WETTBEWERB IM SCHIENENGÜTERVERKEHR
Der VAP Verband der verladenden Wirtschaft setzt sich für ein faires, wettbewerbsfähiges Gütertransportsystem ein. Wettbewerb ist ein Schlüsselelement der Marktwirtschaft.
Wettbewerb im Schienengüterverkehr…
..stärkt dessen Innovationskraft und Leistungsfähigkeit.
..stellt die Chancen für alle Marktteilnehmer gleich, ob staatliche oder privatwirtschaftliche Unternehmen.
Ziele der Weiterentwicklung im Schienengüterverkehr
Durch verstärkten Wettbewerb im Schienengüterverkehr erreichen wir:
- Innovation: Neue Geschäftsmodelle und Prozessoptimierung
- Effektivität und Effizienz: Kapazitäten und der Attraktivität steigern sich
- Qualität und Flexibilität: Bestehende Kunden halten und neue gewinnen
Ideenbox
Wir werden diese Ideen sammeln und die vielversprechendsten in einem Spezialnewsletter vorstellen.
Fairen Wettbewerb zwischen Bundes- und Privatunternehmen stärken
Der Bundesrat hat am 15. September 2023 das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) beauftragt, bis im dritten Quartal 2024 eine Ergänzung der Corporate Governance-Leitsätze vorzulegen. Damit will er den fairen Wettbewerb zwischen Staatsbetrieben und privatwirtschaftlichen Unternehmen stärken.
Darum geht’s:
- Eignerstrategie und Corporate-Governance-Leitsätze als Steuerungsinstrument
- Parlament hat fairen Wettbewerb gefordert
- Besorgniserregende Monopolisierung der Nahzustellung
- Weitere Querfinanzierungstendenzen offensichtlich
- Kampf mit ungleichen Spiessen
Eignerstrategie und Corporate-Governance-Leitsätze als Steuerungsinstrument
Bundesunternehmen entstehen durch die Verselbstständigung von Verwaltungseinheiten des Bundes, die gemäss der Bundesverfassung monopolisierte Tätigkeiten ausüben. Zum Beispiel entstand im Zug der Bahnreform 1999 die spezialgesetzliche Aktiengesellschaft der Schweizerischen Bundesbahnen SBB. Als hundertprozentiger Eigentümer lenkt der Bund seine zahlreichen Bundesunternehmen, indem er eine Eignerstrategie und Corporate-Governance-Leitsätze definiert und umsetzt. Im Weiteren wählt er die Verwaltungsräte. Neben der Eignerrolle hält der Bund weitere Rollen inne: Er regelt mit als Regulator die Marktbedingungen und bestellt gelegentlich sogar gemeinwirtschaftliche Leistungen, etwa beim regionalen Personenverkehr. Daraus ergeben sich zwangsläufig gewisse Interessenskonflikte. Es wäre durchaus angebracht zu überprüfen, ob diese Verquickung von Funktionen noch immer zeitgemäss und für den Einzelwagenladungsverkehr angemessen ist und welches Kontrollorgan den Umgang damit im Auge behält.
Parlament hat fairen Wettbewerb gefordert
Die zunehmende Kritik der Privatwirtschaft am Verhalten der Bundesunternehmen, die auf der Basis eines oft sehr generell gehaltenen Verfassungsauftrags ihr ursprüngliches Kerngeschäft immer weiter ausdehnen und sogar private Unternehmen aufkaufen, fand im Parlament Gehör. So haben die Räte die Motion 20.3531 «Fairerer Wettbewerb gegenüber Staatsunternehmen» von FDP-Ständerat Andrea Caroni und die gleichlautende Motion 20.3532 von Die-Mitte-Ständerat Beat Rieder angenommen. Mit dem WBF-Bericht will der Bundesrat der Forderung dieser beiden Motionen nun nachkommen. Er erwartet darin Vorschläge, wie die Departemente bei der Lenkung der Bundesunternehmen den fairen Wettbewerb zwischen Bundes- und Privatunternehmen systematischer gestalten und umfassender sicherstellen können.
Besorgniserregende Monopolisierung der Nahzustellung
Im Tätigkeitsbericht 2022 der RailCom wird unter anderem über die Befragung der Güterbahnen zu den Dienstleistungen bei der Nahzustellung nach Art. 6a der Gütertransportverordnung (GüTV) berichtet. Dabei handelt es sich um Dienstleistungen von SBB Cargo, die die Nahzustellung in der Schweiz praktisch monopolistisch abdeckt. Als Begründung für die Ablehnung von Nahzustellungsdienstleistungen werden im RailCom-Tätigkeitsbericht fehlende Ressourcen aufgeführt. Die Befragten vermuten jedoch, dass sie bei den Angebote benachteiligt werden und verschiedene Tarife im Umlauf sind.
Ebenso besorgt zur Monopolisierung des Netzwerkangebots von SBB Cargo äussern sich die Privatunternehmen in der Vernehmlassung zur Gesetzesvorlage «Modernisierung des Schweizerischen Gütertransports» (vgl. Blogbeitrag «Vernehmlassung Schienengüterverkehr in der Fläche: Zwei Varianten, viele Fragezeichen»). Sie fordern eine strikte Abgrenzung zwischen Netzwerkangebot und Ganzzugsangebot bei der Abgeltung und einen weiterhin diskriminierungsfreien Zugang zu den Dienstleistungen in der Nahzustellung (vgl. VAP-Blogbeitrag «Letzte Meile ausgliedern und diskriminierungsfrei gestalten»). Dabei ist mithilfe von organisatorischen Massnahmen oder einer rechtlicher Trennung zu verhindern, dass gewisse staatlich erbrachte Dienstleistungen querfinanziert werden. So wie das zum Beispiel bei der Ausfinanzierung der Pensionskasse SBB (PK SBB) durch die Gewinne von SBB Immobilien heute der Fall ist.
Weitere Querfinanzierungstendenzen offensichtlich
Bei der Anhörung zur Trassenpreisrevision 2025 haben sich die Güterbahnen der Schweiz zusammengeschlossen und dem Bundesrat am 29. August 2023 eine ablehnende Antwort zur Teilrevision der Verordnung Netzzugang (NZV) gegeben (vgl. Blogbeitrag «Trassenpreisrevision 2025–2028: Preiserhöhung ist unbegründet»). Nur SBB Cargo, die voll im SBB-Konzern integriert ist und an der kurzen Leine gehalten wird, blieb aussen vor. Da das Bundesamt für Verkehr bei der Trassenpreisrevision unter anderem auf sinkende Trassenerlöse verweist, entsteht der Eindruck, dass es sich hier um eine versteckte Querfinanzierung der SBB handelt, die von SBB Cargo natürlich nicht kritisiert werden darf.
Die vom Bundesrat erarbeitete Gesetzesvorlage «Änderung des Bundesgesetzes über die Schweizerischen Bundesbahnen SBBG – nachhaltige Finanzierung der SBB» vom 15. September 2023 entspricht ebenfalls einem eklatanten Eingriff in den freien Wettbewerb. Demnach sollen die SBB in den Genuss eines Kapitalzuschusses von 1,25 Milliarden Franken kommen. Die genaue Verwendung dieser Mittel bleibt unklar und es fehlen die Bedingungen, die das in Zukunft ändern könnten. Von diesem Kapitalzuschuss profitiert auch Tochter SBB Cargo, die überdies umfassende Finanzunterstützung im Nachgang der Covid-Pandemie bezog. Sie steht kurz vor dem Abschluss einer Leistungsvereinbarung zur Abgeltung ihres Netzwerkverkehrs, den sie offenbar nicht eigenwirtschaftlich abwickeln kann. Die privatwirtschaftlichen Akteure hingegen erhielten weder Covid-Mittel, noch verfügen sie über umfangreiche, nicht betriebsnotwendige Ressourcen und Beteiligungen, die sie zur Stärkung ihrer Investitionsfähigkeit versilbern könnten.
Kampf mit ungleichen Spiessen
Die Selbstverständlichkeit des Bundesrates im ungleichen Umgang mit staatlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen ist augenfällig – und bedauerlich. Leider entsteht so kein gesunder Wettbewerb im Schienengüterverkehr, der dessen Innovationskraft und Leistungsfähigkeit stärkt. Beides ist unerlässlich, wenn die Marktakteure bestehende Kunden halten und neue gewinnen wollen. Das wiederum wäre nötig, um eine nachhaltige Verkehrsverlagerung zu erreichen und die Schiene in Zukunft in multimodale Versorgungsketten zu integrieren. Und um neue, zukunftsgerichtete Arbeitsplätze zu schaffen.
Subventionierung des Wagenladungsverkehrs: Wettbewerbsverzerrung und Diskriminierung verhindern
Wir nehmen Stellung zum bundesrätlichen Vernehmlassungsentwurf «Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen für den Schweizer Gütertransport». Wir unterziehen die Vorschläge einer kritischen Würdigung aus Sicht der Güterbahnkunden und zeigen die Notwendigkeit einer rechtlichen Verselbstständigung des Systemverkehrs auf.
Ja und Aber zu Variante 1
Mit Variante 1 will der Bundesrat den Schienengüterverkehr mit der automatischen digitalen Kupplung (DAK) digitalisieren. Damit positioniert er den Verkehrsträger Schiene als Teil der multimodalen Logistik. Flankierend sieht er raumplanerische Massnahmen, Investitionshilfen und Umschlags- und Verladeanreize vor, die Zusatzkosten des Systembruchs zwischen der Schiene und anderen Verkehrsträgern abfedern. Bis die Automatisierung umgesetzt ist, will der Bundesrat die ungedeckten Kosten des Systemverkehrs abgelten. Wir begrüssen die Stossrichtung von Variante 1 im Kern, haben aber Vorbehalte und stellen einen grundlegenden Anpassungsbedarf fest.
Subventionierte Erste/letzte Meile verselbstständigen
Wir wollen und müssen den Systemverkehr zukunftsfähiger gestalten. Dazu braucht es eine Neukonzeption sämtlicher Prozesse, Anreizinstrumente, Marktmechanismen und Schnittstellen innerhalb der multimodalen Güterlogistik. Ziel muss ein eigen- und marktwirtschaftliches System sein, das keine Güterbahnen diskriminiert und den Verladern zuverlässig zur Verfügung steht.[1] Bis diese Neukonzeption umgesetzt ist, stimmen wir befristeten Finanzhilfen an den Netzwerkverkehr von SBB Cargo zu. Diese Finanzhilfen basieren auf erfolgsabhängigen, wettbewerbsneutralen und diskriminierungsfreien Anreizen – und auf einer Verselbständigung der ersten/letzten Meile in einer rechtlich eigenständigen Gesellschaft der SBB. Nur so bleiben die Versorgungssicherheit der Schweiz und die Zukunftsfähigkeit der Schiene gewährleistet.
Wettbewerbsverzerrung und Diskriminierung verhindern
Indem der Bundesrat die Verantwortung für den Systemverkehr SBB Cargo überträgt, monopolisiert er rund 70% des Gütertransportaufkommens. Gleichzeitig ist SBB Cargo auch noch Hauptanbieterin im Ganzzugs- und Kombiverkehr. Diese Interessensverknüpfung kann zu Diskriminierung der Kunden von System- und Ganzzugsverkehr einerseits, andererseits aber auch zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen Anbietern von Ganzzugs- und Kombiverkehr führen – unabhängig von Abgeltungen an den Systemverkehr. Der besteht aus der flächendeckenden Bedienung der Umschlags- und Verladeanlagen und soll daher rechtlich verselbstständigt werden. Da die entsprechenden Leistungen und Ressourcen schon heute in einer eigenständigen Organisationseinheit zusammengefasst sind, bliebe der Transformationsaufwand gering. Allerdings müsste der Bundesrat Art. 9a Abs. 7 des Gütertransportgesetzes (GüTG) präzisieren.
Neue Systembetreiberin konsequent beaufsichtigen
In der befristeten Phase öffentlicher Abgeltungen, aber auch danach, soll ein konsequentes Monitoring der Systembetreiberin im Bereich Leistungen, Qualität, Produktivität und Kosten erfolgen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Finanzhilfe rasch abgebaut und das Geschäftsmodell von SBB Cargo modernisiert werden. Das verhindert Benachteiligungen und sichert langfristig einen reibungslosen, flächendeckenden Systemverkehr. Ein gezieltes Monitoring der Entwicklung von Mengen und Kundenstruktur soll insbesondere letzteren langfristig garantieren. Ein solches Monitoring bedingt eine Ergänzung von Art. 9a GüTG.
Zusätzliche Hintergründe und Meinungen finden Sie in unserer Vernehmlassungsantwort zur «Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen für den Schweizer Gütertransport».
[1] Vgl. Video «Schienengüterverkehr der Zukunft»: www.cargorail.ch/#video
Letzte Meile ausgliedern und diskriminierungsfrei gestalten
Der freie Zugang zur letzten Meile ist für Güterbahnen entscheidend. Derzeit wird er per Gesetz verordnet. Wir meinen: Er sollte ermöglicht statt verfügt werden. Dazu müsste die letzte Meile aus SBB Cargo ausgegliedert und von einer unabhängigen Instanz verantwortet werden. Letztlich braucht es Rahmenbedingungen, die sich mit nur einem Begriff beschreiben lassen: Marktwirtschaft.
Darum geht’s:
- Warum der freie Zugang zur letzten Meile wichtig ist
- Diskriminierung verhindern statt bekämpfen
- Kräfte neu verteilen und neu bündeln
Bedeutung der letzten Meile
Die Bedienung der letzten Meile (Nahzustellung) liegt allein in Händen eines lokalen oder regionalen Anbieters. Entsprechend entscheidet der diskriminierungsfreie Zugang zur letzten Meile darüber, ob ein Angebot im Hauptlauf wettbewerbsfähig ist oder nicht. Wer Dienstleistungen in der Nahzustellung auf der Schiene erbringt, ist verpflichtet, diese diskriminierungsfrei zu leisten. So will es Artikel 6a der Gütertransportverordnung (siehe Kasten).
Artikel 6a der Gütertransportverordnung (GüTV)Sämtliche Unternehmen, die auf der letzten Meile (Teil-)Leistungen erbringen, müssen ihre Dienstleistung in der Nahzustellung auf der Schiene diskriminierungsfrei erbringen. Das heisst, dass sie ihre Dienstleistungen auch für Dritte erbringen müssen, sofern dafür Kapazitäten vorhanden sind. Diese Pflicht betrifft neben den Güterbahnen Anschlussgleisbetreiber mit eigenem Rollmaterial und Personal, spezialisierte Personalverleiher und Rangierdienstleister. Als Dienstleistungen auf der letzten Meile gelten das Rangieren und weitere mit der Nahzustellung zusammenhängende Leistungen wie z.B. technische Kontrollen oder Bremsproben. |
Diskriminierung verhindern statt bekämpfen
Art. 6a GüTV setzt auf Vorschriften, Marktkontrollen und Rechtsmittel. Sinnvoller wäre es jedoch, die Diskriminierung zu verhindern, indem ein einziger Anbieter die Bedienung der ersten/letzten Meile sicherstellt. Idealerweise ist das der Infrastrukturbetreiber, der ansonsten keine Verkehrsleistungen erbringt.
In einem marktwirtschaftlichen Umfeld ist der Zugang des Schienengüterverkehrs zu Gleisanschlüssen, lokalen und zentralen Rangieranlagen, Freiverladeanlagen oder Terminals diskriminierungsfrei geregelt. Die Trassenvergabe und der Betrieb von systemrelevanten Infrastrukturen werden von unabhängigen Institutionen verantwortet. Eine Systemführerschaft durch einen einzelnen Grossbetreiber – wie dies derzeit bei SBB Cargo der Fall ist – existiert nicht. Die Grenzen zwischen Einzelwagenladungen und Ganzzügen sind aufgehoben, die letzte Meile wird durch einen Infrastrukturbetreiber bewirtschaftet.
Neuordnung der Kräfte
Um den oben beschriebenen Idealzustand zu erreichen, müssen die Rollen neu verteilt und die Kräfte gebündelt werden. Eine derartige Reorganisation gelingt nur, wenn die folgenden Rahmenbedingungen geschaffen werden:
- SBB Cargo behält vorerst ihre Rolle als Netzwerkanbieterin. Sie zeichnet verantwortlich für die Planung der Netzwerkverkehre und stellt eine effiziente Bündelung von Verkehren mit Einzelwagen oder Wagengruppen sicher. Bei der Leistungserbringung beschränkt sie sich auf die Transporthauptläufe zwischen Formations- und Rangierbahnhöfen, soweit sie diese nicht bei Dritten beschafft.
- Die gesamte Bahninfrastruktur wie Netz, Terminals des kombinierten Verkehrs und lokale Rangieranlagen sind für Güterbahnen frei zugänglich.
- Die Bedienung der ersten/letzten Meile ist für alle Güterbahnen ein diskriminierungsfreier Service der Infrastrukturbetreiber. Diesen stehen die systemrelevanten Ressourcen von SBB Cargo wie Triebfahrzeuge, Rangierteams, Rangiergleise/-bahnhöfe, Rangierleistungen oder betriebsinterne Umstellungen zur Verfügung.
- So entsteht Wettbewerb mit gleichberechtigten Akteuren und transparenten Kosten.
Mehr dazu lesen Sie in unserer Publikation «Von der integrierten zur marktwirtschaftlichen Bahn».
«Wer keinen Mut hat, hat schon verloren.»
Dr. Heiko Fischer präsidiert die International Union of Wagon Keepers UIP. Mit dem VAP spricht der ehemalige VTG-Chef über die Zukunft des europäischen Schienengüterverkehrs und die digitale Transformation des Bahnsektors. Für diesen wünscht er sich mehr Begeisterung und erläutert, warum er das Einstellen des Einzelwagenladungsverkehrs in der Schweiz für fatal hält.
Herr Dr. Fischer, wo sehen Sie die grössten Herausforderungen und wo die Stellschrauben für den europäischen Bahnmarkt?
Da gibt es eine ganze Reihe. Die Bahninfrastruktur ist veraltet oder vielerorts ein historisch gewachsener Flickenteppich. Noch immer existieren Grenzen zwischen den Teilsystemen. Mit jedem Jahr, in dem nichts geschieht, wird das Problem grösser, denn die Infrastruktur altert unbeirrt weiter. Hier sehe ich die Stellschraube in der mitteleuropaweiten Koordination von Ausbauplänen, Entlastungsstrecken und entsprechenden baulichen Massnahmen. Zwar verfolgen die transeuropäischen Netze diesen integrativen Ansatz. Doch Nebenstrecken und Feinverteilungsnetze dürfen nicht ausgenommen werden, wenn es um Investitionsallokation, Ausbau- und Erneuerungsplanung, Zugsteuerungssysteme sowie Regulierung geht.
Eine weitere Steuergrösse sehe ich in der kompletten Durchdigitalisierung des Bahnsektors, angefangen bei der Vernetzung der Infrastruktur über das Rollmaterial bis hin zum operativen Betrieb. Hier sollte es eine vereinheitlichte Logik mit entsprechenden Schnittstellen geben. In der Folge kann eine Elektrifizierung mit Mass und Ziel stattfinden. Gering belastete Strecken könnten auch von wasserstoffbetriebenen Hybridlocks bedient werden.
«Für gewisse Dringlichkeiten ist der Schienengüterverkehr auf öffentliche Gelder angewiesen, zum Beispiel für die Basisdigitalisierung, den Infrastrukturausbau, die Elektrifizierung, die Implementierung der digitalen automatischen Kupplung DAK und andere zeitkritischer Sprunginnovationen.»
Das verfügbare Kapital ist ebenfalls ein Eckpfeiler. Der Bahnmarkt braucht nicht nur ausreichend Privatkapital. Für gewisse Dringlichkeiten ist er auf öffentliche Gelder angewiesen, zum Beispiel für die Basisdigitalisierung, den Infrastrukturausbau, die Elektrifizierung, die Implementierung der digitalen automatischen Kupplung DAK und andere zeitkritischer Sprunginnovationen. Solche Investitionen übersteigen die finanziellen Kräfte der Privatwirtschaft und der meisten Staatsbahnen. Schliesslich möchte niemand in Technologien investieren, die erst im nächsten Jahrzehnt Früchte abwerfen, vielleicht sogar bei anderen Akteuren des Bahnsystems. Damit bin ich bei einer weiteren Stellschraube angelangt: Wir brauchen auch bei Regierungen, Regulierern und Politikern ein verankertes ökonomisches Verständnis für die Wirkmechanismen des Schienengüterverkehrs. Das bedingt ein Umdenken aller Systembeteiligten.
Inwiefern?
Der Bahnsektor ist nicht gerade bekannt dafür, proaktiv zu denken und Neues schnell zu implementieren. Viele sehen sich als Opfer, sei es von der Vergangenheit, von falschen Entscheidungen, von der Strasse, vom Wetter oder von irgendetwas anderem. Das muss sich meines Erachtens unbedingt ändern. Schliesslich ziehen wir nicht Güterzüge durch die Gegend, weil es uns Spass macht, sondern weil wir einen Mehrwert für die Verlader und unser Gemeinwesen erwirtschaften wollen. Die Akteure des Schienengüterverkehrs müssen den Kunden zurück in den Mittelpunkt rücken und sich dessen zukünftige Bedürfnisse vergegenwärtigen. Damit sich der anstehende Wandel tatsächlich vollziehen lassen, brauchen wir mehr Aufbruchsmentalität, eine «can do»-Attitüde.
Welche Innovationen haben Sie in den letzten Jahren bei der VTG vorangetrieben, welche davon waren bahnbrechend?
Spontan fällt mir da VTG Connect ein. Diese Telematiktechnologie erhebt relevante Daten über die gesamte Flotte und viele Transporte. Sie schafft die Basis für ein effizientes digitales Flottenmanagement, denn sie macht Daten für Kunden, Güterbahnen und Instandhaltungszwecke nutzbar. Mit dieser Innovation haben wir den Einstieg in die Echtzeit-Datenübermittlung im Güterverkehr wie von der DAK angestrebt sozusagen aufgegleist.
Welchen zukünftigen Stellenwert räumen Sie der DAK ein?
Für die digitale Transformation des Bahnsektors ist die DAK ein Katalysator. Damit lassen sich eine neue Steuerungslogik und Echtzeitdatenströme abbilden. Davon sind wir heute weit entfernt. Die DAK macht mehr als den Kupplungsvorgang zu automatisieren. Sie vernetzt Lokführer, Ladung, Ladungsträger und Energie, also Strom. Das Potenzial daraus kombiniert mit neuen digitalen Technologien ist immens. Die DAK ist nicht nur eine intelligente Zug- und Ladungssteuerung, sondern auch Möglichmacher für andere Digitalisierungsoffensiven wie zum Beispiel digitale Daten‑, Zugsteuerungs- und Buchungsplattformen.
«Es wird sicherlich mehrere Plattformen geben, denn nach wie vor wird jedes Unternehmen Informationen sammeln, die es nicht teilen kann oder darf. Eine oder auch mehrere dieser Plattformen werden sich als zentrale Drehscheiben hervortun, die den operativen Bahnbetrieb steuern.»
Welche Rolle werden diese in Zukunft spielen?
Es wird sicherlich mehrere Plattformen geben, denn nach wie vor wird jedes Unternehmen Informationen sammeln, die es nicht teilen kann oder darf. Eine oder auch mehrere dieser Plattformen werden sich als zentrale Drehscheiben hervortun, die den operativen Bahnbetrieb steuern. Als solche liefern sie den Güterverkehrsakteuren verlässliche Informationen, mit denen sich die Abstände zwischen den Zügen verringern, Zeitfenster errechnen und mehr Tonnagen pro Zeiteinheit aufs Gleis bringen lassen. Ein europaweites elektronisches Güterverkehrssteuerungssystem darf nicht von einem Tech-Riese à la Google kommen, sondern sollte sich aus dem Bahnsektor selbst herausentwickeln. Damit zeigen wir Innovationsstärke gegenüber anderen Verkehrsträgern.
Vielleicht gibt es in Zukunft sogar eine übergeordnete Instanz in der Art von Eurocontrol für die zentrale Koordination der Luftverkehrskontrolle. Ein derartiges Cockpit könnte den europäischen Schienengüterverkehr steuern, den Lokführern gewisse Vorgaben machen, gegebenenfalls eingreifen und später autonome Züge fahren lassen. Solche Quantensprünge sind allerdings nur möglich, wenn digitale Technologien mit künstlicher Intelligenz implementiert werden und greifen. Nur sie bringen Dynamik und sorgen für das nötige Tempo, das für den Erfolg der digitalen Transformation absolut zentral ist.
Wie liesse sich der Schienengüterverkehr in Europa nachhaltig weiterentwickeln?
Mit etwas, das die ökonomische Wirkung des Güterverkehrs auf einen Nenner bringt und wozu sich alle Akteure verpflichten. Ich kann mir vorstellen, dass es eines Tages einen langfristigen Masterplan im Sinne einer selbstregulierenden und doch verpflichtenden Absichtserklärung gibt. Alle beteiligten staatlichen und nichtstaatlichen Bahnen müssten sie mitunterzeichnen. Dieser Masterplan könnte festhalten, dass man gemeinsam auf eine Verkehrsverlagerung hinarbeitet. Ich erinnere an den allgemeinen Verwendungsvertrag AVV von 2006. Dieser regelt das Zusammenspiel zwischen Waggonhaltern und Eisenbahnverkehrsunternehmen als Wagenbetreibern. Der Vorteil einer supranationalen Vereinbarung ohne Gesetzescharakter besteht darin, dass sie sich schnell und unkompliziert ergänzen oder anpassen lässt. Die Zuläufe zur NEAT sind das beste Beispiel dafür, was nicht passieren sollte: Die Bahnstaatengemeinschaft inklusive Schweiz hat sich verpflichtet, die Nord-Süd-Achse auszubauen. Als die Schweiz den NEAT-Tunnel eröffnete, hatten andere Staaten noch nicht einmal mit der Planung begonnen. Ein Masterplan für den europäischen Güterverkehr könnte diese Absicht verbindlicher ausgestalten und klarstellen, dass Green Deal und Verlagerungsziele ernst gemeint sind. Heute ist er noch Zukunftsmusik. Den Grundforderungen stimmen meistens alle zu. Sobald es dann aber darum geht, etwas Konkretes aus einem Guss zu erarbeiten, divergieren die Meinungen auseinander.
Was meinen Sie zum bundesrätlichen Bericht zum ‹Schienengüterverkehr in der Fläche›? Was würde es bedeuten, wenn der Bundesrat diesen abschaffte?
Das wäre meiner Meinung nach der grösste verkehrspolitische Fehler seit Jahrzehnten. Die Schweiz beweist, dass Wagenladungsverkehr funktioniert. Allerdings ist er noch zu teuer. Wenn jedoch Zugbildung und ‑trennung automatisch erfolgen, die Zugreihe digital gesteuert wird und der Markt von den vielen Vorteilen digitaler Angebote profitiert, dann werden auch die Kosten sinken – und der Bedarf an Subventionen wird zurückgehen. Der Bundesrat sollte darüber nachdenken, wie sich die Angebote für Güterbahnkunden attraktiver gestalten lassen. Das Ganze abzubrechen, noch bevor die Digitalisierung Früchte trägt, wäre sträflich. Bahnfracht auf LKWs umladen kostet auch Geld und nicht jede Fracht lässt sich für Ganzzüge containerisieren. In diesem Thema müsste sich die Schweizer Regierung meiner Ansicht nach zuversichtlicher zeigen. Wer keinen Mut hat, hat schon verloren.
Wir vom VAP sind Mitglied der UIP. Wie würden Sie den VAP beschreiben?
Er ist ein wertvoller Mitgliedsverband unserer europäischen Waggonhalterfamilie. Ich nehme ihn als innovativ und meinungsstark wahr. Aufgrund seiner einzigartigen Mitgliederstruktur hat er bei uns ein besonderes Gewicht. Der VAP vertritt nicht nur die fünf grössten Schweizer Wagenhalter, sondern die Interessen von Verladern, Gleisanschliessern und Vertretern multimodaler Logistikketten. Diese Vielfalt erzeugt bei uns Wirkung und Ideenreichtum, ich erachte sie als wertvolle Stärke. Mit seiner Mitgliederdiversität kann der VAP seine Forderungen ganzheitlicher auf die Nutzer ausrichten und mit einer grösseren Autorität platzieren. Ich unterstütze den kundenzentrierten Ansatz des VAP, der den Endnutzer in den Diskussions- und Entscheidungsprozess einbindet. Europa kann von den Schweizer Erfahrungen mit dem Wagenladungsverkehr oder der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe profitieren. Sie gilt für uns oft als «Minilab», das Themen für uns spiegelt. Im Weiteren zeigt uns der VAP vorbildlich auf, wie man die Bevölkerung überzeugt oder etwas als Gemeinwesen positiv gestaltet.
Was kann der VAP besser machen?
Besser geht immer. Mein Appell ist nicht nur an den VAP, sondern an alle Verbände und verkehrspolitisch Involvierten gerichtet. Wir brauchen engagierte Menschen, die bereit sind, Interessen mit Sicht nach vorne zu formulieren. Solche, die in Quartalsbilanzen denken, gibt es genug. Aber damit kann man die Zukunft nicht gewinnen.
Was wünschen Sie sich für ebendiese Zukunft?
Noch mehr Interesse, mehr Zuversicht. Mehr Begeisterung. Verlader sollten darauf brennen, noch mehr Tonnen auf die Schiene zu bringen. Nur so können wir die ambitionierten Verlagerungs- und Klimaziele erreichen. Der Bevölkerung sollte klar sein, wie wichtig der Schienengüterverkehr ist – und dass das Geld kostet. Eine ungehemmte LKW-Flut ist nämlich keine Alternative. Ich wünsche mir, dass Sie vom VAP und wir von der UIP weiterhin Tag für Tag für diesen Aufbruch eintreten.
Herr Dr. Fischer, vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.
Dr. Heiko Fischer Dr. Heiko Fischer war bis 2021 insgesamt mehr als 25 Jahre in den Diensten der VTG tätig, davon über 17 Jahre als Vorsitzender des Vorstands. Seit 2015 ist er – wie schon von 2004 bis 2007 – Präsident des Dachverbands der Waggonhalter UIP, International Union of Wagon Keepers UIP mit Sitz in Brüssel. Diese vertritt mehr als 250 Güterwagenhalter und Instandhaltungsstellen mit mehr als 223’000 Güterwagen, die 50% der Tonnenkilometer im europäischen Schienengüterverkehr zurücklegen. Dr. Heiko Fischers ehemalige Arbeitgeberin VTG AG betreibt die grösste private Güterwagenflotte in Europa mit rund 88’500 Eisenbahngüterwagen. Neben der Vermietung von Güterwagen und Tankcontainern bietet VTG multimodale Logistikdienstleistungen und integrierte Digitallösungen an. |
«Wir wollen auch in Zukunft schneller und besser sein als die anderen.»
Im Juni 2022 wurde die Übernahme des Familienunternehmens WASCOSA durch Swiss Life und Vauban bekanntgegeben. Vom ehemaligen Inhaber und zukünftigen Verwaltungsratspräsidenten Philipp Müller wollten wir mehr über den Hintergrund dieses Verkaufs und die Vision der WASCOSA wissen.
Herr Müller, die Meldung des Verkaufs Ihres erfolgreichen Familienunternehmens kam überraschend. Was wird sich ändern?
Philipp Müller: Weniger als man auf den ersten Blick denkt. Mit diesem Schritt haben wir die Zukunft der WASCOSA abgesichert. Natürlich wird es eine Umstellung von einem familiengeführten zu einem investitionsgetriebenen Unternehmen geben. Aber der Spirit der WASCOSA wird bleiben. Wir wollen auch in Zukunft schneller und besser als andere agieren, als Team erfolgreich sein und die Kunden- vor Eigeninteressen stellen. Diese Ziele sind anspruchsvoll, aber machbar.
Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Die Nachfolgeregelung und die Zukunftssicherung des Unternehmens. Keines unserer Kinder war daran interessiert, meine Nachfolge anzutreten. Also mussten wir in dieser Frage eine externe Lösung finden. Bereits vor acht Jahren hatten wir mit Peter Balzer einen familienexternen CEO engagiert. Hinzu kommt, dass unser Markt gerade eine enorme Marktbereinigung erfährt. Von den europaweit zehn grössten Wagenvermietern haben wir als Einzige keine Fusion oder Übernahme erlebt. Wer noch mitspielt, wird laufend grösser, macht langfristig ausgelegte Grossinvestitionen und geht hohe finanzielle Risiken ein. Wir brauchten für die WASCOSA schlicht mehr Finanzkraft, um als KMU in diesem Markt bestehen zu können. Diese starken Finanzpartner haben wir mit Swiss Life und Vauban gefunden.
Welche anderen Lösungen lagen noch auf dem Tisch?
Zuerst zogen wir eine Minderheitsbeteiligung von Drittaktionären in Betracht. Allerdings ergab das keine optimale Lösung für die Beteiligten. Der Verkauf an einen Konkurrenten stand nie zur Debatte. Schliesslich erwies sich die langfristige Zusammenarbeit mit einem starken Finanzpartner als die zukunftsfähigste.
«Die WASCOSA hat sich von einem kleinen, unbekannten Vermietunternehmen durch Innovation, Kundennähe und Agilität zu einem europaweit erfolgreichen Anbieter von Güterwagensystemen etabliert.»
Welche Erfahrungen aus der Vergangenheit werden die Zukunft des Unternehmens prägen?
Die WASCOSA hat sich von einem kleinen, unbekannten Vermietunternehmen durch Innovation, Kundennähe und Agilität zu einem europaweit erfolgreichen Anbieter von Güterwagensystemen etabliert. Diese letztere Position wollen wir beibehalten. Ein Beispiel für unsere Innovationskraft: Aktuell zeigt sich ein starker Trend zu modularen Güterwagenkonzepten. Solche haben wir schon vor 15 Jahren eingeführt. Jetzt, wo sich der Trend durchsetzt, sind wir für den Markt bereit. In den letzten 60 Jahren unseres Unternehmens hat eine kompromisslose Kundenorientierung den Unterschied im Tagesgeschäft gemacht. Auch das soll so bleiben. Es ist im Interesse der neuen Eigentümer, dass die WASCOSA im Kern das bleibt, was es immer war: ein innovatives und kundenorientiertes Unternehmen.
Wie werden Sie diesen Changeprozess meistern?
Die Beteiligung von Swiss Life und Vauban als Drittaktionäre hat sich aus einem intensiven Strategieprozess mit rund 15 Mitarbeitenden abgeleitet. Nachdem der Entscheid gefallen war, führten wir das neue Aktionariat im Rahmen einer Tagesveranstaltung im Unternehmen ein. Über den gesamten Strategieprozess hinweg wollten wir Unsicherheit, Misstrauen und falsche Vermutungen von Management und Mitarbeitenden vermeiden. Das ist uns gelungen und wir setzen alles daran, dass uns das auch unter der neuen Eigentümerschaft gelingt. CEO Peter Balzer und ich werden nach wie vor im Verwaltungsrat vertreten sein. Das ist eine starke Botschaft im Hinblick auf die Kontinuität und die Zukunft der WASCOSA.
«Die DAK ist ein Schlüsselprojekt mit einem enormen Potenzial, das den Güterwagenverkehr vorwärtsbringt.»
Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf im Schienengüterverkehr?
Da gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte. Wir brauchen ausreichend Kapazitäten auf dem Netz, also mehr Trassen. Zudem sollten länderspezifische Hemmnisse abgebaut werden. Und schliesslich ist der Schienengüterverkehr auf eine gezielte finanzielle Förderung angewiesen, um Innovationen ins Rollen zu bringen, zum Beispiel die digitale automatische Kupplung (DAK).
Apropos DAK: Was meinen Sie dazu?
Sie ist ein Schlüsselprojekt mit einem enormen Potenzial, das den Güterwagenverkehr vorwärtsbringt. Allerdings haben wir wenig Einfluss auf dieses hochpolitische Thema. Seit einigen Jahren beschäftigen wir uns mit der Elektrifizierung der Güterwagen. Hier gibt uns die DAK natürlich zusätzlichen Auftrieb.
Wird der echte Mehrwert der DAK von der Branche erkannt?
Unsere Branche ist nicht allzu innovationsfreudig und auch nicht sehr zukunftsorientiert. Die Automatisierung des Kuppelns durch die DAK ist angekommen. Bei ihrem Potenzial für die Digitalisierung bin ich mir nicht so sicher. Wie immer braucht es vermutlich zuerst jemanden, der als Vorreiter vorangeht und die Effizienzsteigerung klarmacht.
Sie haben sich jahrelang im Geschäftsleitenden Ausschuss (GLA) des VAP engagiert. Wie beschreiben Sie die Arbeit des VAP?
Der VAP zeichnet sich durch eine hohe Kompetenz und ein angenehmes Zusammenarbeitsverhältnis aus. Die Tätigkeit des Verbands ist von der Sache geprägt und nicht vom Ego einzelner Personen. Der VAP hält in einigen Bereichen die Themenführerschaft. Das zeigt sich an der hohen in- und ausländischen Beteiligung bei Veranstaltungen wie den Foren. Dieses Interesse beweist, dass der VAP politische, wirtschaftliche oder rechtliche Themen proaktiv und konstruktiv aufgreift. Ich empfand das Zusammenkommen im GLA als sehr positiv. Im Dialog mit der SBB zeigt der Verband einen langen Atem. Hier steht der Personenverkehr an erster Stelle, dann die Infrastruktur, dann die Immobilien und erst dann der Schienengüterverkehr. Umso wichtiger ist es, dranzublieben. Die Geduld und konstante Mitarbeit des Teams von Frank Furrer zeichnen sich aus.
Welche Stärken schreiben Sie dem VAP zu?
Zu den Hauptstärken zählt die hohe Anzahl von Verladern unter den Mitgliedern. Der VAP vernetzt alle Akteure des Güterverkehrs. Zudem bietet er der Branche der verladenden Wirtschaft eine höchst interessante und relevante Plattform. Ich meine, dass man nur dann erfolgreiche Politik machen kann, wenn man alle Interessen vertritt.
Wie hat der VAP Sie und Ihre WASCOSA unterstützt?
Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem VAP gemacht. Er hat uns sogar bis vor Bundesgericht kompetent und mit Erfolg unterstützt.
Was wünschen Sie sich zusätzlich vom VAP?
Dass er medial mehr in Erscheinung tritt. Der VAP könnte prominenter als meinungsführender Experte für den Schienenverkehr auftreten und damit an Bekanntheit auch in der Öffentlichkeit zulegen, so wie der TCS oder ASTAG.
Wem würden Sie eine Zusammenarbeit mit dem VAP empfehlen?
Allen, die sich für den Schienengüterverkehr interessieren. Dabei denke ich vor allem an Verbände von anderen Verkehrsträgern. Es geht schon lange nicht mehr nur um Schiene versus Strasse, sondern um eine sinnvolle multimodale Ko-Existenz.
Was kam in diesem Gespräch noch nicht zur Sprache?
Das Thema Nachhaltigkeit. Der Schienengüterverkehr gehört zu den wichtigsten Treibern und Trägern eines nachhaltigen Transports. Das war übrigens auch einer der Beweggründe, warum ich vor 30 Jahren bei der WASCOSA die Nachfolge meines Schwiegervaters angetreten habe.
Herr Müller, vielen Dank für das interessante Gespräch.
TR Trans Rail AG – eine multimodale Erfolgsgeschichte
Wir vom VAP engagieren uns für einen wettbewerbsfähigen Schienengüterverkehr. Inzwischen fahren mehrere private EVU und VAP-Mitglieder wichtige Transporte. Gerne stellen wir diese und ihre Kernkompetenzen vor. Den Anfang machen wir mit der TR Trans Rail AG.
Zwischen Mitte September und Ende Dezember ist Erntezeit für Zuckerrüben – eine multimodale, logistische Herausforderung für alle Beteiligten. Dabei spielt die Bahn insbesondere auf mittleren und längeren Strecken ihre Stärken aus und liefert grosse Mengen verlässlich und pünktlich zu den beiden Werken Aarberg und Frauenfeld.
Als langjähriger Logistikpartner von Schweizer Zucker AG erreichen die Cargo-Transporte von TR Trans Rail AG jeweils im letzten Quartal des Jahres einen Höhepunkt. Für den Transport zu den Zuckerfabriken wird während dieser Zeit ein komplexes Logistikprojekt hochgefahren. An den Verladestellen werden die Bahnwagen von den Bauern beladen und anschliessend mit der Bahn transportiert. Seit der Saison 2021 ist TR Trans Rail AG im Bereich der Bahntransporte der alleinige nationale Logistikpartner von Schweizer Zucker AG, ein weiterer Meilenstein in deren Unternehmensgeschichte.
Dank den Erfahrungen der letzten Saisons, einer minutiösen Planung gepaart mit einer hohen Flexibilität, werden die Aufträge reibungslos abgewickelt. Wenn sich zum Beispiel Trockenheit oder viröse Vergilbung negativ auf Ertrag und Zuckergehalt auswirken, müssen verschiedene Züge kurzfristig umgeleitet werden. Nur mit der Flexibilität aller Beteiligten ist es möglich, die Auslastung der beiden Werke zu optimieren.
Kurz vor Weihnachten 2021 erreichte die letzte Ladung Rüben die Frauenfelder Zuckerfabrik. 100 Tage lang transportierte TR Trans Rail AG mit über 500 Zügen rund 555’000 Tonnen Rüben zu den Zuckerfabriken in Aarberg und Frauenfeld.
«Der Transport auf der Schiene sowie die Zusammenarbeit mit den beteiligten Partnern funktionierte meist reibungslos. Dank den Schienentransporten konnten rund 90’000 Strassenkilometer eingespart werden. Das entspricht etwa einer Distanz von zwei Erdumrundungen» erklärt Peter Koch, Verantwortlicher für die Zuckerrübentransporte Ost.
TR Trans Rail AG setzt auf den VAP, wenn es um übergreifendes Knowhow im Schienengüterverkehr geht.
André Pellet: Um unsere Kunden bei der Suche nach neuen Transportlösungen für ihre Wagenladungen zu unterstützen, wollten wir mehr über deren Bedürfnisse, Möglichkeiten, aber auch Hürden kennenlernen. Ein Geschäftspartner hat uns daher empfohlen, uns an den VAP, der uns schon bekannt war, zu wenden. Der Kontakt war schnell hergestellt und die Zusammenarbeit startete rasch und unkompliziert
Was würden Sie einem Kollegen über den VAP sagen?
Der VAP ist eine überaus nützliche Plattform für die verlandende Wirtschaft. Denn nur gemeinsam können die dringenden Themen des Güterverkehrs auf der Schiene angegangen werden.
Das Güterbahnsystem ist äusserst komplex und daher sehr anspruchsvoll. Jeder Kunde oder Anbieter hat unterschiedliche Bedürfnisse. Aber nur die ganze Einheit, gebündelt in einem Verband, hat die Chance die Herausforderungen zu meistern.
Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf, um den Schienengüterverkehr zu fördern?
Der verkehrspolitische Rahmen muss für die Güterbahnen stimmen. Die straff organisierte Organisation Eisenbahn darf die Flexibilität zu guten Transportlösungen nicht hindern und der Aufwand muss in einem wirtschaftlichen Mass bleiben. Die immer schlanker werdende Infrastruktur darf uns nicht weiter einschränken.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Schienengüterverkehrs in der Schweiz?
Die Eisenbahn sollte vermehrt als Einheit gegenüber der Strasse auftreten. Die verschiedenen Dienstleister und privaten Eisenbahnunternehmen haben unterschiedliche Möglichkeiten und jeder könnte etwas zur Umsetzung und Abwicklung von Transporten beitragen. Die Bahnen sollten sich nicht als Konkurrenten sehen, sondern die einzelnen Stärken einbringen und so gesamtheitliche sowie kundengerechte Lösungen anbieten.
Vielen Dank für Ihre Antworten, André Pellet!
Infos zur TR Trans Rail AG: Als schweizerisches Eisenbahnverkehrsunternehmen bietet TR Trans Rail mit verschiedenen in- und ausländischen Partnern eine breite Angebots- und Dienstleistungspalette an. Dank langjähriger Erfahrung sind sie Spezialisten in den Bereichen Güterverkehr, modernen Dienstleistungen, Zugnostalgie, Gruppen-Charterfahrten, begleiteten Reisen und themenbezogenen Eventfahrten. |
Im Gespräch: Matthias Grieder
VAP: Herr Grieder, wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit dem VAP aus?
Matthias Grieder: Wir haben regelmässig mit Generalsekretär Frank Furrer zu tun. Zum Beispiel ist er Vertreter der Gleis-Genossenschaft Ristet-Bergermoos und hat diese bei einem gemeinsamen Entwicklungsprojekt für dieses Industriegebiet auf dem Gemeindegebiet von Urdorf und Birmensdorf repräsentiert. Zudem hat er bei der Erarbeitung der Teilrevision 2022 des kantonalen Richtplans mitgewirkt und arbeitet immer wieder in verschiedenen logistikbezogenen Arbeitsgruppen mit. Frank Furrer bringt sowohl die Perspektive der Anschlussgleisbesitzer als auch die nationale Gesamtsicht einer multimodalen Logistik ein. Er unterstützt uns mit seinem enormen Fachwissen und seinem weitläufigen fachpolitischen Netzwerk. Ich empfinde diese Zusammenarbeit als sehr angenehm und fruchtbar.
Wo sehen Sie den dringlichsten Handlungsbedarf für den Schienengüterverkehr?
Die wichtigste und gleichzeitig schwierigste Aufgabe ist meines Erachtens die Sicherung der Umschlagflächen Bahn/Strasse in urbanen Gebieten. Dazu ein Beispiel: Da, wo heute hinter dem Hauptbahnhof Zürich die «Europaallee» steht, war früher ein Postverteilzentrum mit zehn Gleisen. Mit der Neuentwicklung des Areals gingen die gesamte Versorgungsinfrastruktur sowie grosse Logistikflächen verloren, die für die Sicherstellung der zukünftigen Ver- und Entsorgung der Stadt Zürich wichtig gewesen wären. Güterverkehr und Logistikeinrichtungen ziehen aus der Stadt hinaus und werden zunehmend ins Mittelland verdrängt. Diese Verteilcenter sind oft nicht bahngerecht erschlossen. Deswegen fahren immer mehr Last- und Lieferwagen von dort in die Stadt, was den Staugürtel rund um die Agglomerationen zusätzlich belastet.
Das Raumplanungsgesetz verlangt zudem verdichtetes Bauen in den bestehenden Siedlungsgebieten. Der Mehrverkehr durch das Bevölkerungswachstum muss auf den bestehenden Verkehrsflächen abgewickelt werden. Also müssen diese Flächen effizienter genutzt werden und man muss auch Flächen für Ver- und Entsorgung zur Verfügung stellen. Je dichter man baut, desto wichtiger wird zudem eine attraktive Aussenraumgestaltung. Eine ebenerdige Versorgung beeinträchtigt diese Attraktivität. Deshalb ist es wichtig, auch dafür schon früh in der Arealplanung zu prüfen, wie sich oberirdische Bereiche vom Anlieferungsverkehr entlasten und Anlieferung sowie Entsorgung in Unterfluranlagen integrieren lassen. Gute Beispiele für derartige Lösungen sind der neue Circle am Flughafen Zürich oder das Einkaufszentrum Sihlcity.
Wie sieht die Situation bei den Anschlussgleisen aus?
Hier zeigt sich eine ähnliche Problematik. Anschlussgleise und Weichen werden laufend zurückgebaut und deren Bedienung wird reduziert. So entsteht eine Abwärtsspirale: weniger Gleise, weniger Bahntransportvolumen, weniger Bahnverlad, weniger Einzelwagenladungen, weniger bedürfnisorientierte Bahnangebote. Das bedeutet auf der anderen Seite mehr Strassentransport, mehr Stau, mehr Lärm und mehr CO2. Langfristig muss sich dieser Trend wieder umkehren.
Wie könnte man das Problem lösen?
Wir brauchen Lösungen, die Sendungen noch stärker bündeln und effizient durch den Staugürtel in die Zentren bringen. Ansätze, um den Stau zu umfahren oder zu unterfahren. Zudem benötigen wir Angebotskonzepte für eine schnelle und direkte Bedienung. Und wir brauchen bessere finanzielle Anreize, die die Bahn stärken und den Einzelwagenladungsverkehr nicht schwinden lassen. Die Bahn hat hier mit ihren ausgezeichneten Infrastrukturen eine grosse Chance und kann diese Aufgabe wahrnehmen. Aber auch neue innovative Verkehrsträger wie zum Beispiel das digitale Gesamtlogistiksystem Cargo Sous Terrain (CST) können grosse Mengen transportieren, ohne den Strassenverkehr zusätzlich zu belasten. Alle diese Systeme können über gemeinsame digitale Plattformen verknüpft und noch effizienter gemacht werden.
Wie entstehen solche Lösungen?
Nur, wenn alle Parteien komplett umdenken und partnerschaftlich kooperieren. Leider kalkuliert heute jeder Betrieb isoliert für sich und ist auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet. Die Bahn konzentriert sich auf den ertragsreichen Ganzzugverkehr und vernachlässigt den aufwendigen Einzelwagenverkehr, der wesentlich zu einer Umlagerung vor der Strasse auf die Schiene beitragen kann. Strassentransporteure richten den Fuhrpark auf die kostengünstigste Produktion, in der Regel mit kleineren Fahrzeugen, aus und optimieren ihre Touren innerbetrieblich. Dies, obwohl sich durch Kooperationen mit Mitbewerbern Fahrzeugkilometer reduzieren liessen. Auch Immobilienstrategien oder ‑konzepte sowohl privater Grundeigentümer als auch der öffentlichen Hand lassen innovative Lösungen für eine vertikale Nutzungsgliederung nicht zu und verhindern damit Lösungen für eine flächensparende und effiziente Ver- und Entsorgung im urbanen Raum.
Eine vernetzt denkende Sichtweise fehlt in der Wirtschaft, in der Politik, in den Verwaltungen und auch in der Ausbildung von Verkehrs- und Raumplanern.
Hat die Pandemie denn kein Umdenken angestossen?
Doch, Covid-19 hat die Relevanz einer funktionierenden Versorgung stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt. Das Thema Güterverkehr und Logistik hat stark an Bedeutung gewonnen. Auf Fachebene beschäftigte man sich schon lange vor der Pandemie mit diesen komplexen Zusammenhängen und auch in der Politik rückt die Thematik mehr und mehr ins Bewusstsein. Wir versuchen immer wieder auf diese Zusammenhänge aufmerksam zu machen. Manchmal sogar mit Erfolg, wie zum Beispiel beim Einkaufszentrum Sihlcity auf dem Areal der ehemaligen «Zürcher Papierfabrik an der Sihl» in Zürich-Wiedikon. Die Planer haben die Ver- und Entsorgung hier ins Untergeschoss gleich neben der Garagenzufahrt integriert. Von dort aus wird vertikal nach oben feinverteilt. Genau in diese Richtung müssen wir bei Arealplanungen denken: weg von Kuchenstücken, hin zu Tortenschichten. So wird eine kombinierte Nutzung von städtischen oder stadtnahen Flächen möglich.
Wie lassen sich Umschlagflächen und ‑standorte langfristig sicherstellen?
Logistikflächen im urbanen Raum sind rar, neue wird es kaum geben. Die öffentliche Hand versucht, bestehende Umschlagflächen über Richtplaneinträge zu sichern. Allerdings sind diese planerischen Vorgaben nicht grundeigentümerverbindlich. Zu einer Flächensicherung, zu der auch private Grundeigentümer verpflichtet sind, käme man nur über eine entsprechende Zonenordnung oder durch einen vermehrten Kauf der entsprechenden Grundstücke durch die Kantone und Städte. Diese streben längerfristige Zielsetzungen mit einem weiteren Planungshorizont wie die Sicherstellung der Güterver- und ‑entsorgung an und sind nicht so renditegetrieben.
Wie könnte man die Wirtschaft bei der Erstellung von Raumplanungskonzepten stärker einbinden?
Der Einbezug der Wirtschaftsakteure bei der Entwicklung von Arealen ist zentral für die Zukunft des Güterverkehrs. Immerhin müssen diese eine Arealentwicklung umsetzen. Beim Kanton Zürich binden wir die Wirtschaftsvertreter im Rahmen von Arbeitsgruppen bereits in der Analysephase ein, obwohl wir als Kanton keinen gesetzlichen Auftrag für die Güterverkehrsplanung haben, sondern nur beratend und unterstützend wirken. Im Kanton Zürich haben wir einen Leitfaden für die Entwicklung des Güterverkehrs in einem kantonalen Güterverkehrs- und Logistikkonzept festgehalten. Da nehmen wir sicherlich eine Vorreiterrolle ein. Doch auch andere Kantone wie Aargau, Bern, Waadt oder Basel-Stadt agieren fortschrittlich. Durch den regelmässigen Austausch über die SBB Cargo Plattform und die Güterverkehrsgruppe des Schweizerischen Städteverbands lernen wir voneinander.
Wie sieht Ihrer Ansicht nach eine optimale Auslastung der Infrastruktur durch Personen- und Güterverkehr aus?
Ich meine, dass man den aktuellen Ansatz mit separaten Trassen für Personen- und Güterverkehr im Netznutzungskonzept weiterverfolgen und optimieren sollte. Einer flexiblen Trassenzuteilung stehe ich eher skeptisch gegenüber, denn der Güterverkehr könnte dabei wörtlich unter die Räder kommen. Der Bedarf an Infrastrukturausbauten ist erkannt, was der Ausbauschritt 2040 zeigt.
Wo sehen Sie bei der Infrastruktur die grössten Aufgaben?
Bei der Weiterentwicklung der Infrastruktur muss man auf die speziellen Bedürfnisse des Güterverkehrs eingehen. Der Knoten Zürich Vorbahnhof ist schon heute vollkommen überlastet und der Schienenverkehr im Raum Zürich wird weiter zunehmen. Es müssen daher Umfahrungsmöglichkeiten geschaffen werden wie der Gütertunnel vom Rangierbahnhof Limmattal ins Furttal und weiter Richtung Ostschweiz. Auch Schienengütertransporte, die aus dem Mittelland kommen und Richtung Knonauer Amt weiterfahren möchten, müssen im Vorbahnhof Zürich mit einer Spitzkehre wenden. Das belastet die Infrastruktur mehrfach zusätzlich. Hier braucht es «Abkürzungen», um Brennpunkte zu umfahren. Zum Beispiel könnte man den Rangierbahnhof Limmattal über das Knonauer Amt direkt Richtung Zug und Luzern anschliessen. Solche Vorhaben sind natürlich enorm teuer und nur langfristig umsetzbar. Trotzdem müssen bereits heute die planerischen Weichen dafür gestellt werden.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Schweizer Schienengüterverkehrs?
Ich hoffe sehr, dass die Chancen der Bahn für eine Verlagerung des Verkehrs von der Strasse auf die Schiene auch im nationalen Verkehr genutzt werden. Dazu braucht es eine Trendwende mit rascheren und effizienteren Angebotskonzepten besonders auch im Einzelwagenladungsverkehr. Hier sind innovative Angebotskonzepte gefragt, die bedarfsgerecht und effizient sind.
Die da wären?
Die Digitalisierung bietet Opportunitäten, die im Schienengüterverkehr derzeit noch ungenutzt bleiben. Zum Beispiel wissen die Güterbahnen über digitale Codes genau, wann, wo und wie lange ihre Ware steht. Dieses Wissen sollten sie ihren Kunden in Form einer Sendungsverfolgung über die gesamte Transportkette hinweg vom Sender bis zum Empfänger zur Verfügung stellen. Das würde ihre Attraktivität markant steigern.
Digitalisierung und Automatisierung sind ebenfalls entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der Güterbahn. Natürlich sind kurze Distanzen von wenigen Kilometern, wie wir sie in der Schweiz häufig antreffen, wenig bahngerecht. Aber wenn man gewisse Prozesse automatisiert – etwa mit der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) oder durch ein automatisiertes Umladen von Wechselbehältern –, liesse sich die Effizienz deutlich steigern. Solche Lösungen müssten Privatwagenbesitzer implementieren, um ihre Flotte rentabler zu halten und Laufzeiten zu verkürzen.
Warum tut sich die Güterbahn so schwer mit der Wettbewerbsfähigkeit?
Das ist eine schwierige Frage. Man müsste sehr sorgfältig analysieren, warum der Schienengüterverkehr so wenig wettbewerbsfähig ist und welche Massnahmen für attraktivere Angebote oder niedrigere Kosten greifen. Eine solche Studie könnte eine Aufgabe des VAP sein.
Apropos VAP: Was könnten wir besser machen?
Ich kenne Frank Furrer und ich weiss, wie das VAP-Logo aussieht. Aber als Gesamtorganisation nehme ich den VAP kaum wahr. Hier sehe ich Optimierungspotenzial. Zudem werde ich immer wieder zu interessanten und gehaltvollen Anlässen eingeladen. Doch für uns Verwaltungsangestellte ist der administrative Aufwand für die Bewilligung eines kostenpflichtigen Events so gross, dass wir oft auf eine Teilnahme verzichten. Das ist eigentlich schade.
Wem würden Sie eine Zusammenarbeit mit dem VAP empfehlen?
Allen Kantonen und Gemeinden der Schweiz. Für die Verwaltungen ist der VAP ein Kompetenzpartner und Informant, der den Know-how-Transfer unterstützt; gerade auch dank seiner nationalen Gesamtsicht. Für Anschlussgleisbesitzer stellt der VAP einen wichtigen Interessensvertreter dar, der sich für den Ausbau des Bahnangebots, den Erhalt der Anlagen und die Flächensicherung engagiert.
Herr Grieder, herzlichen Dank für das Gespräch.
Zur Person Matthias Grieder ist ausgebildeter Raum- und Verkehrsplaner und seit vier Jahren Projektleiter für den Bereich Güterverkehr und Logistik beim Amt für Mobilität des Kantons Zürich. |
Datenplattformen: Bessere Kooperation, mehr Wettbewerb
Unsere Aufmerksamkeit im Year of Rail 2021 gilt unter anderem den Entwicklungen sogenannter Datenplattformen in Deutschland. Bereits 2022 soll eine erste neutrale Datenplattform für den kombinierten Verkehr live gehen. Beteiligt sollen alle Akteure des kombinierten Verkehrs (KV) werden. Das Projekt wird vom deutschen Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) unterstützt.
Öffnung für alle Anbieter angestrebt
Unter der Ägide des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) befindet sich eine vergleichbare Plattform für den Wagenladungsverkehr im Aufbau. Unterstützung für dieses Projekt findet der VDV beim Verband der Chemischen Industrie Deutschlands (VCI). Auch dieser scheint angesichts der Entwicklungen des Wagenladungsverkehrs in Deutschland von der Leistungsfähigkeit des grössten Anbieters nicht mehr überzeugt zu sein. Genau wie wir strebt auch der VCI keine Subventionen an, sondern sieht die Lösung in der Öffnung der Rangier- und Knotenbahnhöfe für alle Anbieter. Nur so wird ein stärkerer Wettbewerb auch im Wagenladungsverkehr möglich. Mit einer neutralen Datenplattform liesse sich ein marktwirtschaftlich offenes Netzwerk deutlich besser und schneller auslasten.
Gartendenken ade
Die Trennung der Bahnverkehre in KV und konventionelle Verkehre war noch nie wirklich nachvollziehbar. Gartendenken ist kontraproduktiv und verkompliziert das Gesamtsystem. Getrennte Buchungsplattformen sind ein Indiz dafür, dass im Mittelpunkt nicht ein Gesamtsystem mit einem Gesamtnutzen für die ganze Güterbahnwirtschaft steht. Ein nachhaltiger, konkurrenzfähiger und endkundenorientierter (Schienen-)Güterverkehr kann nur im Zusammenspiel aller Akteure erfolgen.
Darum setzen wir uns intensiv mit der Idee einer Plattform für den Güterbahnverkehr auseinander. Dabei stehen wir im engen Kontakt mit dem VDV und dessen Partnerunternehmen einer Plattform für einen grenzüberschreitenden KV. Denn wir sind überzeugt, dass nur europaweit kompatible Plattformen erfolgreich sein werden.
Automatisierung des Wagenladungsverkehrs im Fokus
Im Year of Rail 2021 steht die Modernisierung durch eine Automatisierung des Wagenladungsverkehrs ganz oben auf unserer Agenda. Unsere Kooperation mit dem Bundesamt für Verkehr (BAV) und dem Verband öffentlicher Verkehr (VöV) für ein gemeinsames Vorgehen bei der Automatisierung im Schienengüterverkehr schreitet planmässig voran. Im Mittelpunkt steht unter anderem die Digitale Automatische Kupplung (DAK). Demnächst werden die Details der gemeinsamen Aufgaben in Abstimmung mit den Güterbahnen, Wagen- und Lokbetreibern sowie Verladern festgelegt, damit schon bald konkrete Fortschritte zu sehen sind.
Modellevaluation läuft
Parallel dazu läuft auf europäischer Ebene die Evaluation der verschiedenen Modelle der DAK. Den Entscheid für ein bestimmtes System erwarten wir im Herbst. Im Anschluss dürfte der entsprechende Umsetzungsplan auf EU-Ebene vorgelegt werden. Mit anderen Worten: Die DAK und damit die Automatisierung im Schienengüterverkehr nehmen Gestalt an.
Förderung erforderlich
Die Modernisierung des Schienengüterverkehrs setzt eine klare politische und finanzielle Förderung voraus. Daher hat unser Präsident und Ständerat Josef Dittli mit der Motion 20.3221 «Durch Automatisation Güter auf der Schiene effizienter transportieren» den entsprechenden politischen Prozess ins Rollen gebracht. Mit der Annahme der Motion hat das Parlament den Bundesrat mit der Ausarbeitung eines Konzepts betraut.
Umsetzungskonzept angestrebt
Wir vom VAP werden deshalb gemeinsam mit BAV und VöV ein Konzept in Angriff nehmen und es zu gegebener Zeit dem Parlament zur Beratung übergeben. Dieses Konzept soll die technische Lösung, einen Transformationsplan sowie die Initialkosten mit den erwarteten Effizienzsteigerungen enthalten. Es wird Aufgabe des Parlaments sein, über die finanzielle Förderung und geeignete Rahmenbedingungen (Entschlackung der gesetzlichen Sicherheits- und Arbeitsvorschriften, Übernahme der europäischen Interoperabilitätsvorschriften usw.) zu entscheiden.