Schienengüterverkehr zukunftsfähig gestalten

Der bun­des­rät­li­che Bericht «Zukünf­ti­ge Aus­rich­tung des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs in der Flä­che»[1] vom März 2022 lie­fert eine will­kom­me­ne Gele­gen­heit, das Schwei­zer Schie­nen­gü­ter-Ver­kehrs­sys­tem mit sei­nem inter­mo­da­len Wett­be­werb und sys­tem­über­grei­fen­den Pro­zes­sen als Gan­zes neu zu den­ken. Eine holis­ti­sche Neu­kon­zep­ti­on setzt nicht nur bei der (Anschub-)Finanzierung des EWLV oder bei der DAK, son­dern bei sämt­li­chen Pro­zes­sen, Anreiz­in­stru­men­ten, Markt­me­cha­nis­men und Schnitt­stel­len der mul­ti­mo­da­len Güter­lo­gis­tik in der Schweiz an.

Ziel muss ein eigen­wirt­schaft­li­ches, markt­wirt­schaft­li­ches Schie­nen­gü­ter-Ver­kehrs­sys­tem sein, das auf der Basis von intra­mo­da­lem Wett­be­werb alle Güter­bah­nen dis­kri­mi­nie­rungs­frei ein­be­zieht und den Ver­la­dern als zuver­läs­si­ger Part­ner zur Seite steht. In die­sem Kon­text muss eine all­fäl­li­ge Finan­zie­rung nach dem bewähr­ten Modell im Tran­sit­ver­kehr in ers­ter Linie den Kun­den aller Güter­bah­nen zugu­te­kom­men und erfolgs­ab­hän­gi­ge, wett­be­werbs­neu­tra­le Anrei­ze ohne jede Dis­kri­mi­nie­rung bie­ten. Nur so und nur mit gebün­del­ten Kräf­ten kön­nen sich Inno­va­tio­nen und Inves­ti­tio­nen der pri­va­ten Wirt­schaft in den Schie­nen­gü­ter­ver­kehr ent­fal­ten. Und nur so lässt sich der Schie­nen­gü­ter­ver­kehr in der Flä­che zukunfts­fä­hig gestalten.

Bundesrat erwägt langfristige finanzielle Unterstützung

Gemäss dem Bericht will der Bun­des­rat den Ein­zel­wa­gen­la­dungs­ver­kehr (EWLV) in Zukunft auf­recht­erhal­ten und schliesst eine lang­fris­ti­ge finan­zi­el­le Unter­stüt­zung nicht aus. Nach der Defi­ni­ti­on des Bun­des­am­tes für Ver­kehr (BAV) umfasst der Schie­nen­gü­ter­ver­kehr in der Flä­che den Ver­kehr von Wagen­grup­pen im unbe­glei­te­ten kom­bi­nier­ten Ver­kehr (UKV) und in kon­ven­tio­nel­len Bahn­gü­ter­wa­gen, die für den Haupt­lauf gebün­delt werden.

Die Ver­wal­tungs­rä­te der SBB AG und der SBB Cargo AG schät­zen in ihrem Finanz­be­richt 2021[2] eine Sub­ven­tio­nie­rung ihres Schie­nen­gü­ter­an­ge­bots als nötig und wahr­schein­lich ein. Bun­des­rat und Bun­des­be­trie­be sind sich also offen­bar einig dar­über, dass eine finan­zi­el­le Unter­stüt­zung des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs in der Flä­che nötig ist. Aller­dings stüt­zen sie sich zur Beur­tei­lung von Volu­men und Finan­zier­bar­keit ein­zig auf Anga­ben von SBB Cargo ab. Die rest­li­chen, mehr­heit­lich pri­vat­wirt­schaft­lich orga­ni­sier­ten Güter­bah­nen blei­ben in die­ser Betrach­tung aus­sen vor. Unse­rer Ansicht nach braucht es hier drin­gend eine neue Sichtweise.

Neue Perspektive einnehmen

Der Schie­nen­gü­ter­ver­kehr in der Flä­che wird von SBB Cargo seit der Bahn­re­form I von 1999 im Mono­pol betrie­ben – wenig erfolg­reich, wie eine Bilanz 25 Jahre nach dem Par­la­ments­ent­scheid zeigt. Das muss sich ändern: Die schweiz­weit akti­ven Güter­bah­nen und ihre Kun­den kön­nen mit ver­ein­ten Kräf­ten und unter der Füh­rung der Inter­es­sen­ge­mein­schaft Wagen­la­dungs­ver­kehr (IGWLV)[3] den Schie­nen­gü­ter­ver­kehr in der Schweiz neu konzipieren.

Abbildung 1, Seite 51 im Bericht «Zukünftige Ausrichtung des Schienengüterverkehrs in der Fläche»

Abbil­dung 1, Seite 51 im Bericht «Zukünf­ti­ge Aus­rich­tung des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs in der Fläche»

Für die Wei­ter­ent­wick­lung des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs in der Flä­che wer­den im Bericht zwei Stoss­rich­tun­gen (Abbil­dung 1) vor­ge­stellt: die eine beinhal­tet die Ein­stel­lung des EWLV, die ande­re die finan­zi­el­le För­de­rung des EWLV. Dies ist aus Sicht VAP eine zu enge Sicht. Es ist ein Per­spek­ti­ven­wech­sel in zwei­er­lei Hin­sicht not­wen­dig: Ers­tens müs­sen die Akteu­re ihr Rol­len­ver­ständ­nis neu defi­nie­ren und ihre Pro­zes­se über­den­ken. Zwei­tens braucht es einen neu­tra­len Blick auf die finan­zi­el­le Situa­ti­on. Denn weder die anvi­sier­ten tech­ni­schen Fort­schrit­te (Stich­wort digi­ta­le auto­ma­ti­sche Kupp­lung DAK), noch die reine Innen­sicht von SBB Cargo kön­nen eine Neu­ord­nung her­bei­füh­ren. Diese soll­te denn auch im Mit­tel­punkt der aktu­el­len Zukunfts­dis­kus­si­on ste­hen. Die im Bericht gezeig­te Orga­ni­sa­ti­ons­form (Abbil­dung 2) stellt eine gedank­li­che Absprung­ba­sis dar, um wei­te­re Vari­an­ten von Stoss­rich­tun­gen auszuarbeiten.

Abbildung 2, Seite 50 im Bericht «Zukünftige Ausrichtung des Schienengüterverkehrs in der Fläche»

Abbil­dung 2, Seite 50 im Bericht «Zukünf­ti­ge Aus­rich­tung des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs in der Fläche»

Faktenbasiert entscheiden

Um den Finan­zie­rungs­be­darf des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs in der Flä­che zu beur­tei­len, braucht es als Grund­la­ge zwin­gend eine Ana­ly­se der Wirt­schaft­lich­keit durch exter­ne neu­tra­le Sach­ver­stän­di­ge. Soll­te der Schie­nen­gü­ter­ver­kehr in der Flä­che tat­säch­lich unren­ta­bel sein, gilt es zu unter­schei­den, ob dafür die Mono­pol­stel­lung von SBB Cargo oder aber das Sys­tem an sich ver­ant­wort­lich ist. Die neu­tra­le Dritt­par­tei muss zudem prü­fen, ob Eigen­wirt­schaft­lich­keit, wie es das Güter­trans­port­ge­setz (GüTG[4]) for­dert, der­zeit über­haupt ange­strebt wird. Erst bei Vor­lie­gen einer detail­lier­ten Ist-Ana­ly­se kann das Par­la­ment über ent­spre­chen­de Mass­nah­men befinden.

Finanzierung befristen

Erweist sich eine finan­zi­el­le För­de­rung zwei­fel­los als ange­zeigt, so ist sie als befris­te­te Finan­zie­rung für eine fun­da­men­ta­le Neu­kon­zep­ti­on zu betrach­ten – nicht als Dau­er­sub­ven­tio­nie­rung. Eine zeit­lich limi­tier­te Anschub­fi­nan­zie­rung kann den Auf­bau eines wett­be­werbs­ori­en­tier­ten Schie­nen­gü­ter-Ver­kehrs­sys­tems so lange unter­stüt­zen, bis des­sen gleich­zei­ti­ge Digi­ta­li­sie­rung und Auto­ma­ti­sie­rung und die Inbe­trieb­nah­me neuer Netz­ele­men­te aus dem Aus­bau­schritt 2035 abge­schlos­sen sind. Eine dau­er­haf­te För­de­rung hin­ge­gen würde die markt­wirt­schaft­li­chen Anrei­ze für Wett­be­werbs­fä­hig­keit und Eigen­wirt­schaft­lich­keit des EWLV aus­he­beln und eine Wei­ter­ent­wick­lung des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs in der Schweiz verunmöglichen.

 

[1] «Zukünf­ti­ge Aus­rich­tung des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs in der Flä­che», Bericht des Bun­des­ra­tes in Erfül­lung des Pos­tu­lats 21.3597 der KVF‑S vom 10. Mai 2021. 1999 hat das Par­la­ment mit der Bahn­re­form I der SBB Cargo AG das Mono­pol für den Betrieb des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs in der Flä­che über­tra­gen. Des­sen Ver­kehrs­an­teil am Schie­nen­gü­ter­ver­kehr im Binnen‑, Import- und Export­ver­kehr beträgt rund 60%. Die übri­gen 40% ver­keh­ren ziel­rein in Ganz­zü­gen über Anschluss­glei­se und Terminals.

[2] «SBB Finanz­be­richt 2021», Kapi­tel «Bewer­tungs­un­si­cher­hei­ten rund um die Coro­na­pan­de­mie und um das Geschäfts­feld Cargo Schweiz», S. 84

[3] Die Inter­es­sens­ge­mein­schaft Wagen­la­dungs­ver­kehr (IGWLV) wurde 2018 gegrün­det. Sie ver­tritt die eine Inter­es­sen von VöV, SBB Cargo und VAP mit dem Auf­trag, den Schie­nen­gü­ter­ver­kehr in der Flä­che zu moder­ni­sie­ren und effi­zi­en­ter zu gestal­ten, ent­spre­chend Art. 3a des Güter­trans­port­ge­set­zes. Prä­si­dent: Frank Fur­rer, Gene­ral­se­kre­tär VAP, Vize­prä­si­den­tin: Dési­rée Baer, CEO SBB Cargo –> Berich­te zur IG WLV

[4] «Bun­des­ge­setz über den Güter­trans­port durch Bahn- und Schiff­fahrts­un­ter­neh­men (Güter­trans­port­ge­setz, GüTG)» Art. 2 Abs. 2

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