Darum geht’s:
- Harmonisierte Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem
- Instandhaltungsarbeiten von unabhängigen Stellen überwacht
- Radsatzkontrollen in Betrieb und Instandhaltung
- Zwei Prüfverfahren etabliert
- Zuständigkeiten und Vorschriften geklärt
Harmonisierte Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem
Die Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem basiert auf einem Verantwortungsdreieck aus Infrastrukturbetreibern, Eisenbahnverkehrsunternehmungen (EVU) und den Wagenhaltern mit ihren zuständigen Instandhaltungsstellen (ECM). Die Vorgaben und Bestimmungen dazu sind heute europaweit weitgehend harmonisiert. Basierend auf Festlegungen der hoheitlichen Richtlinien, auf den gültigen technischen Normen und Erfahrungen aus der Praxis hat die Branche den international anerkannten VPI European Maintenance Guide (VPI-EMG) erarbeitet. Dabei leisteten seit 2007 die Verbände VPI (Deutschland), V.P.I. (Österreich) und VAP (Schweiz) Pionierarbeit. 2019 wurde der Herausgeberkreis des VPI-EMG um die AFWP (Frankreich) und die UIP (internationaler Verband der Wagenhalter als Vertreter der kleineren nationalen Interessenverbände) erweitert. In diesem Regelwerk sind sowohl Fristen als auch Umfang der Arbeiten und Standards anwendergerecht definiert. Es gibt Instandhaltungsempfehlungen ab, die jeder Nutzer auf die Anwendbarkeit für seine Güterwagen prüfen, gegebenenfalls ergänzen und für seine Wagenflotte freigeben muss. Derzeit beziehen mehr als 550 Unternehmen, darunter Wagenhalter, ECM, Reparaturwerkstätten, Behörden und Universitäten, den VPI-EMG. Mehr als 260 Reparaturwerkstätten und mobile Serviceteams aus 19 Ländern Europas wenden den VPI-EMG im Auftrag der jeweils zuständigen ECM an.
Instandhaltungsarbeiten von unabhängigen Stellen überwacht
Die Sicherheitsrichtlinie der EU legt zwei unabhängige Verfahren fest. Damit soll sichergestellt werden, dass die Facharbeiten überall mit dem erforderlichen Qualitätsniveau und Wissen durchgeführt werden:
- Zertifizierung: Die beteiligten Unternehmen müssen sich für sicherheitsrelevante Tätigkeiten im Rahmen ihrer ECM durch unabhängige Stellen zertifizieren lassen. Diese Zertifikate müssen sie regelmässig erneuern und ihren Kunden Einsicht in deren Gültigkeit und Umfang gewähren.
- Auditierung: Aufsichtsbehörden führen im Bahnbetrieb risikobasierte Audits von sicherheitskritischen Prozessen und Inspektionen der Qualität durch. Sollten sie Schwachstellen aufdecken, so überwachen sie zudem deren Behebung.
Radsatzkontrollen in Betrieb und Instandhaltung
Radsätze gelten als sicherheitskritische Komponenten eines Schienenfahrzeugs. Durch den Betrieb werden sie einerseits kontinuierlich abgenutzt, andererseits können sie durch Einwirkungen von aussen beschädigt werden. Bei der Instandhaltung von Wagen sorgt die ECM dafür, dass vollwertige Radsätze eingesetzt sind.
Beim Betrieb stellen die EVU und die Zugkontrolleinrichtungen der Infrastrukturbetreiberinnen (vgl. Blogbeitrag «Gotthardbasistunnel (#2): Automatische Zugkontrolleinrichtungen») gezielt sicher, dass keine erkennbaren Schäden oder Abweichungen an Wagen die Betriebssicherheit gefährden. Für einen sicheren Bahnbetrieb müssen die Radsätze alle relevanten Grenzwerte während der gesamten Betriebszeit einhalten. Radsätze, die infolge von Abweichungen oder Schäden ausgewechselt wurden, kommen zur vorschriftsgemässen Aufarbeitung in eine zertifizierte Fachwerkstätte.
Zwei Prüfverfahren etabliert
Im 10-vor-10-Beitrag von SRF werden zwei Prüfverfahren der systematischen Radsatzinstandhaltung gezeigt. Eine zertifizierte Fachwerkstätte kann so gewährleisten, dass die von ihr instandgesetzten Radsätze beim Ausliefern keine relevanten Schädigungen in Form von Materialrissen aufweisen. Dabei handelt es sich um zwei zerstörungsfreie Prüfverfahren nach DIN 27201–7, die sich branchenweit durchgesetzt haben:
- Ultraschallprüfung: Erkennen von Rissen im Bereich Radstirnfläche und Spurkranzrücken
- Magnetprüfung: Erkennen von Rissen in Radkörper und Radsatzwelle inklusive Radsitz
Zuständigkeiten und Vorschriften geklärt
Da zahlreiche Güter grenzüberschreitend transportiert werden, sind in Europa international harmonisierte Regeln und Verfahren bedeutend. In den vergangenen Jahren wurde die Vorschriftenlage umfassend erneuert und verbessert. Aktuelle Versionen der Sicherheits- und Interoperabilitätsrichtlinie der EU gelten sowohl in allen EU-Staaten als – über das Landverkehrsabkommen – auch für das Schweizer Normalspurnetz. Davon ausgehend hat der Schweizer Bahnsektor praxisgerechte Standards und Verfahren der Instandhaltung für die Hauptakteure entwickelt. Europaweit gemeinsame Meldeprozesse und Beurteilungsverfahren (vgl. Blogbeitrag «Gotthardbasistunnel (#7): Sust-Bericht schafft Klarheit») gewährleisten, dass die Branchenakteure ihre Lehren aus einem Betriebsereignis wie demjenigen vom 10. August 2023 ziehen und bei der Instandhaltung wirksame Verbesserungen umsetzen.