Klimaschutz steht in Europa ganz oben auf der politischen Agenda. Ein hoher Bedarf an Mobilität von Personen und an Transport von Gütern führt in unserer intensiv industrialisierten Region seit längerem zu massiven klimaschädlichen Emissionen. Auf dem Weg zu Netto-Null erwartet die Politik, dass der Bahnsektor seine Vorteile konsequent nutzt und einen substanziellen Beitrag zur ressourcenschonenderen Logistik leistet. Dank Innovation haben wir die Chance, die Produktion der Güterverkehre effizienter, ergo kostengünstiger und kundenfreundlicher nutzbar zu gestalten, und wir erhöhen obendrein die Trassenverfügbarkeit auf unseren bestehenden Schienennetzen.
Bahnsektor muss sich digitalisieren
Die Voraussetzungen, diesen politischen Erwartungen gerecht zu werden, sind eigentlich gut. In Europa existiert ein dichtes Schienennetz, auf dem die Bahn, verglichen mit anderen Verkehrsträgern, grosse Massen mit niedrigem Energie- und Raumbedarf bewegen kann, die wichtigen Zentren sind alle miteinander verbunden. Allerdings sind im Bahnsektor zahlreiche Standards und Arbeitsweisen massiv veraltet. Und die spezifischen Eigenheiten der einzelnen Länder laufen teilweise diametral auseinander. Dies ist ein wesentlicher Grund, dass die vom Bahnsektor geforderte Leistungssteigerung bisher ausblieb. Der Bahnsektor kann die hohen politischen Erwartungen – die besagte Schlüsselrolle in der Umsetzung der Klimapolitik einzunehmen – nur dann überzeugend erfüllen, wenn er sich fundamental erneuert. Dazu benötigt er einen systemübergreifenden Innovationsschub und harmonisierte, dem technischen Stand entsprechende hoheitliche Regeln.
EU-weit harmonisierte Interoperabilität
Hier kommt die technische Säule des 4. EU-Bahnpakets ins Spiel. Sie strebt eine systematische Harmonisierung im internationalen Normalspurverkehr an. Die Mitgliedstaaten sind gefordert, die Interoperabilitäts-Standards konsequent anzuwenden und die entsprechenden Zulassungsverfahren international zu harmonisieren. So werden die bestehenden Hürden für grenzüberschreitende Verkehre abgebaut und der Weg für gemeinsame europäische Innovationsschritte geöffnet. Damit wird die technische Säule entscheidend für erfolgreiche Innovationen im europäischen Bahnsektor.
Diese umfassen vier Themenfelder und verbessern in den nächsten Jahren die Marktposition des Bahnverkehrs wesentlich:
- International harmonisierte hoheitliche Vorschriften
- Grenzüberschreitend kompatible technische Systeme
- International harmonisierte Prozesse für sicherheitsrelevante Tätigkeiten
- Gemeinsame Aktivitäten zur systemübergreifend geführten Weiterentwicklung
Automatisierung wird marktfähig
Europe’s Rail Joint Undertaking (EU-Rail) hat mit dem European Freight Digital Automatic Coupler Delivery Program (EDDP) eine wichtige europaübergreifende Entwicklung angestossen. Diese soll die Digitalisierung und Automatisierung im Güterverkehr ermöglichen. Die Entwicklungsarbeiten sollen bis 2025 soweit fortgeschritten sein, dass digitale automatische Kupplungen für die anstehende Migration des Rollmaterials serienreif verfügbar sind.
Schweiz mittendrin
Sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus geografischer Perspektive ist es sinnvoll, dass sich die Schweiz an den laufenden EU-Aktivitäten aktiv und konsequent beteiligt – im Kontext des Seilziehens um das institutionelle Rahmenabkommen erst recht. Die ausgelöste Revision des Schweizer Eisenbahngesetzes (EBG) zur autonomen Anpassung unserer hoheitlichen Vorschriften an die etablierten Interop- und Sicherheitsrichtlinie des 4. EU-Bahnpakets ist ein willkommener Anstoss dafür, die anvisierten Innovationspakete jetzt aktiv in Angriff zu nehmen. Der Schweizer Bahnsektor soll und wird diesen Innovationsschub baldmöglichst zu seinem Vorteil nutzen, um auf dem marktwirtschaftlich hart umkämpften Transportsektor auch in Zukunft als konkurrenzfähiger Partner aufzutreten.