VAP: Herr Grieder, wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit dem VAP aus?
Matthias Grieder: Wir haben regelmässig mit Generalsekretär Frank Furrer zu tun. Zum Beispiel ist er Vertreter der Gleis-Genossenschaft Ristet-Bergermoos und hat diese bei einem gemeinsamen Entwicklungsprojekt für dieses Industriegebiet auf dem Gemeindegebiet von Urdorf und Birmensdorf repräsentiert. Zudem hat er bei der Erarbeitung der Teilrevision 2022 des kantonalen Richtplans mitgewirkt und arbeitet immer wieder in verschiedenen logistikbezogenen Arbeitsgruppen mit. Frank Furrer bringt sowohl die Perspektive der Anschlussgleisbesitzer als auch die nationale Gesamtsicht einer multimodalen Logistik ein. Er unterstützt uns mit seinem enormen Fachwissen und seinem weitläufigen fachpolitischen Netzwerk. Ich empfinde diese Zusammenarbeit als sehr angenehm und fruchtbar.
Wo sehen Sie den dringlichsten Handlungsbedarf für den Schienengüterverkehr?
Die wichtigste und gleichzeitig schwierigste Aufgabe ist meines Erachtens die Sicherung der Umschlagflächen Bahn/Strasse in urbanen Gebieten. Dazu ein Beispiel: Da, wo heute hinter dem Hauptbahnhof Zürich die «Europaallee» steht, war früher ein Postverteilzentrum mit zehn Gleisen. Mit der Neuentwicklung des Areals gingen die gesamte Versorgungsinfrastruktur sowie grosse Logistikflächen verloren, die für die Sicherstellung der zukünftigen Ver- und Entsorgung der Stadt Zürich wichtig gewesen wären. Güterverkehr und Logistikeinrichtungen ziehen aus der Stadt hinaus und werden zunehmend ins Mittelland verdrängt. Diese Verteilcenter sind oft nicht bahngerecht erschlossen. Deswegen fahren immer mehr Last- und Lieferwagen von dort in die Stadt, was den Staugürtel rund um die Agglomerationen zusätzlich belastet.
Das Raumplanungsgesetz verlangt zudem verdichtetes Bauen in den bestehenden Siedlungsgebieten. Der Mehrverkehr durch das Bevölkerungswachstum muss auf den bestehenden Verkehrsflächen abgewickelt werden. Also müssen diese Flächen effizienter genutzt werden und man muss auch Flächen für Ver- und Entsorgung zur Verfügung stellen. Je dichter man baut, desto wichtiger wird zudem eine attraktive Aussenraumgestaltung. Eine ebenerdige Versorgung beeinträchtigt diese Attraktivität. Deshalb ist es wichtig, auch dafür schon früh in der Arealplanung zu prüfen, wie sich oberirdische Bereiche vom Anlieferungsverkehr entlasten und Anlieferung sowie Entsorgung in Unterfluranlagen integrieren lassen. Gute Beispiele für derartige Lösungen sind der neue Circle am Flughafen Zürich oder das Einkaufszentrum Sihlcity.
Wie sieht die Situation bei den Anschlussgleisen aus?
Hier zeigt sich eine ähnliche Problematik. Anschlussgleise und Weichen werden laufend zurückgebaut und deren Bedienung wird reduziert. So entsteht eine Abwärtsspirale: weniger Gleise, weniger Bahntransportvolumen, weniger Bahnverlad, weniger Einzelwagenladungen, weniger bedürfnisorientierte Bahnangebote. Das bedeutet auf der anderen Seite mehr Strassentransport, mehr Stau, mehr Lärm und mehr CO2. Langfristig muss sich dieser Trend wieder umkehren.
Wie könnte man das Problem lösen?
Wir brauchen Lösungen, die Sendungen noch stärker bündeln und effizient durch den Staugürtel in die Zentren bringen. Ansätze, um den Stau zu umfahren oder zu unterfahren. Zudem benötigen wir Angebotskonzepte für eine schnelle und direkte Bedienung. Und wir brauchen bessere finanzielle Anreize, die die Bahn stärken und den Einzelwagenladungsverkehr nicht schwinden lassen. Die Bahn hat hier mit ihren ausgezeichneten Infrastrukturen eine grosse Chance und kann diese Aufgabe wahrnehmen. Aber auch neue innovative Verkehrsträger wie zum Beispiel das digitale Gesamtlogistiksystem Cargo Sous Terrain (CST) können grosse Mengen transportieren, ohne den Strassenverkehr zusätzlich zu belasten. Alle diese Systeme können über gemeinsame digitale Plattformen verknüpft und noch effizienter gemacht werden.
Wie entstehen solche Lösungen?
Nur, wenn alle Parteien komplett umdenken und partnerschaftlich kooperieren. Leider kalkuliert heute jeder Betrieb isoliert für sich und ist auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet. Die Bahn konzentriert sich auf den ertragsreichen Ganzzugverkehr und vernachlässigt den aufwendigen Einzelwagenverkehr, der wesentlich zu einer Umlagerung vor der Strasse auf die Schiene beitragen kann. Strassentransporteure richten den Fuhrpark auf die kostengünstigste Produktion, in der Regel mit kleineren Fahrzeugen, aus und optimieren ihre Touren innerbetrieblich. Dies, obwohl sich durch Kooperationen mit Mitbewerbern Fahrzeugkilometer reduzieren liessen. Auch Immobilienstrategien oder ‑konzepte sowohl privater Grundeigentümer als auch der öffentlichen Hand lassen innovative Lösungen für eine vertikale Nutzungsgliederung nicht zu und verhindern damit Lösungen für eine flächensparende und effiziente Ver- und Entsorgung im urbanen Raum.
Eine vernetzt denkende Sichtweise fehlt in der Wirtschaft, in der Politik, in den Verwaltungen und auch in der Ausbildung von Verkehrs- und Raumplanern.
Hat die Pandemie denn kein Umdenken angestossen?
Doch, Covid-19 hat die Relevanz einer funktionierenden Versorgung stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt. Das Thema Güterverkehr und Logistik hat stark an Bedeutung gewonnen. Auf Fachebene beschäftigte man sich schon lange vor der Pandemie mit diesen komplexen Zusammenhängen und auch in der Politik rückt die Thematik mehr und mehr ins Bewusstsein. Wir versuchen immer wieder auf diese Zusammenhänge aufmerksam zu machen. Manchmal sogar mit Erfolg, wie zum Beispiel beim Einkaufszentrum Sihlcity auf dem Areal der ehemaligen «Zürcher Papierfabrik an der Sihl» in Zürich-Wiedikon. Die Planer haben die Ver- und Entsorgung hier ins Untergeschoss gleich neben der Garagenzufahrt integriert. Von dort aus wird vertikal nach oben feinverteilt. Genau in diese Richtung müssen wir bei Arealplanungen denken: weg von Kuchenstücken, hin zu Tortenschichten. So wird eine kombinierte Nutzung von städtischen oder stadtnahen Flächen möglich.
Wie lassen sich Umschlagflächen und ‑standorte langfristig sicherstellen?
Logistikflächen im urbanen Raum sind rar, neue wird es kaum geben. Die öffentliche Hand versucht, bestehende Umschlagflächen über Richtplaneinträge zu sichern. Allerdings sind diese planerischen Vorgaben nicht grundeigentümerverbindlich. Zu einer Flächensicherung, zu der auch private Grundeigentümer verpflichtet sind, käme man nur über eine entsprechende Zonenordnung oder durch einen vermehrten Kauf der entsprechenden Grundstücke durch die Kantone und Städte. Diese streben längerfristige Zielsetzungen mit einem weiteren Planungshorizont wie die Sicherstellung der Güterver- und ‑entsorgung an und sind nicht so renditegetrieben.
Wie könnte man die Wirtschaft bei der Erstellung von Raumplanungskonzepten stärker einbinden?
Der Einbezug der Wirtschaftsakteure bei der Entwicklung von Arealen ist zentral für die Zukunft des Güterverkehrs. Immerhin müssen diese eine Arealentwicklung umsetzen. Beim Kanton Zürich binden wir die Wirtschaftsvertreter im Rahmen von Arbeitsgruppen bereits in der Analysephase ein, obwohl wir als Kanton keinen gesetzlichen Auftrag für die Güterverkehrsplanung haben, sondern nur beratend und unterstützend wirken. Im Kanton Zürich haben wir einen Leitfaden für die Entwicklung des Güterverkehrs in einem kantonalen Güterverkehrs- und Logistikkonzept festgehalten. Da nehmen wir sicherlich eine Vorreiterrolle ein. Doch auch andere Kantone wie Aargau, Bern, Waadt oder Basel-Stadt agieren fortschrittlich. Durch den regelmässigen Austausch über die SBB Cargo Plattform und die Güterverkehrsgruppe des Schweizerischen Städteverbands lernen wir voneinander.
Wie sieht Ihrer Ansicht nach eine optimale Auslastung der Infrastruktur durch Personen- und Güterverkehr aus?
Ich meine, dass man den aktuellen Ansatz mit separaten Trassen für Personen- und Güterverkehr im Netznutzungskonzept weiterverfolgen und optimieren sollte. Einer flexiblen Trassenzuteilung stehe ich eher skeptisch gegenüber, denn der Güterverkehr könnte dabei wörtlich unter die Räder kommen. Der Bedarf an Infrastrukturausbauten ist erkannt, was der Ausbauschritt 2040 zeigt.
Wo sehen Sie bei der Infrastruktur die grössten Aufgaben?
Bei der Weiterentwicklung der Infrastruktur muss man auf die speziellen Bedürfnisse des Güterverkehrs eingehen. Der Knoten Zürich Vorbahnhof ist schon heute vollkommen überlastet und der Schienenverkehr im Raum Zürich wird weiter zunehmen. Es müssen daher Umfahrungsmöglichkeiten geschaffen werden wie der Gütertunnel vom Rangierbahnhof Limmattal ins Furttal und weiter Richtung Ostschweiz. Auch Schienengütertransporte, die aus dem Mittelland kommen und Richtung Knonauer Amt weiterfahren möchten, müssen im Vorbahnhof Zürich mit einer Spitzkehre wenden. Das belastet die Infrastruktur mehrfach zusätzlich. Hier braucht es «Abkürzungen», um Brennpunkte zu umfahren. Zum Beispiel könnte man den Rangierbahnhof Limmattal über das Knonauer Amt direkt Richtung Zug und Luzern anschliessen. Solche Vorhaben sind natürlich enorm teuer und nur langfristig umsetzbar. Trotzdem müssen bereits heute die planerischen Weichen dafür gestellt werden.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Schweizer Schienengüterverkehrs?
Ich hoffe sehr, dass die Chancen der Bahn für eine Verlagerung des Verkehrs von der Strasse auf die Schiene auch im nationalen Verkehr genutzt werden. Dazu braucht es eine Trendwende mit rascheren und effizienteren Angebotskonzepten besonders auch im Einzelwagenladungsverkehr. Hier sind innovative Angebotskonzepte gefragt, die bedarfsgerecht und effizient sind.
Die da wären?
Die Digitalisierung bietet Opportunitäten, die im Schienengüterverkehr derzeit noch ungenutzt bleiben. Zum Beispiel wissen die Güterbahnen über digitale Codes genau, wann, wo und wie lange ihre Ware steht. Dieses Wissen sollten sie ihren Kunden in Form einer Sendungsverfolgung über die gesamte Transportkette hinweg vom Sender bis zum Empfänger zur Verfügung stellen. Das würde ihre Attraktivität markant steigern.
Digitalisierung und Automatisierung sind ebenfalls entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der Güterbahn. Natürlich sind kurze Distanzen von wenigen Kilometern, wie wir sie in der Schweiz häufig antreffen, wenig bahngerecht. Aber wenn man gewisse Prozesse automatisiert – etwa mit der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) oder durch ein automatisiertes Umladen von Wechselbehältern –, liesse sich die Effizienz deutlich steigern. Solche Lösungen müssten Privatwagenbesitzer implementieren, um ihre Flotte rentabler zu halten und Laufzeiten zu verkürzen.
Warum tut sich die Güterbahn so schwer mit der Wettbewerbsfähigkeit?
Das ist eine schwierige Frage. Man müsste sehr sorgfältig analysieren, warum der Schienengüterverkehr so wenig wettbewerbsfähig ist und welche Massnahmen für attraktivere Angebote oder niedrigere Kosten greifen. Eine solche Studie könnte eine Aufgabe des VAP sein.
Apropos VAP: Was könnten wir besser machen?
Ich kenne Frank Furrer und ich weiss, wie das VAP-Logo aussieht. Aber als Gesamtorganisation nehme ich den VAP kaum wahr. Hier sehe ich Optimierungspotenzial. Zudem werde ich immer wieder zu interessanten und gehaltvollen Anlässen eingeladen. Doch für uns Verwaltungsangestellte ist der administrative Aufwand für die Bewilligung eines kostenpflichtigen Events so gross, dass wir oft auf eine Teilnahme verzichten. Das ist eigentlich schade.
Wem würden Sie eine Zusammenarbeit mit dem VAP empfehlen?
Allen Kantonen und Gemeinden der Schweiz. Für die Verwaltungen ist der VAP ein Kompetenzpartner und Informant, der den Know-how-Transfer unterstützt; gerade auch dank seiner nationalen Gesamtsicht. Für Anschlussgleisbesitzer stellt der VAP einen wichtigen Interessensvertreter dar, der sich für den Ausbau des Bahnangebots, den Erhalt der Anlagen und die Flächensicherung engagiert.
Herr Grieder, herzlichen Dank für das Gespräch.
Zur Person Matthias Grieder ist ausgebildeter Raum- und Verkehrsplaner und seit vier Jahren Projektleiter für den Bereich Güterverkehr und Logistik beim Amt für Mobilität des Kantons Zürich. |