INTEROPERABILITÄT
Der VAP setzt sich für die Interoperabilität ein. Das heisst die Harmonisierung der Rahmenbedingungen, damit Züge freizügig auf europäischen Schienennetzen verkehren können.
Der Schweizer Gütertransport kennt keine Grenzen. Viele unserer Mitglieder sind international tätig und bedienen den EU-Raum regelmässig. Damit wir Ihnen diesen Zugang zu einem interessanten Marktpotenzial auch in Zukunft gewähren können, engagieren wir uns auf internationalem Parkett.
- Die «International Union of Wagonkeepers» – kurz UIP – betreibt europäische Güterverkehrspolitik. Wir vom VAP haben die UIP 1950 gegründet und lassen seither die Schweizer Perspektive in Europa einfliessen.
- Die «European Rail Freight Association» bringt ihr Ziel auf den Punkt: «We deliver competition!» (Wir liefern Wettbewerbsfähigkeit!). Auch dieser Organisation sind wir eng verbunden und stellen ihren Vizepräsidenten.
Bilaterale III: Schweiz muss an der Zukunft des Schienengüterverkehrs mitwirken
Der Bundesrat hat mit dem definitiven Verhandlungsmandat den Auftakt zu den Bilateralen III gegeben. Die Verhandlungen um die sogenannten Bilateralen III haben am 18. März 2024 begonnen. Wir vom VAP unterstützen die Bestrebungen des Mandats im Bereich Landverkehr. Die Schweiz muss die tiefgreifende Systemerneuerung des Schienengüterverkehrs mitgestalten können.
Darum geht’s:
- Beziehungen Schweiz-EU stabilisieren
- Mandat berücksichtigt Ängste von SBB und Gewerkschaften
- VAP begrüsst Fortsetzung des Dialogs
- Kräfte zugunsten der Bahn als Verkehrsträger der Zukunft bündeln
Beziehungen Schweiz-EU stabilisieren
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 8. März 2024 das Mandat für die Verhandlung mit der Europäischen Union (EU) verabschiedet. Die Verhandlungen um das umfassende Paket sollen die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union stabilisieren und weiterentwickeln. Sie haben am 18. März 2024 gestartet. In seinem Mandat hat der Bundesrat eine Reihe von Empfehlungen übernommen, darunter die Marktöffnung im Stromsektor, den Erhalt des Kooperationsmodells im Landverkehrsbereich und die Beibehaltung der Zolltarife im Agrarsektor. Weitere übernommene Empfehlungen betreffen Zuwanderung, Lohnschutz und institutionelle Elemente.
Mandat berücksichtigt Ängste von SBB und Gewerkschaften
In seinem «Bericht über die Ergebnisse der Konsultation zum Entwurf eines Verhandlungsmandats zwischen der Schweiz und der Europäischen Union über die Stabilisierung und Weiterentwicklung ihrer Beziehungen» hält der Bundesrat fest, dass das Modell der SBB-Kooperationen im internationalen Schienenpersonenverkehr weiterhin möglich bleibt, die Schweiz nach wie vor Zugtrassen zuweisen darf und die Regeln für den internationalen Personenverkehr die Schweizer Qualität des öffentlichen Schienenverkehrs nicht verschlechtern dürfen. Weiter garantiert er in seinem Verhandlungsmandat Tarifintegration, Taktfahrplan sowie die Verkehrsverlagerung von der Strasse auf die Schiene. Der regulatorische Dialog im Finanzbereich zwischen der Schweiz und der EU wird wieder aufgenommen. Damit zerstreut er die unbegründete Angst von SBB und Gewerkschaften vor den «dunklen Mächten» des Wettbewerbs.
VAP begrüsst Wiederaufnahme des Dialogs
In unserer Stellungnahme vom 12. Februar 2024 begrüssen wir vom VAP, dass sich die Regierung – insbesondere das Bundesamt für Verkehr (BAV) und das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) – trotz der bestehenden politischen Blockade zwischen der Schweiz und der EU weiter bemüht, das Schlüsseldossier für den Bahnsektor in realistischen Teilschritten voranzubringen. Schliesslich bietet eine Marktöffnung der Schweiz interessante Chancen wie gesicherte Interoperabilität, mehr Innovationskraft und höhere Leistungsfähigkeit. In diesem Kontext unterstützen wir auch die Revision des Eisenbahngesetzes und heissen es gut, dass bereits konkrete Anpassungsvorschläge auf Verordnungsstufe bestehen.
Gerade die Realisierung der ERA-Mitgliedschaft für die Schweiz im Nachgang zu den erfolgreichen Verhandlungen erachten wir als nächsten Meilenstein. Die ERA hat nämlich speziell für die Schweiz den Expertenstatus geschaffen. Demnach dürfen Schweizer Experten schon heute in den Gremien der ERA zur Weiterentwicklung der gemeinsamen Spezifikationen mitarbeiten. Zudem übernimmt die Schweiz seit Jahren systematisch Regeln aus der lnteroperabilitätsrichtlinie und der Sicherheitsrichtlinie der EU. Die Schweiz hat insgesamt ein grosses Interesse, sich den Zugang zum europäischen Bahnsektor baldmöglichst durch eine vollwertige ERA-Mitgliedschaft nachhaltig zu sichern – nicht nur mitzuarbeiten sondern auch mitzuentscheiden.
Wir unterstützen das vorliegende Verhandlungsmandat im Bereich Landverkehr. Die seit Jahren nicht umgesetzte Marktöffnung im internationalen Personenverkehr ist aus unserer Sicht nötig und bietet trotz der auferlegten Restriktionen Chancen für interessante Entwicklungen. Das Vorgehen zur Integration der institutionellen Elemente in die sektoriellen Abkommen ist aus unseren bisherigen Erfahrungen bei der Rechtsentwicklung mit Einbezug der Experten der Schweiz vertretbar.
Kräfte zugunsten der Bahn als Verkehrsträger der Zukunft bündeln
Der Schienengüterverkehr soll dank Innovation wieder Marktanteil gewinnen – das möchte die EU und das möchte auch die Schweiz. Allerdings benötigen wir dazu langfristige Strategien und starke Investoren. Stabilität bildet die unverzichtbare Basis für internationale Verkehrskooperationen (vgl. Blogbeitrag «Stabilität als unverzichtbare Basis für die internationale Verkehrskooperation»). Die Innovation für den künftigen Schienengüterverkehr mit Digitalisierung und Automatisierung wird aktuell in der EU erarbeitet. Die Schweiz will sich an der Gestaltung dieser tiefgreifenden Systemerneuerung des Schienengüterverkehrs beteiligen und mitbestimmen. Das ist in effizienter und nachhaltiger Weise nur möglich, wenn politische Differenzen ausgeräumt werden und über die künftige Zusammenarbeit ausreichend Klarheit besteht. Dazu gehören eine Wiederaufnahme der Schweiz im Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020, eine Aktualisierung des Landverkehrsabkommens zwischen der Schweiz und der EU und bilaterale Abkommen zu Grenzbetriebsstrecken mit unseren Nachbarländern.
Stabilität als unverzichtbare Basis für die internationale Verkehrskooperation
Ein weiteres Mal konnte der Status Quo im Gemischten Ausschuss zum Landverkehrsabkommen, trotz düsterer Aussichten, gerettet werden. Die EU gesteht der Schweiz im 2024 erneut auf Jahresfrist begrenzt Zugang zu der ERA-Datenplattform OSS. Wie lange will die Schweiz mit diesen Zitterpartien noch weiterarbeiten?
Darum geht’s:
- Welches Ziel verfolgt das Bundesamt für Verkehr?
- Warum ist die internationale Zusammenarbeit bedeutend?
- Die Schweiz muss sich bewegen
- Stabilität ist für die Lösung anstehender Aufgaben zentral
Welches Ziel verfolgt das Bundesamt für Verkehr?
Züge sollen grenzüberschreitend möglichst hindernisfrei verkehren können. Das Schweizer Normalspurnetz bildet einen zentralen Teil des interoperablen europäischen Schienennetzes (Single European Railway Area). Damit dies möglich ist, gleicht das BAV die hoheitlichen Schweizer Bahnvorschriften periodisch an die aktuellen europäischen Regeln der Interoperabilitäts-Richtlinie und der Sicherheits-Richtlinie an. Die Schweiz soll im Verantwortungsbereich der EU-Verkehrskommission (DG MOVE) als den Mitgliedstaaten gleichwertiger Partner agieren können. In dieser bilateralen Zusammenarbeit spielt das Landverkehrsabkommen die zentrale Rolle. Ratifizierte Vereinbarungen schaffen Rechtssicherheit und Planbarkeit.
Warum ist die internationale Zusammenarbeit bedeutend?
Die EU will das bestehende national geprägte Bahnsystem von Grund auf erneuern und es zum starken Verkehrsträger der Zukunft weiterentwickeln. Moderne Züge sollen künftig auf einem leistungsfähigen und standardisierten Schienennetz hindernisfrei grenzüberschreitend verkehren. Für diese tiefgreifende Transformation müssen der Bahnbetrieb von Grund auf neu konzipiert sowie neue standardisierte Systeme mit transparenten Schnittstellen entwickelt und eingeführt werden. Dies gelingt nur mit einer zentralen Koordination und einer geführten länderübergreifenden Zusammenarbeit. Das 2019 in Kraft gesetzte 4. Bahnpaket bildet dazu die rechtliche Grundlage: Die ERA ist als europäische Agentur neu für die fachliche Gestaltung einheitlicher Verfahren und Regeln sowie für die Führung europäischer Bewilligungsverfahren verantwortlich. Für die erforderlichen Entwicklungen schuf die EU mit «Europe’s Rail» als Teil von «Horizon» neue umfassende Organisationen und stattete sie mit beträchtlichen finanziellen Mitteln aus. Ministerien, Bahnunternehmungen, Verbände und Industrie sind aufgefordert in den zahlreichen Arbeitsgruppen des ERJU bestehend aus dem System- und dem Innovation Pillar aktiv mitzuarbeiten und ihr Fachwissen zur Gestaltung des zukünftigen europäischen Bahnsystems einzubringen. Das Thema «DAK» ist übrigens auch ein integraler Bestandteil dieser Organisation.
Die Schweiz muss sich bewegen
Die Schweiz übernahm in den vergangenen 25 Jahren viele Elemente aus der neu gestalteten EU-Bahnwelt. Dank der nachgewiesenen Äquivalenz wurden wichtige Schritte zur Integration in das europäische Bahnsystem erreicht. Der Entscheid des Bundesrates zum Abbruch der Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen (InstA) führte auch im Verkehrssektor dazu, dass seit 2021 keine substantielle Weiterentwicklung des Landverkehrsabkommens mehr möglich ist. Die Schweiz muss sich jetzt zwischen Isolation und Zusammenarbeit entscheiden.
Stabilität ist für die Lösung anstehender Aufgaben zentral
Die umfassende Transformation der bestehenden stark national geprägten europäischen Bahnen in ein modernes leistungsfähiges Gesamttransportsystems bedarf einer gemeinsamen koordinierten Anstrengung – Alleingänge könnten gravierende Folgen haben. Wer dazugehört kann mitwirken und aktiv mitgestalten.
Die Schweiz muss jetzt ihre Hausaufgaben erledigen:
- politische Differenzen mit der EU bereinigen
- Teilnahme im Forschungsprogramm «Horizon 2020» nachhaltig wieder sicherstellen
- Aktualisierung des Landverkehrsabkommens EU-CH
- Bahnpaket Marktteil umsetzen (Marktöffnung mindestens im internationalen Personenverkehr)
- Bahnpaket komplettieren (EBV anpassen, ERA-Mitgliedschaft, Anerkennen ERA-Bewilligungen, Regelung der ERA-Kompetenzen)
- Bilaterale Abkommen zu Grenzbetriebsstrecken reaktivieren
Verkehr und Logistik ist länderübergreifend. Die geplante Migration zur Digitalisierung und Automatisierung der Bahnen erfordert einerseits die Bereitschaft zu tiefgreifenden Veränderungen und andererseits zu grossen Investitionen. Beides wird in effizienter und nachhaltiger Weise nur möglich sein, wenn über die künftige Zusammenarbeit ausreichend Klarheit besteht.
Marco Rosso: «Kollaborative Innovation kann zur Lebensqualität beitragen und zugleich rentabel funktionieren.»
Marco Rosso ist Verwaltungsratspräsident der Cargo sous terrain AG (CST). Im Interview mit dem VAP spricht er über Interoperabilität, Diskriminierungsfreiheit auf der letzten Meile und die Logistik der Zukunft. Und darüber, wie kollaborative Innovation zur Lebensqualität der Menschen in der Schweiz beitragen und gleichzeitig gewinnbringend funktionieren kann.
VAP: Herr Rosso, wie sehen Sie in Zukunft das Verhältnis von Schienengüterverkehr zu CST?
Marco Rosso: Die Schiene und CST sind zwei Systeme, die sich ergänzen. CST kooperiert mit allen Verkehrsträgern, um gemeinsam das prognostizierte Güterverkehrswachstum von über 30% bis 2050 auf eine innovative, nachhaltige Art zu absorbieren. Weil CST nicht für alle Transporte geeignet ist, unterstützt das Unternehmen mit neuer Technologie und Digitalisierung die Geschäftsmodelle von Bahn, Strassentransporteuren und weiteren Logistikakteuren. Nur mit Kooperationen (im Rahmen der Wettbewerbsregeln) kann die Interoperabilität unter den verschiedensten Verkehrsträgern und Transportunternehmungen gewährleistet werden. Deshalb plant CST die Anbindung an Bahn, Strasse, Schiff, Luftfracht und weitere Systeme. An den CST-Hubs wird es multimodale Anschlüsse, insbesondere auch einen Bahnanschluss, geben. In der Bauphase, bereits ab 2026 und bis 2045, nutzt CST Bahntransporte im Umfang von 2000 Güterzügen pro Jahr und wird damit zu einem wichtigen Kunden der Schiene.
Sollte nicht der Staat die Infrastruktur erstellen und der Betrieb in den Tunnels, ebenso der Betrieb der Terminals und der letzten/ersten Meile wären dann frei und würden einem Wettbewerb unterliegen?
CST ist ein System, das nur als Ganzes funktioniert, weil alle Prozesse End-to-End gesteuert sind. Nur so können die Stückgüter zeitgenau und zuverlässig zum Ziel gelangen. Aus diesem Grund muss das System aus einer Hand geführt werden und gleichzeitig anschlussfähig sein an alle Partnerplattformen. CST ist von Beginn weg als privatwirtschaftliches Projekt geplant und konzipiert. Mit diesem Finanzierungskonzept ist es möglich und wichtig, rasch voranzukommen, ohne die Mittel im Bundesbudget zu belasten. Bei den Investoren sind auch wichtige künftige Kunden dabei. Sie helfen, das System marktgerecht zu entwickeln. Der Bund hat erkannt, dass es nicht zweckdienlich wäre, selber als Ersteller aufzutreten, sondern sich auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu beschränken. Mit sorgfältig ausgearbeiteten Businessplänen, konkurrenzfähigen Preisen und der Breite der Investorenbasis, die das Projekt mitträgt, zeigt CST, dass Innovation im Gütertransport zur Lebensqualität in Stadt und Land beiträgt und zugleich rentabel funktionieren kann.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen in Ihrem Projekt?
Ein derart umfassendes Vorhaben bietet vielfältige Herausforderungen, etwa in planerischer, juristischer, umweltrechtlicher, finanzieller und politischer Hinsicht. Was CST auszeichnet ist das Modell der kollaborativen Innovation – mit Einbezug aller Stakeholder. Die Herausforderungen geht das Projekt pragmatisch in Etappen an.
Wie gestalten Sie eine diskriminierungsfreie erste/letzte Meile?
Diskriminierungsfrei ist unser System ohnehin von Anfang an geplant, ohne dass es das Gesetz verlangt hätte. Durchwegs gilt: Alle haben Zutritt zum System mit gleichem Preis bei gleicher Leistung. Wir gehen aber noch weiter, indem wir zum Beispiel die Citylogistik von CST partnerschaftlich-kollaborativ entwickeln und offen sind für jegliche Zusammenarbeit mit kleineren sowie grösseren Partnern, darunter auch Bahn und Post. Auch hier ist unser Prinzip die kollaborative Innovation, die wir tagtäglich leben.
Was ist der grösste Vorteil oder die grösste Motivation von CST für die Schweizer Bevölkerung?
Der wichtigste Effekt von CST wird die Steigerung von Lebensqualität für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz sein. Indem wir einen Weg aufzeigen, wie die Logistik der Zukunft nachhaltig aussehen kann, wie sich Schwerverkehr auf der Strasse durch verladerübergreifende Bündelung und Vorsortierung im Tunnel wegbringen beziehungsweise ein Stau zur Güterversorgung unterfahren lässt, wie man aus den vorhandenen Ressourcen das Beste bezüglich CO2-Ausstoss, Lärm etc. herausholt. Der kostbare Platz an der Oberfläche soll in erster Linie der Bevölkerung gehören. CST begünstigt den Ausbau von Infrastruktur wie auch der erneuerbaren Energien in der Schweiz. CST ist ein privat finanzierter Innovationsmotor zum Nutzen der Schweizer Wirtschaft und für Lebensqualität in Städten und Dörfern, indem es die Versorgungssicherheit garantiert und damit den Wohlstand in der Schweiz erhöht.
Gibt es Punkte, die wir unseren Mitgliedern aus Ihren Augen noch wissen lassen sollten?
Es stehen entscheidende Weichenstellungen und Diskussionen bevor, gerade auch vor dem Hintergrund der politischen Debatten um den Güterverkehr. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir mit einer unternehmerischen Haltung einen effektiven Beitrag leisten können, um die Schweiz im 21. Jahrhundert als exzellenten Wirtschaftsstandort mit hoher Lebensqualität auch für künftige Generationen zu erhalten. An dieser Arbeit beteiligen wir uns mit Begeisterung und Engagement.
Herr Rosso, vielen Dank für das Gespräch.
Revision des Eisenbahngesetzes: Volle Wirkung könnte ausbleiben
Der Nationalrat hat am 12. September 2023 der Revision des Eisenbahngesetzes (EBG) zugestimmt, nachdem der Ständerat diese bereits in der Sommersession 2023 einstimmig angenommen hat. Allerdings kann die EBG-Revision nicht vollständig umgesetzt werden, solange das 4. EU-Eisenbahnpaket nicht ins Landverkehrsabkommen aufgenommen oder die Übergangslösung mit der EU verlängert wird. Es könnten also Ineffizienzen bestehen bleiben.
Darum geht’s:
- Was bisher geschah
- Die Schweiz hat drei EU-Eisenbahnpakete übernommen
- Revidiertes EBG schafft äquivalente Bedingungen
- Verordnungen sind ebenfalls anzupassen
- Aufnahme des 4. EU-Eisenbahnpakets ins Landverkehrsabkommen nötig
Was bisher geschah
Seit dem 16. Juni 2019 ist das 4. EU-Eisenbahnpaket in Kraft und die EU-Eisenbahnagentur (ERA) neu für das Erteilen von einheitlichen Sicherheitsbescheinigungen und Zulassungen von Rollmaterial für den grenzüberschreitenden Verkehr zuständig. In der Sommersession 2023 hat der Ständerat dem Antrag seiner Kommission auf Zustimmung für die Änderung des EBG (Umsetzung der technischen Säule des 4. EU-Eisenbahnpakets) stattgegeben.
Das 4. EU-Bahnpaket enthält drei wesentliche Elemente:
- Die anzuwendenden Vorschriften sollen in allen beteiligten Staaten systematisch harmonisiert werden. Dies geschieht durch institutionelle Inkraftsetzungsverfahren der technischen Spezifikationen Interoperabilität, TSI und deren Aktualisierungen. Damit sind von der EU-Kommission publizierte TSI neu unmittelbar in allen Staaten gültig; es braucht keine nationalen Umsetzungsprozesse mehr.
- Die ERA überwacht Abbau von überholten nationalen Vorschriften durch die zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden.
- Die ERA koordiniert neu die Zulassungsverfahren und erlässt einheitliche, länderübergreifend gültige Betriebsbewilligungen.
Die ERA betreibt das Online-Fahrzeugzulassungsportal «One Stop Shop». Bei den Prüfungen der Zulassungsdossiers arbeitet sie eng mit den nationalen Aufsichtsbehörden zusammen. Heute kann im «One Stop Shop» der ERA ein Antrag auf Zulassung gestellt und das entsprechende Dossier eingereicht werden. Die ERA prüft unter Einbezug der beteiligten nationalen Aufsichtsbehörden das Dossier und verfügt eine in allen beantragten Ländern direkt gültige Betriebsbewilligung.
Die Schweiz hat drei EU-Eisenbahnpakete übernommen
Die Schweiz hat die relevanten technischen Bestimmungen der drei EU-Eisenbahnpakete im Rahmen des Landverkehrsabkommens mit der EU übernommen. Sie sitzt bereits heute als Beobachterin in den relevanten Gremien zur laufenden Entwicklung der Interoperabilität ein und kooperiert mit der ERA. Ein Beitritt zur ERA war bis anhin nicht möglich.
Revidiertes EBG schafft äquivalente Bedingungen
Die technische Säule des 4. EU-Eisenbahnpakets umfasst die Überarbeitung der Vorgaben für Interoperabilität (RL 2016/797) und für die Eisenbahnsicherheit (RL 2016/798). Ebenfalls enthalten ist die Weiterentwicklung der ERA zur EU-Aufsichtsbehörde mit dem One Stop Shop für vereinheitlichte Verfahren (vgl. Blogartikel «Der Schweiz droht Isolation im internationalen Bahnverkehr»). Mit der Revision des Eisenbahngesetzes wird das Fundament gelegt, damit die technische Säule des 4. Bahnpakets umgesetzt werden kann. Demnach sollen für sämtliche interoperabel arbeitenden Schweizer Bahnen gleichwertige Bedingungen wie für EU-Mitgliedstaaten gelten und der Zugang zum vereinfachten Zulassungsverfahren soll via ERA geöffnet werden.
Verordnungen sind ebenfalls anzupassen
Auf der Basis der Anpassungen im EBG kann das BAV in einem zweiten Schritt auf Verordnungsebene die erforderliche Konformität zu den EU-Richtlinien herstellen. Deshalb hat es die entsprechenden Anpassungsentwürfe der Verordnungen bereits vorbereitet und von der EU-Kommission prüfen lassen – mit positivem Ergebnis. Damit hat die Schweiz eigenständig die Grundlage für die Gleichwertigkeit ihrer Gesetzgebung mit derjenigen der EU geschaffen.
Aufnahme des 4. EU-Eisenbahnpakets ins Landverkehrsabkommen nötig
Mit der umgesetzten EBG-Revision hat die Schweiz wertvolle Zeit gewonnen. Denn bis sich eine Gesetzesrevision in Kraft setzen lässt, vergehen in der Regel mehrere Jahre. In diesem Fall liegen die nationalen gesetzlichen Rahmenbedingungen bereits vor. Zu ihrer vollen Wirkung sind jedoch die Aufnahme der technischen Säule des 4. EU-Eisenbahnpakets ins Landverkehrsabkommen und der Beitritt zur ERA nötig. Beides ist im Kontext der stockenden Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz vorerst nicht absehbar. Die EU setzt dafür eine Einigung im Rahmenabkommen und bei der Öffnung des Personenverkehrs in der Schweiz voraus (Teil des 3. EU-Eisenbahnpakets). Letztere blieb bisher aus; sämtliche Versuche des BAV für ein Entgegenkommen durch eine Aufweichung der Marktabschottung durch die Schweiz blieben bisher erfolglos.
Volle Interoperabilität und eine grundlegende Vereinfachung der Zulassungsverfahren reduzieren die administrativen und betrieblichen Kosten. Das ist für einen sicheren und wettbewerbsfähigen Schienen(güter)verkehr und damit für eine erfolgreiche Verkehrsverlagerung fundamental.
Gotthardbasistunnel (#4): Sicherheitskritische Bauteile von Güterwagen
Die öffentlich publizierten Informationen zur Güterbahnentgleisung im Gotthardbasistunnel deuten auf eine gebrochene Radscheibe an einem entgleisten Güterwagen hin. Überbeanspruchung oder Materialfehler stehen als mögliche Ursache des Versagens im Raum. Was tatsächlich geschah, bleibt den laufenden Untersuchungen der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle (Sust) vorbehalten.
Darum geht’s:
- Wie werden sicherheitskritische Bauteile gefertigt?
- Wie werden sie zugelassen und in Betrieb genommen?
- Wie werden sie gewartet?
- Welche Bedeutung hat die Überwachung im täglichen Betrieb?
- Welche Überwachungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung?
- Einheitliche Regelungen ermöglichen sicheres Zusammenwirken der Akteure
- Ausblick digitale automatische Kupplung (DAK)
Wie werden sicherheitskritische Bauteile gefertigt?
Sicherheitsrelevante und ‑kritische Bauteile wie Radsätze werden so ausgelegt, dass sie ihre Aufgabe während der geplanten Nutzungsdauer unter den vorherrschenden Betriebs- und Einsatzbedingungen erfüllen und damit eine sichere Fahrt gewährleistet ist. Dabei wenden die Herstellerfirmen international anerkannte Standards an:
- Technische Spezifikationen der Interoperabilität (TSI) legen grundlegende Anforderungen fest.
- Europäische Normen (EN) definieren die spezifischen Eigenschaften.
- Hersteller wenden zur Entwicklung und Prüfung harmonisierte und standardisierte Sicherheitsmethoden an.
- Normierte Sicherheitsnachweise und Gutachten dokumentieren Sicherheit und Tauglichkeit.
In die Entwicklung der Normen und TSI fliessen die internationalen Erfahrungen aus Vor- und Unfällen laufend ein.
Wie werden sie zugelassen und in Betrieb genommen?
Die Inverkehrbringung von sicherheitskritischen Bauteilen erfordert die international einheitliche Genehmigung der europäischen Eisenbahnagentur (ERA) oder einer nationalen Sicherheitsbehörde. Es sind dies:
- Typenzulassungen für Bauteile oder Fahrzeuge
- Konformitätsnachweise für baugleiche Serienbauteile oder Fahrzeuge
- CE-Kennzeichnung (Conformité Européenne) für ein Bauteil, das die geltenden EU-Richtlinien erfüllt
- Betriebsbewilligung für ein regelkonformes Fahrzeug
Die Bescheinigung, dass Bauteile nach den Anforderungen von Normen und TSI gebaut wurden, erfolgt durch sogenannt «benannte Stellen», also staatlich autorisierte Stellen. Diese prüfen und bewerten die Regelkonformität der gefertigten Produkte.
Wie werden sie gewartet?
Der Hersteller ist verpflichtet, für sämtliche Bauteile oder Fahrzeuge die anzuwendenden Instandhaltungsvorgaben zu definieren und zu publizieren. Fahrzeughalter müssen diese Herstellervorgaben abgestimmt auf die Einsatzbedingungen umsetzen. Sie bestimmen für ihr Rollmaterial zertifizierte Instandhaltungsstellen (Entity in Charge of Maintenance, ECM). Diese erarbeiten die Instandhaltungsvorgaben der ihnen zugeordneten Fahrzeuge unter Berücksichtigung eigener und Branchenerkenntnisse. Zudem planen sie periodische Arbeiten, führen sie durch und dokumentieren deren Ergebnisse. Jedes für den Betrieb zugelassene Fahrzeug muss unter Nennung des Fahrzeughalters und der ECM in einem amtlichen Fahrzeugregister eingetragen sein.
Welche Bedeutung hat die Überwachung im täglichen Betrieb?
Die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sind für die sichere Fahrt, Zugvorbereitung, Zugabfertigung und andere Sicherheitsaspekte ihrer Züge verantwortlich. Sie legen die Prüfungen und Tests fest, mit denen gewährleistet wird, dass jede Abfahrt sicher erfolgen kann. Um diese Betriebstauglichkeit festzustellen, führen ausgebildete Mitarbeitende vor der Abfahrt vor Ort definierte Sichtkontrollen durch. Diese Arbeit findet zu jeder Tageszeit und Witterung statt und ist äusserst anspruchsvoll. Auch bei der Zugsabfertigung und den damit verbundenen Prüfungen und Tests wird ein besonderes Augenmerk auf sicherheitskritische Bauteile gelegt.
Welche Überwachungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung?
Die Fahrzeughalter sind für die ordnungsgemässe Instandhaltung ihrer Fahrzeuge verantwortlich. Sicherheitsrelevante und ‑kritische Bauteile werden periodisch kontrolliert, z.B. durch Ultraschallmessungen. Sicherheitskritische Bauteile unterliegen nicht nur strengen Kontrollen, sondern auch besonderen Verpflichtungen in Bezug auf Kennzeichnung, Instandhaltung und Rückverfolgbarkeit der Massnahmen. Die EVUs können vom Fahrzeughalter wagenspezifische Auskünfte verlangen.
Auf dem Schweizer Normalspurnetz betreiben die Infrastrukturbetreiber heute über 250 Zugkontrolleinrichtungen. Sie überwachen jedes vorbeifahrende Fahrzeug auf Unregelmässigkeiten und können im Falle von unzulässigen Abweichungen Alarm auslösen. In diesem Fall wird der betroffene Zug sofort angehalten und kontrolliert.
Einheitliche Regelungen ermöglichen sicheres Zusammenwirken der Akteure
Im Bahnbetrieb agieren verschiedene Unternehmen zusammen. Dabei muss sich jeder Akteur auf die Zuverlässigkeit des anderen an der Schnittstelle verlassen können. Ihre Aufgabenbereiche und Verantwortungen sind international klar und einheitlich geregelt. Harmonisierte Vorschriften zu Herstellung, Betrieb und Instandhaltung sorgen für einen sicheren Schienenverkehr (mehr zum Regulativ der internationalen Zusammenarbeit lesen Sie in Kürze auf diesem Blog).
Ausblick digitale automatische Kupplung (DAK)
Neben der Umsetzung der geltenden Vorgaben durch jeden am Eisenbahnverkehr beteiligten Akteur rücken neue Technologien in den Mittelpunkt. Mit der Automatisierung und Digitalisierung lassen sich nicht nur Betriebsabläufe effizienter gestalten. Es eröffnen sich auch neue Möglichkeiten zur betrieblichen Überwachung sicherheitsrelevanter und ‑kritischer Bauteile in Güterzügen. Die laufende digitale Zustandserfassung dieser Bauteile bietet den Verantwortlichen eine attraktive Chance. Werden Verschleiss- und Alterungsprozesse fahrzeugindividuell digitalisiert verfolgt, so lässt sich die Instandhaltung bedarfsgerecht und effizient planen. Schadhafte Bauteile können vor einem Totalversagen ermittelt und ausgetauscht werden. Tritt während der Fahrt unerwartet ein Bauteilausfall auf, kann das sofort Alarm auslösen.
Um diese Innovation im Güterverkehr zu nutzen, braucht es in den Güterwagen Sensorik, elektrische Energie und Datenkommunikation zum Lokführer, in die Systeme der Wagenhalter und zur ECM. Mit der europaweit geplanten Einführung der DAK werden diese Voraussetzungen geschaffen (vgl. Blogpost «Datenökosysteme: Daten teilen, um ihren Mehrwert zu verdoppeln»). So verwandeln die Automatisierung und Digitalisierung den herkömmlichen Verkehr in einen intelligenten, effizienten, resilienten und sicheren Verkehr.
Fahrdienstvorschriften: Bitte vereinfachen und international harmonisieren
Das Bundesamt für Verkehr (BAV) entwickelt im Rahmen des Änderungszyklus 2024 die Schweizer Fahrdienstvorschriften (FDV2024) weiter. Systematische Veränderungen sind zentral. Hier eine Stellungnahme aus Sicht der verladenden Wirtschaft.
Darum geht’s:
- Weiterentwicklung der Fahrdienstvorschriften ab 2024 in Kraft
- Systemische Vereinfachung für Bahnmitarbeitende gefragt
- Konsequente Anwendung der TSI OPE steigert Interoperabilität zusätzlich
- Bahnbranche soll Verantwortung für die Fahrdienstvorschriften übernehmen
- VAP wünscht mehr unternehmerischen Spielraum für Anschlussgleisbetreiber
Seit über 20 Jahren gelten in der Schweiz einheitliche Fahrdienstvorschriften, die für alle Bahnunternehmen verbindlich sind. Sie sind für den Bahnbetrieb essenziell, da sie sicherheitsrelevante Tätigkeiten und Massnahmen der Zusammenarbeit definieren und die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten aller Beteiligten im Bahnbetrieb festlegen. Um die Fahrdienstvorschriften weiterzuentwickeln und alle vier Jahre zu aktualisieren, arbeitet das BAV eng mit der Bahnbranche zusammen. Dieser Änderungszyklus ist sinnvoll, da damit sowohl die täglichen Erfahrungen aus dem Betrieb als auch die technischen Entwicklungen in der Bahnbranche berücksichtigt werden. Er hat aber auch negative Nebenwirkungen: So sind die FDV zu einem schwer überblickbaren Vorschriftendschungel angewachsen, der dringend entschlackt und auf die Interoperabilitätsvorschriften ausgerichtet werden muss. Den verantwortlichen Unternehmen ist dabei mehr unternehmerischer Freiraum zu gewähren. Die Inkraftsetzung der aktuell laufenden Überarbeitung ist auf den 1. Juli 2024 geplant[1].
Änderungszyklus 2024 mit wichtigen Teilprojekten
Wir vom VAP begrüssen die vom BAV in den konzeptionellen Teilprojekten vorgeschlagenen systematischen Weiterentwicklungen der Fahrdienstvorschriften (vgl. Abbildung 1). Zudem regen wir an, die grundsätzlichen Neuerungen konsequent und zügig umzusetzen.
- Mit dem Teilprojekt 1 «STRUKTUR» will das BAV die Fahrdienstvorschriften systematisch strukturieren, um sie für Anwender verständlicher und einheitlicher zu machen. Die vollständige Umsetzung dieser Vereinheitlichung wird einige Änderungsrunden benötigen. Meistens ist es sinnvoll, eine strukturelle Harmonisierung mit materiellen Anpassungen zu kombinieren.
- Mit den Teilprojekten 2a, 2b und 2c «Anwendung» zielt das BAV darauf ab, die Voraussetzungen für eine systematische digitale Nutzung der Fahrdienstvorschriften zu schaffen. Jede einzelne Vorschrift wird einem Geltungsbereich oder einer Option zugeordnet. Neu ist festgelegt, wer welche Funktion wahrnimmt. Sobald dieses Teilprojekt realisiert ist, lassen sich Vorschriften eindeutig nach Geltungsbereichen filtern und Funktionen zuordnen. Das wird die Effizienz bei der Erstellung und bei allen Anwendungen der Vorschriften massiv erhöhen, da es digitale Nutzungsmöglichkeiten zulässt.
- Im Rahmen des Teilprojekts 3 «Wirkung» ist das BAV gefordert, eine nutzergerechte Strategie zu finden, um die sichere Übertragung der Verantwortung an die Bahnunternehmungen bei laufendem Betrieb zu gewährleisten. Gemäss TSI OPE (vgl. Kasten) sind die Bahnunternehmungen für Betriebsvorschriften zuständig; das soll auch in der Schweiz künftig gelten. Die laufende Weiterentwicklung der TSI OPE wird es zudem ermöglichen, die bestehenden nationalen Regeln der Fahrdienstvorschriften schrittweise aufzuheben und nur zwingend notwendige nationale Vorschriften beizubehalten, die als Notifizierte Nationale Technische Vorschriften (NNTV)[2] bei der Europäischen Eisenbahnagentur ERA gemeldet werden müssen.
- Das Teilprojekt 4 «MATERIELL» umfasst eine Anzahl inhaltlicher Anpassungen, die die Fahrdienstvorschriften aktualisieren.
Zusammenarbeit aller Beteiligten regeln
Für die Weiterentwicklung der Fahrdienstvorschriften per 2024 stehen tiefgreifende Veränderungen an. Wir sind überzeugt, dass der Bahnbetrieb nicht per se als komplex einzustufen ist. Er braucht klare Regeln für die Zusammenarbeit aller Beteiligten – gerade, weil Arbeitsteilung, Automation und Spezialisierung im Bahnbetrieb zunehmen. Deshalb sind aus unserer Sicht die folgenden Aspekte einzubeziehen:
Vereinfachungen anstreben
Es braucht einheitliche, verständliche und adressatengerechte Vorschriften, die unternehmensübergreifend gelten. Mitarbeitende sollen für ihre jeweilige Funktion über alle notwendigen Regeln verfügen und konsequent von unnötigem Ballast befreit arbeiten können.
Die Betriebsvorschriften sollten risikobasiert formuliert werden, die Bahnunternehmungen müssen in einem definierten Gesamtrahmen auf sie zugeschnittene einfache und kostengünstige Lösungen erarbeiten, um konkurrenzfähig zu produzieren.
Digitalisierung nutzen
Mit funktionsbezogenen Filtern ermöglicht die Digitalisierung eine massive Steigerung der Effizienz bei der Nutzung der Fahrdienstvorschriften. Wer eine sicherheitsrelevante Tätigkeit ausübt, muss die dafür relevanten Vorschriften kennen – aber nur diese.
Unternehmerische Freiheiten sicherstellen
Wir vom VAP streben für Anschlussgleise machbare Lösungen an, da eine strikte Einhaltung der für den Bahnbetrieb definierten Vorschriften hier nicht immer möglich ist. Insbesondere für Anschlussbahnen empfehlen wir einen risikobasierten Ansatz, um mehr unternehmerische Freiheit zu gewährleisten. Um die Betriebsabwicklung auf Anschlussgleisen sicher und kosteneffizient für Betreibergesellschaften und Mitarbeitende zu gestalten, sind spezifische Vorschriften gefragt.
Interoperabilität sicherstellen
Interoperable Bahnen, die auf verschiedenen Infrastrukturen und grenzüberschreitend in mehreren Ländern verkehren, haben andere Anforderungen als regionale Bahnen und Anschliesser, die ausschliesslich lokal unterwegs sind. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Verhältnisse bei Bahnhöfen und Anschlussgleisen müssen die Betriebsvorschriften im Rahmen einer einheitlichen Gesamtstruktur je nach Verkehr und Infrastruktur unterschiedlich, verständlich und aufs Wesentliche konzentriert gestaltet sein.
Im Normalspurbereich werden mit der Weiterentwicklung der TSI OPE die Betriebsvorschriften international immer stärker harmonisiert. Die Zahl der verbleibenden nationalen Vorschriften ist auf ein Minimum zu beschränken, um die praktische Anwendbarkeit zu verbessern. Alle beteiligten Länder sind gefordert, nicht mehr benötigte nationale Vorschriften abzuschaffen. Die konsequente Anwendung der TSI OPE wird dazu führen, dass im grenzüberschreitenden Verkehr langfristig einheitlichere Vorschriften gelten und Hürden allmählich verschwinden.
Verantwortung übernehmen
Die TSI OPE weist die Verantwortung für die Betriebsvorschriften den Bahnunternehmen zu. Folglich muss das BAV seine Hoheit über die Fahrdienstvorschriften an die Bahnbranche abgeben. Die Schweizer Bahnbranche soll aktiv die Verantwortung für die gesamten Betriebsvorschriften und deren Weiterentwicklung übernehmen. Der VAP begrüsst diese Verantwortungsübertragung der FDV an die Bahnbranche. Sie ist mit den bevorstehenden Innovationsschritten zu kombinieren. Im Bahnsektor muss dazu eine unternehmensübergreifende Lösung für einheitliche übergeordnete Betriebsvorschriften gefunden werden. Aus Sicht VAP wäre ein kooperatives Zusammenarbeitsmodell zweckmässig, in dem das BAV die Koordinationsaufgabe innehat und gemeinsam mit den Fachexperten der Bahnbranche betriebliche Vorschriften in Form einer Leitlinie entwickelt und abstimmt (so Art. 3a GüTV gemäss Entwurf des Bundesrats vom 2. November 2022). Diese Leitlinien können nach erfolgter Publikation von den einzelnen Unternehmungen für die Erstellung ihrer Fahrdienstvorschriften verwendet werden.
TSI OPE 2019/773 Dieses Kürzel steht für die Durchführungsverordnung der Europäischen Union zu den Technischen Spezifikationen für die Interoperabilität «Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung», Ausgabestand 2019. Demnach soll die Schiene dank barrierefreier Zugfahrten über Landesgrenzen hinweg Marktanteile zurückgewinnen und zur Reduktion der CO2-Emissionen beitragen. Dazu braucht es unter anderem eine umfassende europaweite Harmonisierung der Betriebsregeln. Bis heute werden länderspezifisch unterschiedliche nationale Vorschriften angewendet. Die EU treibt die Harmonisierung mit der Weiterentwicklung der TSI OPE voran. Darin legt sie die Verantwortlichkeiten für Unternehmen fest, sieht aber keine behördlich erlassenen Fahrdienstvorschriften vor, wie dies in der Schweiz aktuell der Fall ist. Das bleibt Aufgabe der Bahnunternehmen. Diese müssen die Fahrdienstvorschriften im Sinne der Interoperabilität den Vorgaben der TSI OPE angleichen. Über den Gemischten Ausschuss (Landverkehrsabkommen CH-EU) hat sich auch die Schweiz zur Anwendung der TSI OPE verpflichtet. |
Sportlicher Fahrplan
Das BAV hat zur Weiterentwicklung der Fahrdienstvorschriften den folgenden Zeitplan publiziert:
Umsetzungsschritt | Frist |
Publikation der FDV2024 | per Ende November 2023 |
Inkraftsetzung der FDV2024 | per 1. Juli 2024 |
Zwischenzyklus FDV2025 (Teilprojekte Tram und TSI OPE) |
per Ende 2025 |
Nächster regulärer Zyklus | per Mitte 2028 |
[1] https://www.bav.admin.ch/bav/de/home/publikationen/vernehmlassungen/abgeschlossene-vernehmlassungen/weiterentwicklung-fdv-a2024.html
[2] https://www.bav.admin.ch/bav/de/home/rechtliches/rechtsgrundlagen-vorschriften/nntv.html
Der Schweiz droht Isolation im internationalen Bahnverkehr
Ab 2024 verliert die Schweiz den Zugang zur Plattform der EU für harmonisierte Zulassungsverfahren für neues Rollmaterial. Das kommt einem weiteren Schritt Richtung Isolation im internationalen Bahnverkehr gleich. Es sei denn, die europäisch-helvetischen Beziehungen normalisieren sich.
Darum geht’s:
- Zugang zu «One Stop Shop» wird nur noch bis Ende 2023 verlängert
- Ab dann behandelt die EU die Schweiz als Drittstaat
- Das gefährdet Verkehrsverlagerung, Digitalisierung und Automatisierung
Der Beschluss des gemischten Ausschusses zum Landverkehrsabkommen mit der EU zum vierten Bahnpaket hat der Schweiz bisher den Zugang zur Datenbank «One Stop Shop» (OSS) der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA) gesichert. OSS enthält gemeinsame vereinfachte Verfahren für Fahrzeugzulassungen und Sicherheitsbescheinigungen im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr. Gemäss BAV (vgl. Publikation) wird dieser Zugang nur noch bis Ende 2023 verlängert.
Dieser Entscheid geht auf die ungelösten Fragen im bilateralen Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU zurück. Ab 2024 werden voraussichtlich separate Verfahren greifen. Dasselbe gilt für die Abkommen über Grenzbetriebsstrecken.
Es ist dringend notwendig, dass sich die Schweiz klar für eine Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten ausspricht. Ansonsten sind sowohl die Verkehrsverlagerung als auch die Digitalisierung und Automatisierung des Schienengüterverkehrs in Gefahr.
Wintersession 2022
Am 6. Dezember 2022 hat der Ständerat in zweiter Instanz zwei Motionen angenommen. Sie sind für die Verkehrsverlagerung im Transit wichtig, betreffen aber auch die für den Import- und Exportverkehr zentrale Strecke Basel-Nordhäfen. Wir vom VAP unterstützen beide Vorstösse und regen eine Ausdehnung der staatlichen Förderung auf konventionelle Bahngüterverkehre an.
Darum geht’s:
- Ständerat nimmt zwei Motionen zugunsten des Güterverkehrskorridors durch die Schweiz an
- Wir vom VAP unterstützen die Motionsinhalte – und setzen Akzente
- Denn konventionelle Bahngüterverkehre werden derzeit noch ausgegrenzt
Förderung des Güterverkehrskorridors durch die Schweiz
Mit der Motion 22.3013 «Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Güterverkehrskorridors durch die Schweiz stärken» soll der Bundesrat die Fördermassnahmen im Transit auf bestimmte Regionen und Gütergruppen gezielt ausdehnen. Wir vom VAP unterstützen diese Motion. Allerdings grenzt sie konventionelle Bahngüterverkehre und deren brachliegendes Potenzial aus. Dieser Mangel sollte so bald als möglich korrigiert werden.
Artikel 8 des Güterverkehrsverlagerungsgesetzes erlaubt die Förderung des gesamten – also alpenquerenden – Güterverkehrs im Transit. Entsprechend sollte der Bundesrat beauftragt werden, den gesamten Güterverkehr zu fördern und das Förderinstrumentarium bestehend aus finanzieller Förderung, Qualitätsmonitoring und Ausbau der Zulaufstrecken auch für konventionelle Verkehre vorzusehen. Denn auch für diese ist die gezielte Ausdehnung der Fördermassnahmen auf bestimmte Regionen und Gütergruppen sinnvoll. Mit dem Festhalten am Dogma «Kombinierter Verkehr» vergibt die Schweiz interessante Chancen für die zusätzliche Verlagerung von der Strasse auf die Schiene.
Der Bundesrat sollte das Förderinstrumentarium technologieneutral konzipieren und auf alle Güterverkehre im Transit ausweiten, unabhängig von deren Produktionsart.
Ausbau des linksrheinischen Neat-Zubringers Wörth-Strassburg
Die Motion 22.3000 «Weiterführung der erfolgreichen Verlagerungspolitik und Gewährleistung der Versorgungssicherheit dank Ausbau des linksrheinischen Korridors Wörth-Strasbourg» fordert vom Bundesrat, sich um die Elektrifizierung und Aufrüsten des betroffenen Streckenabschnitts auf NEAT-Standards zu kümmern. Er zieht die Möglichkeit einer Finanzierung von Seiten der Schweiz in Betracht.
Wir vom VAP tragen diese Motion mit, wie wir das auch bei der Motion 20.3003 «Staatsvertrag für eine linksrheinische Neat-Zulaufstrecke» getan haben. Eine effiziente Streckenführung der Flachbahn im Nordzulauf zur NEAT ist im Hinblick auf Versorgungssicherheit, Ausweichkapazität für Baustellenphasen, Pünktlichkeit und Qualität dringend notwendig. Die Elektrifizierung und Einführung des NEAT-Standards auf dem betroffenen Streckenabschnitt bei gleichzeitigem Ausbau des Kannenfeld- und Schützenmatttunnels auf 4 Meter erlaubt eine erste erhebliche Kapazitätssteigerung im nördlichen NEAT-Zulauf.
Hier geht’s zur SDA-Meldung vom 6. Dezember 2022
Der Bahnsektor muss sich neu erfinden
Die Schiene ist nicht gerade berühmt für ihre Erneuerungsfreudigkeit. Das muss und wird sich ändern, wenn sie als Verkehrsträger zukunftsfähig bleiben will. Am 7. Internationalen Eisenbahn-Forum IRFC 2022 präsentierten die Experten einen breiten Fächer an Initiativen, Innovationen und Neuordnungen. Die wichtigsten haben wir hier kurzgefasst und kritisch gewürdigt.
Darum geht’s:
- Zur Umsetzung des Green Deal braucht es Innovation, neue Technologien und eine umfassende Modernisierung des Bahnsektors
- Die Skalierbarkeit von Innovationen gelingt nur mit Kooperation und Koordination
- Die Schweiz darf den Anschluss an EU-Innovationsprogramme nicht verpassen
Unter der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft lud der EU-Verkehrsminister vom 5. bis 7. Oktober 2022 zur IRFC nach Prag ein. Der Kongress stand unter dem Motto: «Gemeinsam eine neue Generation von Eisenbahnen bauen». Der tschechische Verkehrsminister Martin Kupka betonte die Schlüsselrolle der Bahn für die erfolgreiche Umsetzung des Green Deal. Mit diesem hat die EU eine klare Antwort auf den fortschreitenden Klimawandel definiert. Bis 2050 sollen Verkehr und Transport in Europa CO2-neutral werden. Mit den Klimazielen 2050 strebt der Bundesrat in der Schweiz die Ablösung von fossilen Energieträgern in einem vergleichbaren Zeitrahmen an. Seit ein paar Jahren zeichnet sich im Bahnsektor ein Paradigmenwechsel ab. Die Politik setzt terminierte Ziele und erteilt den Sparten konkrete Aufträge. Damit die europäischen Bahnen gemäss den Aufträgen reagieren können, braucht es mehr Zusammenarbeit in der Weiterentwicklung neuer Technologien und deren Umsetzung. Die technische Säule des 4. Bahnpakets bildet die Grundlage für die Schaffung des geplanten einheitlichen europäischen Bahnsystems.
Bis neue Technologien ihre Anwendungsreife erreicht haben, braucht es zunächst eine Koordination der Innovation (vgl. Abbildung) und eine gezielte Forschung zur Erarbeitung der wissenschaftlichen Grundlagen. Dazu hat die EU in den vergangenen Jahren leistungsfähige und kompetente Organisationen aufgebaut: Das Programm «Horizon» führt und finanziert diverse Forschungsprojekte. Dank branchenübergreifender Vernetzung sollen die Ergebnisse und Resultate zeitnah einem breiten Nutzungsfeld zur Verfügung stehen. Im Rahmen der Innovationspartnerschaft Europe’s Rail Joint Undertaking (EU-Rail) werden innovative neue Ansätze auf Grundlage von Forschungsergebnissen konkretisiert. Die wichtigen Projekte für den Bahnbetrieb beziehungsweise für die Technik basieren auf den beiden Säulen «System Pillar» und «Technical Pillar». Die Eisenbahnagentur ERA definiert die neuen einheitlichen Spezifikationen für europäische Bahnanwendungen und stellt so die Interoperabilität sicher. Dank dieser Wissensbündelung lassen sich in kurzer Zeit international anwendungsreife Lösungen erarbeiten.
Energie der Zukunft ist erneuerbar
Industrialisierte Volkswirtschaften nutzten bisher hauptsächlich fossile Energieträger. Diese waren auf dem internationalen Markt lange günstig erhältlich. Mit dem Green Deal will die EU die verkehrsbedingten Emissionen bis 2050 um 90% reduzieren und 75% des Transportvolumens von der Strasse auf die Schiene oder Wasserstrassen verlagern. Die künftig wichtigen Energieträger sind Wasserstoff und Elektrizität, beides hergestellt aus erneuerbaren Ressourcen.
Moderne Datenkommunikation erfolgt digital
Industrialisierte Prozesse funktionieren dann erfolgreich, wenn die notwendigen Daten für alle Beteiligten direkt und unmittelbar verfügbar sind. Die aktuelle Datennutzung ist noch eingeschränkt, für viele Teilprozesse werden die Daten immer wieder neu erfasst. Solche Alleingänge sind ressourcen- und zeitintensiv sowie fehleranfällig. In Zukunft sollen Daten allen autorisierten Teilnehmern medienbruchfrei und zeitnah zur Verfügung stehen. Der direkte Zugriff auf Daten ist zentral für die Realisierung von automatisierten Prozessen, ebenso ein wirksamer Datenschutz. Cybersicherheit wird zum Kernthema der modernen Datenkommunikation.
Neuordnung des Bahnsystems gefragt
Die Bahn war im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wesentlich für die Industrialisierung. Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts drängten Strasse und Luftfahrt dank ihren erfolgreichen Innovationsschritten die Schiene im Transport zurück. Entscheidend dabei waren der intramodale Wettbewerb und die rigorose Kundenorientierung. Die wichtigste Frage der Kunden lautete: Wie können wir unsere Bedürfnisse einfacher, bequemer und günstiger erfüllen? Und sie erhielten auf der Strasse passende Antworten. Diese Frage müssen sich die Bahnen heute endlich auch stellen. Die Bahn stellt ein leistungsfähiges und ressourcenschonendes Transportsystem mit zahlreichen Vorteilen dar. Im direkten Vergleich des benötigten Energiebedarfs schneidet die elektrifizierte Bahn gegenüber der Strasse als eindeutige Siegerin ab. Die Bahn benötigt bei gleichen Rahmenbedingungen 10-mal weniger Energie als die Strasse. Wichtige europäische Bahnstrecken sind bereits elektrifiziert, sodass die benötigte Traktionsenergie mit hohem Wirkungsgrad genutzt werden kann. Ein weit verzweigtes Streckennetz verbindet heute die wichtigen Regionen Europas, ein Grossteil der Strecken sind normalspurig, nur in wenigen europäischen Regionen sind heute abweichende Spurweiten in Betrieb. Damit die geplante Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene tatsächlich realisiert werden kann, braucht es zunächst einen Kulturwandel bei den Bahnen hin zu intramodalem Wettbewerb und Kundenorientierung sowie eine umfassende und systematische Erneuerung des Bahnsystems:
- TEN‑T: Die EU hat das transeuropäische Schienennetz zur Verbindung aller bedeutenden europäischen Zentren definiert. Auf einer einheitlichen, harmonisierten Infrastruktur sollen die Züge hindernisfrei verkehren können, auf Nebenstrecken kann Wasserstoff- oder Batteriebetrieb für die angestrebte CO2-Neutralität sorgen. Der Ausbau des Bahnnetzes erfolgt mit zwei unterschiedlichen Schwergewichten: Für den Personenverkehr ist ein Hochgeschwindigkeitsnetz aufzubauen, das die wichtigen Zentren verbindet und attraktive Reisezeiten ermöglicht. Für den Güterverkehr sind die erforderlichen Trassen bereitzustellen, sodass der Bahngüterverkehr gemäss den politischen Vorgaben wachsen kann. Die Güterbahnen müssen in den nächsten Jahrzehnten ihre Transportkapazität mehr als verdoppeln. Dieses hochgesteckte Ziel können sie nur mithilfe von Innovation erreichen. Zudem müssen die Korridormanager mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet werden, damit die heutige Rosinenpickerei der nationalen integriert geführten Staatsbahnen ein Ende hat.
- Interoperabilität und Standardisierung: Noch gilt bei den verschiedenen europäischen Bahnsystemen eine Vielzahl von oft unterschiedlichen nationalen Vorschriften. Deren Einhaltung schränkt den freizügigen grenzüberschreitenden Bahnverkehr bis heute signifikant ein und ermöglicht unlautere Wettbewerbsvorteile im nationalen Markt. Trotz der technischen Spezifikationen der Interoperabilität (TSI) behindern nationale Vorschriften immer noch den grenzüberschreitenden Verkehr massiv. Die EU hat die Beseitigung dieser nationalen Vorschriften mit dem «rules cleaning-up programme» zu einer wichtigen Führungsaufgabe erkoren. Dies ist ein entscheidendes Programm der technischen Säule des 4. EU-Bahnpakets zur Schaffung der Single European Railway Area (SERA). Während die Europäische Eisenbahnagentur ERA für die Weiterentwicklung der Technischen Spezifikationen der Interoperabilität (TSI) verantwortlich ist, muss der Bahnsektor die dazugehörigen Standards und Normen aktualisieren und weiterentwickeln. Im angestrebten Idealfall sollen die TSI und die Normen alle bahntechnischen Teilsysteme in allen beteiligten europäischen Ländern ausreichend spezifizieren. Auch die Schweiz setzt im Normalspurbereich konsequent auf die TSI. Sie hat im Rahmen des geltenden Landverkehrsabkommens erste Elemente der technischen Säule des 4. EU-Bahnpakets übernommen. Da der Dialog zwischen der EU und der Schweiz derzeit stillsteht, ist die geplante Weiterführung aktuell leider nicht möglich.
- Digitale automatische Kupplung (DAK): Die Bahn muss ihre historisch gewachsenen, aber überalterten Standards wie die klassische Schraubenkupplung zugunsten moderner digitalisierter Systeme – etwa der DAK4 – flächendeckend ablösen. Dies bildet eine entscheidende Grundlage für eine künftige umfassende Automatisation im Bahnsektor. Noch wichtiger aber ist die Vernetzung aller Akteure entlang der gesamten Logistikkette – über den reinen Schienenlauf hinaus – dank der Möglichkeiten der Digitalisierung. Frei zugängliche Daten- und Buchungsplattformen eröffnen ungeahnte Effizienzsteigerungen und Qualitätsverbesserungen. Auch die Mitglieder des VAP und die SBB tragen mit ihrem Know-how aktiv zum Gelingen dieses wichtigen Projekts bei.
- Energie: Beim Thema Energie werden die erforderlichen Prozesse zu der CO2-neutralen Gewinnung, der Verteilung und der einfachen Nutzung von Wasserstoff bearbeitet. Für den Betrieb auf längeren nicht elektrifizierten Bahnstrecken bildet Wasserstoff eine vielversprechende Energiequelle, um rasch fossile Treibstoffe abzulösen.
Marathon mit Hürden
Die EU hat mit dem Green Deal ein umfassendes Programm zur Gestaltung eines CO2-neutralen Europas definiert. Allerdings haben die Mitgliedländer unterschiedliche Ausgangslagen, Prioritäten und Interessen. Für die Umsetzung dieses anspruchsvollen Programmes werden folglich einige Hürden zu überwinden sein. Es wird sich zeigen, ob die nationalen Interessen der Staatsbahnen zugunsten einer gemeinsamen europäischen Lösung genügend zurücktreten können. Die Bahn soll im europäischen Personenverkehr und Gütertransport künftig eine Schlüsselrolle spielen. Sie überzeugt durch einige bestechende Vorteile. Aber sie muss auch eine über viele Jahrzehnte entstandene Abneigung gegen Erneuerungen, Veränderungen und Wettbewerb überwinden. Die Abschottung der Märkte, insbesondere durch die Staatsbahnen, bildet nach wie vor vielerorts ein grosses Hindernis. Durch das Festhalten an nationalen Vorschriften, oft unter dem Vorwand von Sicherheitsüberlegungen, wollen sich Staatsbahnen weiterhin vor unerwünschter internationaler Konkurrenz schützen. Es liegt an den Mitgliedstaaten, der europäischen Idee zum Durchbruch zu verhelfen und unlauteren Methoden ihrer Staatsbahnen den Riegel zu stossen. Der Bahnsektor muss mit Innovation neue Standards setzen. Er muss seine Vorschriftenwelt international vereinheitlichen und entschlacken. Grosse Lieferanten des Bahnsektors dürfen bei der Entwicklung neuer Systeme nicht versuchen, sich durch exklusive, inkompatible Produkte einen einseitigen Marktvorteil zu verschaffen. Für einen nachhaltigen Migrationserfolg benötigt der Sektor kompatible, ausgereifte und zuverlässige innovative Produkte. Damit haben sich die Hersteller in den vergangenen Jahren nicht gerade ausgezeichnet. Ob die angestrebte Verlagerung der Verkehre auf die Schiene im geplanten Umfang machbar wird, hängt von den einsetzbaren Finanzmitteln ab. Es wird für die Migration keine prall gefüllte EU-Geldschatulle dastehen, aus der sich die einzelnen Unternehmen nach Bedarf bedienen können. Die einzelnen Mitgliedstaaten werden hier mit kräftigen Anschubfinanzierungen zur Erneuerung und Erweiterung der Bahninfrastruktur beitragen müssen. Das gilt auch für die Schweiz. Kernprojekte wie die DAK müssen international abgestimmt sein, sonst wird ihre Wirkung sang- und klanglos verpuffen.
Schweiz ist Teil von Europa
Auch die Schweiz kann mit einer aktiven Beteiligung an diesen EU-Programmen nur gewinnen. Das Schweizer Normalspurnetz trägt mit seinen grossen Transitachsen zum transeuropäischen Schienennetz der EU bei. Es bildet einen wichtigen Teil des einheitlichen interoperablen europäischen Systems SERA. Da viele der Schweizer Verkehre grenzüberschreitend geführt werden, sind interoperable Lösungen unabdingbar. Die Schweiz hat ihr Plansoll mit dem durchgehenden Ausbau der Nord-Süd-Transversalen wie angesagt erfüllt. Das Schweizer Bahnnetz muss für den Binnenverkehr weiter ausgebaut werden, um das Wachstumsziel im Güterverkehr Zukunft bewältigen zu können. Unsere Experten können aktiv wertvolle Entwicklungsbeiträge leisten und sich mit den Besten international messen. Unsere Bahnunternehmen können mit neuen Konzepten ihre Marktposition, insbesondere auch im Import- und Exportverkehr stärken. Der VAP unterstützt die gemeinsamen Aktivitäten, um den Bahnsektor zu einem wichtigen Partner des multimodalen Transportsystems weiterzuentwickeln. Dabei ist die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene und intramodaler Wettbewerb eine entscheidende Voraussetzung, um die politischen Ziele fristgerecht zu erreichen. Wir sind verkehrstechnisch so eng mit den Nachbarstaaten verknüpft, dass unsere Wirtschaft hindernisfreie grenzüberschreitende Verkehrs- und Transportleistungen braucht. Gerade für grössere Distanzen ist aus Energiesicht die Schiene prädestiniert. Die politischen Differenzen zwischen der Schweiz und der EU behindern nach wie vor die dringend notwendige internationale Zusammenarbeit. Die Bahnbranche ist gut beraten, trotz der Hürden den fachlichen Austausch aktiv zu suchen und zu pflegen. Eine erfolgreiche Bahnzukunft haben wir nur gemeinsam.