremdet
Der Gotthardbasistunnel ist Teil der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT). Sie wurde für den Güterverkehr konzipiert. Denn das gemeinsame Ziel der Europäischen Union und der Schweiz mit der NEAT war und ist es, den Güterverkehr auf der Schiene zu fördern. Das Projekt wurde für 23 Mrd. CHF realisiert und zu 55% von der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) finanziert. Mit der Einschränkung der dringend benötigten Trassen für den Güterverkehr wird die NEAT erneut zweckentfremdet.
Kein Dialog auf Augenhöhe
Zwar hätten die SBB nach eigenen Angaben «… für die Verteilung der Trassen durch den Gotthard-Basistunnel während der Reparaturarbeiten in Zusammenarbeit mit den Branchenvertretern des Güterverkehrs und den Eisenbahnverkehrsunternehmen des Personenverkehrs sowie der unabhängigen Trassenvergabestelle eine sorgfältige Abwägung vorgenommen.» Doch das neue Trassenkonzept entstand ohne die Güterverkehrsbranche und deren Kunden. Auch der nachträgliche Austausch erwies sich als zäh. Zudem fehlte an der Medienkonferenz vom 2. November 2023 die Stimme von SBB Cargo. Es ist unklar, ob und wie die Anliegen des Güterverkehrs im eigenen Konzern berücksichtigt wurden. Die verladende Wirtschaft zeigt sich alarmiert über dieses einseitige Vorgehen und sieht die bisher konstruktive Zusammenarbeit mit den SBB in Frage gestellt.
Rückverlagerung auf Strasse gemeinsam vermeiden
Wir vom VAP fordern nachdrücklich, dass die SBB alle am Güterbahnverkehr Beteiligten in die Planung der Trassenvergabe einbeziehen und einseitige Äusserungen über die reibungsfreie Abwicklung des Güterverkehrs durch den Gotthardbasistunnel unterlassen. Diese begünstigen eine vorzeitige Abwanderung von Gütertransporten auf die Strasse, was es unbedingt zu vermeiden gilt. Denn eine solche lässt sich in der Regel nur schwer rückgängig machen. Die SBB sollten Güter- und Personenverkehr nicht gegeneinander ausspielen und dabei den Strassentransport begünstigen.
Gotthardbasistunnel (#8): Sicherheits- und Kontrollaufgaben klar verteilt
- Harmonisierte Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem
- Instandhaltungsarbeiten von unabhängigen Stellen überwacht
- Radsatzkontrollen in Betrieb und Instandhaltung
- Zwei Prüfverfahren etabliert
- Zuständigkeiten und Vorschriften geklärt
Harmonisierte Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem
Die Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem basiert auf einem Verantwortungsdreieck aus Infrastrukturbetreibern, Eisenbahnverkehrsunternehmungen (EVU) und den Wagenhaltern mit ihren zuständigen Instandhaltungsstellen (ECM). Die Vorgaben und Bestimmungen dazu sind heute europaweit weitgehend harmonisiert. Basierend auf Festlegungen der hoheitlichen Richtlinien, auf den gültigen technischen Normen und Erfahrungen aus der Praxis hat die Branche den international anerkannten VPI European Maintenance Guide (VPI-EMG) erarbeitet. Dabei leisteten seit 2007 die Verbände VPI (Deutschland), V.P.I. (Österreich) und VAP (Schweiz) Pionierarbeit. 2019 wurde der Herausgeberkreis des VPI-EMG um die AFWP (Frankreich) und die UIP (internationaler Verband der Wagenhalter als Vertreter der kleineren nationalen Interessenverbände) erweitert. In diesem Regelwerk sind sowohl Fristen als auch Umfang der Arbeiten und Standards anwendergerecht definiert. Es gibt Instandhaltungsempfehlungen ab, die jeder Nutzer auf die Anwendbarkeit für seine Güterwagen prüfen, gegebenenfalls ergänzen und für seine Wagenflotte freigeben muss. Derzeit beziehen mehr als 550 Unternehmen, darunter Wagenhalter, ECM, Reparaturwerkstätten, Behörden und Universitäten, den VPI-EMG. Mehr als 260 Reparaturwerkstätten und mobile Serviceteams aus 19 Ländern Europas wenden den VPI-EMG im Auftrag der jeweils zuständigen ECM an.Instandhaltungsarbeiten von unabhängigen Stellen überwacht
Die Sicherheitsrichtlinie der EU legt zwei unabhängige Verfahren fest. Damit soll sichergestellt werden, dass die Facharbeiten überall mit dem erforderlichen Qualitätsniveau und Wissen durchgeführt werden:- Zertifizierung: Die beteiligten Unternehmen müssen sich für sicherheitsrelevante Tätigkeiten im Rahmen ihrer ECM durch unabhängige Stellen zertifizieren lassen. Diese Zertifikate müssen sie regelmässig erneuern und ihren Kunden Einsicht in deren Gültigkeit und Umfang gewähren.
- Auditierung: Aufsichtsbehörden führen im Bahnbetrieb risikobasierte Audits von sicherheitskritischen Prozessen und Inspektionen der Qualität durch. Sollten sie Schwachstellen aufdecken, so überwachen sie zudem deren Behebung.
Radsatzkontrollen in Betrieb und Instandhaltung
Radsätze gelten als sicherheitskritische Komponenten eines Schienenfahrzeugs. Durch den Betrieb werden sie einerseits kontinuierlich abgenutzt, andererseits können sie durch Einwirkungen von aussen beschädigt werden. Bei der Instandhaltung von Wagen sorgt die ECM dafür, dass vollwertige Radsätze eingesetzt sind. Beim Betrieb stellen die EVU und die Zugkontrolleinrichtungen der Infrastrukturbetreiberinnen (vgl. Blogbeitrag «Gotthardbasistunnel (#2): Automatische Zugkontrolleinrichtungen») gezielt sicher, dass keine erkennbaren Schäden oder Abweichungen an Wagen die Betriebssicherheit gefährden. Für einen sicheren Bahnbetrieb müssen die Radsätze alle relevanten Grenzwerte während der gesamten Betriebszeit einhalten. Radsätze, die infolge von Abweichungen oder Schäden ausgewechselt wurden, kommen zur vorschriftsgemässen Aufarbeitung in eine zertifizierte Fachwerkstätte.Zwei Prüfverfahren etabliert
Im 10-vor-10-Beitrag von SRF werden zwei Prüfverfahren der systematischen Radsatzinstandhaltung gezeigt. Eine zertifizierte Fachwerkstätte kann so gewährleisten, dass die von ihr instandgesetzten Radsätze beim Ausliefern keine relevanten Schädigungen in Form von Materialrissen aufweisen. Dabei handelt es sich um zwei zerstörungsfreie Prüfverfahren nach DIN 27201–7, die sich branchenweit durchgesetzt haben:- Ultraschallprüfung: Erkennen von Rissen im Bereich Radstirnfläche und Spurkranzrücken
- Magnetprüfung: Erkennen von Rissen in Radkörper und Radsatzwelle inklusive Radsitz
Zuständigkeiten und Vorschriften geklärt
Da zahlreiche Güter grenzüberschreitend transportiert werden, sind in Europa international harmonisierte Regeln und Verfahren bedeutend. In den vergangenen Jahren wurde die Vorschriftenlage umfassend erneuert und verbessert. Aktuelle Versionen der Sicherheits- und Interoperabilitätsrichtlinie der EU gelten sowohl in allen EU-Staaten als – über das Landverkehrsabkommen – auch für das Schweizer Normalspurnetz. Davon ausgehend hat der Schweizer Bahnsektor praxisgerechte Standards und Verfahren der Instandhaltung für die Hauptakteure entwickelt. Europaweit gemeinsame Meldeprozesse und Beurteilungsverfahren (vgl. Blogbeitrag «Gotthardbasistunnel (#7): Sust-Bericht schafft Klarheit») gewährleisten, dass die Branchenakteure ihre Lehren aus einem Betriebsereignis wie demjenigen vom 10. August 2023 ziehen und bei der Instandhaltung wirksame Verbesserungen umsetzen.Gotthardbasistunnel (#4): Sicherheitskritische Bauteile von Güterwagen
Die öffentlich publizierten Informationen zur Güterbahnentgleisung im Gotthardbasistunnel deuten auf eine gebrochene Radscheibe an einem entgleisten Güterwagen hin. Überbeanspruchung oder Materialfehler stehen als mögliche Ursache des Versagens im Raum. Was tatsächlich geschah, bleibt den laufenden Untersuchungen der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle (Sust) vorbehalten.
Darum geht’s:
- Wie werden sicherheitskritische Bauteile gefertigt?
- Wie werden sie zugelassen und in Betrieb genommen?
- Wie werden sie gewartet?
- Welche Bedeutung hat die Überwachung im täglichen Betrieb?
- Welche Überwachungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung?
- Einheitliche Regelungen ermöglichen sicheres Zusammenwirken der Akteure
- Ausblick digitale automatische Kupplung (DAK)
Wie werden sicherheitskritische Bauteile gefertigt?
Sicherheitsrelevante und ‑kritische Bauteile wie Radsätze werden so ausgelegt, dass sie ihre Aufgabe während der geplanten Nutzungsdauer unter den vorherrschenden Betriebs- und Einsatzbedingungen erfüllen und damit eine sichere Fahrt gewährleistet ist. Dabei wenden die Herstellerfirmen international anerkannte Standards an:
- Technische Spezifikationen der Interoperabilität (TSI) legen grundlegende Anforderungen fest.
- Europäische Normen (EN) definieren die spezifischen Eigenschaften.
- Hersteller wenden zur Entwicklung und Prüfung harmonisierte und standardisierte Sicherheitsmethoden an.
- Normierte Sicherheitsnachweise und Gutachten dokumentieren Sicherheit und Tauglichkeit.
In die Entwicklung der Normen und TSI fliessen die internationalen Erfahrungen aus Vor- und Unfällen laufend ein.
Wie werden sie zugelassen und in Betrieb genommen?
Die Inverkehrbringung von sicherheitskritischen Bauteilen erfordert die international einheitliche Genehmigung der europäischen Eisenbahnagentur (ERA) oder einer nationalen Sicherheitsbehörde. Es sind dies:
- Typenzulassungen für Bauteile oder Fahrzeuge
- Konformitätsnachweise für baugleiche Serienbauteile oder Fahrzeuge
- CE-Kennzeichnung (Conformité Européenne) für ein Bauteil, das die geltenden EU-Richtlinien erfüllt
- Betriebsbewilligung für ein regelkonformes Fahrzeug
Die Bescheinigung, dass Bauteile nach den Anforderungen von Normen und TSI gebaut wurden, erfolgt durch sogenannt «benannte Stellen», also staatlich autorisierte Stellen. Diese prüfen und bewerten die Regelkonformität der gefertigten Produkte.
Wie werden sie gewartet?
Der Hersteller ist verpflichtet, für sämtliche Bauteile oder Fahrzeuge die anzuwendenden Instandhaltungsvorgaben zu definieren und zu publizieren. Fahrzeughalter müssen diese Herstellervorgaben abgestimmt auf die Einsatzbedingungen umsetzen. Sie bestimmen für ihr Rollmaterial zertifizierte Instandhaltungsstellen (Entity in Charge of Maintenance, ECM). Diese erarbeiten die Instandhaltungsvorgaben der ihnen zugeordneten Fahrzeuge unter Berücksichtigung eigener und Branchenerkenntnisse. Zudem planen sie periodische Arbeiten, führen sie durch und dokumentieren deren Ergebnisse. Jedes für den Betrieb zugelassene Fahrzeug muss unter Nennung des Fahrzeughalters und der ECM in einem amtlichen Fahrzeugregister eingetragen sein.
Welche Bedeutung hat die Überwachung im täglichen Betrieb?
Die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sind für die sichere Fahrt, Zugvorbereitung, Zugabfertigung und andere Sicherheitsaspekte ihrer Züge verantwortlich. Sie legen die Prüfungen und Tests fest, mit denen gewährleistet wird, dass jede Abfahrt sicher erfolgen kann. Um diese Betriebstauglichkeit festzustellen, führen ausgebildete Mitarbeitende vor der Abfahrt vor Ort definierte Sichtkontrollen durch. Diese Arbeit findet zu jeder Tageszeit und Witterung statt und ist äusserst anspruchsvoll. Auch bei der Zugsabfertigung und den damit verbundenen Prüfungen und Tests wird ein besonderes Augenmerk auf sicherheitskritische Bauteile gelegt.
Welche Überwachungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung?
Die Fahrzeughalter sind für die ordnungsgemässe Instandhaltung ihrer Fahrzeuge verantwortlich. Sicherheitsrelevante und ‑kritische Bauteile werden periodisch kontrolliert, z.B. durch Ultraschallmessungen. Sicherheitskritische Bauteile unterliegen nicht nur strengen Kontrollen, sondern auch besonderen Verpflichtungen in Bezug auf Kennzeichnung, Instandhaltung und Rückverfolgbarkeit der Massnahmen. Die EVUs können vom Fahrzeughalter wagenspezifische Auskünfte verlangen.
Auf dem Schweizer Normalspurnetz betreiben die Infrastrukturbetreiber heute über 250 Zugkontrolleinrichtungen. Sie überwachen jedes vorbeifahrende Fahrzeug auf Unregelmässigkeiten und können im Falle von unzulässigen Abweichungen Alarm auslösen. In diesem Fall wird der betroffene Zug sofort angehalten und kontrolliert.
Einheitliche Regelungen ermöglichen sicheres Zusammenwirken der Akteure
Im Bahnbetrieb agieren verschiedene Unternehmen zusammen. Dabei muss sich jeder Akteur auf die Zuverlässigkeit des anderen an der Schnittstelle verlassen können. Ihre Aufgabenbereiche und Verantwortungen sind international klar und einheitlich geregelt. Harmonisierte Vorschriften zu Herstellung, Betrieb und Instandhaltung sorgen für einen sicheren Schienenverkehr (mehr zum Regulativ der internationalen Zusammenarbeit lesen Sie in Kürze auf diesem Blog).
Ausblick digitale automatische Kupplung (DAK)
Neben der Umsetzung der geltenden Vorgaben durch jeden am Eisenbahnverkehr beteiligten Akteur rücken neue Technologien in den Mittelpunkt. Mit der Automatisierung und Digitalisierung lassen sich nicht nur Betriebsabläufe effizienter gestalten. Es eröffnen sich auch neue Möglichkeiten zur betrieblichen Überwachung sicherheitsrelevanter und ‑kritischer Bauteile in Güterzügen. Die laufende digitale Zustandserfassung dieser Bauteile bietet den Verantwortlichen eine attraktive Chance. Werden Verschleiss- und Alterungsprozesse fahrzeugindividuell digitalisiert verfolgt, so lässt sich die Instandhaltung bedarfsgerecht und effizient planen. Schadhafte Bauteile können vor einem Totalversagen ermittelt und ausgetauscht werden. Tritt während der Fahrt unerwartet ein Bauteilausfall auf, kann das sofort Alarm auslösen.
Um diese Innovation im Güterverkehr zu nutzen, braucht es in den Güterwagen Sensorik, elektrische Energie und Datenkommunikation zum Lokführer, in die Systeme der Wagenhalter und zur ECM. Mit der europaweit geplanten Einführung der DAK werden diese Voraussetzungen geschaffen (vgl. Blogpost «Datenökosysteme: Daten teilen, um ihren Mehrwert zu verdoppeln»). So verwandeln die Automatisierung und Digitalisierung den herkömmlichen Verkehr in einen intelligenten, effizienten, resilienten und sicheren Verkehr.
Gotthardbasistunnel (#3): Geltende Haftpflichtbestimmungen sind ausreichend
Der Güterbahnunfall im Gotthardbasistunnel hat Haftungsfragen aufgeworfen, die der Bundesrat sowieso traktandiert hat. In seiner Sitzung vom 21. Juni 2023 hat er einen Bericht über Handlungsoptionen zur Verschärfung der Haftpflichtbestimmungen im Schienengüterverkehr verabschiedet. Wie diese aussehen und was wir davon halten, erfahren Sie in diesem Blogartikel.
Darum geht’s:
- Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) haften verschuldensunabhängig
- Der Bundesrat schlägt vier Handlungsoptionen vor – mit Vor- und Nachteilen
- Wir meinen: Verantwortlichkeiten und Kontrollen sind ausreichend geregelt
- Akteure nehmen ihre Verantwortung wahr, auch ohne neue Bestimmungen
Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) haften verschuldensunabhängig
Derzeit müssen EVU grundsätzlich unabhängig von einem eigenen Verschulden für den Schaden bei Unfällen mit Güterzügen auf dem Schweizer Schienennetz aufkommen. Man spricht von Gefährdungshaftung. Das gilt nicht, wenn der Schaden durch Mängel an einem fremden Güterwagen verursacht wurde. In diesem Fall geht man vertraglich vom Verschulden des betroffenen Wagenhalters aus. Der Halter kann sich von dieser Haftung nur befreien, wenn er fehlendes Verschulden nachweisen kann. Im Juristenjargon nennt sich das Umkehr der Beweislast.
Der Bundesrat schlägt vier Handlungsoptionen vor – mit Vor- und Nachteilen
Mit seinem Bericht vom 21. Juni 2023 leistet der Bundesrat dem Postulat 20.4259 «Gesamtschau zur Haftpflicht im Gütertransport auf der Schiene» Folge. Dieses war durch die Motion 20.3084 «Regelungen der Haftpflicht im Gütertransport auf der Schiene klären» von Frédéric Borloz zustande gekommen (vgl. VAP-Blogbeitrag «Motion Borloz»). Im Rahmen seiner Gesamtschau präsentiert der Bundesrat dem Parlament vier Handlungsoptionen:
- Die Gefährdungshaftung der EVU auch auf Fälle ausdehnen, in denen nicht das charakteristische Risiko des Bahnbetriebs ursächlich war. Damit geht die Erhöhung der Mindestversicherungssumme der EVU einher.
- Die EVU verpflichten, eine ausreichende Haftpflichtversicherung abzuschliessen, die auch Schäden von Gefahrguttransporten abdeckt. Dabei würde weder die Gefährdungshaftung der EVU noch diejenige der Fahrzeughalter ausgedehnt.
- Verschuldensunabhängige Haftung der Wagenhalter für Schäden einführen, die nachweislich von ihren Fahrzeugen oder deren Ladung verursacht oder mitverursacht wurden, z.B. bei einem Austritt von Gefahrgut aus einem abgestellten Wagen. Demnach wären die Wagenhalter verpflichtet, eine ausreichende Haftpflichtversicherung dafür abzuschliessen.
- Das bestehende Regulativ beibehalten.
Der Bundesrat weist darauf hin, dass jede Option Vor- und Nachteile mit sich bringt. Er sieht keinen zwingenden Bedarf für eine Regulierung in diesem Zusammenhang. Trotzdem zeigt er sich bereit, bestimmte Varianten auf Wunsch des Parlaments zu vertiefen.
Wir meinen: Verantwortlichkeiten und Kontrollen sind ausreichend geregelt
Als Verband der verladenden Wirtschaft sind wir der Ansicht, dass die Verantwortlichkeiten und Kontrollen völkerrechtlich und international vertraglich bereits klar geregelt sind. Die internationalen Beförderungsbestimmungen – bekannt unter dem Titel «Allgemeiner Vertrag für die Verwendung von Güterwagen (AVV)» – zwischen über 750 EVU und den Wagenhaltern erfüllen in ihrer aktualisierten Fassung von 2017 bereits die vom Bundesrat dargestellte Option 3 einer Haftungsverschärfung zulasten der Wagenhalter. Gemäss AVV haften Letztere bei Mängeln an ihren Wagen, sofern sie fehlendes Verschulden nicht nachweisen können.
Akteure nehmen ihre Verantwortung wahr, auch ohne neue Bestimmungen
Wagenhalter, die unserem Verband angehören, verfügen unter dem aktuell gültigen Haftungsregime über weitreichende Versicherungsdeckungen, da sie für die Instandhaltung ihrer Wagen verantwortlich sind. Die Einführung einer zusätzlichen gesetzlichen Versicherungspflicht oder einer Gefährdungshaftung für in der Schweiz verkehrende Güterwagen würde den freizügigen Einsatz der ausländischen Güterwagen (sowohl privater als auch derjenigen von EVU) massiv beeinträchtigen. Damit verbunden wäre ein gewaltiger Verlust an Flexibilität im internationalen Gütertransport sowohl im Import/Export als insbesondere auch im Transit. Wir werden das Thema weiterhin aufmerksam verfolgen und über die aktuellen Entwicklungen berichten.
Gotthardbasistunnel (#2): Automatische Zugkontrolleinrichtungen
Am 10. August 2023 ist ein Güterzug im Gotthardbasistunnel entgleist. Wenige Minuten vor der Einfahrt durch das Südportal wurde er durch automatische Zugkontrolleinrichtungen (ZKE) geprüft. Gemäss Kontrolldaten ist der Zug einwandfrei in den Tunnel eingefahren.
Darum geht’s:
- Was sind ortsfeste ZKE?
- Was können ZKE?
- Wie werden ZKE weiterentwickelt?
- Digitale automatische Kupplung (DAK) und die Zukunft
Was sind ortsfeste ZKE?
Ortsfeste Zugkontrolleinrichtungen ZKE sind Teil der Eisenbahninfrastruktur und kommen an strategisch günstigen Standorten auf dem Netz zum Einsatz. Sie kontrollieren mithilfe von Sensoren und anderen Technologien den durchfahrenden Zug, d.h. jedes einzelne Fahrzeug. Die dabei aufgenommenen Daten werden aufbereitet und im alltäglichen Bahnbetrieb zur Sicherstellung der Sicherheit, der Verbesserung der Pünktlichkeit und Verminderung des Unterhalts verwendet.
Was können ZKE?
Das ursprüngliche Einsatzgebiet zielte auf den Schutz der Infrastruktur, um Störungen und Schäden zu reduzieren sowie die Sicherheit des Bahnbetriebs zu erhöhen.
• Heissläufer detektieren
• Radlauffläche detektieren
• Pantografen kontrollieren
• Feuer- und Chemiefälle verhindern
• Achslast messen
• Lichtraumprofil schützen
• Naturereignisse erkennen
• Weitere
Auf der Nord-Süd-Achse und auf der Ost-West-Achse werden auf über 250 ZKE täglich über 10’000 Züge dynamisch kontrolliert. Dabei werden durchschnittlich gut 20 Alarme pro Tag ausge-löst.
Wie werden ZKE weiterentwickelt?
Im Innovationsprojekt «Wayside Intelligence (WIN)», das vom Bundesamt für Verkehr (BAV) mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, entwickelt SBB Infrastruktur die bisherige Kontrollstruktur weiter. Ergänzend zu den Sensordaten werden neu Bilddaten erfasst und die einzelnen Fahrzeuge mithilfe von «Radio-Frequency Identification» (RFID) identifiziert. Die Daten werden algorithmisch ausgewertet, aggregiert und den Nutzern für eine gezielte Verwendung über normierte Datenaustauschschnittstellen zur Verfügung gestellt. Diese Weiterentwicklung zielt auf eine Verbesserung der Instandhaltung ab, die auf den aktuellen Zustand des Fahrzeugs referenziert. Gleichzeitig ermöglicht sie eine Vereinfachung der Instandhaltungsprozesse durch künstliche Intelligenz und Automatisierung. Das Projekt ist bereits weit fortgeschritten und dürfte zu einer Erhöhung der Sicherheit und Verfügbarkeit von Netz und Fahrzeugen führen.
Die DAK und die Zukunft
Mit der Einführung der DAK werden die in den Zügen gereihten Fahrzeuge mittels einer Datenleitung verbunden sein. Damit weiss die Infrastrukturbetreiberin jederzeit, welches Fahrzeug in welchem Zug minutengenau auf dem Netz verkehrt. Dank dieser Zugintegrität werden die Daten aus den ZKE schneller und zuverlässiger zur Verfügung stehen. Mehr über die DAK und Datenökosysteme lesen Sie in unserem Blogpost «Datenökosysteme: Daten teilen, um ihren Mehrwert zu verdoppeln». Inwiefern die DAK Zugunfälle mithelfen könnte, Zugunfälle wie am Gotthardbasistunnel zu verhindern, erläutert VAP-Güterverkehrsexperte Jürgen Maier im Interview mit «10 vor 10».
Gotthardbasistunnel (#1): Für eine umfassende Aufarbeitung engagiert
Am 10. August 2023 ist ein Güterzug im Gotthardbasistunnel entgleist. Die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) geht von einem Radscheibenbruch aus. Wir vom VAP werden das Ereignis systematisch und risikoorientiert aufarbeiten.
Darum geht’s:
- Notfallkonzept funktioniert, Versorgung sichergestellt
- Bewährtes Verantwortungsdreieck
- Sicherheitsstandards erfüllt
- Rechtsbeziehungen umfassend geregelt
- Bruchschäden sind selten, aber nicht ausgeschlossen
- Verlagerungsziel weiterverfolgen
Notfallkonzepte funktionieren
Dank weiterentwickelter Notfallkonzepte haben die Schlüsselakteure nach dem Unfall schnell und angemessen reagiert: Die Güterversorgung ist sichergestellt, Güter- und Personenwagen rollen wieder aus. Die Notfallkonzepte der Güterbahnen mit Umleiterverkehren auf dem Transitkorridor haben sich bewährt. Die Lehren aus Rastatt sind gezogen, die Branche ist auf den Ernstfall vorbereitet.
Bewährtes Verantwortungsdreieck
Das Güterbahnsystem basiert auf dem gleichberechtigten Zusammenspiel von Infrastrukturbetreiber (im Gotthardbasistunnel: SBB) und Eisenbahnverkehrsunternehmen (Güterbahnen) sowie weiteren Akteuren wie Wagenhaltern, die den sicheren Betrieb des Eisenbahnsystems potenziell beeinflussen. Alle Involvierten verfügen über hochwertige Sicherheitssysteme und wenden dieselben europäischen Vorschriften zu den Schnittstellen zwischen den Akteuren an.
Sicherheitsstandards erfüllt
Nach dem aktuellen Informationsstand haben alle Akteure die sicherheitstechnischen Standards und Methoden eingehalten. Züge, die durch das Südportal in den Gotthardbasistunnel fahren, werden zuletzt bei Claro (TI) durch automatische Zugkontrolleinrichtungen geprüft. Gemäss den vorliegenden Daten ist der entgleiste Zug einwandfrei in den Tunnel eingefahren. Die Wagenhalter und ihre Entity in Charge of Maintenance (ECM, zu Deutsch: «für die Instandhaltung zuständige Stelle») sind verantwortlich für die Instandhaltung und den sicheren Betriebszustand der Wagen bei Übergabe an die Güterbahn. Dabei definiert die ECM, die von unabhängigen Stellen zertifiziert wird, Instandhaltungsmassnahmen und sorgt für deren Umsetzung und Dokumentation nach den sicherheitstechnischen Normen und Methoden.
Rechtsbeziehungen umfassend geregelt
Wagenhalter stellen ihre Wagen den Güterbahnen zur Nutzung zur Verfügung. Die Güterbahnen ihrerseits nutzen die Netze der Infrastrukturbetreiber. Sämtliche Nutzungsverhältnisse sind hierzulande und international vertraglich einheitlich geregelt. Für das Verhältnis zwischen Güterbahnen und Wagenhaltern verweist das Schweizer Gütertransportgesetz (GüTG) in Art. 20 auf das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF). Über 770 Güterbahnen und Wagenhalter in Europa haben auf Basis dieses völkerrechtlichen Übereinkommens seit 2006 mit dem Allgemeinen Wagenverwendungsvertrag (AVV) zusätzlich einen multilateralen Vertrag geschaffen, der die Rechtsbeziehung zwischen Wagenhaltern und Güterbahnen detailliert regelt.
Bruchschäden sind selten – aber nicht ausgeschlossen
Wie es zur Entgleisung kam, ist derzeit noch unklar und wird von der Sust weiter untersucht. In der anstehenden Unfallaufarbeitung müssen nun die Ursache, Haftungs- und Verantwortungsfragen sowie aktuelle Sicherheitsdispositive geklärt werden. Brüche an Radscheiben treten sehr selten auf. In diesem Fall sind sowohl ein äusserer Einfluss als auch eine Materialermüdung möglich. Bruchschäden an betriebskritischen Teilen wie Schienen oder Radscheiben sind äusserst schwierig vorhersehbar und haben vielfältige Ursachen. Deren präventive Instandhaltung mit regelmässigen Kontrollen ist Standard, kann aber an ihre Grenzen stossen. In der Schweiz sind flächendeckend Zug-/Wagenkontrollen durch Güterbahnen und die Infrastrukturbetreiber sowie Kontrollen durch über 250 Zugkontrolleinrichtungen fest etabliert.
Verlagerungsziel weiterverfolgen
Wie umfassend die Auswirkungen eines derartigen Ereignisses auf das gesamte Verkehrssystem und wie hoch der Schaden sein können, steht ausser Frage. Deshalb pflegen wir in der Branchen-Arbeitsgruppe «IG Sicherheit», mit unserem jährlichen ECM-Erfahrungsaustausch und gemeinsam mit dem Bundesamt für Verkehr (BAV) eine enge Kooperation mit allen relevanten Akteuren des Schienengüterverkehrs, um den Stand der Technik laufend weiterzuentwickeln und das schon sehr hohe Sicherheitsniveau noch weiter zu verbessern. Wir regen an, die anstehenden Fragen und Massnahmen auf der Grundlage des Sust-Berichtes anzugehen. Nur so lässt sich die Gefahr eines erneuten Unfalls weiter verringern und gleichzeitig das in der Verfassung festgeschriebene Verlagerungsziel für den alpenquerenden Güterverkehr weiterverfolgen. Umso wichtiger ist es, dass der Gotthardbasistunnel so bald als möglich wieder befahren werden kann – gerade im Hinblick auf das Wiederanlaufen der italienischen Wirtschaft nach der Sommerpause. Ansonsten ist die Alternative über den verfügbaren und flexiblen Strassentransport unumgänglich. Dazu bieten wir gemeinsam mit unseren Mitgliedern und Branchenpartnern Hand, die Umleiterverkehre und Umkonzeption der Kompositionen effizient zu organisieren.