Mit der Motion 22.3008 will das Parlament das Bundesgesetz über die Schweizerischen Bundesbahnen (SBBG) ändern und den SBB eine Finanzhilfe von 1,2 Milliarden Franken zum Ausgleich pandemiebedingter Ertragsausfälle im Fernverkehr gewähren und mit einer Trassenpreissenkung im Fernverkehr in Höhe von 1,7 Milliarden Franken den Fernverkehr finanziell entlasten. Hier eine erste kritische Betrachtung.
Darum geht’s:
- VAP lehnt Kapitalzuschuss von insgesamt 3 Mrd. Franken an SBB ab – es braucht unternehmerische Verantwortung
- Das Aufrechterhalten des SBB-Monopols im Fernverkehr ist europapolitisch problematisch – es braucht eine geordnete Migrationsstrategie zu eine Marktöffnung
- Die Gesetzesänderung sollte mehr unternehmerische Verantwortung einfordern und ein Monitoring der SBB im Fernverkehr vorsehen
- LSVA darf nicht für Reserven im BIF missbraucht werden
Die Motion 22.3008 «Unterstützung der Durchführung der SBB-Investitionen und einer langfristigen Vision in Covid-19-Zeiten» verlangt einen Gesetzesentwurf, wonach die durch die Covid-19-Pandemie verursachten Defizite der SBB als ausserordentlich gelten und der SBB entsprechende Finanzhilfen gewährt werden. Damit sollen die Investitionen gemäss den Beschlüssen der Bundesversammlung wie geplant durchgeführt werden können.
Ausgangslage
Die politisch beschlossenen Ausbauten der Bahninfrastruktur führen zum Ausbau des Angebots. Dazu sind Investitionen in Rollmaterial nötig. Der Angebotsausbau verzeichnet – zumindest in der Anfangsphase – Defizite im Fern- und Regionalverkehr; letztere werden über die entsprechenden Kreditbeschlüsse im regionalen Personenverkehr (RPV) von Bund und Kantonen finanziert.
Während der Pandemie erlitt der Fernverkehr grosse Defizite, die im Unterschied zum RPV nicht ausfinanziert wurden. Der Bundesrat setzte sich vielmehr auf den Standpunkt, dass es im unternehmerischen Risikobereich des rentablen Fernverkehrs liege, die Folgen der Pandemie zu tragen.
Investitionen der SBB in Anlageimmobilien in Bahnhofsnähe erfordern hohe Mittel, steigern aber insgesamt die Attraktivität des Bahnangebots im Personenverkehr. Ausgeblendet wird dabei, dass der Schienengüterverkehr bei den Standorten in Agglomerationszentren leidet; wo Renditeliegenschaften gebaut werden, verschwinden Logistikstandorte (Justizzentrum Zürich, Europa-Allee Zürich usw.). SBB Immobilien profitierte von einer grosszügigen Eröffnungsbilanz und generiert erhebliche Gewinne. Diese werden für die Pensionskasse (PK), die regelmässig mit den höchsten Umwandlungssätzen in den Medien auffällt, eingesetzt.
Vorschlag des Bundesrats
Der Bundesrat schlägt einen einmaligen Kapitalzuschuss von 1,25 Milliarden Franken vor (Verluste im Fernverkehr der Jahre 2020 bis 2022). Die SBB müssen also unternehmerisch keinen Beitrag leisten, genauso wenig wie im RPV.
Der Bundesrat schlägt zudem den Verzicht auf Deckungsbeiträge in den Jahren 2023 bis 2029 in Höhe von 1,7 Milliarden Franken vor, um die Rentabilität im Fernverkehr auf ein angemessenes Niveau zu heben (4 bis 8% Umsatzrendite). Diese müssen als fehlende Einnahmen bei der Infrastruktur durch zusätzliche Betriebsbeiträge an SBB Infrastruktur aus dem Bahninfrastrukturfonds (BIF) kompensiert werden. Die Liquidität im BIF reicht dazu gemäss Bundesrat aus.
Im Weiteren sollen die Finanzierungsinstrumente korrigiert werden. Die bisherige Gewährung von Tresoreriedarlehen, die ausserhalb der Schuldenbremse zu Verschuldung der SBB geführt haben, sollen in Zukunft durch Darlehen über den Bundeshaushalt ersetzt werden. Damit entscheidet neu das Parlament über Darlehen, und gleichzeitig greift die Schuldenbremse. Der Wechsel soll ab einem zu definierenden Verschuldungsgrad greifen, Stand Ende 2023: 11,7 Mrd. Franken. Ausbauschritte, die zu unrentablen Angebotsausbauten führen, werden demnach der Schuldenbremse unterstellt. Nach erfolgtem Kapitalzuschuss von 1,25 Mrd. Franken können weiterhin Tresoreriedarlehen gewährt werden, bis die Schwelle von 11,7 Mrd. Franken erneut überschritten wird.
Die Liquidität des BIF soll zusätzlich sichergestellt werden. Dazu schlägt der Bundesrat vor, die LSVA neu grundsätzlich zu zwei Dritteln in den BIF zu legen. Erst ab einer ausgewiesenen Reserve von 300 Mio. Franken soll der Bundesanteil an der LSVA zum Ausgleich der ungedeckten Kosten aus dem Strassenverkehr verwendet werden.
Unsere Einschätzung
Einen Kapitalzuschuss lehnen wir ab, da die SBB so im eigenwirtschaftlichen und monopolisierten Fernverkehr keinerlei unternehmerischen Beitrag an die Folgen der Pandemie leisten müssen. Zumindest sollte flankierend zum Kapitalzuschuss ein Monitoring der unternehmerischen Tätigkeit der SBB im Fernverkehr eingeführt werden.
Die Korrektur der Finanzierungsinstrumente ist nötig. Da das Staatsunternehmen de facto über eine Staatsgarantie verfügt, sollen Tresoreriedarlehen künftig nicht mehr möglich sein. Vielmehr soll das Parlament unter Beachtung der Schuldenbremse und im Bewusstsein dieser Staatsgarantie über Kredite entscheiden. Den Vorbehalt der Verschuldungsgrenze von 11,7 Mrd. Franken mit der Option weiterer Tresoreriedarlehen lehnen wir daher ab. Es sei denn, die Obergrenze wird nochmals merklich reduziert.
Die Sicherstellung der Liquidität des BIF ist angesichts genügender Reserven unnötig. Mit dem Verzicht auf Deckungsbeiträge reduziert der Bund den unternehmerischen Druck auf die SBB. Gleichzeitig erhält er das Monopol der SBB im Fernverkehr aufrecht. Dies ist europapolitisch höchst problematisch, da die EU den Fernverkehr liberalisiert hat und von der Schweiz die Übernahme dieses Liberalisierungsschritts erwartet. Deshalb fordern wir eine Migrationsstrategie des Bundesrats zur Marktöffnung in der Schweiz und parallel dazu ein Monitoring der unternehmerischen Tätigkeit der SBB im Fernverkehr.
Den Missbrauch der LSVA zur Sicherstellung der Reserve des BIF lehnen wir ebenfalls ab. Die LSVA soll die Umweltkosten des Strassenverkehrs kompensieren und zu einer klimafreundlicheren Verkehrsmittelwahl beitragen. Sie wird als Lenkungsabgabe nicht für Infrastrukturausbau und ‑erhalt erhoben, von dem im Wesentlichen der Personenverkehr profitiert. Die LSVA sollte im Gegenteil zweckgebunden für den Schienengüterverkehr und für Massnahmen zur klimafreundlichen Entwicklung des Strassenverkehrs verwendet werden.
Alternativen wie Anpassungen am Angebot, Verzicht auf Investitionen oder Verkäufe von Vermögenswerten werden in den Vernehmlassungsunterlagen zwar erwähnt, aber verworfen. Dieser Einschätzung stimmen wir nicht zu. Nicht betriebsnotwendige Vermögenswerte wie Gateway Basel Nord und andere Umschlagsgesellschaften des kombinierten Verkehrs, die alle gemäss Art. 8 GüTG diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen müssen, könnten veräussert werden. Auch im übrigen Immobilienportefeuille der SBB wären Verkäufe ohne Betriebseinschränkungen möglich. Angebotsreduktionen in den Randstunden leisteten überdies einen Beitrag zur Entspannung der Baustellensituation in der Nacht.