INTEROPERABILITÄT
Der VAP setzt sich für die Interoperabilität ein. Das heisst die Harmonisierung der Rahmenbedingungen, damit Züge freizügig auf europäischen Schienennetzen verkehren können.
Der Schweizer Gütertransport kennt keine Grenzen. Viele unserer Mitglieder sind international tätig und bedienen den EU-Raum regelmässig. Damit wir Ihnen diesen Zugang zu einem interessanten Marktpotenzial auch in Zukunft gewähren können, engagieren wir uns auf internationalem Parkett.
- Die «International Union of Wagonkeepers» – kurz UIP – betreibt europäische Güterverkehrspolitik. Wir vom VAP haben die UIP 1950 gegründet und lassen seither die Schweizer Perspektive in Europa einfliessen.
- Die «European Rail Freight Association» bringt ihr Ziel auf den Punkt: «We deliver competition!» (Wir liefern Wettbewerbsfähigkeit!). Auch dieser Organisation sind wir eng verbunden und stellen ihren Vizepräsidenten.

Schwerer Schlag gegen den Schienengüterverkehr
Am 11. September 2025 hat das Bundesamt für Verkehr (BAV) als Antwort auf den SUST-Bericht zusätzliche Sicherheitsmassnahmen für den Schienengüterverkehr der Schweiz verordnet. Die Massnahmen sind einschneidend und erschüttern den Schienengüterverkehr in seinen Grundfesten. Die Politik ist aufgefordert, rasch zu reagieren und den Niedergang des Schienengüterverkehrs unverzüglich zu stoppen.
Darum geht’s:
- Massnahmen mit fatalen Folgen – trotz konstruktiver Vorschläge des VAP
- Klima- und verkehrspolitische Ziele infrage gestellt
- Vorgängige Appelle der Branche verpuffen ungehört
- Massnahmen sind in der vorgegebenen Frist nicht umsetzbar
- SBB doppelt nach
- Niedergang des Schienengüterverkehrs schreitet voran
Massnahmen mit fatalen Folgen – trotz konstruktiver Vorschläge des VAP
Im Rahmen der beiden Runden Tische zur Erarbeitung von Massnahmen für mehr Sicherheit im Schienengüterverkehr haben die Mitglieder des Verbands der verladenden Wirtschaft (VAP) konstruktive Vorschläge unterbreitet. Damit wollen sie die bereits heute sehr hohe Sicherheit im Schienengüterverkehr mit verhältnismässigen und ausgewogenen Massnahmen erhöhen und gleichzeitig die Branche nicht schwächen. Doch genau Letzteres ist nun geschehen: Die veränderten Rahmenbedingungen verschlechtern die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn und führen ohne einen zusätzlichen Sicherheitsgewinn zu Rückverlagerungen auf die Strasse. Vor allem aber ist die Branche über die unverhältnismässigen Massnahmen und die zeitlichen Vorgaben konsterniert. Die Massnahmen sind in der vorgesehenen Frist nicht umsetzbar.
Klima- und verkehrspolitische Ziele infrage gestellt
Die Gangart des BAV erstaunt. Denn sowohl das Parlament als auch die Bevölkerung haben dem Schienengüterverkehr in den letzten Jahren immer wieder den Rücken gestärkt. So gibt es für die Verkehrsverlagerung im alpenquerenden Transit einen Verfassungsauftrag. Und auch den inländischen Schienengüterverkehr hat das Parlament mit der Revision des Gütertransportgesetzes (GüTG) wiederholt gefördert. Zudem ist unbestritten, dass es einen leistungsstarken Schienengüterverkehr braucht, wenn die Schweiz das Netto-Null-Ziels bis 2050 erreichen will. Letztlich zeigt auch das Nein der Bevölkerung zum Autobahnausbau, wie zentral die Verlagerung von Gütern auf die Schiene zur Entlastung der Strasse ist – und bleibt. Mit den vom BAV verordneten Verschärfungen rücken diese Ziele in immer weitere Ferne.
Vorgängige Appelle der Branche verpuffen ungehört
Die verladende Wirtschaft hat das BAV vor dessen Entscheid in einem Schreiben nachdrücklich darauf hingewiesen, wie zentral der Schienengüterverkehr für die Wirtschaft ist und dass der Gesetzgeber neue Massnahmen mit Augenmass erlassen muss. Das Schreiben wies auf drohende wirtschaftliche Verwerfungen und die Gefährdung der Landesversorgung hin. Dass diese Warnrufe beim BAV ungehört verhallten, ist nicht nachvollziehbar und wirft Fragen auf.
Massnahmen sind in der vorgegebenen Frist nicht umsetzbar
Für branchenweites Stirnrunzeln sorgt auch die äusserst kurze Frist bis zur Umsetzung der Massnahmen. Diese sollen ab dem 1. Januar 2026 in Kraft treten. Das ist aus praktischen Gründen unrealistisch und ist für die Branche nicht nachvollziehbar. Das BAV schiebt die scheinbare Lösung der angeblichen Sicherheitsprobleme auf die Wagenhalter ab, ohne die Thematik technisch oder wirtschaftlich ausreichend zu würdigen. Und das, obwohl das BAV von den Branchenakteuren darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass die Kapazitäten der Werkstätten für die Instandhaltung von Güterwagen schon heute begrenzt sind. Die Konsequenzen daraus fanden in der Verordnung keine Berücksichtigung. Auch wurden zu den beschlossenen Massnahmen vorgängig keine Folgenabschätzungen (Impact Assessments) durchgeführt, etwas, das in der Europäischen Union bei staatlichen Eingriffen wie demjenigen des BAV Normalität ist. Und letztlich sorgt das BAV mit seinen Massnahmen dafür, dass die in Vergangenheit getätigten Investitionen in die Erhöhung der Sicherheit infrage gestellt werden und den zukünftigen Anreiz, dies zu tun, faktisch eliminieren.
SBB doppelt nach
Die postwendende und euphorische Stellungnahme der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) auf die Kommunikation des BAV erstaunt insbesondere auch deshalb, weil sie darin zum wiederholten Mal unter dem Vorwand von mehr Sicherheit – die nächste Forderung nach einer Haftungsbeteiligung der Wagenhalter platziert. Letztere hat das Parlament Ende 2024 eben erst abgelehnt.
Gerade auch vor dem Hintergrund der weitgehenden Einstellung der wichtigen Zugskontrolle vor der Abfahrt durch die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) stellt sich die Frage, weshalb das BAV sowohl SBB Cargo als auch die anderen EVU bei den Massnahmen fast vollständig aus der Verantwortung entlässt.
Niedergang des Schienengüterverkehrs schreitet voran
Der Schienengüterverkehr gehört zu den sichersten Verkehrsträgern. Die vom VAP vorgeschlagenen und in Absprache mit europäischen Expertengremien entwickelten Massnahmen für Sicherheit auf der Schiene hat das BAV übergangen. Stattdessen hat es Massnahmen verordnet, die die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene empfindlich senken. Dieser Feldzug trifft den Schienengüterverkehr in einer Situation, in der die Güterbahnvolumen praktisch ausnahmslos zurückgehen. Undenkbar, dass das im Sinne von Politik und Bevölkerung geschieht. Die Branchenakteure hoffen, dass Politik und Verwaltung zumindest diesen Weckruf nicht ungehört verhallen lassen. Ansonsten besteht die ernsthafte Gefahr, dass es den Schienengüterverkehr bald nur noch als Modelleisenbahn oder im Verkehrshaus gibt.




BAV-Massnahmen stellen Schienengüterverkehr infrage
Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hat am 11. September 2025 die angekündigten Massnahmen zur Erhöhung der Sicherheit im Schienengüterverkehr konkretisiert. Damit reagiert die Bundesbehörde auf den Bericht der Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) zum Unfall im Gotthardbasistunnel. Gemäss BFS ist mit den Massnahmen unverzüglich zu beginnen und sie müssen bis spätestens 31. Dezember 2025 umgesetzt sein. Sie erschüttern den Schienengüterverkehr in seinen Grundfesten und die damit einhergehenden Mehrkosten sind vor allem für die Wagenhalter enorm. Zudem ist weder für die Wagenhalter noch für die Werkstätten klar, wie sie diese Massnahmen in so kurzer Zeit umsetzen sollen. Kurzfristig drohen wirtschaftliche Verwerfungen, mittelfristig wird die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Schienengüterverkehrs massiv gesenkt.
Darum geht’s:
- Sicherheit hat höchste Priorität
- Verhältnismässigkeit, Tragbarkeit und Umsetzbarkeit bleiben auf der Strecke
- Kapazitätsengpässe in der Wirtschaft dürften gravierend sein
- Umsetzung setzt grosse Fragezeichen
- Europäische Interoperabilität wird unterwandert
- Lasten ungleich auf die Marktakteure verteilt
- Weichenstellung mit Langzeitfolgen
Sicherheit hat höchste Priorität
Am 11. September 2025 hat das BAV die konkreten Massnahmen als Reaktion auf den SUST-Bericht kommuniziert. Dies geschah, nachdem das BAV nach der Publikation des SUST-Berichts zwei Runde Tische mit Branchenvertretern einberufen hatte. Ziel dieses Dialogs war das Festlegen von Massnahmen, um die bereits hohe Sicherheit des Schienengüterverkehrs weiter zu verbessern. Gemäss BFS soll mit den Massnahmen unverzüglich begonnen werden und sie sollen bis spätestens 31. Dezember 2025 umgesetzt sein.
Sicherheit hat auch für die Mitglieder des VAP allerhöchste Priorität. Trotzdem ist es falsch und gefährlich, absolute Sicherheit zu suggerieren. Es gilt, den Nutzen von zusätzlichen und restriktiveren Massnahmen den Mehrkosten gegenüberzustellen und mit Augenmass zu entscheiden. Dabei ist festzuhalten, dass die vom BAV verordneten Massnahmen das Potenzial haben, die Sicherheit im gesamten Güterverkehr zu reduzieren. Dies, weil die Massnahmen und die damit einhergehenden horrenden Kosten mittelfristig zu einer Verlagerung der Gütertransporte von der Schiene auf die um ein Vielfaches gefährlichere Strasse führen werden.
Verhältnismässigkeit, Tragbarkeit und Umsetzbarkeit bleiben auf der Strecke
Der VAP sieht es als seine Aufgabe, die Massnahmen auf Verhältnismässigkeit, Tragbarkeit und Umsetzbarkeit für die Branche im Allgemeinen und die Wagenhalter im Besonderen zu beurteilen. Zudem sollen die Akteure des Schienengüterverkehrs die Kosten der Massnahmen möglichst zu gleichen Teilen tragen. Angesprochen sind hauptsächlich die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) in ihrer Rolle als Beförderer, die Wagenhalter und die Infrastrukturbetreiber. Nur wenn sie alle ihren Pflichten nachkommen, lässt sich das hohe Niveau an Sicherheit aufrechterhalten und verbessern. Denn nicht eine einzelne Massnahme, sondern deren Vielzahl und Zusammenspiel machen das Gesamtsystem sicher.
Kapazitätsengpässe in der Wirtschaft dürften gravierend sein
Mit den neuen Massnahmen nimmt das BAV die Wagenhalter im Vergleich zu anderen Akteuren überdurchschnittlich stark in die Pflicht. Insbesondere die substanzielle Senkung des Instandhaltungsintervalls wird die Verfügbarkeit von Güterwagen und die Wirtschaftlichkeit der Betriebe massiv beeinträchtigen. Denn die vom BAV verfügten Instandhaltungsintervalle werden zu einer äusserst starken, bisher noch nicht abschliessend quantifizierbaren Reduktion der Verfügbarkeit von Güterwagen führen. Dadurch führt diese Massnahme kurzfristig zu Engpässen bei der verladenden Wirtschaft, die das Potenzial haben, die Versorgungssicherheit im Land zu gefährden. Diese Thematik kam im Vorfeld und auch an den Runden Tischen oft zur Sprache, ist beim BAV jedoch überraschend wenig in die Entscheidungsfindung eingeflossen.
Mittelfristig werden die beschlossenen Massnahmen die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene gegenüber der Strasse weiter verschlechtern und die Verlagerung von der Schiene auf die Strasse stark beschleunigen. Und dies alles in einer Zeit, in der der Schienengüterverkehr bereits an vielen Fronten kräftig unter Druck steht. Diese Konsequenzen stehen im grossen Widerspruch zum Willen für mehr Schienengüterverkehr, der auch im Parlament mit der Verabschiedung des Gütertransportgesetzes einmal mehr zum Ausdruck gebracht wurde. Die vom BAV verordneten Massnahmen laufen diesem Willen zuwider.
Umsetzung setzt grosse Fragezeichen
Für den VAP ist heute nicht absehbar, wie die Massnahmen in der äusserst kurzen Frist bis zur Inkraftsetzung umgesetzt werden sollen. Denn schon heute fehlen den Instandhaltungsfirmen Kapazitäten, Ressourcen und Komponenten. Diese Situation wird sich als Folge der BAV-Massnahmen weiter verschärfen. Es ist zu befürchten, dass Güterwagen nicht nur öfter, sondern vor allem länger in den Instandhaltungsfirmen stehen, als bisher. Hinzu kommt, dass die Zahl der Leerwagentransporte zu und von den Werkstätten signifikant steigen wird. Auch dies werden vorerst vor allem die verladenden Betriebe spüren, da sie zum Transport derselben Gütermenge mehr Wagen beziehen müssen. Als Konsequenz daraus dürften sich mittelfristig mehr und mehr Verlader vom Schienengüterverkehr abwenden und ihre Güter auf der Strasse befördern.
Europäische Interoperabilität wird unterwandert
Da der Schienengüterverkehr europaweit integriert ist, machen die Auswirkungen der BAV-Massnahmen nicht an den Landesgrenzen halt. Wagenhalter ausserhalb der Schweiz können kaum feststellen, ob einer ihrer vermieteten Güterwagen Schweizer Gleise befährt, da die Kunden die verfügbaren Wagen im Sinne der Interoperabilität frei disponieren. Die vom BAV verordneten Massnahmen dürften dazu führen, dass die Wagenhalter den Schweizer Markt nicht mehr und wenn überhaupt mit eigens für die Schweiz gewarteten Flotten bedienen werden. Dies bedeutet ein weiterer administrativer Aufwand, der die Kosten in die Höhe treiben und die Attraktivität des Schienengüterverkehrs senken wird.
Lasten ungleich auf die Marktakteure verteilt
Die Wagenhalter müssen die Finanzierung der Kosten fast vollumfänglich allein tragen, unabhängig vom deutlich steigenden und bis heute nicht definierten zusätzlichen Organisationsaufwand. Weder den EVUs als Beförderer noch den Infrastrukturbetreibern hat das BAV ähnlich einschneidende Massnahmen auferlegt. Dies überrascht, denn es gibt keinen plausiblen Grund, sie weniger in die Pflicht zu nehmen als die Wagenhalter. Auch zu diesem Thema wurden an den Gesprächen der Runden Tische konkrete Massnahmen für beide Akteure aufgezeigt.
Wie für alle Beteiligten ist auch für den VAP klar, dass man nach einem Unfall wie demjenigen im Gotthardbasistunnel mit massiven – zum Glück nur finanziellen – Kosten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Es ist aber auch so, dass die Wagenhalter schon immer viel investiert haben und fortlaufend mehr in die Sicherheit ihrer Güterwagen investieren. Schon in Vergangenheit setzten sie jährlich wirksame Massnahmen im Umfang von 40 Mio. Euro um. Von Anfang an hat der VAP als Stimme der Wagenhalter Hand für Massnahmen geboten, die das bereits hohe Sicherheitsniveau der Schiene weiter erhöht und gleichzeitig der Verhältnismässigkeit, Tragbarkeit und Umsetzbarkeit Rechnung getragen hätten.
Weichenstellung mit Langzeitfolgen
Die Massnahmen sind für die verladende Wirtschaft einschneidend. Noch ist keine abschliessende Abschätzung der Folgen und Kosten für den Schienengüterverkehr möglich – zu komplex ist das System und zu kompliziert sind die verfügten Massnahmen. Klar ist jedoch schon heute, dass der Schienengüterverkehr wie wir ihn bis anhin kannten fundamental verändert wird.
Die höheren Kosten für die Instandhaltung und Zuführung zu Werkstätten müssen kurzfristig die Wagenhalter tragen. Mittelfristig jedoch wirken sich die Massnahmen äusserst negativ auf den Schienengüterverkehr aus. Denn wegen der steigenden Kosten werden weitere Unternehmen ihre Güter in Zukunft auf der Strasse statt auf der Schiene transportieren. Die Sicherheit ist damit nicht erhöht, im Gegenteil wird der Güterverkehr mit der höheren Unfallwahrscheinlichkeit beim Transport auf der Strasse insgesamt unsicherer.




Digitalisierung der Schiene behebt Nachteile und macht diese zukunftsfähig
Wie zukunftsfähig ist der Schienenverkehr tatsächlich? Kann er der Aufgabe der politisch angestrebten Verkehrsverlagerung gerecht werden? Wir meinen: Ja, sofern er grundlegend transformiert. Eine systemübergreifende Digitalisierung ist entscheidend, damit sich der Bahnsektor als nachhaltiger Träger mulimodaler Logistikketten etablieren kann.
Darum geht’s:
- Am Anfang war die Mobilität
- Für die Zukunft gut aufgestellt
- Sicherheit bringt wettbewerbshinderliche Nachteile
- Digitale Innovation und Investition gefragt
Am Anfang war die Mobilität
Der Bedarf nach Mobilität ist in der westlichen Industriegesellschaft über die letzten Jahrzehnte massiv gestiegen. Das hat den Konkurrenzkampf zwischen den Verkehrsträgern akzentuiert. Der motorisierte Individualverkehr und der Flugverkehr haben ihre Dominanz im Personentransport kontinuierlich ausgebaut. Im Gütertransport ist der Lastwagen zum wichtigsten Verkehrsträger aufgestiegen, nicht zuletzt dank wegweisender Innovationen. Obwohl der Schienenverkehr in Europa nur einen geringen Anteil des aktuellen Transportbedarfs abdeckt, ist er aus dem Angebot nicht wegzudenken. Müsste in der Schweiz die Strasse die Verkehrsleistung der Schiene übernehmen, so wäre das Chaos vorprogrammiert.
Für die Zukunft gut aufgestellt
Mobilität und Treibhausgasemissionen gehen Hand in Hand. So ist mit der Klimadiskussion der schonende Umgang mit Ressourcen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. In einigen europäischen Ländern und in der Schweiz setzt die Politik vermehrt auf die emissionsarme Bahn und strebt eine deutliche Verlagerung der Verkehre auf die Schiene an. Da stellt sich die Frage, wie gut der Bahn-sektor dieser Aufgabe gewachsen ist. Derzeit besticht die Schiene durch einige entscheidende Wettbewerbsvorteile:
- Schienenverkehr wird geplant und gesteuert, was das Angebot zuverlässig macht.
- Der Transport auf der Schiene wird laufend überwacht, weshalb die Bahn als sicherster Verkehrsträger gilt.
- Dank hohem Elektrifizierungsgrad verursacht Schienenverkehr wenig Emissionen. In der Schweiz fahren Züge ausschliesslich mit CO2-freiem Strom.
- Eine Bahntrasse benötigt deutlich weniger Fläche als eine Strasse. Das ist gerade in dicht besiedelten Gebieten entscheidend.
Sicherheit bringt wettbewerbshinderliche Nachteile
Im Grundsatz ist der Bahnsektor also gut für die Zukunft aufgestellt. Doch die hohen Sicherheitsanforderungen an den Schienenverkehr wirken sich negativ auf dessen Flexibilität und damit Wettbewerbsfähigkeit aus. Dies in mehrerlei Hinsicht:
- Die meisten Bahnstrecken sind in fixe Streckenblocks aufgeteilt. Ein Zug erhält erst dann grünes Licht, wenn der Block vor ihm frei ist. Diese Gliederung in fixe Streckenblöcke begrenzt die Streckenkapazität und damit den Takt der möglichen Zugfahrten.
- Mit infrastrukturseitigen Achszählern wird garantiert, dass alle Wagen eines Zuges, die in den Streckenblock eingefahren sind, diesen auch wieder verlassen haben. Diese Überwachung erhöht zwar die Sicherheit, ist aber aufwendig und limitiert das Durchlaufvermögen.
- Verkehren auf einer Strecke Personen- und Güterzüge, so schränkt das die Streckenkapazität aufgrund der unterschiedlichen Fahr- und Bremsdynamiken weiter ein.
Digitale Innovation und Investition gefragt
Die erwähnten Nachteile des Bahnsektors lassen sich beheben. Doch dazu ist eine umfassende Transformation mit Innovation und Investitionen nötig, die systemübergreifend und über alle Bran-chenakteure hinweg koordiniert erfolgt. Im Mittelpunkt eines derart epochalen Wandels stehen digitale Technologien und ein neuartiger Umgang mit Daten.
- Zugbetrieb digitalisieren: Ein digitaler Zugbetrieb kommt ohne Streckenblocks und Signale aus und kann besser ausgelastet werden. Der Abstand zwischen zwei in die gleiche Richtung fahrenden Zügen wird in Echtzeit mit einem kommunikationsbasierten Zugleitsystem (Communication-Based Train Control, CBTC) ermittelt. Das gewährleistet zu jedem Zeitpunkt den nötigen Sicherheitsabstand, schränkt aber die Streckenkapazität nicht ein.
- Datenökosysteme errichten: Schlüssel für eine systemübergreifend abgestimmte Digitalisierung ist der Zugang zu hochwertigen Daten aus erster Hand. Davon profitieren alle Akteure innerhalb einer multimodalen Logistikkette. Bestrebungen wie die Weiterentwicklung der Mobilitätsdateninfrastruktur (MODI), die Nationale Datenvernetzungsinfrastruktur Mobilität (NADIM) oder das KV4.0 Projekt des deutschen Bundesministeriums für Digitales und Verkehr BMVD gehen in die richtige Richtung (vgl. «Datenökosysteme: Daten teilen, um ihren Mehrwert zu verdoppeln»).
- Angebot flexibilisieren: Umfassende Innovationen auf Systemebene ermöglichen wie erläutert die Vernetzung von Daten. Dadurch wird die Bahnproduktion deutlich effizienter und flexibler und der Güterverkehr kann sein Angebot konkurrenzfähiger ausgestalten. Damit tatsächlich markant mehr Güterverkehr auf der Schiene stattfinden kann und sich Engpässe beheben lassen, muss die öffentliche Hand allerdings auch die physische Infrastruktur entsprechend ausbauen.
- Fachkräftemangel adressieren: Der aktuelle Güterbahnbetrieb produziert höchst personalintensiv. Noch werden zahlreiche Tätigkeiten im Gleisfeld manuell ausgeführt. Viele Mitarbeitende tragen Tag für Tag dazu bei, dass die Räder rollen. Diese Aufgaben sind nicht selten körperlich anstrengend und gefährlich. Im Rahmen des demografischen Wandels gehen viele langjährige Bahnmitarbeitende in den kommenden Jahren in Pension. Diese Fachkräftelücke kann die Teilautomatisierung schliessen, etwa durch die Migration auf die digitale automatische Kupplung DAK (vgl. Blogbeitrag «Die Digitalisierung des Schienengüterverkehrs nimmt Fahrt auf»).
- Interoperabilität stärken: Die europäischen Bahnen sind nach wie vor stark reguliert. Trotz der Harmonisierungsbemühungen der Europäischen Union schränken zahllose nationale Vorschriften für Fahrzeuge und Bahnpersonal den freien grenzüberschreitenden Bahnverkehr immer noch ein. Allerdings wird die Digitalisierung auf europäischer Ebene auf einheitlichen Standards aufgebaut, was die Harmonisierung begünstigt. Umso wichtiger ist es, dass die Verkehrspolitik europaweit koordiniert wird (vgl. Blogbeitrag «Interoperabilität Schweiz–EU sicherstellen»).

Bilaterale III: Schweiz muss an der Zukunft des Schienengüterverkehrs mitwirken
Der Bundesrat hat mit dem definitiven Verhandlungsmandat den Auftakt zu den Bilateralen III gegeben. Die Verhandlungen um die sogenannten Bilateralen III haben am 18. März 2024 begonnen. Wir vom VAP unterstützen die Bestrebungen des Mandats im Bereich Landverkehr. Die Schweiz muss die tiefgreifende Systemerneuerung des Schienengüterverkehrs mitgestalten können.
Darum geht’s:
- Beziehungen Schweiz-EU stabilisieren
- Mandat berücksichtigt Ängste von SBB und Gewerkschaften
- VAP begrüsst Fortsetzung des Dialogs
- Kräfte zugunsten der Bahn als Verkehrsträger der Zukunft bündeln
Beziehungen Schweiz-EU stabilisieren
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 8. März 2024 das Mandat für die Verhandlung mit der Europäischen Union (EU) verabschiedet. Die Verhandlungen um das umfassende Paket sollen die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union stabilisieren und weiterentwickeln. Sie haben am 18. März 2024 gestartet. In seinem Mandat hat der Bundesrat eine Reihe von Empfehlungen übernommen, darunter die Marktöffnung im Stromsektor, den Erhalt des Kooperationsmodells im Landverkehrsbereich und die Beibehaltung der Zolltarife im Agrarsektor. Weitere übernommene Empfehlungen betreffen Zuwanderung, Lohnschutz und institutionelle Elemente.
Mandat berücksichtigt Ängste von SBB und Gewerkschaften
In seinem «Bericht über die Ergebnisse der Konsultation zum Entwurf eines Verhandlungsmandats zwischen der Schweiz und der Europäischen Union über die Stabilisierung und Weiterentwicklung ihrer Beziehungen» hält der Bundesrat fest, dass das Modell der SBB-Kooperationen im internationalen Schienenpersonenverkehr weiterhin möglich bleibt, die Schweiz nach wie vor Zugtrassen zuweisen darf und die Regeln für den internationalen Personenverkehr die Schweizer Qualität des öffentlichen Schienenverkehrs nicht verschlechtern dürfen. Weiter garantiert er in seinem Verhandlungsmandat Tarifintegration, Taktfahrplan sowie die Verkehrsverlagerung von der Strasse auf die Schiene. Der regulatorische Dialog im Finanzbereich zwischen der Schweiz und der EU wird wieder aufgenommen. Damit zerstreut er die unbegründete Angst von SBB und Gewerkschaften vor den «dunklen Mächten» des Wettbewerbs.
VAP begrüsst Wiederaufnahme des Dialogs
In unserer Stellungnahme vom 12. Februar 2024 begrüssen wir vom VAP, dass sich die Regierung – insbesondere das Bundesamt für Verkehr (BAV) und das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) – trotz der bestehenden politischen Blockade zwischen der Schweiz und der EU weiter bemüht, das Schlüsseldossier für den Bahnsektor in realistischen Teilschritten voranzubringen. Schliesslich bietet eine Marktöffnung der Schweiz interessante Chancen wie gesicherte Interoperabilität, mehr Innovationskraft und höhere Leistungsfähigkeit. In diesem Kontext unterstützen wir auch die Revision des Eisenbahngesetzes und heissen es gut, dass bereits konkrete Anpassungsvorschläge auf Verordnungsstufe bestehen.
Gerade die Realisierung der ERA-Mitgliedschaft für die Schweiz im Nachgang zu den erfolgreichen Verhandlungen erachten wir als nächsten Meilenstein. Die ERA hat nämlich speziell für die Schweiz den Expertenstatus geschaffen. Demnach dürfen Schweizer Experten schon heute in den Gremien der ERA zur Weiterentwicklung der gemeinsamen Spezifikationen mitarbeiten. Zudem übernimmt die Schweiz seit Jahren systematisch Regeln aus der lnteroperabilitätsrichtlinie und der Sicherheitsrichtlinie der EU. Die Schweiz hat insgesamt ein grosses Interesse, sich den Zugang zum europäischen Bahnsektor baldmöglichst durch eine vollwertige ERA-Mitgliedschaft nachhaltig zu sichern – nicht nur mitzuarbeiten sondern auch mitzuentscheiden.
Wir unterstützen das vorliegende Verhandlungsmandat im Bereich Landverkehr. Die seit Jahren nicht umgesetzte Marktöffnung im internationalen Personenverkehr ist aus unserer Sicht nötig und bietet trotz der auferlegten Restriktionen Chancen für interessante Entwicklungen. Das Vorgehen zur Integration der institutionellen Elemente in die sektoriellen Abkommen ist aus unseren bisherigen Erfahrungen bei der Rechtsentwicklung mit Einbezug der Experten der Schweiz vertretbar.
Kräfte zugunsten der Bahn als Verkehrsträger der Zukunft bündeln
Der Schienengüterverkehr soll dank Innovation wieder Marktanteil gewinnen – das möchte die EU und das möchte auch die Schweiz. Allerdings benötigen wir dazu langfristige Strategien und starke Investoren. Stabilität bildet die unverzichtbare Basis für internationale Verkehrskooperationen (vgl. Blogbeitrag «Stabilität als unverzichtbare Basis für die internationale Verkehrskooperation»). Die Innovation für den künftigen Schienengüterverkehr mit Digitalisierung und Automatisierung wird aktuell in der EU erarbeitet. Die Schweiz will sich an der Gestaltung dieser tiefgreifenden Systemerneuerung des Schienengüterverkehrs beteiligen und mitbestimmen. Das ist in effizienter und nachhaltiger Weise nur möglich, wenn politische Differenzen ausgeräumt werden und über die künftige Zusammenarbeit ausreichend Klarheit besteht. Dazu gehören eine Wiederaufnahme der Schweiz im Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020, eine Aktualisierung des Landverkehrsabkommens zwischen der Schweiz und der EU und bilaterale Abkommen zu Grenzbetriebsstrecken mit unseren Nachbarländern.

Stabilität als unverzichtbare Basis für die internationale Verkehrskooperation
Ein weiteres Mal konnte der Status Quo im Gemischten Ausschuss zum Landverkehrsabkommen, trotz düsterer Aussichten, gerettet werden. Die EU gesteht der Schweiz im 2024 erneut auf Jahresfrist begrenzt Zugang zu der ERA-Datenplattform OSS. Wie lange will die Schweiz mit diesen Zitterpartien noch weiterarbeiten?
Darum geht’s:
- Welches Ziel verfolgt das Bundesamt für Verkehr?
- Warum ist die internationale Zusammenarbeit bedeutend?
- Die Schweiz muss sich bewegen
- Stabilität ist für die Lösung anstehender Aufgaben zentral
Welches Ziel verfolgt das Bundesamt für Verkehr?
Züge sollen grenzüberschreitend möglichst hindernisfrei verkehren können. Das Schweizer Normalspurnetz bildet einen zentralen Teil des interoperablen europäischen Schienennetzes (Single European Railway Area). Damit dies möglich ist, gleicht das BAV die hoheitlichen Schweizer Bahnvorschriften periodisch an die aktuellen europäischen Regeln der Interoperabilitäts-Richtlinie und der Sicherheits-Richtlinie an. Die Schweiz soll im Verantwortungsbereich der EU-Verkehrskommission (DG MOVE) als den Mitgliedstaaten gleichwertiger Partner agieren können. In dieser bilateralen Zusammenarbeit spielt das Landverkehrsabkommen die zentrale Rolle. Ratifizierte Vereinbarungen schaffen Rechtssicherheit und Planbarkeit.
Warum ist die internationale Zusammenarbeit bedeutend?
Die EU will das bestehende national geprägte Bahnsystem von Grund auf erneuern und es zum starken Verkehrsträger der Zukunft weiterentwickeln. Moderne Züge sollen künftig auf einem leistungsfähigen und standardisierten Schienennetz hindernisfrei grenzüberschreitend verkehren. Für diese tiefgreifende Transformation müssen der Bahnbetrieb von Grund auf neu konzipiert sowie neue standardisierte Systeme mit transparenten Schnittstellen entwickelt und eingeführt werden. Dies gelingt nur mit einer zentralen Koordination und einer geführten länderübergreifenden Zusammenarbeit. Das 2019 in Kraft gesetzte 4. Bahnpaket bildet dazu die rechtliche Grundlage: Die ERA ist als europäische Agentur neu für die fachliche Gestaltung einheitlicher Verfahren und Regeln sowie für die Führung europäischer Bewilligungsverfahren verantwortlich. Für die erforderlichen Entwicklungen schuf die EU mit «Europe’s Rail» als Teil von «Horizon» neue umfassende Organisationen und stattete sie mit beträchtlichen finanziellen Mitteln aus. Ministerien, Bahnunternehmungen, Verbände und Industrie sind aufgefordert in den zahlreichen Arbeitsgruppen des ERJU bestehend aus dem System- und dem Innovation Pillar aktiv mitzuarbeiten und ihr Fachwissen zur Gestaltung des zukünftigen europäischen Bahnsystems einzubringen. Das Thema «DAK» ist übrigens auch ein integraler Bestandteil dieser Organisation.
Die Schweiz muss sich bewegen
Die Schweiz übernahm in den vergangenen 25 Jahren viele Elemente aus der neu gestalteten EU-Bahnwelt. Dank der nachgewiesenen Äquivalenz wurden wichtige Schritte zur Integration in das europäische Bahnsystem erreicht. Der Entscheid des Bundesrates zum Abbruch der Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen (InstA) führte auch im Verkehrssektor dazu, dass seit 2021 keine substantielle Weiterentwicklung des Landverkehrsabkommens mehr möglich ist. Die Schweiz muss sich jetzt zwischen Isolation und Zusammenarbeit entscheiden.
Stabilität ist für die Lösung anstehender Aufgaben zentral
Die umfassende Transformation der bestehenden stark national geprägten europäischen Bahnen in ein modernes leistungsfähiges Gesamttransportsystems bedarf einer gemeinsamen koordinierten Anstrengung – Alleingänge könnten gravierende Folgen haben. Wer dazugehört kann mitwirken und aktiv mitgestalten.
Die Schweiz muss jetzt ihre Hausaufgaben erledigen:
- politische Differenzen mit der EU bereinigen
- Teilnahme im Forschungsprogramm «Horizon 2020» nachhaltig wieder sicherstellen
- Aktualisierung des Landverkehrsabkommens EU-CH
- Bahnpaket Marktteil umsetzen (Marktöffnung mindestens im internationalen Personenverkehr)
- Bahnpaket komplettieren (EBV anpassen, ERA-Mitgliedschaft, Anerkennen ERA-Bewilligungen, Regelung der ERA-Kompetenzen)
- Bilaterale Abkommen zu Grenzbetriebsstrecken reaktivieren
Verkehr und Logistik ist länderübergreifend. Die geplante Migration zur Digitalisierung und Automatisierung der Bahnen erfordert einerseits die Bereitschaft zu tiefgreifenden Veränderungen und andererseits zu grossen Investitionen. Beides wird in effizienter und nachhaltiger Weise nur möglich sein, wenn über die künftige Zusammenarbeit ausreichend Klarheit besteht.

Marco Rosso: «Kollaborative Innovation kann zur Lebensqualität beitragen und zugleich rentabel funktionieren.»
Marco Rosso ist Verwaltungsratspräsident der Cargo sous terrain AG (CST). Im Interview mit dem VAP spricht er über Interoperabilität, Diskriminierungsfreiheit auf der letzten Meile und die Logistik der Zukunft. Und darüber, wie kollaborative Innovation zur Lebensqualität der Menschen in der Schweiz beitragen und gleichzeitig gewinnbringend funktionieren kann.
VAP: Herr Rosso, wie sehen Sie in Zukunft das Verhältnis von Schienengüterverkehr zu CST?
Marco Rosso: Die Schiene und CST sind zwei Systeme, die sich ergänzen. CST kooperiert mit allen Verkehrsträgern, um gemeinsam das prognostizierte Güterverkehrswachstum von über 30% bis 2050 auf eine innovative, nachhaltige Art zu absorbieren. Weil CST nicht für alle Transporte geeignet ist, unterstützt das Unternehmen mit neuer Technologie und Digitalisierung die Geschäftsmodelle von Bahn, Strassentransporteuren und weiteren Logistikakteuren. Nur mit Kooperationen (im Rahmen der Wettbewerbsregeln) kann die Interoperabilität unter den verschiedensten Verkehrsträgern und Transportunternehmungen gewährleistet werden. Deshalb plant CST die Anbindung an Bahn, Strasse, Schiff, Luftfracht und weitere Systeme. An den CST-Hubs wird es multimodale Anschlüsse, insbesondere auch einen Bahnanschluss, geben. In der Bauphase, bereits ab 2026 und bis 2045, nutzt CST Bahntransporte im Umfang von 2000 Güterzügen pro Jahr und wird damit zu einem wichtigen Kunden der Schiene.
Sollte nicht der Staat die Infrastruktur erstellen und der Betrieb in den Tunnels, ebenso der Betrieb der Terminals und der letzten/ersten Meile wären dann frei und würden einem Wettbewerb unterliegen?
CST ist ein System, das nur als Ganzes funktioniert, weil alle Prozesse End-to-End gesteuert sind. Nur so können die Stückgüter zeitgenau und zuverlässig zum Ziel gelangen. Aus diesem Grund muss das System aus einer Hand geführt werden und gleichzeitig anschlussfähig sein an alle Partnerplattformen. CST ist von Beginn weg als privatwirtschaftliches Projekt geplant und konzipiert. Mit diesem Finanzierungskonzept ist es möglich und wichtig, rasch voranzukommen, ohne die Mittel im Bundesbudget zu belasten. Bei den Investoren sind auch wichtige künftige Kunden dabei. Sie helfen, das System marktgerecht zu entwickeln. Der Bund hat erkannt, dass es nicht zweckdienlich wäre, selber als Ersteller aufzutreten, sondern sich auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu beschränken. Mit sorgfältig ausgearbeiteten Businessplänen, konkurrenzfähigen Preisen und der Breite der Investorenbasis, die das Projekt mitträgt, zeigt CST, dass Innovation im Gütertransport zur Lebensqualität in Stadt und Land beiträgt und zugleich rentabel funktionieren kann.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen in Ihrem Projekt?
Ein derart umfassendes Vorhaben bietet vielfältige Herausforderungen, etwa in planerischer, juristischer, umweltrechtlicher, finanzieller und politischer Hinsicht. Was CST auszeichnet ist das Modell der kollaborativen Innovation – mit Einbezug aller Stakeholder. Die Herausforderungen geht das Projekt pragmatisch in Etappen an.
Wie gestalten Sie eine diskriminierungsfreie erste/letzte Meile?
Diskriminierungsfrei ist unser System ohnehin von Anfang an geplant, ohne dass es das Gesetz verlangt hätte. Durchwegs gilt: Alle haben Zutritt zum System mit gleichem Preis bei gleicher Leistung. Wir gehen aber noch weiter, indem wir zum Beispiel die Citylogistik von CST partnerschaftlich-kollaborativ entwickeln und offen sind für jegliche Zusammenarbeit mit kleineren sowie grösseren Partnern, darunter auch Bahn und Post. Auch hier ist unser Prinzip die kollaborative Innovation, die wir tagtäglich leben.
Was ist der grösste Vorteil oder die grösste Motivation von CST für die Schweizer Bevölkerung?
Der wichtigste Effekt von CST wird die Steigerung von Lebensqualität für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz sein. Indem wir einen Weg aufzeigen, wie die Logistik der Zukunft nachhaltig aussehen kann, wie sich Schwerverkehr auf der Strasse durch verladerübergreifende Bündelung und Vorsortierung im Tunnel wegbringen beziehungsweise ein Stau zur Güterversorgung unterfahren lässt, wie man aus den vorhandenen Ressourcen das Beste bezüglich CO2-Ausstoss, Lärm etc. herausholt. Der kostbare Platz an der Oberfläche soll in erster Linie der Bevölkerung gehören. CST begünstigt den Ausbau von Infrastruktur wie auch der erneuerbaren Energien in der Schweiz. CST ist ein privat finanzierter Innovationsmotor zum Nutzen der Schweizer Wirtschaft und für Lebensqualität in Städten und Dörfern, indem es die Versorgungssicherheit garantiert und damit den Wohlstand in der Schweiz erhöht.
Gibt es Punkte, die wir unseren Mitgliedern aus Ihren Augen noch wissen lassen sollten?
Es stehen entscheidende Weichenstellungen und Diskussionen bevor, gerade auch vor dem Hintergrund der politischen Debatten um den Güterverkehr. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir mit einer unternehmerischen Haltung einen effektiven Beitrag leisten können, um die Schweiz im 21. Jahrhundert als exzellenten Wirtschaftsstandort mit hoher Lebensqualität auch für künftige Generationen zu erhalten. An dieser Arbeit beteiligen wir uns mit Begeisterung und Engagement.
Herr Rosso, vielen Dank für das Gespräch.

Revision des Eisenbahngesetzes: Volle Wirkung könnte ausbleiben
Der Nationalrat hat am 12. September 2023 der Revision des Eisenbahngesetzes (EBG) zugestimmt, nachdem der Ständerat diese bereits in der Sommersession 2023 einstimmig angenommen hat. Allerdings kann die EBG-Revision nicht vollständig umgesetzt werden, solange das 4. EU-Eisenbahnpaket nicht ins Landverkehrsabkommen aufgenommen oder die Übergangslösung mit der EU verlängert wird. Es könnten also Ineffizienzen bestehen bleiben.
Darum geht’s:
- Was bisher geschah
- Die Schweiz hat drei EU-Eisenbahnpakete übernommen
- Revidiertes EBG schafft äquivalente Bedingungen
- Verordnungen sind ebenfalls anzupassen
- Aufnahme des 4. EU-Eisenbahnpakets ins Landverkehrsabkommen nötig
Was bisher geschah
Seit dem 16. Juni 2019 ist das 4. EU-Eisenbahnpaket in Kraft und die EU-Eisenbahnagentur (ERA) neu für das Erteilen von einheitlichen Sicherheitsbescheinigungen und Zulassungen von Rollmaterial für den grenzüberschreitenden Verkehr zuständig. In der Sommersession 2023 hat der Ständerat dem Antrag seiner Kommission auf Zustimmung für die Änderung des EBG (Umsetzung der technischen Säule des 4. EU-Eisenbahnpakets) stattgegeben.
Das 4. EU-Bahnpaket enthält drei wesentliche Elemente:
- Die anzuwendenden Vorschriften sollen in allen beteiligten Staaten systematisch harmonisiert werden. Dies geschieht durch institutionelle Inkraftsetzungsverfahren der technischen Spezifikationen Interoperabilität, TSI und deren Aktualisierungen. Damit sind von der EU-Kommission publizierte TSI neu unmittelbar in allen Staaten gültig; es braucht keine nationalen Umsetzungsprozesse mehr.
- Die ERA überwacht Abbau von überholten nationalen Vorschriften durch die zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden.
- Die ERA koordiniert neu die Zulassungsverfahren und erlässt einheitliche, länderübergreifend gültige Betriebsbewilligungen.
Die ERA betreibt das Online-Fahrzeugzulassungsportal «One Stop Shop». Bei den Prüfungen der Zulassungsdossiers arbeitet sie eng mit den nationalen Aufsichtsbehörden zusammen. Heute kann im «One Stop Shop» der ERA ein Antrag auf Zulassung gestellt und das entsprechende Dossier eingereicht werden. Die ERA prüft unter Einbezug der beteiligten nationalen Aufsichtsbehörden das Dossier und verfügt eine in allen beantragten Ländern direkt gültige Betriebsbewilligung.
Die Schweiz hat drei EU-Eisenbahnpakete übernommen
Die Schweiz hat die relevanten technischen Bestimmungen der drei EU-Eisenbahnpakete im Rahmen des Landverkehrsabkommens mit der EU übernommen. Sie sitzt bereits heute als Beobachterin in den relevanten Gremien zur laufenden Entwicklung der Interoperabilität ein und kooperiert mit der ERA. Ein Beitritt zur ERA war bis anhin nicht möglich.
Revidiertes EBG schafft äquivalente Bedingungen
Die technische Säule des 4. EU-Eisenbahnpakets umfasst die Überarbeitung der Vorgaben für Interoperabilität (RL 2016/797) und für die Eisenbahnsicherheit (RL 2016/798). Ebenfalls enthalten ist die Weiterentwicklung der ERA zur EU-Aufsichtsbehörde mit dem One Stop Shop für vereinheitlichte Verfahren (vgl. Blogartikel «Der Schweiz droht Isolation im internationalen Bahnverkehr»). Mit der Revision des Eisenbahngesetzes wird das Fundament gelegt, damit die technische Säule des 4. Bahnpakets umgesetzt werden kann. Demnach sollen für sämtliche interoperabel arbeitenden Schweizer Bahnen gleichwertige Bedingungen wie für EU-Mitgliedstaaten gelten und der Zugang zum vereinfachten Zulassungsverfahren soll via ERA geöffnet werden.
Verordnungen sind ebenfalls anzupassen
Auf der Basis der Anpassungen im EBG kann das BAV in einem zweiten Schritt auf Verordnungsebene die erforderliche Konformität zu den EU-Richtlinien herstellen. Deshalb hat es die entsprechenden Anpassungsentwürfe der Verordnungen bereits vorbereitet und von der EU-Kommission prüfen lassen – mit positivem Ergebnis. Damit hat die Schweiz eigenständig die Grundlage für die Gleichwertigkeit ihrer Gesetzgebung mit derjenigen der EU geschaffen.
Aufnahme des 4. EU-Eisenbahnpakets ins Landverkehrsabkommen nötig
Mit der umgesetzten EBG-Revision hat die Schweiz wertvolle Zeit gewonnen. Denn bis sich eine Gesetzesrevision in Kraft setzen lässt, vergehen in der Regel mehrere Jahre. In diesem Fall liegen die nationalen gesetzlichen Rahmenbedingungen bereits vor. Zu ihrer vollen Wirkung sind jedoch die Aufnahme der technischen Säule des 4. EU-Eisenbahnpakets ins Landverkehrsabkommen und der Beitritt zur ERA nötig. Beides ist im Kontext der stockenden Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz vorerst nicht absehbar. Die EU setzt dafür eine Einigung im Rahmenabkommen und bei der Öffnung des Personenverkehrs in der Schweiz voraus (Teil des 3. EU-Eisenbahnpakets). Letztere blieb bisher aus; sämtliche Versuche des BAV für ein Entgegenkommen durch eine Aufweichung der Marktabschottung durch die Schweiz blieben bisher erfolglos.
Volle Interoperabilität und eine grundlegende Vereinfachung der Zulassungsverfahren reduzieren die administrativen und betrieblichen Kosten. Das ist für einen sicheren und wettbewerbsfähigen Schienen(güter)verkehr und damit für eine erfolgreiche Verkehrsverlagerung fundamental.

Gotthardbasistunnel (#4): Sicherheitskritische Bauteile von Güterwagen
Die öffentlich publizierten Informationen zur Güterbahnentgleisung im Gotthardbasistunnel deuten auf eine gebrochene Radscheibe an einem entgleisten Güterwagen hin. Überbeanspruchung oder Materialfehler stehen als mögliche Ursache des Versagens im Raum. Was tatsächlich geschah, bleibt den laufenden Untersuchungen der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle (Sust) vorbehalten.
Darum geht’s:
- Wie werden sicherheitskritische Bauteile gefertigt?
- Wie werden sie zugelassen und in Betrieb genommen?
- Wie werden sie gewartet?
- Welche Bedeutung hat die Überwachung im täglichen Betrieb?
- Welche Überwachungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung?
- Einheitliche Regelungen ermöglichen sicheres Zusammenwirken der Akteure
- Ausblick digitale automatische Kupplung (DAK)
Wie werden sicherheitskritische Bauteile gefertigt?
Sicherheitsrelevante und ‑kritische Bauteile wie Radsätze werden so ausgelegt, dass sie ihre Aufgabe während der geplanten Nutzungsdauer unter den vorherrschenden Betriebs- und Einsatzbedingungen erfüllen und damit eine sichere Fahrt gewährleistet ist. Dabei wenden die Herstellerfirmen international anerkannte Standards an:
- Technische Spezifikationen der Interoperabilität (TSI) legen grundlegende Anforderungen fest.
- Europäische Normen (EN) definieren die spezifischen Eigenschaften.
- Hersteller wenden zur Entwicklung und Prüfung harmonisierte und standardisierte Sicherheitsmethoden an.
- Normierte Sicherheitsnachweise und Gutachten dokumentieren Sicherheit und Tauglichkeit.
In die Entwicklung der Normen und TSI fliessen die internationalen Erfahrungen aus Vor- und Unfällen laufend ein.
Wie werden sie zugelassen und in Betrieb genommen?
Die Inverkehrbringung von sicherheitskritischen Bauteilen erfordert die international einheitliche Genehmigung der europäischen Eisenbahnagentur (ERA) oder einer nationalen Sicherheitsbehörde. Es sind dies:
- Typenzulassungen für Bauteile oder Fahrzeuge
- Konformitätsnachweise für baugleiche Serienbauteile oder Fahrzeuge
- CE-Kennzeichnung (Conformité Européenne) für ein Bauteil, das die geltenden EU-Richtlinien erfüllt
- Betriebsbewilligung für ein regelkonformes Fahrzeug
Die Bescheinigung, dass Bauteile nach den Anforderungen von Normen und TSI gebaut wurden, erfolgt durch sogenannt «benannte Stellen», also staatlich autorisierte Stellen. Diese prüfen und bewerten die Regelkonformität der gefertigten Produkte.
Wie werden sie gewartet?
Der Hersteller ist verpflichtet, für sämtliche Bauteile oder Fahrzeuge die anzuwendenden Instandhaltungsvorgaben zu definieren und zu publizieren. Fahrzeughalter müssen diese Herstellervorgaben abgestimmt auf die Einsatzbedingungen umsetzen. Sie bestimmen für ihr Rollmaterial zertifizierte Instandhaltungsstellen (Entity in Charge of Maintenance, ECM). Diese erarbeiten die Instandhaltungsvorgaben der ihnen zugeordneten Fahrzeuge unter Berücksichtigung eigener und Branchenerkenntnisse. Zudem planen sie periodische Arbeiten, führen sie durch und dokumentieren deren Ergebnisse. Jedes für den Betrieb zugelassene Fahrzeug muss unter Nennung des Fahrzeughalters und der ECM in einem amtlichen Fahrzeugregister eingetragen sein.
Welche Bedeutung hat die Überwachung im täglichen Betrieb?
Die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sind für die sichere Fahrt, Zugvorbereitung, Zugabfertigung und andere Sicherheitsaspekte ihrer Züge verantwortlich. Sie legen die Prüfungen und Tests fest, mit denen gewährleistet wird, dass jede Abfahrt sicher erfolgen kann. Um diese Betriebstauglichkeit festzustellen, führen ausgebildete Mitarbeitende vor der Abfahrt vor Ort definierte Sichtkontrollen durch. Diese Arbeit findet zu jeder Tageszeit und Witterung statt und ist äusserst anspruchsvoll. Auch bei der Zugsabfertigung und den damit verbundenen Prüfungen und Tests wird ein besonderes Augenmerk auf sicherheitskritische Bauteile gelegt.
Welche Überwachungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung?
Die Fahrzeughalter sind für die ordnungsgemässe Instandhaltung ihrer Fahrzeuge verantwortlich. Sicherheitsrelevante und ‑kritische Bauteile werden periodisch kontrolliert, z.B. durch Ultraschallmessungen. Sicherheitskritische Bauteile unterliegen nicht nur strengen Kontrollen, sondern auch besonderen Verpflichtungen in Bezug auf Kennzeichnung, Instandhaltung und Rückverfolgbarkeit der Massnahmen. Die EVUs können vom Fahrzeughalter wagenspezifische Auskünfte verlangen.
Auf dem Schweizer Normalspurnetz betreiben die Infrastrukturbetreiber heute über 250 Zugkontrolleinrichtungen. Sie überwachen jedes vorbeifahrende Fahrzeug auf Unregelmässigkeiten und können im Falle von unzulässigen Abweichungen Alarm auslösen. In diesem Fall wird der betroffene Zug sofort angehalten und kontrolliert.
Einheitliche Regelungen ermöglichen sicheres Zusammenwirken der Akteure
Im Bahnbetrieb agieren verschiedene Unternehmen zusammen. Dabei muss sich jeder Akteur auf die Zuverlässigkeit des anderen an der Schnittstelle verlassen können. Ihre Aufgabenbereiche und Verantwortungen sind international klar und einheitlich geregelt. Harmonisierte Vorschriften zu Herstellung, Betrieb und Instandhaltung sorgen für einen sicheren Schienenverkehr (mehr zum Regulativ der internationalen Zusammenarbeit lesen Sie in Kürze auf diesem Blog).
Ausblick digitale automatische Kupplung (DAK)
Neben der Umsetzung der geltenden Vorgaben durch jeden am Eisenbahnverkehr beteiligten Akteur rücken neue Technologien in den Mittelpunkt. Mit der Automatisierung und Digitalisierung lassen sich nicht nur Betriebsabläufe effizienter gestalten. Es eröffnen sich auch neue Möglichkeiten zur betrieblichen Überwachung sicherheitsrelevanter und ‑kritischer Bauteile in Güterzügen. Die laufende digitale Zustandserfassung dieser Bauteile bietet den Verantwortlichen eine attraktive Chance. Werden Verschleiss- und Alterungsprozesse fahrzeugindividuell digitalisiert verfolgt, so lässt sich die Instandhaltung bedarfsgerecht und effizient planen. Schadhafte Bauteile können vor einem Totalversagen ermittelt und ausgetauscht werden. Tritt während der Fahrt unerwartet ein Bauteilausfall auf, kann das sofort Alarm auslösen.
Um diese Innovation im Güterverkehr zu nutzen, braucht es in den Güterwagen Sensorik, elektrische Energie und Datenkommunikation zum Lokführer, in die Systeme der Wagenhalter und zur ECM. Mit der europaweit geplanten Einführung der DAK werden diese Voraussetzungen geschaffen (vgl. Blogpost «Datenökosysteme: Daten teilen, um ihren Mehrwert zu verdoppeln»). So verwandeln die Automatisierung und Digitalisierung den herkömmlichen Verkehr in einen intelligenten, effizienten, resilienten und sicheren Verkehr.

Fahrdienstvorschriften: Bitte vereinfachen und international harmonisieren
Das Bundesamt für Verkehr (BAV) entwickelt im Rahmen des Änderungszyklus 2024 die Schweizer Fahrdienstvorschriften (FDV2024) weiter. Systematische Veränderungen sind zentral. Hier eine Stellungnahme aus Sicht der verladenden Wirtschaft.
Darum geht’s:
- Weiterentwicklung der Fahrdienstvorschriften ab 2024 in Kraft
- Systemische Vereinfachung für Bahnmitarbeitende gefragt
- Konsequente Anwendung der TSI OPE steigert Interoperabilität zusätzlich
- Bahnbranche soll Verantwortung für die Fahrdienstvorschriften übernehmen
- VAP wünscht mehr unternehmerischen Spielraum für Anschlussgleisbetreiber
Seit über 20 Jahren gelten in der Schweiz einheitliche Fahrdienstvorschriften, die für alle Bahnunternehmen verbindlich sind. Sie sind für den Bahnbetrieb essenziell, da sie sicherheitsrelevante Tätigkeiten und Massnahmen der Zusammenarbeit definieren und die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten aller Beteiligten im Bahnbetrieb festlegen. Um die Fahrdienstvorschriften weiterzuentwickeln und alle vier Jahre zu aktualisieren, arbeitet das BAV eng mit der Bahnbranche zusammen. Dieser Änderungszyklus ist sinnvoll, da damit sowohl die täglichen Erfahrungen aus dem Betrieb als auch die technischen Entwicklungen in der Bahnbranche berücksichtigt werden. Er hat aber auch negative Nebenwirkungen: So sind die FDV zu einem schwer überblickbaren Vorschriftendschungel angewachsen, der dringend entschlackt und auf die Interoperabilitätsvorschriften ausgerichtet werden muss. Den verantwortlichen Unternehmen ist dabei mehr unternehmerischer Freiraum zu gewähren. Die Inkraftsetzung der aktuell laufenden Überarbeitung ist auf den 1. Juli 2024 geplant[1].
Änderungszyklus 2024 mit wichtigen Teilprojekten
Wir vom VAP begrüssen die vom BAV in den konzeptionellen Teilprojekten vorgeschlagenen systematischen Weiterentwicklungen der Fahrdienstvorschriften (vgl. Abbildung 1). Zudem regen wir an, die grundsätzlichen Neuerungen konsequent und zügig umzusetzen.
- Mit dem Teilprojekt 1 «STRUKTUR» will das BAV die Fahrdienstvorschriften systematisch strukturieren, um sie für Anwender verständlicher und einheitlicher zu machen. Die vollständige Umsetzung dieser Vereinheitlichung wird einige Änderungsrunden benötigen. Meistens ist es sinnvoll, eine strukturelle Harmonisierung mit materiellen Anpassungen zu kombinieren.
- Mit den Teilprojekten 2a, 2b und 2c «Anwendung» zielt das BAV darauf ab, die Voraussetzungen für eine systematische digitale Nutzung der Fahrdienstvorschriften zu schaffen. Jede einzelne Vorschrift wird einem Geltungsbereich oder einer Option zugeordnet. Neu ist festgelegt, wer welche Funktion wahrnimmt. Sobald dieses Teilprojekt realisiert ist, lassen sich Vorschriften eindeutig nach Geltungsbereichen filtern und Funktionen zuordnen. Das wird die Effizienz bei der Erstellung und bei allen Anwendungen der Vorschriften massiv erhöhen, da es digitale Nutzungsmöglichkeiten zulässt.
- Im Rahmen des Teilprojekts 3 «Wirkung» ist das BAV gefordert, eine nutzergerechte Strategie zu finden, um die sichere Übertragung der Verantwortung an die Bahnunternehmungen bei laufendem Betrieb zu gewährleisten. Gemäss TSI OPE (vgl. Kasten) sind die Bahnunternehmungen für Betriebsvorschriften zuständig; das soll auch in der Schweiz künftig gelten. Die laufende Weiterentwicklung der TSI OPE wird es zudem ermöglichen, die bestehenden nationalen Regeln der Fahrdienstvorschriften schrittweise aufzuheben und nur zwingend notwendige nationale Vorschriften beizubehalten, die als Notifizierte Nationale Technische Vorschriften (NNTV)[2] bei der Europäischen Eisenbahnagentur ERA gemeldet werden müssen.
- Das Teilprojekt 4 «MATERIELL» umfasst eine Anzahl inhaltlicher Anpassungen, die die Fahrdienstvorschriften aktualisieren.
Zusammenarbeit aller Beteiligten regeln
Für die Weiterentwicklung der Fahrdienstvorschriften per 2024 stehen tiefgreifende Veränderungen an. Wir sind überzeugt, dass der Bahnbetrieb nicht per se als komplex einzustufen ist. Er braucht klare Regeln für die Zusammenarbeit aller Beteiligten – gerade, weil Arbeitsteilung, Automation und Spezialisierung im Bahnbetrieb zunehmen. Deshalb sind aus unserer Sicht die folgenden Aspekte einzubeziehen:
Vereinfachungen anstreben
Es braucht einheitliche, verständliche und adressatengerechte Vorschriften, die unternehmensübergreifend gelten. Mitarbeitende sollen für ihre jeweilige Funktion über alle notwendigen Regeln verfügen und konsequent von unnötigem Ballast befreit arbeiten können.
Die Betriebsvorschriften sollten risikobasiert formuliert werden, die Bahnunternehmungen müssen in einem definierten Gesamtrahmen auf sie zugeschnittene einfache und kostengünstige Lösungen erarbeiten, um konkurrenzfähig zu produzieren.
Digitalisierung nutzen
Mit funktionsbezogenen Filtern ermöglicht die Digitalisierung eine massive Steigerung der Effizienz bei der Nutzung der Fahrdienstvorschriften. Wer eine sicherheitsrelevante Tätigkeit ausübt, muss die dafür relevanten Vorschriften kennen – aber nur diese.
Unternehmerische Freiheiten sicherstellen
Wir vom VAP streben für Anschlussgleise machbare Lösungen an, da eine strikte Einhaltung der für den Bahnbetrieb definierten Vorschriften hier nicht immer möglich ist. Insbesondere für Anschlussbahnen empfehlen wir einen risikobasierten Ansatz, um mehr unternehmerische Freiheit zu gewährleisten. Um die Betriebsabwicklung auf Anschlussgleisen sicher und kosteneffizient für Betreibergesellschaften und Mitarbeitende zu gestalten, sind spezifische Vorschriften gefragt.
Interoperabilität sicherstellen
Interoperable Bahnen, die auf verschiedenen Infrastrukturen und grenzüberschreitend in mehreren Ländern verkehren, haben andere Anforderungen als regionale Bahnen und Anschliesser, die ausschliesslich lokal unterwegs sind. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Verhältnisse bei Bahnhöfen und Anschlussgleisen müssen die Betriebsvorschriften im Rahmen einer einheitlichen Gesamtstruktur je nach Verkehr und Infrastruktur unterschiedlich, verständlich und aufs Wesentliche konzentriert gestaltet sein.
Im Normalspurbereich werden mit der Weiterentwicklung der TSI OPE die Betriebsvorschriften international immer stärker harmonisiert. Die Zahl der verbleibenden nationalen Vorschriften ist auf ein Minimum zu beschränken, um die praktische Anwendbarkeit zu verbessern. Alle beteiligten Länder sind gefordert, nicht mehr benötigte nationale Vorschriften abzuschaffen. Die konsequente Anwendung der TSI OPE wird dazu führen, dass im grenzüberschreitenden Verkehr langfristig einheitlichere Vorschriften gelten und Hürden allmählich verschwinden.
Verantwortung übernehmen
Die TSI OPE weist die Verantwortung für die Betriebsvorschriften den Bahnunternehmen zu. Folglich muss das BAV seine Hoheit über die Fahrdienstvorschriften an die Bahnbranche abgeben. Die Schweizer Bahnbranche soll aktiv die Verantwortung für die gesamten Betriebsvorschriften und deren Weiterentwicklung übernehmen. Der VAP begrüsst diese Verantwortungsübertragung der FDV an die Bahnbranche. Sie ist mit den bevorstehenden Innovationsschritten zu kombinieren. Im Bahnsektor muss dazu eine unternehmensübergreifende Lösung für einheitliche übergeordnete Betriebsvorschriften gefunden werden. Aus Sicht VAP wäre ein kooperatives Zusammenarbeitsmodell zweckmässig, in dem das BAV die Koordinationsaufgabe innehat und gemeinsam mit den Fachexperten der Bahnbranche betriebliche Vorschriften in Form einer Leitlinie entwickelt und abstimmt (so Art. 3a GüTV gemäss Entwurf des Bundesrats vom 2. November 2022). Diese Leitlinien können nach erfolgter Publikation von den einzelnen Unternehmungen für die Erstellung ihrer Fahrdienstvorschriften verwendet werden.
TSI OPE 2019/773 Dieses Kürzel steht für die Durchführungsverordnung der Europäischen Union zu den Technischen Spezifikationen für die Interoperabilität «Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung», Ausgabestand 2019. Demnach soll die Schiene dank barrierefreier Zugfahrten über Landesgrenzen hinweg Marktanteile zurückgewinnen und zur Reduktion der CO2-Emissionen beitragen. Dazu braucht es unter anderem eine umfassende europaweite Harmonisierung der Betriebsregeln. Bis heute werden länderspezifisch unterschiedliche nationale Vorschriften angewendet. Die EU treibt die Harmonisierung mit der Weiterentwicklung der TSI OPE voran. Darin legt sie die Verantwortlichkeiten für Unternehmen fest, sieht aber keine behördlich erlassenen Fahrdienstvorschriften vor, wie dies in der Schweiz aktuell der Fall ist. Das bleibt Aufgabe der Bahnunternehmen. Diese müssen die Fahrdienstvorschriften im Sinne der Interoperabilität den Vorgaben der TSI OPE angleichen. Über den Gemischten Ausschuss (Landverkehrsabkommen CH-EU) hat sich auch die Schweiz zur Anwendung der TSI OPE verpflichtet. |
Sportlicher Fahrplan
Das BAV hat zur Weiterentwicklung der Fahrdienstvorschriften den folgenden Zeitplan publiziert:
Umsetzungsschritt | Frist |
Publikation der FDV2024 | per Ende November 2023 |
Inkraftsetzung der FDV2024 | per 1. Juli 2024 |
Zwischenzyklus FDV2025 (Teilprojekte Tram und TSI OPE) |
per Ende 2025 |
Nächster regulärer Zyklus | per Mitte 2028 |
[1] https://www.bav.admin.ch/bav/de/home/publikationen/vernehmlassungen/abgeschlossene-vernehmlassungen/weiterentwicklung-fdv-a2024.html
[2] https://www.bav.admin.ch/bav/de/home/rechtliches/rechtsgrundlagen-vorschriften/nntv.html