Wie zukunfts­fä­hig ist der Schie­nen­ver­kehr tat­säch­lich? Kann er der Auf­ga­be der poli­tisch ange­streb­ten Ver­kehrs­ver­la­ge­rung gerecht wer­den? Wir mei­nen: Ja, sofern er grund­le­gend trans­for­miert. Eine sys­tem­über­grei­fen­de Digi­ta­li­sie­rung ist ent­schei­dend, damit sich der Bahn­sek­tor als nach­hal­ti­ger Trä­ger muli­mo­da­ler Logis­tik­ket­ten eta­blie­ren kann.

Darum geht’s:

  • Am Anfang war die Mobilität
  • Für die Zukunft gut aufgestellt
  • Sicher­heit bringt wett­be­werbs­hin­der­li­che Nachteile
  • Digi­ta­le Inno­va­ti­on und Inves­ti­ti­on gefragt
 
Am Anfang war die Mobilität

Der Bedarf nach Mobi­li­tät ist in der west­li­chen Indus­trie­ge­sell­schaft über die letz­ten Jahr­zehn­te mas­siv gestie­gen. Das hat den Kon­kur­renz­kampf zwi­schen den Ver­kehrs­trä­gern akzen­tu­iert. Der moto­ri­sier­te Indi­vi­du­al­ver­kehr und der Flug­ver­kehr haben ihre Domi­nanz im Per­so­nen­trans­port kon­ti­nu­ier­lich aus­ge­baut. Im Güter­trans­port ist der Last­wa­gen zum wich­tigs­ten Ver­kehrs­trä­ger auf­ge­stie­gen, nicht zuletzt dank weg­wei­sen­der Inno­va­tio­nen. Obwohl der Schie­nen­ver­kehr in Euro­pa nur einen gerin­gen Anteil des aktu­el­len Trans­port­be­darfs abdeckt, ist er aus dem Ange­bot nicht weg­zu­den­ken. Müss­te in der Schweiz die Stras­se die Ver­kehrs­leis­tung der Schie­ne über­neh­men, so wäre das Chaos vorprogrammiert.

Für die Zukunft gut aufgestellt

Mobi­li­tät und Treib­haus­gas­emis­sio­nen gehen Hand in Hand. So ist mit der Kli­ma­dis­kus­si­on der scho­nen­de Umgang mit Res­sour­cen in den Fokus der Öffent­lich­keit gerückt. In eini­gen euro­päi­schen Län­dern und in der Schweiz setzt die Poli­tik ver­mehrt auf die emis­si­ons­ar­me Bahn und strebt eine deut­li­che Ver­la­ge­rung der Ver­keh­re auf die Schie­ne an. Da stellt sich die Frage, wie gut der Bahn-sek­tor die­ser Auf­ga­be gewach­sen ist. Der­zeit besticht die Schie­ne durch eini­ge ent­schei­den­de Wettbewerbsvorteile:

  • Schie­nen­ver­kehr wird geplant und gesteu­ert, was das Ange­bot zuver­läs­sig macht.
  • Der Trans­port auf der Schie­ne wird lau­fend über­wacht, wes­halb die Bahn als sichers­ter Ver­kehrs­trä­ger gilt.
  • Dank hohem Elek­tri­fi­zie­rungs­grad ver­ur­sacht Schie­nen­ver­kehr wenig Emis­sio­nen. In der Schweiz fah­ren Züge aus­schliess­lich mit CO2-frei­em Strom.
  • Eine Bahn­tras­se benö­tigt deut­lich weni­ger Flä­che als eine Stras­se. Das ist gera­de in dicht besie­del­ten Gebie­ten entscheidend.
Sicherheit bringt wettbewerbshinderliche Nachteile

Im Grund­satz ist der Bahn­sek­tor also gut für die Zukunft auf­ge­stellt. Doch die hohen Sicher­heits­an­for­de­run­gen an den Schie­nen­ver­kehr wir­ken sich nega­tiv auf des­sen Fle­xi­bi­li­tät und damit Wett­be­werbs­fä­hig­keit aus. Dies in meh­rer­lei Hinsicht:

  • Die meis­ten Bahn­stre­cken sind in fixe Stre­cken­blocks auf­ge­teilt. Ein Zug erhält erst dann grü­nes Licht, wenn der Block vor ihm frei ist. Diese Glie­de­rung in fixe Stre­cken­blö­cke begrenzt die Stre­cken­ka­pa­zi­tät und damit den Takt der mög­li­chen Zugfahrten.
  • Mit infra­struk­tur­sei­ti­gen Achs­zäh­lern wird garan­tiert, dass alle Wagen eines Zuges, die in den Stre­cken­block ein­ge­fah­ren sind, die­sen auch wie­der ver­las­sen haben. Diese Über­wa­chung erhöht zwar die Sicher­heit, ist aber auf­wen­dig und limi­tiert das Durchlaufvermögen.
  • Ver­keh­ren auf einer Stre­cke Per­so­nen- und Güter­zü­ge, so schränkt das die Stre­cken­ka­pa­zi­tät auf­grund der unter­schied­li­chen Fahr- und Brems­dy­na­mi­ken wei­ter ein.
Digitale Innovation und Investition gefragt

Die erwähn­ten Nach­tei­le des Bahn­sek­tors las­sen sich behe­ben. Doch dazu ist eine umfas­sen­de Trans­for­ma­ti­on mit Inno­va­ti­on und Inves­ti­tio­nen nötig, die sys­tem­über­grei­fend und über alle Bran-chen­ak­teu­re hin­weg koor­di­niert erfolgt. Im Mit­tel­punkt eines der­art epo­cha­len Wan­dels ste­hen digi­ta­le Tech­no­lo­gien und ein neu­ar­ti­ger Umgang mit Daten.

  • Zug­be­trieb digi­ta­li­sie­ren: Ein digi­ta­ler Zug­be­trieb kommt ohne Stre­cken­blocks und Signa­le aus und kann bes­ser aus­ge­las­tet wer­den. Der Abstand zwi­schen zwei in die glei­che Rich­tung fah­ren­den Zügen wird in Echt­zeit mit einem kom­mu­ni­ka­ti­ons­ba­sier­ten Zug­leit­sys­tem (Com­mu­ni­ca­ti­on-Based Train Con­trol, CBTC) ermit­telt. Das gewähr­leis­tet zu jedem Zeit­punkt den nöti­gen Sicher­heits­ab­stand, schränkt aber die Stre­cken­ka­pa­zi­tät nicht ein.

 

  • Daten­öko­sys­te­me errich­ten: Schlüs­sel für eine sys­tem­über­grei­fend abge­stimm­te Digi­ta­li­sie­rung ist der Zugang zu hoch­wer­ti­gen Daten aus ers­ter Hand. Davon pro­fi­tie­ren alle Akteu­re inner­halb einer mul­ti­mo­da­len Logis­tik­ket­te. Bestre­bun­gen wie die Wei­ter­ent­wick­lung der Mobi­li­täts­da­ten­in­fra­struk­tur (MODI), die Natio­na­le Daten­ver­net­zungs­in­fra­struk­tur Mobi­li­tät (NADIM) oder das KV4.0 Pro­jekt des deut­schen Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Digi­ta­les und Ver­kehr BMVD gehen in die rich­ti­ge Rich­tung (vgl. «Daten­öko­sys­te­me: Daten tei­len, um ihren Mehr­wert zu ver­dop­peln»).

 

  • Ange­bot fle­xi­bi­li­sie­ren: Umfas­sen­de Inno­va­tio­nen auf Sys­tem­ebe­ne ermög­li­chen wie erläu­tert die Ver­net­zung von Daten. Dadurch wird die Bahn­pro­duk­ti­on deut­lich effi­zi­en­ter und fle­xi­bler und der Güter­ver­kehr kann sein Ange­bot kon­kur­renz­fä­hi­ger aus­ge­stal­ten. Damit tat­säch­lich mar­kant mehr Güter­ver­kehr auf der Schie­ne statt­fin­den kann und sich Eng­päs­se behe­ben las­sen, muss die öffent­li­che Hand aller­dings auch die phy­si­sche Infra­struk­tur ent­spre­chend ausbauen.

 

  • Fach­kräf­te­man­gel adres­sie­ren: Der aktu­el­le Güter­bahn­be­trieb pro­du­ziert höchst per­so­nal­in­ten­siv. Noch wer­den zahl­rei­che Tätig­kei­ten im Gleis­feld manu­ell aus­ge­führt. Viele Mit­ar­bei­ten­de tra­gen Tag für Tag dazu bei, dass die Räder rol­len. Diese Auf­ga­ben sind nicht sel­ten kör­per­lich anstren­gend und gefähr­lich. Im Rah­men des demo­gra­fi­schen Wan­dels gehen viele lang­jäh­ri­ge Bahn­mit­ar­bei­ten­de in den kom­men­den Jah­ren in Pen­si­on. Diese Fach­kräf­te­lü­cke kann die Teil­au­to­ma­ti­sie­rung schlies­sen, etwa durch die Migra­ti­on auf die digi­ta­le auto­ma­ti­sche Kupp­lung DAK (vgl. Blog­bei­trag «Die Digi­ta­li­sie­rung des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs nimmt Fahrt auf»).

 

  • Inter­ope­ra­bi­li­tät stär­ken: Die euro­päi­schen Bah­nen sind nach wie vor stark regu­liert. Trotz der Har­mo­ni­sie­rungs­be­mü­hun­gen der Euro­päi­schen Union schrän­ken zahl­lo­se natio­na­le Vor­schrif­ten für Fahr­zeu­ge und Bahn­per­so­nal den frei­en grenz­über­schrei­ten­den Bahn­ver­kehr immer noch ein. Aller­dings wird die Digi­ta­li­sie­rung auf euro­päi­scher Ebene auf ein­heit­li­chen Stan­dards auf­ge­baut, was die Har­mo­ni­sie­rung begüns­tigt. Umso wich­ti­ger ist es, dass die Ver­kehrs­po­li­tik euro­pa­weit koor­di­niert wird (vgl. Blog­bei­trag «Inter­ope­ra­bi­li­tät Schweiz–EU sicher­stel­len»).
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