BETRIEB
Wir vertreten die Güter-Akteure und legen unseren Schwerpunkt in diesem Kapitel auf die Nutzung der Infrastruktur, also auf den Verkehr. Wir setzen uns für einen freien Betrieb auf der letzten Meile ein. Zugunsten eines fairen Wettbewerbs wollen wir die Stärke aller Verkehrsträger nutzen und optimal kombinieren. Denn so wird die Strecke für jeden Einzelnen kürzer – und wirtschaftlicher.
Akteure im Bereich Betrieb
Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU)
Hersteller/Halter von Rollmaterial (Privatwagenvermieter)
Operateure
Fahrpläne (Trassenvergabestelle TVS)
Produktionsformen
Ganzzugverkehr
Beim Ganzzugverkehr bleibt die Zusammensetzung des Güterzugs unverändert, während er vom Versender zum Empfänger fährt. Diese Transportmethode ist besonders wirtschaftlich, wenn grosse Mengen eines Absenders transportiert werden und ein Gleisanschluss vorhanden ist. Gängige Ladungen: Kies, Zuckerrüben, Beton, Holz, Auto, Getreide, Stahl, Eisen, Kohle, Mineralöl, Chemikalien, Papier, Abfall u.v.m. Im Vergleich zum Einzelwagenverkehr, bei dem ein hoher Rangieraufwand anfällt, ist der Betrieb von Ganzzügen kostengünstiger. Gelegentlich fahren Ganzzüge auch im kombinierten Verkehr, was bedeutet, dass sie Container oder Wechselbehälter befördern, die an Terminals umgeladen werden. Im Ganzzugverkehr gibt es mehrere Wettbewerber.
Einzelwagenladungsverkehr (EWLV)
Transport von Gütern von unterschiedlichen Versendern und Empfängern, die in einzelnen Eisenbahnwaggons oder Wagengruppen transportiert werden (weniger als ein Zug). Das Transportgut wird in den Eisenbahnwagen ein- oder umgeladen, geschüttet, umgepumpt usw. Die Wagen werden einzeln nach Bedarf rangiert. Die Bündelung und Sortierung der Verkehre erfolgen in der Regel über Formations- und Rangierbahnhöfe, um sie anschliessend zu einem vollständigen Güterzug zusammenzustellen. Im EWLV können auch Wagen des kombinierten Verkehrs befördert werden. Konkurrenzfähig ist der EWLV vor allem dort, wo Empfänger und Absender dank einem Anschlussgleis direkt bedient werden können. Jegliche Ladung kann im EWLV transportiert werden. Der EWLV wird fast ausschliesslich von SBB Cargo betrieben und verantwortet.
Vorteile des Einzelwagenverkehrs:
- FELXIBEL: Kleine Gütermengen können kurzfristig per Bahn transportiert werden, was entscheidend für “Just-in-Time”-Produktionsprozesse ist.
- SICHER: Für Gefahrgüter, die nicht auf der Strasse befördert werden dürfen, bietet die Schiene die einzige Möglichkeit, da sie strenge Sicherheitsstandards erfüllt.
- INKLUSIV: Kleine und mittelständische Unternehmen können über den EWLV auch kleinere Gütermengen energieeffizient und nachhaltig transportieren.
- INNOVATIV: Neue Arten von Gütern wie Wasserstoff oder CO2 können schrittweise über den EWLV transportiert werden, solange die Mengen nicht für einen kompletten Zug ausreichen.
- SYSTEMRELEVANT: Der EWLV wird nicht nur für den Gütertransport genutzt, sondern auch für Schadwagen, die aus dem Verkehr gezogen und in eine Werkstatt gebracht werden müssen.
Definition Kombinierter Verkehr
Kombinierter Verkehr bezeichnet die multimodale Beförderung von Gütern in standardisierten Ladeeinheiten wie Containern, Wechselbehältern und Sattelaufliegern, wobei mehrere Verkehrsträger wie Strasse-Schiene oder Binnenschiff-Schiene genutzt werden. Hierbei erfolgt der nahtlose Übergang der Ladungseinheit zwischen den verschiedenen Transportmitteln – üblicherweise mittels Kran – ohne dass das Transportgefäss gewechselt werden muss. Dies ermöglicht einen kontinuierlichen Transportprozess in einer durchgängigen Transportkette.
Die längste Strecke des Transports wird dabei über die Schiene abgewickelt. Der Kombinierte Verkehr bildet das am stärksten wachsende Segment im Schienengüterverkehr. Es wird zwischen begleitetem und unbegleitetem kombiniertem Verkehr unterschieden.
Begleiteter kombinierter Verkehr Beförderung eines von seinem Fahrer begleiteten Motorfahrzeugs mit einem anderen Verkehrsträger (z.B. Bahn oder Fähre). Im alpenquerenden Verkehr wird darunter der Bahnverlad von ganzen Lastwagen und Sattelschleppern verstanden, bei denen der Fahrer/die Fahrerin in einem separaten Begleitwagen mitreist (Rollende Landstrasse; Rola). |
Unbegleiteter kombinierter Verkehr Beförderung eines von seinem Fahrer nicht begleiteten Motorfahrzeuges mit einem anderen Verkehrsträger (z.B. Fähre oder Bahn) oder Beförderung von Containern und Wechselbehältern mit mehreren Verkehrsträgern (z.B. Strasse-Schiene oder Rheinschiff-Schiene).
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KVF‑N stärkt Schienengüterverkehr mit mehr Wettbewerb und Transparenz
Die vorberatende Kommission des Nationalrats (KVF‑N) beantragt ihrem Rat im Rahmen des Geschäfts 24.017 das Eintreten und die Annahme der Kredite für die Einführung der digitalen automatischen Kupplung (DAK) sowie die befristete Abgeltung des Einzelwagenladungsverkehrs (EWLV) inklusive der Bestellung des Güterverkehrs. Zudem nimmt sie einige entscheidende Präzisierungen am Gesetzestext vor: Der Wettbewerb soll intensiver gefördert und Quersubventionierungen zwischen subventionierten und eigenwirtschaftlichen Leistungen durch die Offenlegung von Kennzahlen und Finanzflüssen in den Geschäftsberichten der Güterbahnen unterbunden werden. Zusätzlich will die KVF‑N die Binnenschifffahrt ausdrücklich im Gesetzesentwurf verankern, um mehr Rechtssicherheit zu schaffen.
Wenig zielführend hingegen ist das im Gesetz ergänzte Ziel, den Anteil des Schienengüterverkehrs zu steigern. Diese Botschaft sollte eher an die marktbeherrschende, staatliche SBB gerichtet werden, die durch ihre aktuelle Angebots- und Preispolitik weiterhin Verkehre von der Schiene vertreibt. Dies untergräbt das letzte Vertrauen der Kunden in die Leistungsfähigkeit und den Willen der Staatsbahn. Tatsächlich sind die in der Vorlage vorgesehenen Massnahmen zielführender als ambitionierte Ziele: Marktanteile kann der Schienengüterverkehr durch die vorgesehene Digitalisierung und den Wandel von einem System des 19. Jahrhunderts in das 21. Jahrhundert gewinnen. Die nun noch verstärkte Förderung des Wettbewerbs zwischen Güterbahnen, in Kombination mit der befristeten Abgeltung des EWLV, könnte bald zu einem breiteren Angebot und wachsenden Marktanteilen für die Schiene führen. Die präzisierenden Anträge der KVF‑N dürften in dieser Hinsicht weitaus wirksamer sein als unverbindliche Verlagerungsziele, die zudem der Verfassung widersprechen.
Bedauerlicherweise fanden die Anträge auf mehr Transparenz und Wettbewerb beim Bau und Betrieb von Umschlagsanlagen keine Mehrheit.
«Verkehrsverlagerung bedingt die Entschlossenheit der obersten Führungscrew»
Die Coop-Gruppe hat sich zur Reduktion von CO2-Emissionen verpflichtet. Ein zentraler Bestandteil dieser Strategie ist die Verlagerung des Transports auf die Schiene. Wie das dem Detail- und Grosshandelskonzern gelingt und welche Herausforderungen es dabei zu bewältigen gibt, erläutert Daniel Hintermann, Leiter Direktion Logistik der Coop-Gruppe, im Gespräch mit dem VAP.
VAP: Herr Hintermann, wie ist es der Coop-Gruppe gelungen, zwei Drittel des Transportanteils zwischen den Verteilzentralen auf die Schiene zu verlagern?
Daniel Hintermann: Das war ein mehrjähriger Prozess. Er wurde 2010 mit dem Entscheid, eine Gütereisenbahn zu kaufen, angeschoben. Damals übernahmen wir die Railcare AG als hundertprozentige Tochtergesellschaft. Wir banden das kleine Eisenbahnverkehrsunternehmen schrittweise in die Logistikwelt von Coop ein. Heute ist die Railcare ein integrierter Bestandteil unserer gruppenweiten Transportkette. Sie ermöglicht es uns, den Schienentransportanteil weiter zu erhöhen.
Wie kam es dazu, dass die Coop-Gruppe ihr eigenes Eisenbahnverkehrsunternehmen hat?
Im 2008 hat Coop ihre Vision zur CO2-Neutralität und die Zentralisierungsstrategie von Logistik und Produktion entwickelt. Um die gesetzten Ziele zu erreichen, suchten wir neue Ansätze in der Transportlogistik. Mit dem damaligen Konzept von Railcare wurden wir fündig.
Welchen Anteil an Schienenverkehr streben Sie an?
Wir können uns vorstellen, den Bahnanteil im Schweizer Lieferverkehr – also dem Outbound-Geschäft – von heute 40% auf 50% zu steigern. Beim Inbound-Verkehr aus Europa und der Schweiz sehen wir ein ähnliches Potenzial. Um diese Ziele zu erreichen, steht uns ein mehrjähriger, anspruchsvoller Verlagerungsprozess bevor.
Was raten Sie anderen Unternehmen, die den Transport von der Strasse auf die Schiene verlagern möchten?
Meines Erachtens braucht es die Entschlossenheit der obersten Führungscrew, den Verkehr aktiv zu verlagern. Das bedingt einen hohen Standardisierungsgrad im Equipment sowie eine enge Prozessvernetzung zwischen Verlader und Bahn.
Wie sieht die Zusammenarbeit der Coop-Gruppe mit dem VAP aus?
Coop ist seit vielen Jahren Mitglied im VAP. Wir konnten wiederholt auf die professionelle Unterstützung des VAP zählen, insbesondere für Vertragswerke, Projektbegleitung oder technische Empfehlungen im Thema Anschlussgleis.
Welche Stärken schreiben Sie dem VAP zu?
Der VAP ist gerade beim Wissen rund um sinnvolle Verträge und geltende Regelwerke stark. Wir schätzen es, dass die Verantwortlichen jederzeit und unkompliziert erreichbar sind, pragmatisch vorgehen und praxisnahe sowie umsetzbare Lösungen bieten.
Wie würden Sie den VAP beschreiben?
Als eine für die Coop-Gruppe als Verladerin zentrale Wissensplattform rund um den Schienengüterverkehr.
Wem würden Sie eine Zusammenarbeit mit dem VAP empfehlen?
Allen Verladern, die Güter mit der Bahn transportieren oder in Zukunft transportieren wollen.
Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf im Schienengüterverkehr?
In der Digitalisierung über die gesamte Transportkette hinweg. Im Weiteren braucht es dringend eine Automatisierung auf der letzten Meile beziehungsweise im Rangierverkehr.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Schienengüterverkehrs in der Schweiz?
Ich wünsche mir, dass der Schienengüterverkehr nachhaltig wettbewerbsfähig wird. Dazu muss er den Güterbahnen genügend Trassen zur Verfügung stellen. Schliesslich wünsche ich mir mehr Dynamik bei Prozessveränderungen, zum Beispiel wenn es darum geht, Verkehrsströme zu ändern.
Was wurde noch nicht gesagt?
Wir beobachten eine Tendenz der Überregulierung und Technokratie im Schienengüterverkehr. Das macht die Güterbahnen weder sicherer noch wettbewerbsfähiger. Dieser Entwicklung sollten die beteiligten Akteure mit vereinten Kräften entgegenwirken.
Danke, Herr Hintermann, für das aufschlussreiche Gespräch.
Daniel Hintermann ist seit 2017 Leiter Direktion Logistik und Mitglied der Geschäftsleitung der Coop-Gruppe. Seine lange Karriere bei Coop begann 2001 bei Interdiscount, 2010 wurde er Leiter Logistikregion Nordwestschweiz. Seine erste beruflicheErfahrung sammelte der lizenzierte Betriebswirtschafter in der Unternehmensberatung.
Die Coop-Gruppe ist das grösste Detail- und Grosshandelsunternehmen der Schweiz. Sie beschäftigt 94 790 Mitarbeitende – davon 3417 Lernende – und unterhält 2633 Verkaufsstellen/Märkte in der Schweiz und in Europa. Ein Standbein ist der Detailhandel mit den Coop-Supermärkten und zahlreichen Fachformaten in der Schweiz, das zweite bilden der internationale Grosshandel und die Produktion.
Gotthardbasistunnel (#10): Europa präsentiert den Schlussbericht
Das Joint Network Secretariat (JNS) der European Union Agency for Railways (ERA) hat Mitte Juli 2024 seinen Schlussbericht zum Unfall im Gotthardbasistunnel vom 10. August 2023 publiziert. Dieser enthält einen erweiterten Anwendungsbereich, eine erhöhte betriebliche Nutzungsgrenze, strengere Vorgaben für Risikokontrollmassnahmen und die Empfehlung der Klangprobe zur Prävention.
Darum geht’s:
- JNS Task Force veröffentlicht Schlussbericht und Folgeabschätzung
- 4 Kernpunkte für alle beteiligten Akteure: erweiterter Anwendungsbereich, höhere Nutzungsgrenze, vollständige Umsetzung der Risikokontrollmassnahmen, Klangprobe zur Prävention
- Anhänge 9 und 10 des Allgemeinen Wagenverwendungsvertrags anpassen
- Missverständnisse bei der Auslegung der Gesetzestexte verhindern
- Internationale Nachbearbeitung funktioniert gut
Die Arbeit des JNS zielt darauf ab, alle Massnahmen, die nach einem Unfall oder einer Störung im Eisenbahnverkehr der EU ergriffen werden, EU-weit zu harmonisieren (vgl. Blogbeitrag «Gotthardbasistunnel (#7): Sust-Bericht schafft Klarheit»). Das Gremium setzt sich aus Vertretern der ERA, der nationalen Aufsichtsbehörde (NSA) und der Group of Representative Bodies (GRB) in Vertretung der internationalen Eisenbahnverbände zusammen. Die ERA hat zudem die Kurzanalyse «Light Impact Assessment» als Folgeabschätzung zum Unfall im Gotthardbasistunnel mit Fokus auf das Thema «gebrochene Räder» veröffentlicht.
JNS-Schlussbericht enthält bisherige und neue Massnahmen
Die Diskussionen zwischen dem JNS und der Branche verliefen kooperativ. Sie führten zu einigen Kompromissen, um nationale Einzelmassnahmen zu vermeiden, die von mehreren NSAs angekündigt wurden. Nationale Sondervorschriften stellen die Interoperabilität und die von der EU und der Schweiz angepeilte Verkehrsverlagerung in Frage.
Die Ergebnisse des Schlussberichts basieren auf den Empfehlungen des JNS-Verfahrens «Gebrochene Räder» (2017– 2019) und dessen Abschlussbericht von 2019. Änderungen gegenüber dem damaligen Bericht sind gelb markiert. Die ergänzten und verbesserten Risikokontrollmassnahmen ersetzen vollständig diejenigen des JNS-Verfahrens für Radtypen BA 004 («Riss im Radkranz», 2017–2019). Die Massnahmen für einen «Riss in der Radscheibe» (Radtypen BA 314 alt/ZDB29) bleiben weiterhin gültig.
4 Kernpunkte für alle beteiligten Akteure
Die folgenden Aspekte sind für Güterwagenhalter und instandhaltende Stellen («Entity in Charge of Maintenance», kurz ECM) besonders relevant:
- Erweiterter Anwendungsbereich: Der Anwendungsbereich der Risikokontrollmassnahmen wurde ausgedehnt. Die Liste der betroffenen Radtypen umfasst neu: BA 004 (auch verwendet in einigen Versionen des Radsatztyps VRY), Db-004sa, BA 390, RI 025, R32, BA 304 und «andere vergleichbare Radtypen, die nicht Teil der JNS-Bewertung waren».
- Höhere Nutzungsgrenze: Die betriebliche Nutzungsgrenze (vgl. Kasten) für die betroffenen Radtypen hat sich von einem Durchmesser von 860 mm auf 864 mm erhöht.
- Vollständige Umsetzung der Risikokontrollmassnahmen: Für alle neu betroffenen Radtypen müssen alle beteiligten Akteure entweder die JNS-Risikokontrollmassnahmen vollständig umsetzen oder alternative Massnahmen ergreifen, die mindestens ein gleichwertiges Sicherheitsniveau gewährleisten und durch eine Risikoanalyse gemäss Anhang 1 der EU-Verordnung 402/2013 (CSM RA) begründet sind.
- Klangprobe zur Prävention: Als einfache Präventionsmassnahme zur Senkung von Risiken führt der JNS-Schlussbericht die Klangprobe auf. Wir sind der Ansicht, dass die Eisenbahnverkehrsunternehmen auf die Klangprobe bei Verdacht auf Überhitzung des Radsatzes und/oder bei Rissbildungen auf der Lauffläche oder am Radkranz im Rahmen der Wagenkontrolle vor Abfahrt nicht verzichten dürfen. Sie sollten sie in ihren Kontrollprozess vor der Abfahrt aufnehmen, falls das nicht schon geschehen ist.
Betriebliche Nutzungsgrenze Der Raddurchmesser wird vor der Abfahrt oder während der Zugvorbereitung nicht gemessen. Die betriebliche Nutzungsgrenze wird nach der Wartung definiert. Gemäss der ECM-Verordnung müssen ECMs die angemessene und sichere Wartungsgrenze für Räder festlegen, um zu verhindern, dass während des Betriebs ein Rad des betroffenen Typs unterhalb der betrieblichen Grenze von 864 mm verwendet wird. Aus den Diskussionen in der JNS Task Force wurde die allgemeine Wartungsgrenze von vorher 876 mm auf nun 880 mm nach der Radsatzprofilierung erhöht. Sollte ein ECM entscheiden, die Verwendung eines Rads mit einer Wartungsgrenze unterhalb von 880 mm nach dem Profilieren zuzulassen, muss es nachweisen, dass diese niedrigere Wartungsgrenze (1) mindestens das gleiche Sicherheitsniveau garantiert, (2) durch eine Risikoanalyse gemäss Anhang 1 der EU-Verordnung 402/2013 (CSM RA) gerechtfertigt ist und (3) die Risikoanalyse von einer unabhängigen Bewertungsstelle überprüft und genehmigt wurde, da ein Einbaugrenzmass unter 880 mm als «signifikante Änderung» gilt. |
Anhänge 9 und 10 des Allgemeinen Wagenverwendungsvertrags anpassen
An die Union Internationale des Chemins de fer (UIC), die European Rail Freight Association (ERFA) und die International Union of Wagon Keepers (UIP) als verantwortliche Herausgeber des Allgemeinen Wagenverwendungsvertrags (AVV) hat das JNS eine Empfehlung abgegeben: Die Gremien sollen die Ergänzung der Anhänge 9 und 10 des AVV prüfen, um die Erkennung thermisch überhitzter Räder in Zukunft noch systematischer und einheitlicher zu regeln.
Die Debatte im JNS hat gezeigt, dass sowohl die nationalen Aufsichtsbehörden einiger (EU-Mitglied-) Staaten als auch Eisenbahnverkehrsunternehmen Mühe mit der Integration der ECMs in ihre Tätigkeit bekunden. Das JNS empfiehlt daher den Branchenorganisationen klärende Gespräche zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission sowie die Veröffentlichung von Leitlinien für die Eisenbahnverkehrsunternehmen.
Missverständnisse bei der Auslegung der Gesetzestexte verhindern
Wir vom VAP werden uns gemeinsam mit der UIP mit der Rolle und Verantwortung der ECM im Kontext des Verantwortungsdreiecks Infrastrukturbetreiber/Eisenbahnverkehrsunternehmen/Wagenhalter erneut befassen. Damit möchten wir bei den Infrastrukturbetreibern und Eisenbahnverkehrsunternehmen als Hauptakteure gemäss EU-Sicherheitsrichtlinie und damit auch bei den NSA künftig Missverständnisse über die Auslegung der Gesetzestexte verhindern. Die aktuelle Diskussion im Schweizer Parlament zur Haftung im Schienengüterverkehr zeugt von den unterschiedlichen Interpretationen der international vereinheitlichten Regelungen des Schienengüterverkehrs durch verschiedene nationale Behörden, europäische Stellen und gewisse Teile des Eisenbahnsektors. Dass das JNS die erwähnte Empfehlung an die Branchenorganisationen abgegeben hat, erachten wir daher als Erfolg unserer bisherigen Aufklärungsarbeit.
Internationale Nachbearbeitung funktioniert gut
Der Schlussbericht der JNS Task Force belegt, dass die harmonisierten Verfahren bei Zwischenfällen und Ereignissen im Eisenbahnsektor auf europäischer Ebene hervorragend funktionieren. Sie erlauben einerseits einen breiten Erfahrungsaustausch und andererseits konkrete Verbesserungsmassnahmen, die von der gesamten Branche und allen Mitgliedstaaten mitgetragen werden.
Sobald der Schlussbericht der schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle Sust zum besagten Ereignis bereitsteht, werden wir Sie darüber informieren.
«Moderate» Anpassung des Trassenpreises: Fatal für den Schienengüterverkehr
Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hat angekündigt, den Trassenpreis im Eisenbahnverkehr ab Anfang 2025 um 2,1 Prozent zu erhöhen. Diese Massnahme zielt darauf ab, die gesetzlichen Vorgaben zur Kostendeckung zu erfüllen. Allerdings könnten sie den Schienengüterverkehr erheblich belasten und die Verkehrsverlagerung auf die Schiene gefährden.
Darum geht’s:
- Trassenpreiserhöhung inakzeptabel
- Wirtschaftliche Krise, steigende Energiepreise, globaler Abschwung verteuern SGV
- Was wir für die Verlagerung auf die Schiene tun können
Unsere Meinung dazu ist klar: Wir lehnen eine Erhöhung des Trassenpreises im Güterverkehr ab. Bei einer Erhöhung von 2,1% ist es ausserdem äusserst irreführend, die Anpassung als «moderat» zu bezeichnen, da sie zu fatalen und unumkehrbaren Folgen führen kann. Vor dem Hintergrund der Verkehrsverluste im Binnen‑, Import‑, Export- und Transitverkehr sowie der deutlich günstigeren Trassenpreise im europäischen Umfeld ist eine Preiserhöhung inakzeptabel.
Wirtschaftlicher Hintergrund und Herausforderungen
Die europäische Wirtschaft kämpft derzeit mit einer tiefgreifenden Krise, die durch den anhaltenden Konflikt in der Ukraine, steigende Energiepreise und den globalen Wirtschaftsabschwung, insbesondere in China, verschärft wird. Diese Faktoren führen zu einem Rückgang des Güteraustauschs und beeinträchtigen den Transportsektor erheblich.
Seit Mitte 2022 verzeichnen wir in Europa einen kontinuierlichen Rückgang der Transportvolumen im Schienengüterverkehr. Der durchschnittliche Kostenanstieg für Bahntraktion um 10% treibt viele Unternehmen dazu, ihre Güter vermehrt auf die Strasse zu verlagern. Die Dachorganisation der Kombiverkehrsanbieter UIRR meldet für 2023 einen Rückgang des Schienengüterverkehrs um ca. 15%, während der Strassentransport nur geringfügig zurückgegangen ist.
Kostensteigerungen und ihre toxische Wirkung
In diesem schwierigen Umfeld belasten die geplanten Preiserhöhungen für Energie und den Verschleissfaktor den Güterverkehr überproportional. Der Verschleissfaktor wird um 9% von 0,33 auf 0,36 CHF/BTkm erhöht, und wie die Energiekosten steigen, wird im Juli entschieden.
Als Begründung für die Erhöhung des Basispreises Verschleiss werden gestiegene gewichtsabhängige Grenzkosten angegeben, deren Berechnung jedoch nicht transparent ist und auf den Infrastrukturausbaustandards für den Personenverkehr basiert. Diese Preiskomponente, gedacht als Anreiz für die Beschaffung von fahrbahnschonendem Rollmaterial, beschleunigt nicht den Ersatz von Bahnwagen mit ihrer langen Lebensdauer von 2–3 Jahrzehnten. Der Anreiz ist zu gering, um die Mehrkosten für verschleissarmes Rollmaterial zu decken, was die Kosten für den Schienengüterverkehr erheblich erhöht und dessen Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert.
Schlussfolgerung
Eine Erhöhung des Trassenpreises um 2,1% soll zwar den gesetzlichen Vorgaben zur Kostendeckung Rechnung tragen, wird jedoch zu erheblichen Mehrkosten für den Güterverkehr führen. Diese Massnahme könnte die Bemühungen um die Verkehrsverlagerung auf die Schiene untergraben und die wirtschaftliche Belastung in einem bereits herausfordernden Umfeld weiter verschärfen. Zu wünschen wäre, dass der Schienengüterverkehr, der im Mischbetrieb von Personen- und Güterverkehr unter den hohen Ausbaustandards des Personenverkehrs leidet, grundsätzlich entlastet wird. Nur so wird der Schienengüterverkehr wettbewerbsfähig und kann die Mobilitätswende erfolgreich vorantreiben.
Wagenladungsverkehr kann wettbewerbsfähig werden
Forum Güterverkehr, 7. Mai 2024. Der flächendeckende Wagenladungsverkehr hat im Binnenverkehr europaweit einen sehr hohen Marktanteil. Im Export- und Importverkehr hingegen fällt er trotz langer Strecken ab. Grund dafür sind Marktabschottung und überalterte Produktionsstrukturen. Ausschliesslich Staatsbahnen, ausschliesslich auf ihrem Heimatmarkt lautet die Devise. Der Wagenladungsverkehr wird als Systemverkehr verstanden. Eine Zusammenarbeit in Netzen, wie es auf der Strasse üblich und erfolgreich angewendet wird, ist auf der Bahn nicht angedacht.
Eine Transformation des Wagenladungsverkehrs in ein automatisiertes, digital vernetztes und international geöffnetes Bahnsystem ist jedoch möglich. Die Staaten bieten dem Bahnsektor hierfür politische und finanzielle Unterstützung an.
Darum geht’s:
- Führende Köpfe aus der europäischen Verkehrs- und Logistikbranche in Zürich am Forum Güterverkehr
- Vormittag mit Überblick über die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen
- Thema Nachmittag: Transformation des Schienengüterverkehrs
- Fokus auf die Gestaltung einer zukunftsfähigen Güterverkehrslandschaft
Am 7. Mai 2024 versammelten sich führende Köpfe aus der europäischen Verkehrs- und Logistikbranche am Forum Güterverkehr in Zürich, um über die Zukunft des Güterverkehrs auf der Schiene zu diskutieren.
Frank Furrer, Generalsekretär des VAP Verband der verladenden Wirtschaft, blickte in seiner Begrüssung auf die vergangenen Foren der Jahre 2018 bis 2024 zurück, an denen eine kontinuierliche Diskussion über die Entwicklung des Güterverkehrs geführt wurde. Themen wie Multimodalität, Sicherheit, Innovation und Digitalisierung standen im Fokus. Besonders betonte er die Rolle der Verkehrspolitik als Treiber für Veränderungen. Im Jahr 2024 liege nun der Schwerpunkt auf neuen Rahmenbedingungen für einen zukunftsfähigen Güterverkehr, insbesondere auf der Transformation des Schienengüterverkehrs. Frank Furrer hob die Bedeutung günstiger Rahmenbedingungen für den Wettbewerb, um Multimodalität, Innovation und Umweltschutz zu ermöglichen, hervor. Die Partnerschaft zwischen Politik und Wirtschaft, die Zusammenarbeit zwischen Güterbahnen, Logistikanbietern und Verladern sowie das Subsidiaritätsprinzip nennt er als grundlegende Prinzipien. Die aktuelle Gesetzesvorlage zur Modernisierung des Schienengüterverkehrs wurde im Parlament diskutiert. Der VAP unterstützt Massnahmen wie die Einführung der digitalen automatischen Kupplung (DAK) und die Überbrückungsfinanzierung für den Einzelwagenladungsverkehr (EWLV) unter bestimmten Bedingungen.
Dr. Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV), gab einen Überblick über die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen und Herausforderungen im Schweizer Güterverkehr. Für ihn ist die befristete finanzielle Förderung des Wagenladungsverkehrs ein letzter Versuch, den Binnengüterverkehr auf der Schiene zu retten. Die DAK ist das notwendige Mittel dazu, das mit einer Förderung von 30% an die Halter eine schöne Offerte ist. Peter Westenberger, Geschäftsführer von Die Güterbahnen in Deutschland, präsentierte die digitale Schiene und die VDV-Charta aus deutscher Sicht. Er forderte eine finanzielle Förderung des Wagenladungsverkehrs ausschliesslich über die Bedienstrecken, d.h. die Reaktivierung oder Mengensteigerung an möglichst vielen Bedienstellen. Für Wettbewerber sei es sehr schwierig, da die Datenlage ausgesprochen intransparent sei. Mag. Claudia Nemeth vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) in Österreich erläuterte die Instrumente und Strategien der österreichischen Verkehrspolitik mit Blick auf den Schienengüterverkehr und verglich die pro-Kopf-Investitionen in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Österreich setzt auf ein aktives Monitoring der Massnahmen des Masterplans Güterverkehrs 2030 und hat vor Kurzem den ersten diesbezüglichen Monitoring-Bericht vorgelegt. Eine dieser Massnahmen ist die Ende 2023 erfolgte Einrichtung eines Verlagerungscoaches, der Unternehmen bzw. Gemeinden bei der Verlagerung auf die Schiene berät. Gemeinsam mit dem deutschen Verkehrsminister Wissmann und Bundesrat Rösti unterstützt die österreichische Ministerin Leonore Gewessler die rasche Einführung der DAK. Ueli Maurer, Head of Intermodal Network bei Bertschi AG, brachte wertvolles Feedback aus der Wirtschaftsperspektive ein. Warten auf die DAK sei angesichts der Fortschritte auf der Strasse unmöglich, sie müsse sofort umgesetzt werden. Die aktuellen, noch immer international völlig ungenügend koordinierten Baustellen sowie die Energie- und Trassenpreise bedrohen derzeit die Marktfähigkeit des Schienengüterverkehrs fundamental. Weiter forderte er von den Infrastrukturbetreibern, die Ersparnisse durch Komplettsperrungen an den Schienengüterverkehr weiterzureichen, als Kompensation für deren Mehrkosten.
In der anschliessenden Podiumsdiskussion sprach Westenberger über die aktuelle chaotische Baustellensituation und die damit verbundenen zusätzlichen Kosten und forderte eine Verbesserung der Qualität im Bahngüterverkehr. Nemeth stimmte zu, zeigte sich jedoch optimistisch über die Zukunft des Schienengüterverkehrs und verglich die aktuellen Herausforderungen mit einem kleinen Kind, das Laufen lernt: Es gibt Rückschläge, aber es wird besser. Füglistaler unterstrich die Alternativlosigkeit der Korridorsanierungen und betonte die Notwendigkeit von Investitionen in die Infrastruktur. Dr. Jens Engelmann, der die Podiumsdiskussion moderierte, brachte die Frage der Wirksamkeit von Fördermassnahmen auf und erörterte die verschiedenen Ansätze zur Unterstützung des Schienengüterverkehrs. Füglistaler und Nemeth verteidigten die Rolle der Staatsbahnen für den Einzelwagenverkehr. Das Fazit der Diskussion durch Engelmann: Die Schiene leistet einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit und muss weiterhin gefördert werden, jedoch müssen auch Herausforderungen wie Kapazitätsengpässe und die Kosten für technologische Innovationen bewältigt werden.
Nach einer kurzen Pause befasste sich die Veranstaltung mit der Transformation des Schienengüterverkehrs in die Zukunft. Gilles Peterhans, Generalsekretär der Internationalen Union der Wagenhalter (UIP) beleuchtete den aktuellen Stand der digitalen automatischen Kupplung (DAK). Er unterstrich den Unterschied zwischen technischer Umrüstung und der damit verbundenen Transformation des archaischen Schienengüterverkehrs. Dieser soll ernsthaft wettbewerbsfähig umgestaltet und in ein völlig neues Bahnsystem überführt werden. Gregor Ochsenbein, Stv. Leiter Programm Daten für ein effizientes Mobilitätssystem beim BAV und Jürgen Maier-Gyomlay, Verantwortlicher AK Logistik / IG WLV beim VAP stellten die Bedeutung von Daten-Eco-Systemen für eine effiziente Logistik heraus. Peter Sutterlüti, CEO von Cargo sous terrain AG, präsentierte das Konzept von Cargo Sous Terrain (CST). Die rein privat finanzierte Logistiklösung steht ausschliesslich für Stückgut zur Verfügung. Das Zusammenspiel von unterirdischem Hauptlauf und oberirdischer Feinverteilung hat das Potential zu einer massgeblichen Ergänzung von Schiene und Strasse. Stefan Kirch, Co-Founder und Mitglied der GL bei NEVOMO, stellte die Potenziale der Magnetbahntechnik für eine effektivere und kapazitätsstärkere Güterverkehrslösung vor. Insbesondere autonomes Fahren von Güterwagen in grossflächigen Anschlussgleisen mit einer Vielzahl von Be- und Entladestationen sowie Konsolidierungspunkten für Versand und Empfang bieten aussergewöhnlich Einsparpotentiale.
Die Veranstaltung gipfelte in einer weiteren Podiumsdiskussion, die sich mit der Zukunft der Logistik im Jahr 2035 befasste. Nebst der Freiwilligkeit der Datenherausgabe wurden auch die Herausforderungen der digitalen Transformation, insbesondere in Bezug auf Kosten und Zusammenarbeit mit verschiedenen Stakeholdern, diskutiert. Abschliessend wurde betont, offen für innovative Lösungen zu sein und sich nicht von Problemen abhalten zu lassen. Frank Furrer fasste die Veranstaltung mit der so zuversichtlichen wie herausfordernden Feststellung zusammen: Alles ist möglich, sofern alle Branchenakteure mit vereinten Kräften und geschlossen Reihen pragmatisch und kompromissbereit vorwärtsschreiten.
Es war ein Tag voller spannenden Begegnungen, informativer Präsentationen, anregender Diskussionen und einem klaren Fokus auf die Gestaltung einer zukunftsfähigen Güterverkehrslandschaft. Die Teilnehmer verliessen die Tagung mit neuen Erkenntnissen und Impulsen für die weitere Entwicklung der Branche.
Wir freuen uns schon auf das Forum Güterverkehr 2025!
Die Zukunft gehört dem kombinierten Verkehr
Welche Zukunft haben Güterbahnen in der Schweiz? Diese und weitere Fragen diskutiert der VAP im Doppelinterview mit Peter Knaus, Leiter Bündner Güterbahn der Rhätischen Bahn (RhB), und Peter Luginbühl, Leiter Betrieb Matterhorn-Gotthard-Bahn (MGBahn). In der Debatte sprechen die Experten über Eigenbetrieb und Outsourcing, Eigenwirtschaftlichkeit, Innovationen, Wettbewerb und eine Flexibilisierung des Schienengüterverkehrs.
Herr Luginbühl, bei der Matterhorn-Gotthard-Bahn ist die Schienengüterlogistik ausgelagert. Weshalb?
Peter Luginbühl: Als vorwiegend im touristischen Umfeld tätiges Unternehmen ist unser Schwerpunkt die Personenmobilität. Der Güterverkehr macht zirka 2% des Gesamtergebnisses im Bereich Service public aus. 2011 hat man sich entschieden, sich im Güterverkehr auf den Bahntransport zu konzentrieren. Die vor- und nachgelagerten Schnittstellen gegenüber dem Kunden haben wir in die Verantwortung der Alpin Cargo AG als Gesamtlogistikdienstleisterin gegeben. So können wir uns beide auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren: Wir sind verantwortlich für den Transport auf der Schiene, Alpin Cargo für die Schnittstelle zum Kunden, also auch für die letzte Meile. In Zermatt zum Beispiel erfolgt die Feinverteilung mit Elektrofahrzeugen und mit Pferdekutschen.
Inwiefern ist dieses Outsourcing ein Vorteil?
Peter Luginbühl: Für unsere Ausgangslage mit einer limitierten Grösse und einem recht überschaubaren Ertragsbeitrag des Güterverkehrs zum Gesamtergebnis hat sich dieses Betreibermodell bewährt. Auch aus Sicht der Güterkunden ist es ideal.
Würden Sie wieder auslagern?
Peter Luginbühl: Ja. Unser Betreibermodell funktioniert sehr gut. Trotzdem stellen wir es alle fünf Jahre in Frage und führen eine Standortbestimmung durch. Wir sind nur ungefähr ein Viertel so gross wie die Bündner Güterbahn der RhB. Da macht es keinen Sinn, das selbst zu betreiben.
Herr Knaus, Sie betreiben den Schienengüterverkehr selbst. Wie sieht dieser Eigenbetrieb aus?
Peter Knaus: Wir haben Aufträge des Kantons Graubünden, unter anderem den Service public anzubieten. Früher hat man die Transportunternehmen regelrecht auf die Schiene gezwungen. Heute ist das anders. Wir fahren das auf der Schiene, was wirtschaftlich sinnvoll ist. So entsteht für uns und unsere Kunden eine Win-win-Situation. Für Kurzdistanzen oder die letzte Meile arbeiten wir mit Strassentransportunternehmen zusammen. An unserer jährlichen Transportplattform und im persönlichen Kontakt tauschen wir uns mit diesen Geschäftspartnern regelmässig aus.
Welche Nachteile sehen Sie bei Ihrem Modell?
Peter Knaus: Einen enorm hohen Aufwand für das hauseigene Rollmaterial. Dazu ein Beispiel: Unsere gesamte Wagenflotte von rund 320 Wagen ist mit Vakuumbremsen ausgestattet. Nun hat die RhB aus strategischen Gründen beschlossen, alle Wagen bis 2040 auf Druckluftbremsen umzustellen. Gemäss unserer Strategie 2023–2030 werden wir die Hälfte der Flotte modernisieren und die andere Hälfte erneuern, weil das die wirtschaftlichere Variante darstellt.
Nach welchen Schlüsselkriterien wird bei Ihnen der Verkehrsträger gewählt?
Peter Luginbühl: Wir sind davon überzeugt, dass sich die Schiene zwar für alle Güter, aber nicht für alle gleichermassen optimal eignet. Aktuell transportieren wir zwischen Visp und Zermatt etwa 40 bis 50% der Güter auf der Schiene. Deren Stärken gegenüber der Strasse liegen in den grossen Kapazitäten, in der hohen Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit. Die genaue Ankunftszeit in Zermatt können wir zu 99% garantieren. Bei jedem Verkehrsträger muss man abwägen, welches der beste ökonomische und ökologische Modalsplit ist.
Peter Knaus: Auch Lastwagen werden immer ökologischer. Das wiederum bedeutet, dass die Strassen weiterhin gut frequentiert sind. Der Kanton ist froh um jeden Lastwagen, der von der Strasse wegkommt, damit weniger Staulagen im Individualverkehr entstehen.
Welche Produkte sind geeigneter für die Schiene, welche hätten noch Potenzial?
Peter Knaus: Güter für Langdistanzen, die auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit angewiesen sind, zum Beispiel Lebensmittel. Ebenso Brief- und Paketpost und Stückgut, die pünktlich ausgeliefert werden müssen. Terminfrachten, die wir ab 4.00 Uhr transportieren. Kehricht und Recyclingmaterial muss innerhalb von 24 Stunden verbracht werden. Baustoffe wie Zement oder Salz sind ebenfalls für den Schienengüterverkehr sehr geeignet. Zudem führen wir extrem viel Rundholz, etwa 95%, nach Tirano. Dafür sind wir prädestiniert, denn auch die Verzollung ist wirtschaftlicher als mit einem LKW. Die meisten Güter führen wir im Kombiverkehr, ausser das Rundholz und das Stückgut. Der Kombiverkehr hat grosses Potenzial für die Zukunft. Potenzial sehe ich in unserem Gebiet beim Pelletstransport.
Peter Luginbühl: Wir haben sehr ähnliche Produktschwerpunkte wie die RhB. Nur Holz transportieren wir nicht. Bei uns kommt noch Heizöl in grossen Mengen hinzu. Im Weiteren transportieren wir viel Gepäck für die Tourismusdestination Zermatt. Über die letzten Jahrzehnte sind die Sendungen kleiner geworden, nicht zuletzt aufgrund des Versandhandels.
Stichworte Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit: Was meinen Sie dazu?
Peter Luginbühl: Als kleine Bahn können wir Stabilität und Pünktlichkeit extrem gut gewährleisten. 95% unserer Kunden oder mehr sind höchst zufrieden mit unserer Zuverlässigkeit. Im europa- oder schweizweiten Güterbahnsystem sieht das ganz anders aus. Hier ist Pünktlichkeit ein Riesenproblem. Da muss die Branche noch einiges verbessern und zu einem verlässlicheren Partner werden.
Peter Knaus: Das sehe ich genauso. Gerade bei Lebensmitteltransporten oder Terminfrachten sind wir extrem pünktlich. Wenn wir mit den Grossen zusammenarbeiten, wird es herausfordernder, die gewünschten Termine einzuhalten. Beim Projekt WEF-Transport beispielsweise waren wir auf Zulieferer von der Normalspur angewiesen. Wenn die nicht pünktlich bei uns in Landquart ankommen, können wir die Container auch nicht pünktlich in Davos anliefern. Das stellt für unsere Kunden ein grosses Problem dar, da am WEF zugeteilte Zeitfenster zwingend eingehalten werden müssen.
Welche Entwicklung erkennen Sie in der Produktion?
Peter Luginbühl: Derzeit haben wir noch eine Mischproduktion, wobei wir vorwiegend mit Ganzgüterzügen arbeiten. Wir kommen immer mehr davon weg, bei Personenzügen Güterwagen anzuhängen. Zum einen werden die neuen Triebzüge und die Kapazitäten unserer Gleisanlagen diesen Anforderungen nicht mehr gerecht. Ausserdem gehen uns die Logistikflächen für den Umschlag verloren. Wir werden uns zunehmend auf Ganzgüterzüge konzentrieren.
Peter Knaus: Auf dem Stammnetz fahren wir täglich 52 reine Güterzüge. Die neuen Züge mit automatischer Kupplung sind nur dafür ausgelegt, sich selbst zu bewegen. Durch die schiere Menge an Güterzügen bleibt uns eine gewisse Flexibilität erhalten. Bei den Terminfrachten haben wir fixe Jahresfahrpläne, da ist alles durchgeplant. Wir haben nur noch Richtung Arosa und Bernina Mischverkehre im Einsatz, da hier die Trassen für reine Güterzüge nicht ausreichen.
Apropos Trassen: Mit welchen Herausforderungen sind Sie hier konfrontiert?
Peter Knaus: Tagsüber gibt bei uns der regionale Personenverkehr den Takt vor. Daran müssen wir uns anpassen. Ebenso an die Prestigezüge wie Glacier- und Bernina-Express. Unsere flexibelsten Zeitfenster sind von 4.00 bis 6.30 Uhr. Ab 21.00 Uhr wird vorwiegend gebaut, da können wir nur sehr eingeschränkt fahren. Die RhB und der Kanton unterstützen uns gut in der Trassenthematik und beziehen die verschiedenen Interessengruppen ein.
Peter Luginbühl: Bei den Trassen sehe ich vier Herausforderungen. Erstens die Wirtschaftlichkeit. Unsere Wunschtrassen sind oft besetzt durch touristische Züge, die eine höhere Wirtschaftlichkeit haben. Zweitens die Eigenwirtschaftlichkeit. Wir haben enorm hohe Investitionen und grosse Finanzierungsthemen. Wir leisten einen wichtigen Beitrag an die Versorgungssicherheit unserer Region. Drittens die Flexibilität durch die Geschwindigkeit. Wir können nicht so schnell auf Veränderungen im Angebot reagieren, wie das ein Transportunternehmen kann. Viertens Innovationskraft. Wir produzieren immer noch so wie vor 30 Jahren. Ich bin gespannt, ob wir über die Digitalisierung tatsächlich werden transformieren können.
Welche Best-Practice-Fälle gibt es, von denen Sie und andere etwas lernen können?
Peter Luginbühl: Ich sehe die Feinverteilung auf der letzten Meile als Erfolgsmodell. Unser Partner macht das so, dass vermehrt auch Kunden kommen, gerade weil er so flexibel ist. Und schliesslich erachte ich die Entsorgung von Kehricht als ein aus ökologischer und ökonomischer Sicht spannendes Geschäftsmodell.
Peter Knaus: Ein gutes Beispiel ist meines Erachtens die Umstellung der Getränketransporte. Die Firma Valser transportiert ihre Getränke seit über 40 Jahren von Vals via Ilanz nach Untervaz. Der frühmorgendliche Umschlag in Ilanz an der Rampe verursachte grosse Geräuschemissionen. Da kam die Idee auf, mit Wechselbehältern umzuschlagen. Gemeinsam mit dem Mutterkonzern Coca-Cola und dem Kanton haben wir geeignete Wechselbehälter beschafft. Diese haben sich sehr bewährt. In absehbarer Zeit transportieren wir diese sogar mit Elektro-LKWs mit Anhänger. Dazu haben wir im Dialog mit Kanton und Polizei eine Spezialbewilligung für Anhänger für die Strecke Schnaus–Ilanz erwirkt. . Der einzige Knackpunkt bildet im Moment noch die LSVA-Rückerstattung im Kombiverkehr Strasse-Schiene. Diese Rückerstattung ist noch an die LSVA gebunden. Zukünftig muss diese an den kombinierten Verkehr gekoppelt sein. Da müssen sich noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern.
Welche Innovationen werden sich in den kommenden Jahren im Schienengüterverkehr bewähren?
Peter Knaus: Powerpacks, also Batterien, die auf den Güterwagen montiert sind, erachte ich als nachhaltige Lösung. Diese können als Energielieferant für Kühlcontainer, aber auch für Bauarbeiten in den Tunnels gebraucht werden. Wir haben sogar Schiebewandwagen mit modernen Powerpacks ausgestattet. Im Bereich des Güterwagentrackings haben wir ebenfalls grosse Fortschritte gemacht. Neu wissen wir, wo die Güterwagen stehen, wie schnell sie fahren, wie der Batteriestand ist, welche Temperaturen in den Kühlcontainern herrschen usw. Diese Daten können wir in einem digitalen Dispositionssystem verwerten. Wir haben auch schon über ein Uber-System für Stückgut nachgedacht. Das wäre sehr innovativ, aber der Knackpunkt sind hier die Gestehungskosten und die geeigneten Partner.
Peter Luginbühl: Es wird den Schienengüterverkehr auch in 30 bis 50 Jahren noch geben. Dazu müssen wir weg von den aktuell starren Systemen. Angefangen bei den Wagenaufbauten über starre Logistikprozesse im Güterumschlag oder Waggonmanagement bis hin zur Wagenflexibilität. Überall da ist Potenzial, mit Innovationen zukünftigen Anforderungen zu begegnen.
Was braucht es, damit sich solche Innovationen umsetzen lassen?
Peter Knaus: Ich bin Mitglied im BAV-Expertengremium für technische Neuerungen. Der Bund ist hier sehr offen und unterstützt Innovationen, die einen langfristigen Nutzen bringen. Der Kanton Graubünden ist ebenfalls sehr offen für Innovationen und unterstützt diese bei einem wirtschaftlichen und ökologischen Nutzen nach Kräften.
Peter Luginbühl: Im regionalen Personenverkehr hat es den Druck eines privaten Wirtschaftsakteurs wie Google gebraucht, damit die Dinge in Bewegung kamen. Das täte vermutlich auch uns gut. Es wäre spannend, wenn ein Marktdritter Druck aufbauen würde.
Was meinen Sie zu europaweit integrierten Datenplattformen?
Peter Knaus: Spannende Ausgangslage für die Akteure im Gütertransport, nicht nur auf der Schiene. Die Entwicklung dafür ist herausfordernd, und ob alle ihre Daten zur Verfügung stellen würden, bin ich mir nicht sicher. Aktuell können unsere Kunden mithilfe von Trackings sehen, wo die Lademittel aktuell stehen. Das erlaubt es zum Beispiel einem Mineralöltransportkunden, seine und unsere Disposition effizienter zu gestalten. Insbesondere beim Holzverlad würde ich eine höhere Durchgängigkeit zu unseren Kunden begrüssen.
Peter Luginbühl: Wir müssten die Wagen mit Ortungsgeräten ausrüsten. Erst dann könnten wir weitere Schritte Richtung Datenaustausch machen, auch verkehrsträgerübergreifend. Wir von der MGBahn machen uns diese Gedanken weniger, weil wir lokal ausgerichtet sind.
Wo sehen Sie die grössten Hebel, um den Schienengüterverkehr weiterzubringen?
Peter Luginbühl: Bei der Flexibilisierung des Schienengütersystems. Wir werden nie so flexibel sein wie die Strasse. Aber wir müssen schneller auf Kundenbedürfnisse reagieren können und die Stärken der Schiene ausspielen. Das Potenzial auf der Schiene ist riesig. Der Druck zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene kommt von allein.
Peter Knaus: Da muss man sicherlich zwischen Meterspuren und Normalspuren unterscheiden. Wir mit Meterspuren haben ein überschaubares Netz. Im Vergleich zu den SBB können wir sehr schnell reagieren. Eine planerische Umstellung von zwei Wochen ist verglichen mit den SBB schnell – und verglichen mit einem Strassentransportunternehmen langsam. Dieses stellt innerhalb von Tagen um. Je mehr Geld wir haben, umso schneller können wir in Triebfahrzeuge und Güterwagen investieren respektive die Flotte modernisieren und umso flexibler könnten wir auf die Wünsche unserer Kunden reagieren.
Inwiefern würde mehr Wettbewerb bei den Güterbahnen die Dynamik des Schienengütermarkts verändern?
Peter Luginbühl: Mehr Wettbewerb, mehr Dynamik. Allerdings ist die Eintrittsschwelle in unseren Markt für neue Akteure sehr hoch. Wer eine Güterbahn betreiben möchte, braucht ein regelkonformes Triebfahrzeug und teures Rollmaterial. Das ist eine andere Hausnummer, als einen LKW für ein paar Hunderttausend Franken zu kaufen. Beispiele wie Railcare oder Post zeigen, dass Wettbewerb zu Innovation und Preisdruck führt.
Peter Knaus: Konkurrenz tut gut und spornt an, sich zu entwickeln. Die Verantwortlichen von Railcare haben ein sehr gutes Transportlogistikkonzept, sie verbinden Strasse und Schiene mit der eigenen Flotte. Auch Konkurrenzunternehmen auf der Schiene sind auf freie Trassen angewiesen. Sie können nicht einfach losfahren, wenn sie vollgeladen sind. Preislich haben kleine Güterbahnbetreiber den Vorteil, dass sie einen geringeren Overhead einkalkulieren müssen.
Was halten Sie vom VAP und was würden Sie unserem Verband empfehlen?
Peter Knaus: Mit Generalsekretär Frank Furrer hatte ich stets einen guten Kontakt. Ich habe das Projekt Transportlogistik des Regionalen Paketzentrums in Untervaz geleitet. Da habe ich sehr eng mit dem VAP zusammengearbeitet. Er war ein unabhängiges und sehr wertvolles Projektmitglied. Ich empfinde den Austausch mit Frank Furrer, Jürg Lütscher und anderen VAP-Vertretern, die eine Verladersicht einbringen, als konstruktiv und spannend.
Peter Luginbühl: Ich wusste bis vor Kurzem nicht, dass es diesen Verband gibt. Meine Empfehlung wäre es, dass Sie Ihren Verband bei den Güterverkehrsunternehmen besser bekannt machen. Ich finde es nämlich toll, was der VAP so alles tut.
Was wurde noch nicht gesagt?
Peter Luginbühl: Dieses Gespräch hat mir wertvolle Impulse gegeben, danke dafür.
Peter Knaus: Danke, dass Sie uns zu diesem Gespräch eingeladen und uns die Gelegenheit gegeben haben, uns zu präsentieren.
Zu Peter Knaus und der Bündner Güterbahn Peter Knaus ist Leiter Güterverkehr der Bündner Güterbahn der Rhätischen Bahn (RhB). Zudem vertritt er die Schmalspurbahnen in der Kommission Güterverkehr (KGV) des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV) und gehört der Begleitgruppe Schienengüterverkehr des Bundesamtes für Verkehr (BAV) an. Unter dem Dach der RhB bietet die Bündner Güterbahn eine breite Palette von Transportlösungen für Unternehmen und Privatpersonen in Graubünden an. Mit ihrer vielfältigen Wagenflotte – darunter Containerwagen, Schiebewandwagen und Kesselwagen – befördert sie Güter aller Art. Die Bedienungspunkte erstrecken sich über das gesamte Bündnerland und umfassen wichtige Industriezentren, Logistikzentren sowie landwirtschaftliche Betriebe. Dadurch gewährleistet die Bündner Güterbahn eine umfassende Güterversorgung in der gesamten Region und ist ein unverzichtbarer Bestandteil der regionalen Logistikinfrastruktur. |
Zu Peter Luginbühl und der Matterhorn-Gotthard-Bahn Peter Luginbühl ist seit 2017 Leiter Betrieb Matterhorn-Gotthard-Bahn. Der diplomierte Controller war davor einige Jahre als Leiter Unternehmensentwicklung HR bei den SBB tätig. Die Matterhorn-Gotthard-Bahn betreibt ihren Güterverkehr mit der Alpin Cargo AG, einer Tochter der Planzer-Gruppe. Sie bietet vielfältige Dienstleistungen für das lokale Gewerbe an. Dazu zählen Güterumschlag, Lagerlogistik und Transporte sowohl auf der Schiene als auch auf der Strasse. Die Mineralölversorgung stellt einen weiteren wichtigen Service dar. Alpin Cargo bedient auf der letzten Meile nicht nur Unternehmen, sondern auch Privatpersonen. Diese können ihre Dienste für Umzüge, das Einlagern von Hausrat sowie Heimlieferungen mit Montage und E‑Transporte in Anspruch nehmen. |
Gotthardbasistunnel (#9): Rückverlagerung auf Strasse vermeiden
Die Güterzugentgleisung vom 10. August 2023 hat gravierende Schäden am Gotthardbasistunnel verursacht. Deshalb wollen die SBB mit dem Fahrplanwechsel vom 10. Dezember 2023 die Kapazitäten des nachhaltigen Güterbahnverkehrs zugunsten des Freizeitverkehrs am Wochenende massiv einschränken. Das könnte zu einer Rückverlagerung von bis zu 15% der Bahngüter auf die Strasse führen.
Darum geht’s:
- Neues Fahrplankonzept streicht Güterverkehrstrassen
- Gesetzliches Verkehrsverlagerungsziel gefährdet
- Alternative für Personenverkehr vorhanden
- NEAT schrittweise zweckentfremdet
- Kein Dialog auf Augenhöhe
- Rückverlagerung auf Strasse gemeinsam vermeiden
Neues Trassenkonzept streicht Güterverkehrstrassen
Laut Medienupdate vom 2. November 2023 gehen die SBB davon aus, dass der Gotthardbasistunnel erst im September 2024 wieder vollständig für Reise- und Güterzüge zur Verfügung steht. Die Reparaturarbeiten dürften weit länger dauern als ursprünglich erwartet. Die Verantwortlichen der SBB haben bekanntgegeben, mit dem Dezember-Fahrplanwechsel an den Wochenenden deutlich mehr und schnellere Reisezüge durch den Gotthardbasistunnel fahren zu lassen. Sie streichen dem Güterverkehr unter anderem ein Zeitfenster von 7.30 bis 9.00 Uhr freitagmorgens und teilen es dem Personenverkehr zu.
Gesetzliches Verkehrsverlagerungsziel gefährdet
Das eigenmächtig entwickelte Trassenkonzept hat gravierende Konsequenzen für den nationalen Modalsplit. Eines unserer Mitglieder geht davon aus, dass 10% bis 15% der Sendungen des kombinierten Güterverkehrs auf die Strasse rückverlagert werden und die Versorgung des Tessins am Wochenende nicht mehr vollumfänglich gewährleistet werden kann. Auch Bauarbeiten können im erwähnten Zeitfenster nicht vorgenommen werden.
Diese Entwicklung widerspricht der Schweizer Verkehrsverlagerungspolitik. Demnach will der Bundesrat den alpenquerenden Gütertransport von der Strasse auf die Schiene verlagern. Schon 2022 wurde das gesetzliche Ziel von 650’000 Lastwagenfahrten klar verfehlt: Es fuhren noch immer 880’000 Lastwagen durch die Schweizer Alpen.
Alternative für Personenverkehr vorhanden
Für die Branchenvertreter der verladenden Wirtschaft ist die Trassenneukonzeption der SBB umso abwegiger, als sehr wohl eine vernünftige Alternative für den Personenverkehr besteht: Gerade aus ökologischer Perspektive sollten Freizeitreisende an Wochenenden die Bergstrecke nutzen und den Gotthardbasistunnel den Güterzügen überlassen. Immerhin verbrauchen diese wegen ihrer schweren Last sehr viel mehr Strom über die Bergstrecke als Personenzüge. Die Verlader sind an sieben Tagen die Woche auf eine zuverlässige Transportinfrastruktur für die Güterversorgung der Schweiz angewiesen.
NEAT schrittweise zweckentfremdet
Der Gotthardbasistunnel ist Teil der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT). Sie wurde für den Güterverkehr konzipiert. Denn das gemeinsame Ziel der Europäischen Union und der Schweiz mit der NEAT war und ist es, den Güterverkehr auf der Schiene zu fördern. Das Projekt wurde für 23 Mrd. CHF realisiert und zu 55% von der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) finanziert. Mit der Einschränkung der dringend benötigten Trassen für den Güterverkehr wird die NEAT erneut zweckentfremdet.
Kein Dialog auf Augenhöhe
Zwar hätten die SBB nach eigenen Angaben «… für die Verteilung der Trassen durch den Gotthard-Basistunnel während der Reparaturarbeiten in Zusammenarbeit mit den Branchenvertretern des Güterverkehrs und den Eisenbahnverkehrsunternehmen des Personenverkehrs sowie der unabhängigen Trassenvergabestelle eine sorgfältige Abwägung vorgenommen.» Doch das neue Trassenkonzept entstand ohne die Güterverkehrsbranche und deren Kunden. Auch der nachträgliche Austausch erwies sich als zäh. Zudem fehlte an der Medienkonferenz vom 2. November 2023 die Stimme von SBB Cargo. Es ist unklar, ob und wie die Anliegen des Güterverkehrs im eigenen Konzern berücksichtigt wurden. Die verladende Wirtschaft zeigt sich alarmiert über dieses einseitige Vorgehen und sieht die bisher konstruktive Zusammenarbeit mit den SBB in Frage gestellt.
Rückverlagerung auf Strasse gemeinsam vermeiden
Wir vom VAP fordern nachdrücklich, dass die SBB alle am Güterbahnverkehr Beteiligten in die Planung der Trassenvergabe einbeziehen und einseitige Äusserungen über die reibungsfreie Abwicklung des Güterverkehrs durch den Gotthardbasistunnel unterlassen. Diese begünstigen eine vorzeitige Abwanderung von Gütertransporten auf die Strasse, was es unbedingt zu vermeiden gilt. Denn eine solche lässt sich in der Regel nur schwer rückgängig machen. Die SBB sollten Güter- und Personenverkehr nicht gegeneinander ausspielen und dabei den Strassentransport begünstigen.
Teilrevision SBBG: Verantwortung und Marktöffnung weiter verzögert
Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates (KVF‑N) unterstützt die Vorlage zur finanziellen Stabilisierung der Schweizerischen Bundesbahnen (SBBG) einstimmig. Im Gegensatz zum Bundesrat ist sie der Ansicht, dass bei der Gewährung von Tresoreriedarlehen an die SBB kein Systemwechsel angezeigt ist. Damit lässt die KVF‑N gleichzeitig sämtliche Empfehlungen des VAP unberücksichtigt.
Darum geht’s:
- 3‑Milliarden-Finanzspritze für die SBB
- SBBG-Teilrevision an Nationalrat überwiesen
- Stimme der Branche bleibt ungehört
- Weiterhin keine Marktöffnung in Sicht
–> Zum Nachtrag vom 08.07.2024
3‑Milliarden-Finanzspritze für die SBB
In seinem Bericht vom 16. Dezember 2022 zur Motion 22.3008 «Unterstützung der Durchführung der SBB-Investitionen und einer langfristigen Vision in Covid-19-Zeiten» schlägt der Bund vor, die Defizite der SBB im Fernverkehr mit einem einmaligen Kapitalzuschuss von geschätzt 1,25 Mrd. Schweizer Franken zu übernehmen. Im Weiteren will er die Trassengebühren für den Fernverkehr mit weiteren 1,7 Mrd. Schweizer Franken erleichtern. Ausserdem regt er eine Korrektur der Finanzierungsinstrumente an.
Stimme der Branche bleibt ungehört
Wie in unserer Medienmitteilung vom 30. März 2023 publiziert, lehnen wir vom VAP die vorgelegte ausserordentliche Sanierung des Fernverkehrs mit rund 3 Milliarden Steuergeldern ab. Hingegen begrüssen wir die vorgeschlagene Korrektur der Finanzierungsinstrumente, d.h. den Verzicht auf die Gewährung von Tresoreriedarlehen an die SBB an der Schuldenbremse des Bundes vorbei. In den Blogbeiträgen «SBB soll Verantwortung statt 3‑Milliarden-Finanzpaket übernehmen» und «Keine Stabilisierung der SBB trotz 3 Mia. Franken zusätzlicher Bundesmittel» fassen wir die Position der Branche und unsere entsprechenden Argumente zusammen.
Weiterhin keine Marktöffnung in Sicht
Mit einer Annahme der Vorlage würde der Nationalrat das SBB-Monopol im Fernverkehr weiter festigen. Das ist europapolitisch problematisch, denn die EU fordert von der Schweiz eine Marktöffnung im Fernverkehr. Diese unerfüllte Forderung überschattet die Verhandlungen mit der EU über die Verlängerung der befristeten Zusammenarbeit mit der Europäische Eisenbahnagentur ERA für One-stop-Shop-Zulassungen und mehr Interoperabilität zwischen der Schweiz und der EU. Noch verfügt die Schweiz verglichen mit EU-Mitgliedstaaten aktuell über keinen vollwertigen Marktzugang; das Schweizer Bahnnetz ist derzeit kein integrierter Teil des europäischen Interop-Netzes. Deshalb verlangen die güterverkehrsnahen Verbände Astag, CFS und wir vom VAP eine nationale Migrationsstrategie zur Öffnung des Markts in Einklang mit der EU. Stimmt der Nationalrat dem Antrag der KVF‑N zu, so schiebt er dieses Anliegen noch weiter weg.
SBBG-Teilrevision an Nationalrat überwiesen
Die KVF‑N hat die Vorlage zur Änderung des SBBG einstimmig an den Nationalrat überwiesen. Zudem lehnt die Kommissionsmehrheit einen Systemwechsel bei den Finanzierungsinstrumenten ab, da die Haushalts- im Gegensatz zu den Tresoreriedarlehen der Schuldenbremse unterstellt sind. Sie ist der Ansicht, dass die daraus resultierende Konkurrenzsituation mit anderen Bundesausgaben im Hinblick auf das Angebot des öffentlichen Verkehrs nicht wünschenswert sei. Der Nationalrat wird in der Wintersession 2023 über den Antrag der KVF‑N befinden.
Nachtrag 20.12.2023, Update aus der Wintersession:
Der Nationalrat hat in der Wintersession mehrheitlich zugestimmt, der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) einen einmaligen Kapitalzuschuss von 1,15 Milliarden Franken zur Schuldenreduzierung zu gewähren. Dieser Betrag wurde bereits im Voranschlag 2024 eingeplant. Der Nationalrat lehnte hingegen den Vorschlag des Bundesrats, bei Erreichen einer bestimmten Verschuldung von Tresorerie- zu Haushaltsdarlehen des Bundes überzugehen, ab. Dies mit dem Argument, dass unter Anwendung der Schuldenbremse bei Haushaltsdarlehen der Ausbau verzögert werden könnte. Zusätzlich beschloss die Kammer, die angemessene Reserve des Bahninfrastrukturfonds (BIF) auf mindestens 300 Millionen Franken festzulegen, wobei maximal zwei Drittel des Reinertrags der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) in den Fonds fliessen sollen. Damit hat der Nationalrat alle Empfehlungen des VAP unberücksichtigt gelassen. Die Vorlage geht nun an den Ständerat, der hoffentlich korrigierend eingreifen wird.
Nachtrag 08.07.2024
Nach der Beratung im National- und Ständerat verbleiben Differenzen bei zwei Artikeln (Art. 20 und Art. 26b SBBG). Der Ständerat möchte die Finanzierungsinstrumente des Bundes zugunsten der SBB dahingehend verschärfen, dass die Vergabe von Tresoreriedarlehen des Bundes zugunsten der SBB nur bis zu einer definierten Obergrenze der in den strategischen Zielen festgehaltenen Nettoverschuldung möglich ist. Darüberhinausgehende Darlehen wären – wie bereits gemäss Vorschlag des Bundesrates – der Schuldenbremse zu unterstellen. Die Mehrheit der KVF‑N ist jedoch weiterhin der Ansicht, dass die durch den Systemwechsel der Finanzierungsinstrumente resultierende Konkurrenzsituation mit anderen Bundesausgaben im Hinblick auf das Angebot des öffentlichen Verkehrs nicht wünschenswert ist. Mit 12 zu 11 Stimmen beantragt sie deshalb ihrem Rat, an ihrem Beschluss festzuhalten. Weiter bestand eine Differenz zur Ausschüttung eines einmaligen Kapitalzuschusses (Art. 26b SBBG). Den Antrag von SR Josef Dittli zur Senkung des Beitrags auf 0,6 Milliarden Franken hatte der Ständerat abgelehnt (21 zu 20 Stimmen), hingegen Festhalten an der Schuldenbremse beschlossen. Die KVF‑N beantragt ihrem Rat auch in diesem Punkt Festhalten am Beschluss des Nationalrates, welcher einen einmaligen Kapitalzuschuss von 1.15 Milliarden Franken zugunsten der SBB vorsieht (13 zu 12 Stimmen). Die Kommissionsmehrheit möchte damit die finanzielle Situation der SBB nachhaltig stärken. Eine Kommissionsminderheit hingegen will den einmaligen Kapitalzuschuss im Sinne des Antrags von SR Josef Dittli auf 0,6 Milliarden Franken beschränken. Das Geschäft geht in der Herbstsession in den Nationalrat.
Gotthardbasistunnel (#8): Sicherheits- und Kontrollaufgaben klar verteilt
- Harmonisierte Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem
- Instandhaltungsarbeiten von unabhängigen Stellen überwacht
- Radsatzkontrollen in Betrieb und Instandhaltung
- Zwei Prüfverfahren etabliert
- Zuständigkeiten und Vorschriften geklärt
Harmonisierte Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem
Die Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem basiert auf einem Verantwortungsdreieck aus Infrastrukturbetreibern, Eisenbahnverkehrsunternehmungen (EVU) und den Wagenhaltern mit ihren zuständigen Instandhaltungsstellen (ECM). Die Vorgaben und Bestimmungen dazu sind heute europaweit weitgehend harmonisiert. Basierend auf Festlegungen der hoheitlichen Richtlinien, auf den gültigen technischen Normen und Erfahrungen aus der Praxis hat die Branche den international anerkannten VPI European Maintenance Guide (VPI-EMG) erarbeitet. Dabei leisteten seit 2007 die Verbände VPI (Deutschland), V.P.I. (Österreich) und VAP (Schweiz) Pionierarbeit. 2019 wurde der Herausgeberkreis des VPI-EMG um die AFWP (Frankreich) und die UIP (internationaler Verband der Wagenhalter als Vertreter der kleineren nationalen Interessenverbände) erweitert. In diesem Regelwerk sind sowohl Fristen als auch Umfang der Arbeiten und Standards anwendergerecht definiert. Es gibt Instandhaltungsempfehlungen ab, die jeder Nutzer auf die Anwendbarkeit für seine Güterwagen prüfen, gegebenenfalls ergänzen und für seine Wagenflotte freigeben muss. Derzeit beziehen mehr als 550 Unternehmen, darunter Wagenhalter, ECM, Reparaturwerkstätten, Behörden und Universitäten, den VPI-EMG. Mehr als 260 Reparaturwerkstätten und mobile Serviceteams aus 19 Ländern Europas wenden den VPI-EMG im Auftrag der jeweils zuständigen ECM an.Instandhaltungsarbeiten von unabhängigen Stellen überwacht
Die Sicherheitsrichtlinie der EU legt zwei unabhängige Verfahren fest. Damit soll sichergestellt werden, dass die Facharbeiten überall mit dem erforderlichen Qualitätsniveau und Wissen durchgeführt werden:- Zertifizierung: Die beteiligten Unternehmen müssen sich für sicherheitsrelevante Tätigkeiten im Rahmen ihrer ECM durch unabhängige Stellen zertifizieren lassen. Diese Zertifikate müssen sie regelmässig erneuern und ihren Kunden Einsicht in deren Gültigkeit und Umfang gewähren.
- Auditierung: Aufsichtsbehörden führen im Bahnbetrieb risikobasierte Audits von sicherheitskritischen Prozessen und Inspektionen der Qualität durch. Sollten sie Schwachstellen aufdecken, so überwachen sie zudem deren Behebung.
Radsatzkontrollen in Betrieb und Instandhaltung
Radsätze gelten als sicherheitskritische Komponenten eines Schienenfahrzeugs. Durch den Betrieb werden sie einerseits kontinuierlich abgenutzt, andererseits können sie durch Einwirkungen von aussen beschädigt werden. Bei der Instandhaltung von Wagen sorgt die ECM dafür, dass vollwertige Radsätze eingesetzt sind. Beim Betrieb stellen die EVU und die Zugkontrolleinrichtungen der Infrastrukturbetreiberinnen (vgl. Blogbeitrag «Gotthardbasistunnel (#2): Automatische Zugkontrolleinrichtungen») gezielt sicher, dass keine erkennbaren Schäden oder Abweichungen an Wagen die Betriebssicherheit gefährden. Für einen sicheren Bahnbetrieb müssen die Radsätze alle relevanten Grenzwerte während der gesamten Betriebszeit einhalten. Radsätze, die infolge von Abweichungen oder Schäden ausgewechselt wurden, kommen zur vorschriftsgemässen Aufarbeitung in eine zertifizierte Fachwerkstätte.Zwei Prüfverfahren etabliert
Im 10-vor-10-Beitrag von SRF werden zwei Prüfverfahren der systematischen Radsatzinstandhaltung gezeigt. Eine zertifizierte Fachwerkstätte kann so gewährleisten, dass die von ihr instandgesetzten Radsätze beim Ausliefern keine relevanten Schädigungen in Form von Materialrissen aufweisen. Dabei handelt es sich um zwei zerstörungsfreie Prüfverfahren nach DIN 27201–7, die sich branchenweit durchgesetzt haben:- Ultraschallprüfung: Erkennen von Rissen im Bereich Radstirnfläche und Spurkranzrücken
- Magnetprüfung: Erkennen von Rissen in Radkörper und Radsatzwelle inklusive Radsitz