Das Bun­des­amt für Ver­kehr (BAV) ent­wi­ckelt im Rah­men des Ände­rungs­zy­klus 2024 die Schwei­zer Fahr­dienst­vor­schrif­ten (FDV2024) wei­ter. Sys­te­ma­ti­sche Ver­än­de­run­gen sind zen­tral. Hier eine Stel­lung­nah­me aus Sicht der ver­la­den­den Wirtschaft.

 

Darum geht’s:
  • Wei­ter­ent­wick­lung der Fahr­dienst­vor­schrif­ten ab 2024 in Kraft
  • Sys­te­mi­sche Ver­ein­fa­chung für Bahn­mit­ar­bei­ten­de gefragt
  • Kon­se­quen­te Anwen­dung der TSI OPE stei­gert Inter­ope­ra­bi­li­tät zusätzlich
  • Bahn­bran­che soll Ver­ant­wor­tung für die Fahr­dienst­vor­schrif­ten übernehmen
  • VAP wünscht mehr unter­neh­me­ri­schen Spiel­raum für Anschlussgleisbetreiber

 

Seit über 20 Jah­ren gel­ten in der Schweiz ein­heit­li­che Fahr­dienst­vor­schrif­ten, die für alle Bahn­un­ter­neh­men ver­bind­lich sind. Sie sind für den Bahn­be­trieb essen­zi­ell, da sie sicher­heits­re­le­van­te Tätig­kei­ten und Mass­nah­men der Zusam­men­ar­beit defi­nie­ren und die Auf­ga­ben, Kom­pe­ten­zen und Ver­ant­wort­lich­kei­ten aller Betei­lig­ten im Bahn­be­trieb fest­le­gen. Um die Fahr­dienst­vor­schrif­ten wei­ter­zu­ent­wi­ckeln und alle vier Jahre zu aktua­li­sie­ren, arbei­tet das BAV eng mit der Bahn­bran­che zusam­men. Die­ser Ände­rungs­zy­klus ist sinn­voll, da damit sowohl die täg­li­chen Erfah­run­gen aus dem Betrieb als auch die tech­ni­schen Ent­wick­lun­gen in der Bahn­bran­che berück­sich­tigt wer­den. Er hat aber auch nega­ti­ve Neben­wir­kun­gen: So sind die FDV zu einem schwer über­blick­ba­ren Vor­schrif­ten­dschun­gel ange­wach­sen, der drin­gend ent­schlackt und auf die Inter­ope­ra­bi­li­täts­vor­schrif­ten aus­ge­rich­tet wer­den muss. Den ver­ant­wort­li­chen Unter­neh­men ist dabei mehr unter­neh­me­ri­scher Frei­raum zu gewäh­ren. Die Inkraft­set­zung der aktu­ell lau­fen­den Über­ar­bei­tung ist auf den 1. Juli 2024 geplant[1].

Änderungszyklus 2024 mit wichtigen Teilprojekten

Wir vom VAP begrüs­sen die vom BAV in den kon­zep­tio­nel­len Teil­pro­jek­ten vor­ge­schla­ge­nen sys­te­ma­ti­schen Wei­ter­ent­wick­lun­gen der Fahr­dienst­vor­schrif­ten (vgl. Abbil­dung 1). Zudem regen wir an, die grund­sätz­li­chen Neue­run­gen kon­se­quent und zügig umzusetzen.

  • Mit dem Teil­pro­jekt 1 «STRUKTUR» will das BAV die Fahr­dienst­vor­schrif­ten sys­te­ma­tisch struk­tu­rie­ren, um sie für Anwen­der ver­ständ­li­cher und ein­heit­li­cher zu machen. Die voll­stän­di­ge Umset­zung die­ser Ver­ein­heit­li­chung wird eini­ge Ände­rungs­run­den benö­ti­gen. Meis­tens ist es sinn­voll, eine struk­tu­rel­le Har­mo­ni­sie­rung mit mate­ri­el­len Anpas­sun­gen zu kombinieren.
  • Mit den Teil­pro­jek­ten 2a, 2b und 2c «Anwen­dung» zielt das BAV dar­auf ab, die Vor­aus­set­zun­gen für eine sys­te­ma­ti­sche digi­ta­le Nut­zung der Fahr­dienst­vor­schrif­ten zu schaf­fen. Jede ein­zel­ne Vor­schrift wird einem Gel­tungs­be­reich oder einer Opti­on zuge­ord­net. Neu ist fest­ge­legt, wer wel­che Funk­ti­on wahr­nimmt. Sobald die­ses Teil­pro­jekt rea­li­siert ist, las­sen sich Vor­schrif­ten ein­deu­tig nach Gel­tungs­be­rei­chen fil­tern und Funk­tio­nen zuord­nen. Das wird die Effi­zi­enz bei der Erstel­lung und bei allen Anwen­dun­gen der Vor­schrif­ten mas­siv erhö­hen, da es digi­ta­le Nut­zungs­mög­lich­kei­ten zulässt.
  • Im Rah­men des Teil­pro­jekts 3 «Wir­kung» ist das BAV gefor­dert, eine nut­zer­ge­rech­te Stra­te­gie zu fin­den, um die siche­re Über­tra­gung der Ver­ant­wor­tung an die Bahn­un­ter­neh­mun­gen bei lau­fen­dem Betrieb zu gewähr­leis­ten. Gemäss TSI OPE (vgl. Kas­ten) sind die Bahn­un­ter­neh­mun­gen für Betriebs­vor­schrif­ten zustän­dig; das soll auch in der Schweiz künf­tig gel­ten. Die lau­fen­de Wei­ter­ent­wick­lung der TSI OPE wird es zudem ermög­li­chen, die bestehen­den natio­na­len Regeln der Fahr­dienst­vor­schrif­ten schritt­wei­se auf­zu­he­ben und nur zwin­gend not­wen­di­ge natio­na­le Vor­schrif­ten bei­zu­be­hal­ten, die als Noti­fi­zier­te Natio­na­le Tech­ni­sche Vor­schrif­ten (NNTV)[2] bei der Euro­päi­schen Eisen­bahn­agen­tur ERA gemel­det wer­den müssen.
  • Das Teil­pro­jekt 4 «MATERIELL» umfasst eine Anzahl inhalt­li­cher Anpas­sun­gen, die die Fahr­dienst­vor­schrif­ten aktualisieren.
Zusammenarbeit aller Beteiligten regeln

Für die Wei­ter­ent­wick­lung der Fahr­dienst­vor­schrif­ten per 2024 ste­hen tief­grei­fen­de Ver­än­de­run­gen an. Wir sind über­zeugt, dass der Bahn­be­trieb nicht per se als kom­plex ein­zu­stu­fen ist. Er braucht klare Regeln für die Zusam­men­ar­beit aller Betei­lig­ten – gera­de, weil Arbeits­tei­lung, Auto­ma­ti­on und Spe­zia­li­sie­rung im Bahn­be­trieb zuneh­men. Des­halb sind aus unse­rer Sicht die fol­gen­den Aspek­te einzubeziehen:

Vereinfachungen anstreben

Es braucht ein­heit­li­che, ver­ständ­li­che und adres­sa­ten­ge­rech­te Vor­schrif­ten, die unter­neh­mens­über­grei­fend gel­ten. Mit­ar­bei­ten­de sol­len für ihre jewei­li­ge Funk­ti­on über alle not­wen­di­gen Regeln ver­fü­gen und kon­se­quent von unnö­ti­gem Bal­last befreit arbei­ten können.

Die Betriebs­vor­schrif­ten soll­ten risi­ko­ba­siert for­mu­liert wer­den, die Bahn­un­ter­neh­mun­gen müs­sen in einem defi­nier­ten Gesamt­rah­men auf sie zuge­schnit­te­ne ein­fa­che und kos­ten­güns­ti­ge Lösun­gen erar­bei­ten, um kon­kur­renz­fä­hig zu produzieren.

Digitalisierung nutzen

Mit funk­ti­ons­be­zo­ge­nen Fil­tern ermög­licht die Digi­ta­li­sie­rung eine mas­si­ve Stei­ge­rung der Effi­zi­enz bei der Nut­zung der Fahr­dienst­vor­schrif­ten. Wer eine sicher­heits­re­le­van­te Tätig­keit aus­übt, muss die dafür rele­van­ten Vor­schrif­ten ken­nen – aber nur diese.

Unternehmerische Freiheiten sicherstellen

Wir vom VAP stre­ben für Anschluss­glei­se mach­ba­re Lösun­gen an, da eine strik­te Ein­hal­tung der für den Bahn­be­trieb defi­nier­ten Vor­schrif­ten hier nicht immer mög­lich ist. Ins­be­son­de­re für Anschluss­bah­nen emp­feh­len wir einen risi­ko­ba­sier­ten Ansatz, um mehr unter­neh­me­ri­sche Frei­heit zu gewähr­leis­ten. Um die Betriebs­ab­wick­lung auf Anschluss­glei­sen sicher und kos­ten­ef­fi­zi­ent für Betrei­ber­ge­sell­schaf­ten und Mit­ar­bei­ten­de zu gestal­ten, sind spe­zi­fi­sche Vor­schrif­ten gefragt.

Interoperabilität sicherstellen

Inter­ope­ra­ble Bah­nen, die auf ver­schie­de­nen Infra­struk­tu­ren und grenz­über­schrei­tend in meh­re­ren Län­dern ver­keh­ren, haben ande­re Anfor­de­run­gen als regio­na­le Bah­nen und Anschlies­ser, die aus­schliess­lich lokal unter­wegs sind. Im Hin­blick auf die unter­schied­li­chen Ver­hält­nis­se bei Bahn­hö­fen und Anschluss­glei­sen müs­sen die Betriebs­vor­schrif­ten im Rah­men einer ein­heit­li­chen Gesamt­struk­tur je nach Ver­kehr und Infra­struk­tur unter­schied­lich, ver­ständ­lich und aufs Wesent­li­che kon­zen­triert gestal­tet sein.

Im Nor­mal­spur­be­reich wer­den mit der Wei­ter­ent­wick­lung der TSI OPE die Betriebs­vor­schrif­ten inter­na­tio­nal immer stär­ker har­mo­ni­siert. Die Zahl der ver­blei­ben­den natio­na­len Vor­schrif­ten ist auf ein Mini­mum zu beschrän­ken, um die prak­ti­sche Anwend­bar­keit zu ver­bes­sern. Alle betei­lig­ten Län­der sind gefor­dert, nicht mehr benö­tig­te natio­na­le Vor­schrif­ten abzu­schaf­fen. Die kon­se­quen­te Anwen­dung der TSI OPE wird dazu füh­ren, dass im grenz­über­schrei­ten­den Ver­kehr lang­fris­tig ein­heit­li­che­re Vor­schrif­ten gel­ten und Hür­den all­mäh­lich verschwinden.

Verantwortung übernehmen

Die TSI OPE weist die Ver­ant­wor­tung für die Betriebs­vor­schrif­ten den Bahn­un­ter­neh­men zu. Folg­lich muss das BAV seine Hoheit über die Fahr­dienst­vor­schrif­ten an die Bahn­bran­che abge­ben. Die Schwei­zer Bahn­bran­che soll aktiv die Ver­ant­wor­tung für die gesam­ten Betriebs­vor­schrif­ten und deren Wei­ter­ent­wick­lung über­neh­men. Der VAP begrüsst diese Ver­ant­wor­tungs­über­tra­gung der FDV an die Bahn­bran­che. Sie ist mit den bevor­ste­hen­den Inno­va­ti­ons­schrit­ten zu kom­bi­nie­ren. Im Bahn­sek­tor muss dazu eine unter­neh­mens­über­grei­fen­de Lösung für ein­heit­li­che über­ge­ord­ne­te Betriebs­vor­schrif­ten gefun­den wer­den. Aus Sicht VAP wäre ein koope­ra­ti­ves Zusam­men­ar­beits­mo­dell zweck­mäs­sig, in dem das BAV die Koor­di­na­ti­ons­auf­ga­be inne­hat und gemein­sam mit den Fach­ex­per­ten der Bahn­bran­che betrieb­li­che Vor­schrif­ten in Form einer Leit­li­nie ent­wi­ckelt und abstimmt (so Art. 3a GüTV gemäss Ent­wurf des Bun­des­rats vom 2. Novem­ber 2022). Diese Leit­li­ni­en kön­nen nach erfolg­ter Publi­ka­ti­on von den ein­zel­nen Unter­neh­mun­gen für die Erstel­lung ihrer Fahr­dienst­vor­schrif­ten ver­wen­det werden.

TSI OPE 2019/773
Die­ses Kür­zel steht für die Durch­füh­rungs­ver­ord­nung der Euro­päi­schen Union zu den Tech­ni­schen Spe­zi­fi­ka­tio­nen für die Inter­ope­ra­bi­li­tät «Ver­kehrs­be­trieb und Ver­kehrs­steue­rung», Aus­ga­be­stand 2019. Dem­nach soll die Schie­ne dank bar­rie­re­frei­er Zug­fahr­ten über Lan­des­gren­zen hin­weg Markt­an­tei­le zurück­ge­win­nen und zur Reduk­ti­on der CO2-Emis­sio­nen bei­tra­gen. Dazu braucht es unter ande­rem eine umfas­sen­de euro­pa­wei­te Har­mo­ni­sie­rung der Betriebs­re­geln. Bis heute wer­den län­der­spe­zi­fisch unter­schied­li­che natio­na­le Vor­schrif­ten ange­wen­det. Die EU treibt die Har­mo­ni­sie­rung mit der Wei­ter­ent­wick­lung der TSI OPE voran. Darin legt sie die Ver­ant­wort­lich­kei­ten für Unter­neh­men fest, sieht aber keine behörd­lich erlas­se­nen Fahr­dienst­vor­schrif­ten vor, wie dies in der Schweiz aktu­ell der Fall ist. Das bleibt Auf­ga­be der Bahn­un­ter­neh­men. Diese müs­sen die Fahr­dienst­vor­schrif­ten im Sinne der Inter­ope­ra­bi­li­tät den Vor­ga­ben der TSI OPE anglei­chen. Über den Gemisch­ten Aus­schuss (Land­ver­kehrs­ab­kom­men CH-EU) hat sich auch die Schweiz zur Anwen­dung der TSI OPE verpflichtet.
 
Sportlicher Fahrplan

Das BAV hat zur Wei­ter­ent­wick­lung der Fahr­dienst­vor­schrif­ten den fol­gen­den Zeit­plan publiziert:

Umset­zungs­schritt Frist
Publi­ka­ti­on der FDV2024 per Ende Novem­ber 2023
Inkraft­set­zung der FDV2024 per 1. Juli 2024
Zwi­schen­zy­klus FDV2025
(Teil­pro­jek­te Tram und TSI OPE)
per Ende 2025
Nächs­ter regu­lä­rer Zyklus per Mitte 2028

 

[1] https://www.bav.admin.ch/bav/de/home/publikationen/vernehmlassungen/abgeschlossene-vernehmlassungen/weiterentwicklung-fdv-a2024.html

[2] https://www.bav.admin.ch/bav/de/home/rechtliches/rechtsgrundlagen-vorschriften/nntv.html

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