Wir unterstützen die digitale automatische Kupplung (DAK) schon seit ihren Anfängen. Darum engagieren wir uns beim internationalen Dachverband der Wagenhalter UIP, beim European DAC Delivery Programme (EDDP) und beim Schweizer Projekt zur DAK-Migration. Allerdings bleibt auf allen Ebenen noch viel zu tun. Hier ein Zwischenstand zur technischen und marktwirtschaftlichen Entwicklung.
Darum geht’s:
- Die Technik wirft noch Fragen auf
- Fairer Kosten-Nutzen-Transfer angestrebt
- Steigende Transportpreise können Rückverlagerung auf die Strasse bewirken
- Zusammenarbeit mit Europa: ein Muss
- DAK als Basis für grundlegenden Systemwechsel
Gemeinsam mit dem Bundesamt für Verkehr (BAV), SBB Cargo und dem Verband öffentlicher Verkehr (VöV) treiben wir vom VAP das Schweizer DAK-Projekt voran. Erste Erkenntnisse aus dieser Kooperation wurden im Konzeptbericht «Automatisierung im Schienengüterverkehr der Schweiz, beginnend mit der Migration zur digitalen automatischen Kupplung» vom 24. Oktober 2022 festgehalten. Zudem flossen sie in die aktuelle Vernehmlassungsvorlage über die Zukunft des Schweizer Güterverkehrs ein und – mit einigen Ergänzungen – in die Botschaft, die der Bundesrat im Sommer 2023 an das Parlament erstellt. Aus zahlreichen Workshops und bilateralen Gesprächen der Güterbahnbranche entstanden Fragen, Kritikpunkte und Lösungsansätze, die es nun zu vertiefen gilt.
Die Technik wirft Fragen auf
Die Festlegung des Kupplungskopfes war ein erster Meilenstein. Nun gilt es, die digitalen Elemente zu entwickeln und zu testen. Dazu werden zwei technische Ansätze verfolgt. Bei der «Powerline-Plus» erfolgt die Übertragung der elektrischen Impulse und Daten über dieselbe Leitung mit einer limitierten Anzahl an Kontakten. In der Schweiz testet ein Expertenkonsortium in den kommenden Monaten diesen Ansatz. Beim Modell «Single Pair Ethernet» (SPE) hingegen werden für die Energie- und Datenübertragung separate Leitungen benötigt.
Bei beiden technischen Ansätzen sind Fragen wie diese offen:
- Unter welchen Witterungsverhältnissen und klimatischen Bedingungen ist ein zuverlässiger Betrieb möglich?
- Gibt es bei den zahlreichen betrieblichen Prozessen (Rangieren, Fahrten (enge Radien, Neigungen …) Ausfallzeiten bei der Datenübertragung?
- Welche Funktionalitäten enthält schliesslich die digitale Komponente?
- Wie wird die Aufwärtskompatibilität gestaltet, insbesondere von DAK4 zu DAK5?
- Wie wird die europaweite Kompatibilität des künftigen DAK-Rollmaterials gewährleistet?
Aktuell verfügt der europäische Bahnsektor nur über wenige Expertinnen und Experten zu diesem Thema, was eine grosse Herausforderung darstellt. Ausserdem besteht Klärungsbedarf bei mechanischen Aspekten wie den Kraftauswirkungen der neuen Kupplung auf die einzelnen Wagentypen oder beim Einbau der DAK in Loks aufgrund Gewichts- und/oder Platzproblemen oder der sicheren Integration in die Fahrzeugleittechnik. Fragen wie diese müssen bis 2026 beantwortet sein.
Kosten-Nutzen-Transfer kann Rückverlagerung bewirken
Investitionen in die DAK-Migration sind gerade für Fahrzeughalter erheblich. Wir gehen von Kosten von CHF 20’000 bis CHF 40’000 bei den Wagen (je nach Wagentyp) und von CHF 60’000 bis CHF 250’000 bei den Loks aus. Allerdings machen sich positive Auswirkungen für die Fahrzeughalter erstmals nach vollständiger Migration bemerkbar, also frühestens ab zehn Jahren. Das heisst, dass die Kosten in den ersten Jahren ohne Mehreinnahmen steigen, was zu höheren Preisen für Wagenmieten führt. Auch die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) werden in der mehrjährigen Migrationsphase durch den Parallelbetrieb Zusatzaufwand haben. Hohe Preissensitivität könnte eine Rückverlagerung auf die Strasse bewirken. Diesen Effekt stellten wir 2023 schon bei den weiterverrechneten Preiserhöhungen durch gestiegene Fahrstromkosten fest.
Wir vom VAP suchen Lösungen für diese Herausforderungen:
- Wie können die EVU als hauptsächliche Gewinner der DAK die Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen an die Fahrzeughalter weitergeben? In monopolartigen Gebilden wie beim Einzelwagenladungsverkehr greifen marktwirtschaftliche Mechanismen nicht.
- Wie hoch müssen die Förderungen (A‑fonds-perdu-Beiträge, Darlehen, Fonds) sein, damit sie den ungleichen Kosten-Nutzen-Transfer ausgleichen, und wie lässt sich eine grössere Rückverlagerung auf die Strasse während der Migration verhindern? Was geschieht, wenn Subventionen oder nachträgliche Finanzierungen an die staatlichen EVU mit der DAK fast vollumfänglich eingestellt werden?
In neues Rollmaterial zu investieren, ist für viele Wagenhalter sicherlich denkbar oder sogar notwendig. Doch eigentlich geht es um die Frage, wie sich vorhandene Bestandsflotten effizient umbauen lassen. Dabei gilt es, die folgenden Aspekte zu berücksichtigen, ohne Akteure unverschuldet zu benachteiligen:
- Auch bei neuerem Rollmaterial gibt es Schwierigkeiten, eine DAK nachträglich einzubauen.
- Der Kauf von Neuwagen ist aufgrund gestiegener Rohstoffpreise um 50 Prozent teurer geworden.
- Die Produktion von Neuwagen mit DAK muss nach Fertigstellung der Spezifikationen erst gestartet werden. Die Stückzahl ist zu Beginn je nach Wagentyp limitiert.
- Älteres Rollmaterial mit einem einfachen Umbau verursacht geringere Mehrkosten.
- Verschiedene Fahrzeughalter besitzen baugleiche Typen. Der Umbau des Baumusterfahrzeugs muss halterunabhängig erfolgen und die hohen Einmalkosten müssen gedeckt sein.
Gleis an Gleis mit Europa
Die Involvierten sind sich mehrheitlich einig: Nur in enger Zusammenarbeit mit Europa können wir eine nachhaltige Migration meistern. Die technisch-betrieblichen Herausforderungen des Umrüstens sind dies- und jenseits der Grenzen ähnlich. Fragen über den Umrüstungsprozess bis zur erfolgreichen Umsetzung und Finanzierung lassen sich nur beantworten, wenn alle Experten und Entscheidungsträger am Tisch sitzen. Das ist leider nur eine Handvoll.
Unser Beitrag aus der Schweiz besteht darin, uns mit den nationalen Begebenheiten auseinanderzusetzen und die Grundlagen gut vorzubereiten. Dazu gehört, dass wir Pilotverkehre lancieren; seit April 2023 fahren die ersten DAK-Testzüge in der Schweiz. Diese Erfahrungen sollten wir sammeln und in das gesamteuropäische Projekt einfliessen lassen.
Dass effiziente und nachhaltige Innovation auf europäischer Ebene nur gemeinsam möglich ist, möchten wir anhand der folgenden Beispiele aufzeigen:
- Werkstattkapazitäten koordinieren: Die Koordination zwischen den Ländern und Wagenhaltern muss sichergestellt sein, um die umzurüstenden Wagen im Betrieb (nationale und internationale Relationen) zur nächst- oder bestmöglichen Werkstatt zuführen und wieder rückführen zu lassen.
- Finanzierungsvoraussetzungen angleichen. Voraussetzung für eine Förderung ist meist ein Eintrag im Fahrzeugregister und/oder ein Sitz im jeweiligen Land. Da die Wagen jedoch nicht immer in diesem Land genutzt werden, sondern sich in ganz Europa bewegen, muss die Finanzierung für die Wagenhalter in allen Ländern zum Zeitpunkt der Migration sichergestellt sein.
- Migrationsfahrplan abstimmen. Eine frühzeitige Migration führt im Schienengüterverkehr zu neuen Schnittstellen. Konkret kann ein in der Schweiz umgebauter und geförderter Wagen nicht in Deutschland verkehren, solange dort nicht die DAK-Migration gestartet ist und die entsprechenden Import- und Exportverkehre nicht abgestimmt sind. Zudem kann der Fahrzeughalter seine Anlagewerte nur noch begrenzt einsetzen.
- Entscheidungsgremien zusammenführen: Die technischen Lösungen werden in den vorgegebenen Gremien der EU verabschiedet und danach von der Schweiz übernommen. Eine Integration dieser Ressourcen in das EU-Projekt wäre zielführender als eine Schweiz-eigene Organisation.
Um zur Gesamtrealisierung auf EU-Ebene beizutragen, müssen wir in der Schweiz uns auf die Vorbereitungsarbeiten mit sämtlichen betroffenen Unternehmen konzentrieren und unsere Testphasen sowie Pilotverkehre aktiv vorantreiben. Bei den Produkten und Spezifikationen dürfen wir uns keine Kinderkrankheiten leisten.
Basis für einen grundlegenden Systemwechsel
Die DAK ist kein technisches Unterfangen, sondern der Beginn der notwendigen Digitalisierung und Integration des Schienengüterverkehrs in eine zukunftsfähige Logistikkette. Mit der DAK kommen neben dem Kupplungsprozess Elemente wie automatische Bremsprobe, automatische Aufnahme der Wagenreihung, Zugintegritätskontrolle oder elektropneumatische Bremse hinzu.
Damit die DAK ihre gesamte technische Wirkung entfaltet und dem Schienengüterverkehr die notwendige Marktdynamik verleiht, müssen wir bis zum Migrationsstart die folgenden Aspekte aufarbeiten:
- Betriebliche Prozesse neu definieren
- Regulative Vorgaben und Vorschriften anpassen und zeitlich vereinfachen
- Infrastruktur und Anschlussgleise vorbereiten und anpassen
- Betroffene Gruppen für Migration und Betrieb schulen
- Inspektionen und Instandhaltung automatisieren
- Informationen zum Transport für die Verlader automatisieren
- Digitale Daten vor unbefugten Zugriffen wirksam schützen
Wir vom VAP streben zudem die Lancierung einer Datenplattform und den Austausch von Daten im Sinne eines Ökodatensystems an. Wir sind überzeugt, dass die DAK nur mit dem Austausch von Daten dem Bahnsektor den notwendigen und grossflächigen Mehrwert bringt. Wir sind daher sehr froh, dass trotz anfänglicher Skepsis aus dem Sektor das BAV diesen Aspekt aufgenommen hat. Es beabsichtigt, auch den Güterverkehr in der geplanten Mobilitätsdateninfrastruktur (MODIG) mitzuberücksichtigen. Inwiefern die DAK zu einem innovativen, eigenwirtschaftlichen und kundenorientierten Schienengüterverkehrssystem beiträgt und sich der Buchstabe K darum vor allem mit Konnektivität übersetzen liesse, lesen Sie in unserem nächsten Blog zur DAK.