Die Sicher­heits­un­ter­su­chungs­stel­le (Sust) nennt eine gebro­che­ne Rad­schei­be als Ursa­che für den Güter­zug­un­fall im Gott­hard­ba­sis­tun­nel. Im 10-vor-10-Bei­trag vom 19. Okto­ber 2023 hat das Schwei­zer Fern­se­hen SRF die Güter­wa­gen­in­stand­hal­tung von Wagen­rä­dern unter die Lupe genom­men. Darin äus­sert sich VAP-Exper­te Jürg Lüt­scher zu den Sicher­heits- und Kon­troll­auf­ga­ben der betei­lig­ten Akteu­re – und führt sie in die­sem Blog­bei­trag wei­ter aus.

Darum geht’s:

  • Har­mo­ni­sier­te Sicher­heit im euro­päi­schen Güterbahnsystem
  • Instand­hal­tungs­ar­bei­ten von unab­hän­gi­gen Stel­len überwacht
  • Rad­satz­kon­trol­len in Betrieb und Instandhaltung
  • Zwei Prüf­ver­fah­ren etabliert
  • Zustän­dig­kei­ten und Vor­schrif­ten geklärt

 

Harmonisierte Sicherheit im europäischen Güterbahnsystem

Die Sicher­heit im euro­päi­schen Güter­bahn­sys­tem basiert auf einem Ver­ant­wor­tungs­drei­eck aus Infra­struk­tur­be­trei­bern, Eisen­bahn­ver­kehrs­un­ter­neh­mun­gen (EVU) und den Wagen­hal­tern mit ihren zustän­di­gen Instand­hal­tungs­stel­len (ECM). Die Vor­ga­ben und Bestim­mun­gen dazu sind heute euro­pa­weit weit­ge­hend har­mo­ni­siert. Basie­rend auf Fest­le­gun­gen der hoheit­li­chen Richt­li­ni­en, auf den gül­ti­gen tech­ni­schen Nor­men und Erfah­run­gen aus der Pra­xis hat die Bran­che den inter­na­tio­nal aner­kann­ten VPI Euro­pean Main­ten­an­ce Guide (VPI-EMG) erar­bei­tet. Dabei leis­te­ten seit 2007 die Ver­bän­de VPI (Deutsch­land), V.P.I. (Öster­reich) und VAP (Schweiz) Pio­nier­ar­beit. 2019 wurde der Her­aus­ge­ber­kreis des VPI-EMG um die AFWP (Frank­reich) und die UIP (inter­na­tio­na­ler Ver­band der Wagen­hal­ter als Ver­tre­ter der klei­ne­ren natio­na­len Inter­es­sen­ver­bän­de) erwei­tert. In die­sem Regel­werk sind sowohl Fris­ten als auch Umfang der Arbei­ten und Stan­dards anwen­der­ge­recht defi­niert. Es gibt Instand­hal­tungs­emp­feh­lun­gen ab, die jeder Nut­zer auf die Anwend­bar­keit für seine Güter­wa­gen prü­fen, gege­be­nen­falls ergän­zen und für seine Wagen­flot­te frei­ge­ben muss. Der­zeit bezie­hen mehr als 550 Unter­neh­men, dar­un­ter Wagen­hal­ter, ECM, Repa­ra­tur­werk­stät­ten, Behör­den und Uni­ver­si­tä­ten, den VPI-EMG. Mehr als 260 Repa­ra­tur­werk­stät­ten und mobi­le Ser­vice­teams aus 19 Län­dern Euro­pas wen­den den VPI-EMG im Auf­trag der jeweils zustän­di­gen ECM an.

Instandhaltungsarbeiten von unabhängigen Stellen überwacht

Die Sicher­heits­richt­li­nie der EU legt zwei unab­hän­gi­ge Ver­fah­ren fest. Damit soll sicher­ge­stellt wer­den, dass die Fach­ar­bei­ten über­all mit dem erfor­der­li­chen Qua­li­täts­ni­veau und Wis­sen durch­ge­führt werden:

  • Zer­ti­fi­zie­rung: Die betei­lig­ten Unter­neh­men müs­sen sich für sicher­heits­re­le­van­te Tätig­kei­ten im Rah­men ihrer ECM durch unab­hän­gi­ge Stel­len zer­ti­fi­zie­ren las­sen. Diese Zer­ti­fi­ka­te müs­sen sie regel­mäs­sig erneu­ern und ihren Kun­den Ein­sicht in deren Gül­tig­keit und Umfang gewähren.
  • Audi­tie­rung: Auf­sichts­be­hör­den füh­ren im Bahn­be­trieb risi­ko­ba­sier­te Audits von sicher­heits­kri­ti­schen Pro­zes­sen und Inspek­tio­nen der Qua­li­tät durch. Soll­ten sie Schwach­stel­len auf­de­cken, so über­wa­chen sie zudem deren Behebung.
Radsatzkontrollen in Betrieb und Instandhaltung

Rad­sät­ze gel­ten als sicher­heits­kri­ti­sche Kom­po­nen­ten eines Schie­nen­fahr­zeugs. Durch den Betrieb wer­den sie einer­seits kon­ti­nu­ier­lich abge­nutzt, ande­rer­seits kön­nen sie durch Ein­wir­kun­gen von aus­sen beschä­digt wer­den. Bei der Instand­hal­tung von Wagen sorgt die ECM dafür, dass voll­wer­ti­ge Rad­sät­ze ein­ge­setzt sind.

Beim Betrieb stel­len die EVU und die Zug­kon­troll­ein­rich­tun­gen der Infra­struk­tur­be­trei­be­rin­nen (vgl. Blog­bei­trag «Gott­hard­ba­sis­tun­nel (#2): Auto­ma­ti­sche Zug­kon­troll­ein­rich­tun­gen») gezielt sicher, dass keine erkenn­ba­ren Schä­den oder Abwei­chun­gen an Wagen die Betriebs­si­cher­heit gefähr­den. Für einen siche­ren Bahn­be­trieb müs­sen die Rad­sät­ze alle rele­van­ten Grenz­wer­te wäh­rend der gesam­ten Betriebs­zeit ein­hal­ten. Rad­sät­ze, die infol­ge von Abwei­chun­gen oder Schä­den aus­ge­wech­selt wur­den, kom­men zur vor­schrifts­ge­mäs­sen Auf­ar­bei­tung in eine zer­ti­fi­zier­te Fachwerkstätte.

Zwei Prüfverfahren etabliert

Im 10-vor-10-Bei­trag von SRF wer­den zwei Prüf­ver­fah­ren der sys­te­ma­ti­schen Rad­satz­in­stand­hal­tung gezeigt. Eine zer­ti­fi­zier­te Fach­werk­stät­te kann so gewähr­leis­ten, dass die von ihr instand­ge­setz­ten Rad­sät­ze beim Aus­lie­fern keine rele­van­ten Schä­di­gun­gen in Form von Mate­ri­al­ris­sen auf­wei­sen. Dabei han­delt es sich um zwei zer­stö­rungs­freie Prüf­ver­fah­ren nach DIN 27201–7, die sich bran­chen­weit durch­ge­setzt haben:

  • Ultra­schall­prü­fung: Erken­nen von Ris­sen im Bereich Rad­stirn­flä­che und Spurkranzrücken
  • Magnet­prü­fung: Erken­nen von Ris­sen in Rad­kör­per und Rad­satz­wel­le inklu­si­ve Radsitz
Zuständigkeiten und Vorschriften geklärt

Da zahl­rei­che Güter grenz­über­schrei­tend trans­por­tiert wer­den, sind in Euro­pa inter­na­tio­nal har­mo­ni­sier­te Regeln und Ver­fah­ren bedeu­tend. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren wurde die Vor­schrif­ten­la­ge umfas­send erneu­ert und ver­bes­sert. Aktu­el­le Ver­sio­nen der Sicher­heits- und Inter­ope­ra­bi­li­täts­richt­li­nie der EU gel­ten sowohl in allen EU-Staa­ten als – über das Land­ver­kehrs­ab­kom­men – auch für das Schwei­zer Nor­mal­spur­netz. Davon aus­ge­hend hat der Schwei­zer Bahn­sek­tor pra­xis­ge­rech­te Stan­dards und Ver­fah­ren der Instand­hal­tung für die Haupt­ak­teu­re ent­wi­ckelt. Euro­pa­weit gemein­sa­me Mel­de­pro­zes­se und Beur­tei­lungs­ver­fah­ren (vgl. Blog­bei­trag «Gott­hard­ba­sis­tun­nel (#7): Sust-Bericht schafft Klar­heit») gewähr­leis­ten, dass die Bran­chen­ak­teu­re ihre Leh­ren aus einem Betriebs­er­eig­nis wie dem­je­ni­gen vom 10. August 2023 zie­hen und bei der Instand­hal­tung wirk­sa­me Ver­bes­se­run­gen umsetzen.

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