Inter­view mit David Zindo, CEO STREEM Group und Prä­si­dent des UIP

David Zindo, CEO der STREEM Group und Prä­si­dent der UIP, dem inter­na­tio­na­len Ver­band der Güter­wa­gen­hal­ter, stand unse­rem Geschäfts­füh­rer Simon Wey bei sei­nem Besuch bei Erme­wa in Paris Red und Ant­wort. Im Gespräch erläu­tert David Zindo nicht nur seine Visi­on des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs von mor­gen und die Stol­per­stei­ne auf dem Weg dahin, son­dern auch, wie sehr ihm sein Job, die Men­schen und die The­men der Bran­che am Her­zen liegen.

Zu David Zindo:

  • CEO der STREEM Group
  • Mehr als 15 Jahre Erfah­rung im Eisenbahnsektor
  • Bei STREEM seit 2015.
  • Vor­he­ri­ge Arbeit­ge­ber: EY, Veo­lia SNCF Group
  • Prä­si­dent der UIP – Inter­na­tio­nal Union of Wagon Keepers.

Sie sind Präsident des Internationalen Verbands der Güterwagenhaltern. Welche Karriereschritte führten Sie zur heutigen Position?

David Zindo: Ich begann 1996 als Wirt­schafts­prü­fer bei Ernst & Young, bevor ich Finanz­po­si­tio­nen bei Geo­dis, Veo­lia und der SNCF Group über­nahm. 2015 kam ich zu Erme­wa, zunächst als Geschäfts­füh­rer und spä­ter als Vor­sit­zen­der. Im Dezem­ber 2015 trat ich dem Vor­stand der UIP bei und über­nahm im Juni 2023 das Präsidentenamt.

Was fasziniert Sie am Schienengüterverkehr? Was frustriert Sie?

Ich bin fas­zi­niert vom Poten­zi­al für Effi­zi­enz, Sicher­heit und Dekar­bo­ni­sie­rung im Schie­nen­gü­ter­ver­kehr und frus­triert dar­über, dass wir die­ses Poten­zi­al in der Pra­xis noch nicht voll aus­schöp­fen können.

Wie würden Sie einen Schulabgänger motivieren, eine Karriere in der Branche des Schienengüterverkehrs zu absolvieren?

Dies ist ein Bereich, in dem man ech­ten Ein­fluss haben kann. Einer­seits, weil der Sek­tor gro­ßes Ver­bes­se­rungs­po­ten­zi­al hat, und ande­rer­seits, weil die Ver­bes­se­rung des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs selbst einen enor­men Ein­fluss auf unser Leben hat.

Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Herausforderungen für die Schienengüterverkehrsbranche im Allgemeinen und der Wagenhalter im Besonderen? 

A) Den­ken Sie, dass die Bran­che und die Wagen­hal­ter bereit sind, diese Her­aus­for­de­run­gen anzu­ge­hen?
Ich könn­te ihnen eine ganze Liste von Her­aus­for­de­run­gen auf­zäh­len, aber um beim Wesent­li­chen zu blei­ben: der Schie­nen­gü­ter­ver­kehr ist ein fes­ter Bestand­teil des Eisen­bahn­sys­tems, wobei die­ses einem Fli­cken­tep­pich gleich­kommt. Jedes Land in Euro­pa hat seine eige­nen natio­na­len Vor­schrif­ten, Nor­men und Ver­fah­ren für die Eisen­bahn­in­fra­struk­tur, den Zug­be­trieb und die Signal­ge­bung. Diese Frag­men­tie­rung führt zu zahl­rei­chen Inef­fi­zi­en­zen. Die Moder­ni­sie­rung des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs schrei­tet voran, aber das Sys­tem selbst muss noch schnel­ler ver­ein­heit­licht wer­den, um eine rei­bungs­lo­se­re Inte­gra­ti­on der natio­na­len Eisen­bahn­sys­te­me zu gewähr­leis­ten.
Ich denke, die Betei­lig­ten wer­den sich mehr und mehr der Not­wen­dig­keit bewusst, ganz­heit­lich zu den­ken. Euro­päi­sche Initia­ti­ven, die von For­schungs- und Inno­va­ti­ons­pro­gram­men wie Europe’s Rail ange­führt wer­den, beschleu­ni­gen den not­wen­di­gen kol­lek­ti­ven Wan­del.
Die Wagen­hal­ter arbei­ten daran, dass das all­ge­mei­ne Eisen­bahn­sys­tem wett­be­werbs­fä­hi­ger und wider­stands­fä­hi­ger wird. Das schwie­ri­ge wirt­schaft­li­che und geo­po­li­ti­sche Umfeld der letz­ten Jahre las­tet bereits heute schwer auf dem Wagen­hal­ter­ge­schäft. Es ist nicht hilf­reich, wenn das Gesamt­an­ge­bot im Schie­nen­gü­ter­ver­kehr nicht den Kun­den­be­dürf­nis­sen ent­spricht. Die Wagen­hal­ter kön­nen ihren Teil dazu bei­tra­gen, ihre Pro­duk­te zu ver­bes­sern, aber sie sehen sich mit Kos­ten kon­fron­tiert, die sie aus ihrer Seite nicht wie­der rein­ho­len kön­nen. Eben­so ist es eine Her­aus­for­de­rung, dies den Poli­ti­kern und der Öffent­lich­keit klar zu machen.
B) LKWs sind schon bald kli­ma­neu­tral, wodurch ein zen­tra­ler Wett­be­werbs­vor­teil des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs ver­schwin­den wird. Wel­che Mög­lich­kei­ten sehen Sie, um die Wett­be­werbs­fä­hig­keit der Schie­ne im Ver­gleich zur Stras­se zu ver­bes­sern?
Der Über­gang der Lkw-Indus­trie zur Kli­ma­neu­tra­li­tät ist eine Her­aus­for­de­rung für den Schie­nen­gü­ter­ver­kehr, bie­tet jedoch auch eine Chan­ce die eige­ne Trans­for­ma­ti­on zu beschleu­ni­gen. Der Schlüs­sel zur Ver­bes­se­rung der Posi­ti­on des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs im Ver­gleich zum Stra­ßen­ver­kehr liegt darin, die Vor­tei­le der Bahn her­vor­zu­he­ben, wie ihre über­le­ge­ne Ener­gie­ef­fi­zi­enz und ihre gerin­ge­ren CO²-Emis­sio­nen. Eine grö­ße­re Digi­ta­li­sie­rung im Schie­nen­netz sowie die Ver­bes­se­rung der Fle­xi­bi­li­tät der Bahn, d.h. die Inte­gra­ti­on in mul­ti­mo­da­le Logis­tik­ket­ten, sind ent­schei­den­de Grö­ßen in die­ser Trans­for­ma­ti­on.
Die Bahn soll­te sich nicht nur als die grü­ne­re Opti­on posi­tio­nie­ren, son­dern auch als zuver­läs­si­ger, kos­ten­ef­fi­zi­en­ter und zukunfts­fä­hi­ger Verkehrsträger.

Ich würde gerne einen Blick auf die beiden grossen technologischen Innovationen der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) und der Digitalisierung werfen. Kann eine davon respektive beide in Kombination jener Befreiungsschlag sein, der die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs spürbar verbessern wird?

Abso­lut, die DAK bringt ja auch gleich­zei­tig auch die Digi­ta­li­sie­rungs­be­mü­hun­gen einen gros­sen Schritt vor­wärts. Die auto­ma­ti­sche Kupp­lung adres­siert ein zen­tra­les Pro­blem im Schie­nen­gü­ter­ver­kehr: das ver­al­te­te und inef­fi­zi­en­te manu­el­le Kupp­lungs­sys­tem. Durch die Auto­ma­ti­sie­rung des Kupp­lungs­pro­zes­ses kön­nen wir den betrieb­li­chen Auf­wand erheb­lich redu­zie­ren, die Sicher­heit ver­bes­sern und Kos­ten sen­ken, was die Wett­be­werbs­fä­hig­keit des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs ins­ge­samt erhöht. Das «D» in DAK hin­ge­gen bringt eine brei­te­re Digi­ta­li­sie­rung und Ener­gie­über­tra­gung ins Spiel, sodass wir einen Echt­zeit-Daten­aus­tausch und Ener­gie ent­lang des gesam­ten Güter­zugs haben kön­nen. Dies ermög­licht eine bes­se­re Inte­gra­ti­on von Roll­ma­te­ri­al, Infra­struk­tur, Betrieb und ande­ren Ver­kehrs­trä­gern.
Die DAK kann das Maß an Effi­zi­enz und Fle­xi­bi­li­tät auf eine nächs­te Stufe heben. Es wird die Anfor­de­run­gen an die Arbeits­kräf­te ver­än­dern und den Arbeits­markt öff­nen. Die voll­stän­di­ge Digi­ta­li­sie­rung eines Schie­nen­gü­ter­zugs wird uns ermög­li­chen, auf Kun­den­an­for­de­run­gen zu reagie­ren und eine Lösung für bes­se­re Logis­tik zu bie­ten.
Wir kön­nen dann sogar von DACC spre­chen: Digi­tal Auto­ma­ted Con­nec­ted und Cus­to­mer-ori­en­ted Ope­ra­ti­ons – diese wer­den den Schie­nen­gü­ter­ver­kehr schnel­ler, zuver­läs­si­ger und anpas­sungs­fä­hi­ger an jeg­li­che Kun­den­an­for­de­run­gen machen, wodurch die Attrak­ti­vi­tät als eine moder­ne, umwelt­freund­li­che Trans­port­lö­sung erhöht wird.

Die Europäische Union beabsichtigt die DAK bis 2030 einzuführen. Denken Sie, dass dies ein realistischer Zeithorizont ist? Falls nicht, was sind die hauptsächlichen Stolpersteine auf dem Weg zur Einführung?

Das Ziel, bis 2030 auf einen voll­stän­di­gen digi­ta­len Schie­nen­gü­ter­zug­be­trieb (FDFTO) mit DAK umzu­stei­gen, ist ehr­gei­zig, aber mach­bar. Las­sen Sie uns dies in ein­zel­nen Schrit­ten den­ken: Zuerst, die Ent­wick­lung und Erpro­bung einer euro­päi­schen Tech­no­lo­gie abschlie­ßen, dann die Zuver­läs­sig­keit und die wirt­schaft­li­chen Vor­tei­le von FDFTO mit DAK durch den Betrieb kom­mer­zi­el­ler Güter­zü­ge vali­die­ren und schließ­lich die Mach­bar­keit einer Migra­ti­on hin­sicht­lich des bestehen­den Fuhr­parks, der Wag­gons, Loko­mo­ti­ven und des Ver­kehrs bewer­ten. Letzt­lich müs­sen die ent­spre­chen­den öffent­li­chen Mit­tel sicher­ge­stellt wer­den. Alle Schrit­te sind ent­schei­dend für eine erfolg­rei­che euro­päi­sche Umset­zung, wobei alle Schrit­te Zeit benö­ti­gen und wir bis zur Errei­chung des Ziels ambi­tio­niert blei­ben müs­sen. Auch wenn der Zeit­plan knapp bemes­sen ist, soll­te die Not­wen­dig­keit, die euro­päi­schen Green-Deal-Ziele zu errei­chen, die not­wen­di­ge Dyna­mik zur Ziel­er­rei­chung erzeugen.

In unserem Vorgespräch sprachen wir über die Herausforderung, alle Kräfte der Schienengüterverkehrsbranche bei der Problemlösung auf Kurs zu bringen. Was genau haben Sie damit gemeint, vielleicht erklärt an einem Beispiel?

Wie her­aus­for­dernd es ist, alle Akteu­re des Schie­nen­gü­ter­ver­kehrs auf einen Nen­ner zu brin­gen, zeigt das Bei­spiel der DAK-Ein­füh­rung. Wäh­rend eini­ge Län­der oder Unter­neh­men DAK schnell ein­füh­ren wol­len, sind ande­re auf­grund der damit ver­bun­de­nen Kos­ten oder wegen ande­rer Prio­ri­tä­ten wie dem Aus­bau der Infra­struk­tur eher zurück­hal­tend. Die Kom­ple­xi­tät, alle diese Par­tei­en auf eine gemein­sa­me Visi­on und Stra­te­gie ein­zu­schwö­ren, stellt eine große Her­aus­for­de­rung dar.
Um diese Her­aus­for­de­rung zu meis­tern, bedarf es eines star­ken Füh­rungs­rah­mens und finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung sowohl von der EU selbst als auch von den Mit­glied­staa­ten. Nur dadurch kann sicher­ge­stellt wer­den, dass sich alle Betei­lig­ten wei­ter­hin für ein gemein­sa­mes Ziel einsetzen.

Eine Frage zu Ermewa, die ja zur STREEM Gruppe zählt. Könnten Sie uns etwas über eine aktuelle Innovation von Ermewa erzählen, die das Potenzial hat, von der restlichen Industrie adaptiert zu werden? 

Es wäre anma­ßend zu behaup­ten, dass wir die ein­zi­gen mit guten Ideen sind. Ich glau­be fest an das Poten­zi­al von Main­ten­an­ce 4.0 und im Schie­nen­trans­port von pal­le­tier­ten Gütern. Das erste Thema umfasst alles, was digi­ta­le Tech­no­lo­gie und künst­li­che Intel­li­genz erbrin­gen kön­nen, das zwei­te betrifft das Logis­tik­kon­zept (und die Güter­wa­gen), das den Modal­split auch außer­halb von fes­ten und flüs­si­gen Schütt­gü­tern ermög­li­chen wird.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Wie erholen Sie sich in Ihrer Freizeit, um im Berufsalltag die notwendige Energie zu haben?

Die Ant­wort ist sehr banal. Ich ver­brin­ge Zeit mit mei­ner Fami­lie, trei­be etwas Sport, gehe ins Kino, ins Thea­ter oder ins Restau­rant… Ich liebe mei­nen Job, ich liebe die­sen Sek­tor, die Men­schen, mit denen ich arbei­te, und ich tren­ne mein Berufs- und Pri­vat­le­ben nicht strikt von­ein­an­der. Ich werde dies alles ver­mis­sen, wenn die Zeit gekom­men ist, weiterzuziehen.

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