BETRIEB
Wir vertreten die Güter-Akteure und legen unseren Schwerpunkt in diesem Kapitel auf die Nutzung der Infrastruktur, also auf den Verkehr. Wir setzen uns für einen freien Betrieb auf der letzten Meile ein. Zugunsten eines fairen Wettbewerbs wollen wir die Stärke aller Verkehrsträger nutzen und optimal kombinieren. Denn so wird die Strecke für jeden Einzelnen kürzer – und wirtschaftlicher.
Akteure im Bereich Betrieb
Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU)
Hersteller/Halter von Rollmaterial (Privatwagenvermieter)
Operateure
Fahrpläne (Trassenvergabestelle TVS)
Produktionsformen
Ganzzugverkehr
Beim Ganzzugverkehr bleibt die Zusammensetzung des Güterzugs unverändert, während er vom Versender zum Empfänger fährt. Diese Transportmethode ist besonders wirtschaftlich, wenn grosse Mengen eines Absenders transportiert werden und ein Gleisanschluss vorhanden ist. Gängige Ladungen: Kies, Zuckerrüben, Beton, Holz, Auto, Getreide, Stahl, Eisen, Kohle, Mineralöl, Chemikalien, Papier, Abfall u.v.m. Im Vergleich zum Einzelwagenverkehr, bei dem ein hoher Rangieraufwand anfällt, ist der Betrieb von Ganzzügen kostengünstiger. Gelegentlich fahren Ganzzüge auch im kombinierten Verkehr, was bedeutet, dass sie Container oder Wechselbehälter befördern, die an Terminals umgeladen werden. Im Ganzzugverkehr gibt es mehrere Wettbewerber.
Einzelwagenladungsverkehr (EWLV)
Transport von Gütern von unterschiedlichen Versendern und Empfängern, die in einzelnen Eisenbahnwaggons oder Wagengruppen transportiert werden (weniger als ein Zug). Das Transportgut wird in den Eisenbahnwagen ein- oder umgeladen, geschüttet, umgepumpt usw. Die Wagen werden einzeln nach Bedarf rangiert. Die Bündelung und Sortierung der Verkehre erfolgen in der Regel über Formations- und Rangierbahnhöfe, um sie anschliessend zu einem vollständigen Güterzug zusammenzustellen. Im EWLV können auch Wagen des kombinierten Verkehrs befördert werden. Konkurrenzfähig ist der EWLV vor allem dort, wo Empfänger und Absender dank einem Anschlussgleis direkt bedient werden können. Jegliche Ladung kann im EWLV transportiert werden. Der EWLV wird fast ausschliesslich von SBB Cargo betrieben und verantwortet.
Vorteile des Einzelwagenverkehrs:
- FELXIBEL: Kleine Gütermengen können kurzfristig per Bahn transportiert werden, was entscheidend für “Just-in-Time”-Produktionsprozesse ist.
- SICHER: Für Gefahrgüter, die nicht auf der Strasse befördert werden dürfen, bietet die Schiene die einzige Möglichkeit, da sie strenge Sicherheitsstandards erfüllt.
- INKLUSIV: Kleine und mittelständische Unternehmen können über den EWLV auch kleinere Gütermengen energieeffizient und nachhaltig transportieren.
- INNOVATIV: Neue Arten von Gütern wie Wasserstoff oder CO2 können schrittweise über den EWLV transportiert werden, solange die Mengen nicht für einen kompletten Zug ausreichen.
- SYSTEMRELEVANT: Der EWLV wird nicht nur für den Gütertransport genutzt, sondern auch für Schadwagen, die aus dem Verkehr gezogen und in eine Werkstatt gebracht werden müssen.
Definition Kombinierter Verkehr
Kombinierter Verkehr bezeichnet die multimodale Beförderung von Gütern in standardisierten Ladeeinheiten wie Containern, Wechselbehältern und Sattelaufliegern, wobei mehrere Verkehrsträger wie Strasse-Schiene oder Binnenschiff-Schiene genutzt werden. Hierbei erfolgt der nahtlose Übergang der Ladungseinheit zwischen den verschiedenen Transportmitteln – üblicherweise mittels Kran – ohne dass das Transportgefäss gewechselt werden muss. Dies ermöglicht einen kontinuierlichen Transportprozess in einer durchgängigen Transportkette.
Die längste Strecke des Transports wird dabei über die Schiene abgewickelt. Der Kombinierte Verkehr bildet das am stärksten wachsende Segment im Schienengüterverkehr. Es wird zwischen begleitetem und unbegleitetem kombiniertem Verkehr unterschieden.
Begleiteter kombinierter Verkehr Beförderung eines von seinem Fahrer begleiteten Motorfahrzeugs mit einem anderen Verkehrsträger (z.B. Bahn oder Fähre). Im alpenquerenden Verkehr wird darunter der Bahnverlad von ganzen Lastwagen und Sattelschleppern verstanden, bei denen der Fahrer/die Fahrerin in einem separaten Begleitwagen mitreist (Rollende Landstrasse; Rola). |
Unbegleiteter kombinierter Verkehr Beförderung eines von seinem Fahrer nicht begleiteten Motorfahrzeuges mit einem anderen Verkehrsträger (z.B. Fähre oder Bahn) oder Beförderung von Containern und Wechselbehältern mit mehreren Verkehrsträgern (z.B. Strasse-Schiene oder Rheinschiff-Schiene).
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Die Zukunft gehört dem kombinierten Verkehr
Welche Zukunft haben Güterbahnen in der Schweiz? Diese und weitere Fragen diskutiert der VAP im Doppelinterview mit Peter Knaus, Leiter Bündner Güterbahn der Rhätischen Bahn (RhB), und Peter Luginbühl, Leiter Betrieb Matterhorn-Gotthard-Bahn (MGBahn). In der Debatte sprechen die Experten über Eigenbetrieb und Outsourcing, Eigenwirtschaftlichkeit, Innovationen, Wettbewerb und eine Flexibilisierung des Schienengüterverkehrs.
Herr Luginbühl, bei der Matterhorn-Gotthard-Bahn ist die Schienengüterlogistik ausgelagert. Weshalb?
Peter Luginbühl: Als vorwiegend im touristischen Umfeld tätiges Unternehmen ist unser Schwerpunkt die Personenmobilität. Der Güterverkehr macht zirka 2% des Gesamtergebnisses im Bereich Service public aus. 2011 hat man sich entschieden, sich im Güterverkehr auf den Bahntransport zu konzentrieren. Die vor- und nachgelagerten Schnittstellen gegenüber dem Kunden haben wir in die Verantwortung der Alpin Cargo AG als Gesamtlogistikdienstleisterin gegeben. So können wir uns beide auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren: Wir sind verantwortlich für den Transport auf der Schiene, Alpin Cargo für die Schnittstelle zum Kunden, also auch für die letzte Meile. In Zermatt zum Beispiel erfolgt die Feinverteilung mit Elektrofahrzeugen und mit Pferdekutschen.
Inwiefern ist dieses Outsourcing ein Vorteil?
Peter Luginbühl: Für unsere Ausgangslage mit einer limitierten Grösse und einem recht überschaubaren Ertragsbeitrag des Güterverkehrs zum Gesamtergebnis hat sich dieses Betreibermodell bewährt. Auch aus Sicht der Güterkunden ist es ideal.
Würden Sie wieder auslagern?
Peter Luginbühl: Ja. Unser Betreibermodell funktioniert sehr gut. Trotzdem stellen wir es alle fünf Jahre in Frage und führen eine Standortbestimmung durch. Wir sind nur ungefähr ein Viertel so gross wie die Bündner Güterbahn der RhB. Da macht es keinen Sinn, das selbst zu betreiben.
Herr Knaus, Sie betreiben den Schienengüterverkehr selbst. Wie sieht dieser Eigenbetrieb aus?
Peter Knaus: Wir haben Aufträge des Kantons Graubünden, unter anderem den Service public anzubieten. Früher hat man die Transportunternehmen regelrecht auf die Schiene gezwungen. Heute ist das anders. Wir fahren das auf der Schiene, was wirtschaftlich sinnvoll ist. So entsteht für uns und unsere Kunden eine Win-win-Situation. Für Kurzdistanzen oder die letzte Meile arbeiten wir mit Strassentransportunternehmen zusammen. An unserer jährlichen Transportplattform und im persönlichen Kontakt tauschen wir uns mit diesen Geschäftspartnern regelmässig aus.
Welche Nachteile sehen Sie bei Ihrem Modell?
Peter Knaus: Einen enorm hohen Aufwand für das hauseigene Rollmaterial. Dazu ein Beispiel: Unsere gesamte Wagenflotte von rund 320 Wagen ist mit Vakuumbremsen ausgestattet. Nun hat die RhB aus strategischen Gründen beschlossen, alle Wagen bis 2040 auf Druckluftbremsen umzustellen. Gemäss unserer Strategie 2023–2030 werden wir die Hälfte der Flotte modernisieren und die andere Hälfte erneuern, weil das die wirtschaftlichere Variante darstellt.
Nach welchen Schlüsselkriterien wird bei Ihnen der Verkehrsträger gewählt?
Peter Luginbühl: Wir sind davon überzeugt, dass sich die Schiene zwar für alle Güter, aber nicht für alle gleichermassen optimal eignet. Aktuell transportieren wir zwischen Visp und Zermatt etwa 40 bis 50% der Güter auf der Schiene. Deren Stärken gegenüber der Strasse liegen in den grossen Kapazitäten, in der hohen Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit. Die genaue Ankunftszeit in Zermatt können wir zu 99% garantieren. Bei jedem Verkehrsträger muss man abwägen, welches der beste ökonomische und ökologische Modalsplit ist.
Peter Knaus: Auch Lastwagen werden immer ökologischer. Das wiederum bedeutet, dass die Strassen weiterhin gut frequentiert sind. Der Kanton ist froh um jeden Lastwagen, der von der Strasse wegkommt, damit weniger Staulagen im Individualverkehr entstehen.
Welche Produkte sind geeigneter für die Schiene, welche hätten noch Potenzial?
Peter Knaus: Güter für Langdistanzen, die auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit angewiesen sind, zum Beispiel Lebensmittel. Ebenso Brief- und Paketpost und Stückgut, die pünktlich ausgeliefert werden müssen. Terminfrachten, die wir ab 4.00 Uhr transportieren. Kehricht und Recyclingmaterial muss innerhalb von 24 Stunden verbracht werden. Baustoffe wie Zement oder Salz sind ebenfalls für den Schienengüterverkehr sehr geeignet. Zudem führen wir extrem viel Rundholz, etwa 95%, nach Tirano. Dafür sind wir prädestiniert, denn auch die Verzollung ist wirtschaftlicher als mit einem LKW. Die meisten Güter führen wir im Kombiverkehr, ausser das Rundholz und das Stückgut. Der Kombiverkehr hat grosses Potenzial für die Zukunft. Potenzial sehe ich in unserem Gebiet beim Pelletstransport.
Peter Luginbühl: Wir haben sehr ähnliche Produktschwerpunkte wie die RhB. Nur Holz transportieren wir nicht. Bei uns kommt noch Heizöl in grossen Mengen hinzu. Im Weiteren transportieren wir viel Gepäck für die Tourismusdestination Zermatt. Über die letzten Jahrzehnte sind die Sendungen kleiner geworden, nicht zuletzt aufgrund des Versandhandels.
Stichworte Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit: Was meinen Sie dazu?
Peter Luginbühl: Als kleine Bahn können wir Stabilität und Pünktlichkeit extrem gut gewährleisten. 95% unserer Kunden oder mehr sind höchst zufrieden mit unserer Zuverlässigkeit. Im europa- oder schweizweiten Güterbahnsystem sieht das ganz anders aus. Hier ist Pünktlichkeit ein Riesenproblem. Da muss die Branche noch einiges verbessern und zu einem verlässlicheren Partner werden.
Peter Knaus: Das sehe ich genauso. Gerade bei Lebensmitteltransporten oder Terminfrachten sind wir extrem pünktlich. Wenn wir mit den Grossen zusammenarbeiten, wird es herausfordernder, die gewünschten Termine einzuhalten. Beim Projekt WEF-Transport beispielsweise waren wir auf Zulieferer von der Normalspur angewiesen. Wenn die nicht pünktlich bei uns in Landquart ankommen, können wir die Container auch nicht pünktlich in Davos anliefern. Das stellt für unsere Kunden ein grosses Problem dar, da am WEF zugeteilte Zeitfenster zwingend eingehalten werden müssen.
Welche Entwicklung erkennen Sie in der Produktion?
Peter Luginbühl: Derzeit haben wir noch eine Mischproduktion, wobei wir vorwiegend mit Ganzgüterzügen arbeiten. Wir kommen immer mehr davon weg, bei Personenzügen Güterwagen anzuhängen. Zum einen werden die neuen Triebzüge und die Kapazitäten unserer Gleisanlagen diesen Anforderungen nicht mehr gerecht. Ausserdem gehen uns die Logistikflächen für den Umschlag verloren. Wir werden uns zunehmend auf Ganzgüterzüge konzentrieren.
Peter Knaus: Auf dem Stammnetz fahren wir täglich 52 reine Güterzüge. Die neuen Züge mit automatischer Kupplung sind nur dafür ausgelegt, sich selbst zu bewegen. Durch die schiere Menge an Güterzügen bleibt uns eine gewisse Flexibilität erhalten. Bei den Terminfrachten haben wir fixe Jahresfahrpläne, da ist alles durchgeplant. Wir haben nur noch Richtung Arosa und Bernina Mischverkehre im Einsatz, da hier die Trassen für reine Güterzüge nicht ausreichen.
Apropos Trassen: Mit welchen Herausforderungen sind Sie hier konfrontiert?
Peter Knaus: Tagsüber gibt bei uns der regionale Personenverkehr den Takt vor. Daran müssen wir uns anpassen. Ebenso an die Prestigezüge wie Glacier- und Bernina-Express. Unsere flexibelsten Zeitfenster sind von 4.00 bis 6.30 Uhr. Ab 21.00 Uhr wird vorwiegend gebaut, da können wir nur sehr eingeschränkt fahren. Die RhB und der Kanton unterstützen uns gut in der Trassenthematik und beziehen die verschiedenen Interessengruppen ein.
Peter Luginbühl: Bei den Trassen sehe ich vier Herausforderungen. Erstens die Wirtschaftlichkeit. Unsere Wunschtrassen sind oft besetzt durch touristische Züge, die eine höhere Wirtschaftlichkeit haben. Zweitens die Eigenwirtschaftlichkeit. Wir haben enorm hohe Investitionen und grosse Finanzierungsthemen. Wir leisten einen wichtigen Beitrag an die Versorgungssicherheit unserer Region. Drittens die Flexibilität durch die Geschwindigkeit. Wir können nicht so schnell auf Veränderungen im Angebot reagieren, wie das ein Transportunternehmen kann. Viertens Innovationskraft. Wir produzieren immer noch so wie vor 30 Jahren. Ich bin gespannt, ob wir über die Digitalisierung tatsächlich werden transformieren können.
Welche Best-Practice-Fälle gibt es, von denen Sie und andere etwas lernen können?
Peter Luginbühl: Ich sehe die Feinverteilung auf der letzten Meile als Erfolgsmodell. Unser Partner macht das so, dass vermehrt auch Kunden kommen, gerade weil er so flexibel ist. Und schliesslich erachte ich die Entsorgung von Kehricht als ein aus ökologischer und ökonomischer Sicht spannendes Geschäftsmodell.
Peter Knaus: Ein gutes Beispiel ist meines Erachtens die Umstellung der Getränketransporte. Die Firma Valser transportiert ihre Getränke seit über 40 Jahren von Vals via Ilanz nach Untervaz. Der frühmorgendliche Umschlag in Ilanz an der Rampe verursachte grosse Geräuschemissionen. Da kam die Idee auf, mit Wechselbehältern umzuschlagen. Gemeinsam mit dem Mutterkonzern Coca-Cola und dem Kanton haben wir geeignete Wechselbehälter beschafft. Diese haben sich sehr bewährt. In absehbarer Zeit transportieren wir diese sogar mit Elektro-LKWs mit Anhänger. Dazu haben wir im Dialog mit Kanton und Polizei eine Spezialbewilligung für Anhänger für die Strecke Schnaus–Ilanz erwirkt. . Der einzige Knackpunkt bildet im Moment noch die LSVA-Rückerstattung im Kombiverkehr Strasse-Schiene. Diese Rückerstattung ist noch an die LSVA gebunden. Zukünftig muss diese an den kombinierten Verkehr gekoppelt sein. Da müssen sich noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern.
Welche Innovationen werden sich in den kommenden Jahren im Schienengüterverkehr bewähren?
Peter Knaus: Powerpacks, also Batterien, die auf den Güterwagen montiert sind, erachte ich als nachhaltige Lösung. Diese können als Energielieferant für Kühlcontainer, aber auch für Bauarbeiten in den Tunnels gebraucht werden. Wir haben sogar Schiebewandwagen mit modernen Powerpacks ausgestattet. Im Bereich des Güterwagentrackings haben wir ebenfalls grosse Fortschritte gemacht. Neu wissen wir, wo die Güterwagen stehen, wie schnell sie fahren, wie der Batteriestand ist, welche Temperaturen in den Kühlcontainern herrschen usw. Diese Daten können wir in einem digitalen Dispositionssystem verwerten. Wir haben auch schon über ein Uber-System für Stückgut nachgedacht. Das wäre sehr innovativ, aber der Knackpunkt sind hier die Gestehungskosten und die geeigneten Partner.
Peter Luginbühl: Es wird den Schienengüterverkehr auch in 30 bis 50 Jahren noch geben. Dazu müssen wir weg von den aktuell starren Systemen. Angefangen bei den Wagenaufbauten über starre Logistikprozesse im Güterumschlag oder Waggonmanagement bis hin zur Wagenflexibilität. Überall da ist Potenzial, mit Innovationen zukünftigen Anforderungen zu begegnen.
Was braucht es, damit sich solche Innovationen umsetzen lassen?
Peter Knaus: Ich bin Mitglied im BAV-Expertengremium für technische Neuerungen. Der Bund ist hier sehr offen und unterstützt Innovationen, die einen langfristigen Nutzen bringen. Der Kanton Graubünden ist ebenfalls sehr offen für Innovationen und unterstützt diese bei einem wirtschaftlichen und ökologischen Nutzen nach Kräften.
Peter Luginbühl: Im regionalen Personenverkehr hat es den Druck eines privaten Wirtschaftsakteurs wie Google gebraucht, damit die Dinge in Bewegung kamen. Das täte vermutlich auch uns gut. Es wäre spannend, wenn ein Marktdritter Druck aufbauen würde.
Was meinen Sie zu europaweit integrierten Datenplattformen?
Peter Knaus: Spannende Ausgangslage für die Akteure im Gütertransport, nicht nur auf der Schiene. Die Entwicklung dafür ist herausfordernd, und ob alle ihre Daten zur Verfügung stellen würden, bin ich mir nicht sicher. Aktuell können unsere Kunden mithilfe von Trackings sehen, wo die Lademittel aktuell stehen. Das erlaubt es zum Beispiel einem Mineralöltransportkunden, seine und unsere Disposition effizienter zu gestalten. Insbesondere beim Holzverlad würde ich eine höhere Durchgängigkeit zu unseren Kunden begrüssen.
Peter Luginbühl: Wir müssten die Wagen mit Ortungsgeräten ausrüsten. Erst dann könnten wir weitere Schritte Richtung Datenaustausch machen, auch verkehrsträgerübergreifend. Wir von der MGBahn machen uns diese Gedanken weniger, weil wir lokal ausgerichtet sind.
Wo sehen Sie die grössten Hebel, um den Schienengüterverkehr weiterzubringen?
Peter Luginbühl: Bei der Flexibilisierung des Schienengütersystems. Wir werden nie so flexibel sein wie die Strasse. Aber wir müssen schneller auf Kundenbedürfnisse reagieren können und die Stärken der Schiene ausspielen. Das Potenzial auf der Schiene ist riesig. Der Druck zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene kommt von allein.
Peter Knaus: Da muss man sicherlich zwischen Meterspuren und Normalspuren unterscheiden. Wir mit Meterspuren haben ein überschaubares Netz. Im Vergleich zu den SBB können wir sehr schnell reagieren. Eine planerische Umstellung von zwei Wochen ist verglichen mit den SBB schnell – und verglichen mit einem Strassentransportunternehmen langsam. Dieses stellt innerhalb von Tagen um. Je mehr Geld wir haben, umso schneller können wir in Triebfahrzeuge und Güterwagen investieren respektive die Flotte modernisieren und umso flexibler könnten wir auf die Wünsche unserer Kunden reagieren.
Inwiefern würde mehr Wettbewerb bei den Güterbahnen die Dynamik des Schienengütermarkts verändern?
Peter Luginbühl: Mehr Wettbewerb, mehr Dynamik. Allerdings ist die Eintrittsschwelle in unseren Markt für neue Akteure sehr hoch. Wer eine Güterbahn betreiben möchte, braucht ein regelkonformes Triebfahrzeug und teures Rollmaterial. Das ist eine andere Hausnummer, als einen LKW für ein paar Hunderttausend Franken zu kaufen. Beispiele wie Railcare oder Post zeigen, dass Wettbewerb zu Innovation und Preisdruck führt.
Peter Knaus: Konkurrenz tut gut und spornt an, sich zu entwickeln. Die Verantwortlichen von Railcare haben ein sehr gutes Transportlogistikkonzept, sie verbinden Strasse und Schiene mit der eigenen Flotte. Auch Konkurrenzunternehmen auf der Schiene sind auf freie Trassen angewiesen. Sie können nicht einfach losfahren, wenn sie vollgeladen sind. Preislich haben kleine Güterbahnbetreiber den Vorteil, dass sie einen geringeren Overhead einkalkulieren müssen.
Was halten Sie vom VAP und was würden Sie unserem Verband empfehlen?
Peter Knaus: Mit Generalsekretär Frank Furrer hatte ich stets einen guten Kontakt. Ich habe das Projekt Transportlogistik des Regionalen Paketzentrums in Untervaz geleitet. Da habe ich sehr eng mit dem VAP zusammengearbeitet. Er war ein unabhängiges und sehr wertvolles Projektmitglied. Ich empfinde den Austausch mit Frank Furrer, Jürg Lütscher und anderen VAP-Vertretern, die eine Verladersicht einbringen, als konstruktiv und spannend.
Peter Luginbühl: Ich wusste bis vor Kurzem nicht, dass es diesen Verband gibt. Meine Empfehlung wäre es, dass Sie Ihren Verband bei den Güterverkehrsunternehmen besser bekannt machen. Ich finde es nämlich toll, was der VAP so alles tut.
Was wurde noch nicht gesagt?
Peter Luginbühl: Dieses Gespräch hat mir wertvolle Impulse gegeben, danke dafür.
Peter Knaus: Danke, dass Sie uns zu diesem Gespräch eingeladen und uns die Gelegenheit gegeben haben, uns zu präsentieren.
Zu Peter Knaus und der Bündner Güterbahn Peter Knaus ist Leiter Güterverkehr der Bündner Güterbahn der Rhätischen Bahn (RhB). Zudem vertritt er die Schmalspurbahnen in der Kommission Güterverkehr (KGV) des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV) und gehört der Begleitgruppe Schienengüterverkehr des Bundesamtes für Verkehr (BAV) an. Unter dem Dach der RhB bietet die Bündner Güterbahn eine breite Palette von Transportlösungen für Unternehmen und Privatpersonen in Graubünden an. Mit ihrer vielfältigen Wagenflotte – darunter Containerwagen, Schiebewandwagen und Kesselwagen – befördert sie Güter aller Art. Die Bedienungspunkte erstrecken sich über das gesamte Bündnerland und umfassen wichtige Industriezentren, Logistikzentren sowie landwirtschaftliche Betriebe. Dadurch gewährleistet die Bündner Güterbahn eine umfassende Güterversorgung in der gesamten Region und ist ein unverzichtbarer Bestandteil der regionalen Logistikinfrastruktur. |
Zu Peter Luginbühl und der Matterhorn-Gotthard-Bahn Peter Luginbühl ist seit 2017 Leiter Betrieb Matterhorn-Gotthard-Bahn. Der diplomierte Controller war davor einige Jahre als Leiter Unternehmensentwicklung HR bei den SBB tätig. Die Matterhorn-Gotthard-Bahn betreibt ihren Güterverkehr mit der Alpin Cargo AG, einer Tochter der Planzer-Gruppe. Sie bietet vielfältige Dienstleistungen für das lokale Gewerbe an. Dazu zählen Güterumschlag, Lagerlogistik und Transporte sowohl auf der Schiene als auch auf der Strasse. Die Mineralölversorgung stellt einen weiteren wichtigen Service dar. Alpin Cargo bedient auf der letzten Meile nicht nur Unternehmen, sondern auch Privatpersonen. Diese können ihre Dienste für Umzüge, das Einlagern von Hausrat sowie Heimlieferungen mit Montage und E‑Transporte in Anspruch nehmen. |
Gotthardbasistunnel (#9): Rückverlagerung auf Strasse vermeiden
Die Güterzugentgleisung vom 10. August 2023 hat gravierende Schäden am Gotthardbasistunnel verursacht. Deshalb wollen die SBB mit dem Fahrplanwechsel vom 10. Dezember 2023 die Kapazitäten des nachhaltigen Güterbahnverkehrs zugunsten des Freizeitverkehrs am Wochenende massiv einschränken. Das könnte zu einer Rückverlagerung von bis zu 15% der Bahngüter auf die Strasse führen.
Darum geht’s:
- Neues Fahrplankonzept streicht Güterverkehrstrassen
- Gesetzliches Verkehrsverlagerungsziel gefährdet
- Alternative für Personenverkehr vorhanden
- NEAT schrittweise zweckentfremdet
- Kein Dialog auf Augenhöhe
- Rückverlagerung auf Strasse gemeinsam vermeiden
Neues Trassenkonzept streicht Güterverkehrstrassen
Laut Medienupdate vom 2. November 2023 gehen die SBB davon aus, dass der Gotthardbasistunnel erst im September 2024 wieder vollständig für Reise- und Güterzüge zur Verfügung steht. Die Reparaturarbeiten dürften weit länger dauern als ursprünglich erwartet. Die Verantwortlichen der SBB haben bekanntgegeben, mit dem Dezember-Fahrplanwechsel an den Wochenenden deutlich mehr und schnellere Reisezüge durch den Gotthardbasistunnel fahren zu lassen. Sie streichen dem Güterverkehr unter anderem ein Zeitfenster von 7.30 bis 9.00 Uhr freitagmorgens und teilen es dem Personenverkehr zu.
Gesetzliches Verkehrsverlagerungsziel gefährdet
Das eigenmächtig entwickelte Trassenkonzept hat gravierende Konsequenzen für den nationalen Modalsplit. Eines unserer Mitglieder geht davon aus, dass 10% bis 15% der Sendungen des kombinierten Güterverkehrs auf die Strasse rückverlagert werden und die Versorgung des Tessins am Wochenende nicht mehr vollumfänglich gewährleistet werden kann. Auch Bauarbeiten können im erwähnten Zeitfenster nicht vorgenommen werden.
Diese Entwicklung widerspricht der Schweizer Verkehrsverlagerungspolitik. Demnach will der Bundesrat den alpenquerenden Gütertransport von der Strasse auf die Schiene verlagern. Schon 2022 wurde das gesetzliche Ziel von 650’000 Lastwagenfahrten klar verfehlt: Es fuhren noch immer 880’000 Lastwagen durch die Schweizer Alpen.
Alternative für Personenverkehr vorhanden
Für die Branchenvertreter der verladenden Wirtschaft ist die Trassenneukonzeption der SBB umso abwegiger, als sehr wohl eine vernünftige Alternative für den Personenverkehr besteht: Gerade aus ökologischer Perspektive sollten Freizeitreisende an Wochenenden die Bergstrecke nutzen und den Gotthardbasistunnel den Güterzügen überlassen. Immerhin verbrauchen diese wegen ihrer schweren Last sehr viel mehr Strom über die Bergstrecke als Personenzüge. Die Verlader sind an sieben Tagen die Woche auf eine zuverlässige Transportinfrastruktur für die Güterversorgung der Schweiz angewiesen.
NEAT schrittweise zweckentfremdet
Der Gotthardbasistunnel ist Teil der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT). Sie wurde für den Güterverkehr konzipiert. Denn das gemeinsame Ziel der Europäischen Union und der Schweiz mit der NEAT war und ist es, den Güterverkehr auf der Schiene zu fördern. Das Projekt wurde für 23 Mrd. CHF realisiert und zu 55% von der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) finanziert. Mit der Einschränkung der dringend benötigten Trassen für den Güterverkehr wird die NEAT erneut zweckentfremdet.
Kein Dialog auf Augenhöhe
Zwar hätten die SBB nach eigenen Angaben «… für die Verteilung der Trassen durch den Gotthard-Basistunnel während der Reparaturarbeiten in Zusammenarbeit mit den Branchenvertretern des Güterverkehrs und den Eisenbahnverkehrsunternehmen des Personenverkehrs sowie der unabhängigen Trassenvergabestelle eine sorgfältige Abwägung vorgenommen.» Doch das neue Trassenkonzept entstand ohne die Güterverkehrsbranche und deren Kunden. Auch der nachträgliche Austausch erwies sich als zäh. Zudem fehlte an der Medienkonferenz vom 2. November 2023 die Stimme von SBB Cargo. Es ist unklar, ob und wie die Anliegen des Güterverkehrs im eigenen Konzern berücksichtigt wurden. Die verladende Wirtschaft zeigt sich alarmiert über dieses einseitige Vorgehen und sieht die bisher konstruktive Zusammenarbeit mit den SBB in Frage gestellt.
Rückverlagerung auf Strasse gemeinsam vermeiden
Wir vom VAP fordern nachdrücklich, dass die SBB alle am Güterbahnverkehr Beteiligten in die Planung der Trassenvergabe einbeziehen und einseitige Äusserungen über die reibungsfreie Abwicklung des Güterverkehrs durch den Gotthardbasistunnel unterlassen. Diese begünstigen eine vorzeitige Abwanderung von Gütertransporten auf die Strasse, was es unbedingt zu vermeiden gilt. Denn eine solche lässt sich in der Regel nur schwer rückgängig machen. Die SBB sollten Güter- und Personenverkehr nicht gegeneinander ausspielen und dabei den Strassentransport begünstigen.
Teilrevision SBBG: Verantwortung und Marktöffnung weiter verzögert
Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates (KVF‑N) unterstützt die Vorlage zur finanziellen Stabilisierung der Schweizerischen Bundesbahnen (SBBG) einstimmig. Im Gegensatz zum Bundesrat ist sie der Ansicht, dass bei der Gewährung von Tresoreriedarlehen an die SBB kein Systemwechsel angezeigt ist. Damit lässt die KVF‑N gleichzeitig sämtliche Empfehlungen des VAP unberücksichtigt.
Darum geht’s:
- 3‑Milliarden-Finanzspritze für die SBB
- SBBG-Teilrevision an Nationalrat überwiesen
- Stimme der Branche bleibt ungehört
- Weiterhin keine Marktöffnung in Sicht
3‑Milliarden-Finanzspritze für die SBB
In seinem Bericht vom 16. Dezember 2022 zur Motion 22.3008 «Unterstützung der Durchführung der SBB-Investitionen und einer langfristigen Vision in Covid-19-Zeiten» schlägt der Bund vor, die Defizite der SBB im Fernverkehr mit einem einmaligen Kapitalzuschuss von geschätzt 1,25 Mrd. Schweizer Franken zu übernehmen. Im Weiteren will er die Trassengebühren für den Fernverkehr mit weiteren 1,7 Mrd. Schweizer Franken erleichtern. Ausserdem regt er eine Korrektur der Finanzierungsinstrumente an.
SBBG-Teilrevision an Nationalrat überwiesen
Die KVF‑N hat die Vorlage zur Änderung des SBBG einstimmig an den Nationalrat überwiesen. Zudem lehnt die Kommissionsmehrheit einen Systemwechsel bei den Finanzierungsinstrumenten ab, da die Haushalts- im Gegensatz zu den Tresoreriedarlehen der Schuldenbremse unterstellt sind. Sie ist der Ansicht, dass die daraus resultierende Konkurrenzsituation mit anderen Bundesausgaben im Hinblick auf das Angebot des öffentlichen Verkehrs nicht wünschenswert sei. Der Nationalrat wird in der Wintersession 2023 über den Antrag der KVF‑N befinden.
Stimme der Branche bleibt ungehört
Wie in unserer Medienmitteilung vom 30. März 2023 publiziert, lehnen wir vom VAP die vorgelegte ausserordentliche Sanierung des Fernverkehrs mit rund 3 Milliarden Steuergeldern ab. Hingegen begrüssen wir die vorgeschlagene Korrektur der Finanzierungsinstrumente, d.h. den Verzicht auf die Gewährung von Tresoreriedarlehen an die SBB an der Schuldenbremse des Bundes vorbei. In den Blogbeiträgen «SBB soll Verantwortung statt 3‑Milliarden-Finanzpaket übernehmen» und «Keine Stabilisierung der SBB trotz 3 Mia. Franken zusätzlicher Bundesmittel» fassen wir die Position der Branche und unsere entsprechenden Argumente zusammen.
Weiterhin keine Marktöffnung in Sicht
Mit einer Annahme der Vorlage würde der Nationalrat das SBB-Monopol im Fernverkehr weiter festigen. Das ist europapolitisch problematisch, denn die EU fordert von der Schweiz eine Marktöffnung im Fernverkehr. Diese unerfüllte Forderung überschattet die Verhandlungen mit der EU über die Verlängerung der befristeten Zusammenarbeit mit der Europäische Eisenbahnagentur ERA für One-stop-Shop-Zulassungen und mehr Interoperabilität zwischen der Schweiz und der EU. Noch verfügt die Schweiz verglichen mit EU-Mitgliedstaaten aktuell über keinen vollwertigen Marktzugang; das Schweizer Bahnnetz ist derzeit kein integrierter Teil des europäischen Interop-Netzes. Deshalb verlangen die güterverkehrsnahen Verbände Astag, CFS und wir vom VAP eine nationale Migrationsstrategie zur Öffnung des Markts in Einklang mit der EU. Stimmt der Nationalrat dem Antrag der KVF‑N zu, so schiebt er dieses Anliegen noch weiter weg.
Nachtrag 20.12.2023, Update aus der Wintersession:
Der Nationalrat hat in der Wintersession mehrheitlich zugestimmt, der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) einen einmaligen Kapitalzuschuss von 1,15 Milliarden Franken zur Schuldenreduzierung zu gewähren. Dieser Betrag wurde bereits im Voranschlag 2024 eingeplant. Der Nationalrat lehnte hingegen den Vorschlag des Bundesrats, bei Erreichen einer bestimmten Verschuldung von Tresorerie- zu Haushaltsdarlehen des Bundes überzugehen, ab. Dies mit dem Argument, dass unter Anwendung der Schuldenbremse bei Haushaltsdarlehen der Ausbau verzögert werden könnte. Zusätzlich beschloss die Kammer, die angemessene Reserve des Bahninfrastrukturfonds (BIF) auf mindestens 300 Millionen Franken festzulegen, wobei maximal zwei Drittel des Reinertrags der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) in den Fonds fliessen sollen. Damit hat der Nationalrat alle Empfehlungen des VAP unberücksichtigt gelassen. Die Vorlage geht nun an den Ständerat, der hoffentlich korrigierend eingreifen wird.
Gotthardbasistunnel (#8): Sicherheits- und Kontrollaufgaben klar verteilt
- Harmonisierte Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem
- Instandhaltungsarbeiten von unabhängigen Stellen überwacht
- Radsatzkontrollen in Betrieb und Instandhaltung
- Zwei Prüfverfahren etabliert
- Zuständigkeiten und Vorschriften geklärt
Harmonisierte Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem
Die Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem basiert auf einem Verantwortungsdreieck aus Infrastrukturbetreibern, Eisenbahnverkehrsunternehmungen (EVU) und den Wagenhaltern mit ihren zuständigen Instandhaltungsstellen (ECM). Die Vorgaben und Bestimmungen dazu sind heute europaweit weitgehend harmonisiert. Basierend auf Festlegungen der hoheitlichen Richtlinien, auf den gültigen technischen Normen und Erfahrungen aus der Praxis hat die Branche den international anerkannten VPI European Maintenance Guide (VPI-EMG) erarbeitet. Dabei leisteten seit 2007 die Verbände VPI (Deutschland), V.P.I. (Österreich) und VAP (Schweiz) Pionierarbeit. 2019 wurde der Herausgeberkreis des VPI-EMG um die AFWP (Frankreich) und die UIP (internationaler Verband der Wagenhalter als Vertreter der kleineren nationalen Interessenverbände) erweitert. In diesem Regelwerk sind sowohl Fristen als auch Umfang der Arbeiten und Standards anwendergerecht definiert. Es gibt Instandhaltungsempfehlungen ab, die jeder Nutzer auf die Anwendbarkeit für seine Güterwagen prüfen, gegebenenfalls ergänzen und für seine Wagenflotte freigeben muss. Derzeit beziehen mehr als 550 Unternehmen, darunter Wagenhalter, ECM, Reparaturwerkstätten, Behörden und Universitäten, den VPI-EMG. Mehr als 260 Reparaturwerkstätten und mobile Serviceteams aus 19 Ländern Europas wenden den VPI-EMG im Auftrag der jeweils zuständigen ECM an.Instandhaltungsarbeiten von unabhängigen Stellen überwacht
Die Sicherheitsrichtlinie der EU legt zwei unabhängige Verfahren fest. Damit soll sichergestellt werden, dass die Facharbeiten überall mit dem erforderlichen Qualitätsniveau und Wissen durchgeführt werden:- Zertifizierung: Die beteiligten Unternehmen müssen sich für sicherheitsrelevante Tätigkeiten im Rahmen ihrer ECM durch unabhängige Stellen zertifizieren lassen. Diese Zertifikate müssen sie regelmässig erneuern und ihren Kunden Einsicht in deren Gültigkeit und Umfang gewähren.
- Auditierung: Aufsichtsbehörden führen im Bahnbetrieb risikobasierte Audits von sicherheitskritischen Prozessen und Inspektionen der Qualität durch. Sollten sie Schwachstellen aufdecken, so überwachen sie zudem deren Behebung.
Radsatzkontrollen in Betrieb und Instandhaltung
Radsätze gelten als sicherheitskritische Komponenten eines Schienenfahrzeugs. Durch den Betrieb werden sie einerseits kontinuierlich abgenutzt, andererseits können sie durch Einwirkungen von aussen beschädigt werden. Bei der Instandhaltung von Wagen sorgt die ECM dafür, dass vollwertige Radsätze eingesetzt sind. Beim Betrieb stellen die EVU und die Zugkontrolleinrichtungen der Infrastrukturbetreiberinnen (vgl. Blogbeitrag «Gotthardbasistunnel (#2): Automatische Zugkontrolleinrichtungen») gezielt sicher, dass keine erkennbaren Schäden oder Abweichungen an Wagen die Betriebssicherheit gefährden. Für einen sicheren Bahnbetrieb müssen die Radsätze alle relevanten Grenzwerte während der gesamten Betriebszeit einhalten. Radsätze, die infolge von Abweichungen oder Schäden ausgewechselt wurden, kommen zur vorschriftsgemässen Aufarbeitung in eine zertifizierte Fachwerkstätte.Zwei Prüfverfahren etabliert
Im 10-vor-10-Beitrag von SRF werden zwei Prüfverfahren der systematischen Radsatzinstandhaltung gezeigt. Eine zertifizierte Fachwerkstätte kann so gewährleisten, dass die von ihr instandgesetzten Radsätze beim Ausliefern keine relevanten Schädigungen in Form von Materialrissen aufweisen. Dabei handelt es sich um zwei zerstörungsfreie Prüfverfahren nach DIN 27201–7, die sich branchenweit durchgesetzt haben:- Ultraschallprüfung: Erkennen von Rissen im Bereich Radstirnfläche und Spurkranzrücken
- Magnetprüfung: Erkennen von Rissen in Radkörper und Radsatzwelle inklusive Radsitz
Zuständigkeiten und Vorschriften geklärt
Da zahlreiche Güter grenzüberschreitend transportiert werden, sind in Europa international harmonisierte Regeln und Verfahren bedeutend. In den vergangenen Jahren wurde die Vorschriftenlage umfassend erneuert und verbessert. Aktuelle Versionen der Sicherheits- und Interoperabilitätsrichtlinie der EU gelten sowohl in allen EU-Staaten als – über das Landverkehrsabkommen – auch für das Schweizer Normalspurnetz. Davon ausgehend hat der Schweizer Bahnsektor praxisgerechte Standards und Verfahren der Instandhaltung für die Hauptakteure entwickelt. Europaweit gemeinsame Meldeprozesse und Beurteilungsverfahren (vgl. Blogbeitrag «Gotthardbasistunnel (#7): Sust-Bericht schafft Klarheit») gewährleisten, dass die Branchenakteure ihre Lehren aus einem Betriebsereignis wie demjenigen vom 10. August 2023 ziehen und bei der Instandhaltung wirksame Verbesserungen umsetzen.Revision der Lärmgrenzwerte
Darum geht’s:
- Stille ist in dicht besiedelten und industrialisierten Gegenden ein wertvolles Gut
- Bund hat Regelungen zur Lärmbekämpfung erlassen
- BAFU beauftragt, bestehenden Regelungen zu überprüfen
Der Bund hat Regelungen zur Lärmbekämpfung erlassen, die insbesondere für Industrie und Verkehr Rahmenbedingungen festlegen. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) wurde vom Parlament beauftragt, die bestehenden Regelungen zu überprüfen. Im laufenden Jahr führt das BAFU eine umfassende volkswirtschaftliche Beurteilung (VOBU) von neun möglichen Massnahmen durch, bei der ihre lärmmindernde Wirkung und wirtschaftlichen Konsequenzen im Zusammenhang mit Verkehrslärm analysiert werden. Die Vorschriften für den Bau und die Zulassung von Fahr- und Flugzeugen sollen weiterhin international abgestimmt werden. Das BAFU strebt an, die Erkenntnisse wichtigen Vertretern aus Wirtschaft und Kantonen transparent darzulegen und mit ihnen über Auswirkungen zu diskutieren.
Der Verband der verladenden Wirtschaft (VAP) wird sich aktiv beteiligen und die Perspektive der Wirtschaft einbringen. Das BAFU wird die VOBU bis Ende 2023 abschliessen und das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) wird Anfang 2024 über das weitere Vorgehen entscheiden und dies veröffentlichen. Wir werden an dieser Stelle über neue Erkenntnisse berichten.
Die folgenden Schwerpunkte werden dabei betrachtet:
- Anpassung der Grenzwerte für Strassen‑, Schienen- und Luftverkehrslärm
- Anpassung der Beurteilungszeit (Ruhezeit)
- Vereinheitlichung der Empfindlichkeitsstufen
- Vereinfachung des Regimes zur Lärmeinstufung (Einschränkung des Bestandsschutzes)
- Dynamisierung des Lärmschutzes (Befristete Erleichterungen)
- Klärung der Massnahmen (Festlegung von Prüfkriterien)
- Stärkung der Transparenz (Offenlegung von Erleichterungen)
- Stärkung des Verursacherprinzips (Ablöse von Vorleistungen)
Gotthardbasistunnel (#7): Sust-Bericht schafft Klarheit
Am 28. September 2023 hat die schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) ihren Zwischenbericht zur Entgleisung des Güterzugs im Gotthardbasistunnel publiziert. Darin dokumentiert sie den Unfallhergang und gibt erste Sicherheitsempfehlungen ab. Das Ereignis wird nun von den zuständigen internationalen Gremien aufgearbeitet. Hier ist sowohl die europäische Bahnbranche als auch die Schweiz vertreten. Der Bericht sollte nicht für einen nationalen Alleingang missbraucht werden.
Darum geht’s:
- Ermüdungsrisse haben Radbruch verursacht
- Weitere Untersuchung wird gut konzertiert
- Folgerichtige erste Sicherheitsempfehlungen
- Unfallgeschehen geklärt – aber noch nicht restlos aufgeklärt
Ermüdungsrisse haben Radbruch verursacht
Die Sust hat ihren Zwischenbericht erfreulicherweise sehr schnell vorgelegt. Darin hält sie den Radscheibenbruch des elften Güterwagens als Ursache für die Entgleisung im Gotthardbasistunnel fest. Der Wagen ist in Schweden immatrikuliert. Beim beschädigten Rad handelt es sich um den Radtyp BA 390 mit LL-Bremssohlen. Sämtliche Bruchflächen weisen Ermüdungsrisse auf, die von der Lauffläche ausgehen. Sie sind nun Gegenstand vertiefter metallografischer Untersuchungen durch die Sust. Der Sust-Bericht enthält keine Anhaltspunkte für vorbestehende betriebliche Mängel, die eine Entgleisung hätten verursachen können.
Weitere Untersuchung wird gut konzertiert
Das Ereignis wird nun vom Joint Network Secretariat (JNS) behandelt. Ziel dieser Instanz ist eine EU-weite Harmonisierung sämtlicher Massnahmen, die nach einem Un- oder Zwischenfall im europäischen Eisenbahnverkehr ergriffen werden. Das JNS unterstützt die Europäische Eisenbahnagentur ERA bei der Organisation des Erfahrungsaustauschs zwischen nationalen Aufsichts- und Untersuchungsbehörden und den bei der ERA akkreditierten Branchenorganisationen. Zu Letzteren zählen auch die für den Schienenverkehr massgebenden drei Akteure im Verantwortungsdreieck Infrastrukturbetreiber (verantwortlich für die Infrastruktur), Wagenhalter (verantwortlich für den Unterhalt der Wagen) und Güterbahn (verantwortlich für den Betrieb der Wagen). Gleichzeitig löst die Sust einen sogenannten Safety Alert im Informationssystem SIS aus, das von den nationalen Aufsichts- und Untersuchungsbehörden genutzt wird. Und schliesslich hinterlegt der schwedische Wagenhalter eine Warnmeldung im Safety Alert IT Tool (SAIT) der ERA.
Aufgrund dieser Meldungen und im Rahmen des koordinierten Prozesses sollen alle europäischen Akteure Zugang zu den publizierten Informationen haben. Es liegt nun an ihnen, im Austausch zwischen nationalen Behörden, Branchenvertretern und ERA die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dank des Landverkehrsabkommens ist die Sust von der ERA als Untersuchungsstelle anerkannt, ebenso das Bundesamt für Verkehr (BAV) als Sicherheitsbehörde. Die Angelegenheit wird nun von den zuständigen internationalen Gremien behandelt. Diese Tatsache erachten wir als völlig korrekt und angesichts des europaweit grenzüberschreitenden Einsatzes der Güterwagen als nötig. Die zuständigen Instanzen werden als Nächstes einen Bezug zu ähnlichen Radbrüchen aus der Vergangenheit herstellen.
Folgerichtige erste Sicherheitsempfehlungen
Der Sust-Bericht gibt zwei kurzfristige Sicherheitsempfehlungen ab, die der VAP vorbehaltlos unterstützt. Mit der Empfehlung Nr. 183 spricht sie sich dafür aus, dass das BAV die «JNS Urgent Procedure Broken Wheels» aus dem Jahr 2017 auf die Radsätze der Baureihe BA 390 ausweitet. Die damals eingerichtete «JNS Task Force Broken Wheels» hatte auf mehrere Radbrüche an den Radtypen BA 314 und BA 004 reagiert und zur Risikobegrenzung bei diesen Radtypen intensivere Inspektionen im Betrieb und bei der Instandhaltung gefordert. Ebenso begrüssen wir die Sicherheitsempfehlung Nr. 184. Damit legt die Sust dem BAV nahe, auf europäischer Ebene eine neue «JNS Procedure» zu beantragen, die sich mit dem Radbruch an der Baureihe BA 390 befasst. Damit soll verhindert werden, dass weitere ähnliche Radbrüche auftreten.
Unfallgeschehen geklärt – aber noch nicht restlos aufgeklärt
Der Zwischenbericht stellt die irreführende mediale Berichterstattung zum Unfallgeschehen richtig, wonach der entgleiste Wagen 11 auch das rund 100 Tonnen schwere Sicherheitstor zur Oströhre beschädigt habe. Gemäss Sust fuhr erst Wagen 14 an der Weiche der Multifunktionsstelle Faido auf das ablenkende Gleis, wo er in das Sicherheitstor schlug. Es sind weitere Untersuchungen erforderlich, um das Unfallgeschehen detailliert und vollumfänglich aufzuklären. Das umfasst beispielsweise Analysen des abgelenkten Wagens 14 und der Weiche. Eine vollständige Klärung von Unfallhergang und ‑ursachen wird die Sust erst in ihrem Schlussbericht liefern. Ist dieser veröffentlicht, so liegt es in der Verantwortung aller Akteure, die in die Verfahren des JNS einbezogen sind, daraus die für einen wettbewerbsfähigen und sicheren europäischen Eisenbahnverkehr richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Empfehlungen des Sust-Schlussberichts wird die gesamte Branche umsetzen.
Marco Rosso: «Kollaborative Innovation kann zur Lebensqualität beitragen und zugleich rentabel funktionieren.»
Marco Rosso ist Verwaltungsratspräsident der Cargo sous terrain AG (CST). Im Interview mit dem VAP spricht er über Interoperabilität, Diskriminierungsfreiheit auf der letzten Meile und die Logistik der Zukunft. Und darüber, wie kollaborative Innovation zur Lebensqualität der Menschen in der Schweiz beitragen und gleichzeitig gewinnbringend funktionieren kann.
VAP: Herr Rosso, wie sehen Sie in Zukunft das Verhältnis von Schienengüterverkehr zu CST?
Marco Rosso: Die Schiene und CST sind zwei Systeme, die sich ergänzen. CST kooperiert mit allen Verkehrsträgern, um gemeinsam das prognostizierte Güterverkehrswachstum von über 30% bis 2050 auf eine innovative, nachhaltige Art zu absorbieren. Weil CST nicht für alle Transporte geeignet ist, unterstützt das Unternehmen mit neuer Technologie und Digitalisierung die Geschäftsmodelle von Bahn, Strassentransporteuren und weiteren Logistikakteuren. Nur mit Kooperationen (im Rahmen der Wettbewerbsregeln) kann die Interoperabilität unter den verschiedensten Verkehrsträgern und Transportunternehmungen gewährleistet werden. Deshalb plant CST die Anbindung an Bahn, Strasse, Schiff, Luftfracht und weitere Systeme. An den CST-Hubs wird es multimodale Anschlüsse, insbesondere auch einen Bahnanschluss, geben. In der Bauphase, bereits ab 2026 und bis 2045, nutzt CST Bahntransporte im Umfang von 2000 Güterzügen pro Jahr und wird damit zu einem wichtigen Kunden der Schiene.
Sollte nicht der Staat die Infrastruktur erstellen und der Betrieb in den Tunnels, ebenso der Betrieb der Terminals und der letzten/ersten Meile wären dann frei und würden einem Wettbewerb unterliegen?
CST ist ein System, das nur als Ganzes funktioniert, weil alle Prozesse End-to-End gesteuert sind. Nur so können die Stückgüter zeitgenau und zuverlässig zum Ziel gelangen. Aus diesem Grund muss das System aus einer Hand geführt werden und gleichzeitig anschlussfähig sein an alle Partnerplattformen. CST ist von Beginn weg als privatwirtschaftliches Projekt geplant und konzipiert. Mit diesem Finanzierungskonzept ist es möglich und wichtig, rasch voranzukommen, ohne die Mittel im Bundesbudget zu belasten. Bei den Investoren sind auch wichtige künftige Kunden dabei. Sie helfen, das System marktgerecht zu entwickeln. Der Bund hat erkannt, dass es nicht zweckdienlich wäre, selber als Ersteller aufzutreten, sondern sich auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu beschränken. Mit sorgfältig ausgearbeiteten Businessplänen, konkurrenzfähigen Preisen und der Breite der Investorenbasis, die das Projekt mitträgt, zeigt CST, dass Innovation im Gütertransport zur Lebensqualität in Stadt und Land beiträgt und zugleich rentabel funktionieren kann.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen in Ihrem Projekt?
Ein derart umfassendes Vorhaben bietet vielfältige Herausforderungen, etwa in planerischer, juristischer, umweltrechtlicher, finanzieller und politischer Hinsicht. Was CST auszeichnet ist das Modell der kollaborativen Innovation – mit Einbezug aller Stakeholder. Die Herausforderungen geht das Projekt pragmatisch in Etappen an.
Wie gestalten Sie eine diskriminierungsfreie erste/letzte Meile?
Diskriminierungsfrei ist unser System ohnehin von Anfang an geplant, ohne dass es das Gesetz verlangt hätte. Durchwegs gilt: Alle haben Zutritt zum System mit gleichem Preis bei gleicher Leistung. Wir gehen aber noch weiter, indem wir zum Beispiel die Citylogistik von CST partnerschaftlich-kollaborativ entwickeln und offen sind für jegliche Zusammenarbeit mit kleineren sowie grösseren Partnern, darunter auch Bahn und Post. Auch hier ist unser Prinzip die kollaborative Innovation, die wir tagtäglich leben.
Was ist der grösste Vorteil oder die grösste Motivation von CST für die Schweizer Bevölkerung?
Der wichtigste Effekt von CST wird die Steigerung von Lebensqualität für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz sein. Indem wir einen Weg aufzeigen, wie die Logistik der Zukunft nachhaltig aussehen kann, wie sich Schwerverkehr auf der Strasse durch verladerübergreifende Bündelung und Vorsortierung im Tunnel wegbringen beziehungsweise ein Stau zur Güterversorgung unterfahren lässt, wie man aus den vorhandenen Ressourcen das Beste bezüglich CO2-Ausstoss, Lärm etc. herausholt. Der kostbare Platz an der Oberfläche soll in erster Linie der Bevölkerung gehören. CST begünstigt den Ausbau von Infrastruktur wie auch der erneuerbaren Energien in der Schweiz. CST ist ein privat finanzierter Innovationsmotor zum Nutzen der Schweizer Wirtschaft und für Lebensqualität in Städten und Dörfern, indem es die Versorgungssicherheit garantiert und damit den Wohlstand in der Schweiz erhöht.
Gibt es Punkte, die wir unseren Mitgliedern aus Ihren Augen noch wissen lassen sollten?
Es stehen entscheidende Weichenstellungen und Diskussionen bevor, gerade auch vor dem Hintergrund der politischen Debatten um den Güterverkehr. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir mit einer unternehmerischen Haltung einen effektiven Beitrag leisten können, um die Schweiz im 21. Jahrhundert als exzellenten Wirtschaftsstandort mit hoher Lebensqualität auch für künftige Generationen zu erhalten. An dieser Arbeit beteiligen wir uns mit Begeisterung und Engagement.
Herr Rosso, vielen Dank für das Gespräch.
Gotthardbasistunnel (#6): BAV unterstützt den Güterverkehr pragmatisch
Nach dem Güterbahnunfall im Gotthardbasistunnel fördert das Bundesamt für Verkehr (BAV) den Schienengüterverkehr mit griffigen Massnahmen: Der Tunnel darf nur für Güterzüge verwendet werden. Die Abgeltungen pro gefahrenen Zug im unbegleiteten kombinierten Verkehr (UKV) werden demnächst auf bis zu CHF 1’100 angehoben. Dafür bedanken wir uns als Verband der verladenden Wirtschaft herzlich. Übrigens: Unsere Stimme gilt auch für ausländische Verlader.
Darum geht’s:
- Gotthardbasistunnel nur für Güterbahnen offen
- Höhere Abgeltungen für den alpenquerenden UKV
- Der VAP bedankt sich
Gotthardbasistunnel nur für Güterbahnen offen
Seit der Wiederinbetriebnahme der Oströhre des Gotthardbasistunnels steht dieser ausschliesslich dem Güterverkehr zur Verfügung. Möglich sind rund 100 Trassen täglich. Über die Bergstrecke verkehren weitere 30 Züge pro Tag. So verfügt der alpenquerende Schienengüterverkehr jeden Tag über insgesamt 130 Trassen. Zum Vergleich: 2022 querten im Schnitt täglich 120 Züge den Basistunnel.
Dank dieser Massnahme können die Güterbahnen den Schienengüterverkehr praktisch ohne Einschränkungen abwickeln. Zwar ist die Trassierung über die Bergstrecke mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden. Doch betrifft sie im Wesentlichen den Binnenverkehr, der nicht auf den 4‑Meter-Korridor angewiesen ist.
Höhere Abgeltungen für den alpenquerenden UKV
Das BAV macht sich für den alpenquerenden Schienengüterverkehr und insbesondere den Transitverkehr stark (vgl. «Das BAV stärkt Schienengüterverkehr durch die Alpen»). Die Abgeltungen pro gefahrenen Zug im UKV werden in den kommenden Wochen um CHF 200 auf bis zu CHF 1’100 angehoben. Auch für 2024 will das BAV die Abgeltungen pro Sendung nicht herabsetzen, sondern eine symbolische Reduktion von CHF 1 auf CHF 57 pro Sendung einführen. Damit unterstützt das BAV den alpenquerenden UKV sehr pragmatisch. Vor dem Hintergrund der schwierigen Baustellensituation auf den Zufahrtsstrecken und der konjunkturell angespannten Situation verzichtet das BAV darauf, den bisherigen Absenkungspfad für Abgeltungen im UKV fortzusetzen.
Der VAP bedankt sich
Dem BAV gebührt ein grosses Dankeschön für diese pragmatische Unterstützung. Es stärkt damit die Bemühungen der gesamten Branche, die Kapazitätseinschränkungen sowohl auf der Gotthard- als auch auf der Lötschbergachse gezielt und mit vereinten Kräften so erträglich wie möglich zu gestalten. Wir werten es als Zeichen einer gemeinsamen Verlagerungspolitik im Transitverkehr.
Gotthardbasistunnel (#5): Zu früh für Schuld- und Haftungszuweisung
Gemäss der Hauptausgabe der SRF-Tagesschau vom 27. August 2023 sieht das Bundesamt für Verkehr (BAV) SBB Cargo allein für die Folgen des Güterbahnunfalls im Gotthardbasistunnel haftbar. Verwiesen wird auf ein Versäumnis der Bahnreform; davor mussten alle Güterwagen bei den Staatsbahnen eingestellt sein. Wir meinen: Es ist zu früh für Spekulationen, schon gar nicht in Medien mit landesweiten Reichweiten. Diese Polemik bringt die Lösung des Problems keinen Schritt weiter. Erst der Bericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) klärt Fakten – und schafft Möglichkeiten, gezielt zu reagieren.
Darum geht’s:
- Im Bahnmarkt behält der Staat die Oberhand
- Die Bahnreform hat Haftungsrecht tatsächlich reformiert
- Wagenhalter haften verschuldensunabhängig
- Bundesrat hat keine rechtlichen Anpassungen vorgeschlagen
- Vertragliche Bestimmungen sind öffentlich
- Verantwortung auf Basis des Sust-Berichts wahrnehmen
- Aktuelle Haftungsregelung ist wirtschaftlich ausgewogen
- Negative Folgen von Gesetzesanpassungen bedenken
Im Bahnmarkt behält der Staat die Oberhand
Der Bund sieht die Verantwortung für den Güterbahnunfall im Gotthardbasistunnel klar bei der SBB-Tochter SBB Cargo. Ein Sprecher des BAV liess in der SRF-Tagesschau vom 27. August 2023 verlauten, das geltende Haftpflichtrecht stamme aus der Zeit der Staatsbahnen. Nun: Die Zeiten haben sich nicht verändert. Noch immer dominiert die Staatsbahn SBB den Güterbahnmarkt. Vor wenigen Wochen hat der Bundesrat der Rückverstaatlichung von SBB Cargo zugestimmt. Als Antwort auf die Interpellation von FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen hat er klargestellt, die Privataktionäre hätten die (finanzielle) Situation der SBB Cargo nicht verbessert.
Die Bahnreform hat Haftungsrecht tatsächlich reformiert
Im Zug der Bahnreform erfolgte die Revision des internationalen Eisenbahnbeförderungsrechts Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF), wobei Infrastruktur und Betrieb getrennt wurden. Gleichzeitig kündigte SBB Cargo die Einstellverträge. Das Monopolprivileg, wonach Güterwagen bei einer Staatsbahn eingestellt sein und von ihr gewartet werden müssen, wurde damit abgeschafft. Stattdessen wurden die Nutzungsbedingungen für Güterwagen zwischen Güterbahnen und Wagenhaltern auf der Basis des COTIF international vereinheitlicht – bekannt unter dem Titel «Allgemeiner Vertrag für die Verwendung von Güterwagen (AVV)». COTIF und AVV sehen griffigere Haftungsregelungen vor, als dem BAV mit seinen Vorbehalten gegen international einheitliche Branchenlösungen lieb ist. Die böse Überraschung für Wagenhalter, als sie die volle Verantwortung für die künftige Wartung ihrer Wagen antraten: Die SBB übergaben den Wagenhaltern äusserst dürftige Dokumentationen zum Zustand und zur Wartung ihrer Güterwagen durch SBB Cargo bis zur Kündigung der Einstellverträge. Seither sind die Wagenhalter selbst für ihre Güterwagen verantwortlich und haben die Altlasten, die sie von SBB übernehmen mussten, aufgeräumt.
Wagenhalter haften bei Mängeln an ihren Wagen
Der BAV-Sprecher vermittelte mit seinem Kommentar in der SRF-Tagesschau den Eindruck, private Güterbahnen oder Halter von Güterwagen müssten für Unfallschäden nicht haften. Das stimmt nicht. Europäische und Schweizer Güterbahnen und Wagenhalter haften seit 2006, als der AVV ins Leben gerufen und 2017 verschärft wurde. Heute müssen Güterbahnen grundsätzlich unabhängig von einem eigenen Verschulden für den Schaden bei Unfällen mit Güterzügen auf dem Schweizer Schienennetz aufkommen (Gefährdungshaftung). Wurde der Schaden durch Mängel an einem fremden Güterwagen verursacht, geht man vertraglich vom Verschulden des betroffenen Wagenhalters aus. Die betroffene Güterbahn kann auf den Wagenhalter Regress nehmen. Dieser kann sich von der Haftung gegenüber der Güterbahn nur befreien, wenn er fehlendes Verschulden nachweisen kann (Umkehr der Beweislast). Mehr dazu lesen Sie in unserem Blogbeitrag «Gotthardbasistunnel (#3): Geltende Haftpflichtbestimmungen sind ausreichend».
Bundesrat hat keine rechtlichen Anpassungen vorgeschlagen
SRF-Redakteur Christoph Leisibach erläuterte, der Bundesrat habe in einem Bericht Massnahmen zur Anpassung des Haftungsrechts vorgeschlagen, zum Beispiel die Haftung der Wagenhalter zu verschärfen. Diese Aussage ist falsch. Der Bundesrat hat im BAV-Bericht vom 21. Juni 2023 zum Postulat 20.4259 «Gesamtschau zur Haftpflicht im Gütertransport auf der Schiene» Optionen präsentiert, aber auf eine Anpassung der Vorschriften explizit verzichtet.
Vertragliche Bestimmungen sind öffentlich
Professor Frédéric Krauskopf wurde von der SRF-Tagesschau als Experte befragt. Auf die Frage, ob SBB Cargo auf eine (Mit-)Haftung des Wagenhalters des beschädigten Güterwagens zurückgreifen könne, verwies Krauskopf auf das Vertragswerk zwischen den beiden Parteien. Es handelt sich wie oben erläutert um den AVV. Dieser Vertrag ist öffentlich publiziert, also auch Professoren und öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zugänglich. SBB Cargo hat dem AVV gemeinsam mit allen anderen Staatsbahnen in Europa einstimmig zugestimmt.
Verantwortung auf Basis des Sust-Berichts wahrnehmen
Mit der Frage, wer beim Güterbahnunglück vom 10. August 2023 welche Schuld trägt und wer welche Haftung übernehmen muss, setzen wir uns vom VAP intensiv auseinander. Um sie exakt und innert nützlicher Zeit zu beantworten, muss zuerst der Bericht der Sust vorliegen.
Aktuelle Haftungsregelung ist wirtschaftlich ausgewogen
Die Wagenhalter müssen dafür sorgen, dass ihre Wagen entsprechend den geltenden Gesetzen, Vorschriften und verbindlichen Normen zugelassen und instandgehalten werden. Die Güterbahnen übernehmen die Wagen im Vertrauen, dass der Wagenhalter diesen Pflichten nachgekommen ist. Sie führen alle erforderlichen Kontrollen durch, damit der Zug sicher fahren kann. Die Wagenhalter haben keinen Einfluss auf die Zugabfahrt. Die Güterbahnen entscheiden eigenständig über die Art und Weise der Kontrollen, da sie auch allein den sicheren Betrieb eines Zuges verantworten. Entsprechend ist es wirtschaftlich sinnvoll, die Güterbahnen für ihre Kontrollen vor der Zugabfahrt und für mögliche Folgen primär haften zu lassen. Erweist sich im Nachhinein ein Mangel am Wagen als Schadensursache (zum Beispiel ein Radscheibenbruch), haftet der Wagenhalter gegenüber der Güterbahn für den entstandenen Schaden. Es sei denn, er kann beweisen, dass er den Mangel nicht verschuldet hat (Umkehr der Beweislast). Exakt gleich ist die Haftung im Strassenverkehr zwischen Halter des Zugfahrzeugs und Halter des Sattelaufliegers oder Anhängers geregelt.
Negative Folgen von Gesetzesanpassungen bedenken
Eine Verschärfung der bereits hochgradig ausdetaillierten Haftungsbestimmungen macht weder den Schienengüterverkehr sicherer, noch bringt sie einen einzigen Güterzug mehr auf die Schiene. Im Gegenteil. Was auch immer an den Haftungsregelungen geändert wird, hat marktwirtschaftliche Auswirkungen, etwa in Form von höheren Mietpreisen für Güterwagen und vor allem von komplizierteren und aufwendigeren Übergaben von Wagen von einem Verantwortungsbereich in den nächsten. Dadurch könnte der heute durch den AVV garantierte freizügige Zugriff auf 550‘000 Güterwagen aus ganz Europa durch eine unüberlegte einseitige Gesetzesanpassung in der Schweiz plötzlich versiegen – zum Schaden von Umwelt und Wirtschaftsstandort Schweiz.