Inter­view mit Tho­mas Küch­ler, Direk­tor der SOB

Die Süd­ost­bahn (SOB) ist seit Jah­ren Vor­rei­te­rin der Digi­ta­li­sie­rung im Bahn­be­trieb. Tho­mas Küch­ler, Vor­sit­zen­der der Geschäfts­lei­tung, erläu­tert im Gespräch mit dem VAP, warum die SOB vom fun­da­men­ta­len Chan­ge-Pro­zess der Digi­ta­li­sie­rung über­zeugt ist, wie digi­ta­li­sier­te Pro­zes­se trans­pa­ren­ter wer­den, wie sich der Bahn­be­trieb (teil-)automatisieren lässt, wie sich bis­he­ri­ge Berufs­bil­der ver­än­dern, wel­che Erkennt­nis­se die SOB aus Zustands­da­ten gewinnt und warum es wich­tig ist, Daten in Daten­öko­sys­te­men auszutauschen.

Herr Küchler, derzeit sprechen alle über Digitalisierung. Wie sehen Sie das?

Tho­mas Küch­ler: Das stimmt. Ich zeige Ihnen gerne unse­re prak­ti­schen Erkennt­nis­se auf, die wir bei der SOB in den ver­gan­ge­nen Jah­ren gewon­nen haben. Aller­dings möch­te ich nicht über Tech­no­lo­gien wie die Com­mu­ni­ca­ti­on-Based Train Con­trol spre­chen. Viel­mehr müs­sen wir das Thema Digi­ta­li­sie­rung grund­sätz­lich betrachten.

Heute wird im Bahn­sek­tor vie­les digi­tal abge­bil­det. Doch meis­tens han­delt es sich um Insel­lö­sun­gen. Der Infor­ma­ti­ons­fluss ist nicht durch­ge­hend: ver­schie­de­ne Spei­cher­or­te, unter­schied­li­che For­ma­te, abwei­chen­de Aktua­li­täts­stän­de. Wenn damit Pro­zes­se gesteu­ert wer­den sol­len, die den gel­ten­den Anfor­de­run­gen von «Safe­ty» und «Secu­ri­ty» gerecht wer­den, wird rasch erkenn­bar, dass sich das mit ver­tret­ba­ren Auf­wen­dun­gen nur schwer rea­li­sie­ren lässt. Denn der Erfolg eines Bahn­un­ter­neh­mens basiert auf hoher Sicher­heit und dem kon­ti­nu­ier­li­chen Stre­ben nach mehr Effi­zi­enz. Digi­ta­li­sie­rungs­mass­nah­men müs­sen mess­bar dazu bei­tra­gen, dass der siche­re Betrieb gewähr­leis­tet bleibt und sich die Effi­zi­enz erhöht.
Dem­nach brau­chen wir für die Digi­ta­li­sie­rung einen kom­plett neuen Ansatz. Im Zen­trum muss eine soft­ware­ba­sier­te Steue­rung ste­hen. Ein sol­ches Sys­tem muss modu­lar und wan­del­bar auf­ge­baut sein und die ein­zel­nen Funk­tio­nen unter­ein­an­der verknüpfen.

Was versteht die SOB als Vorreiterin in diesem Thema unter Digitalisierung?

Tho­mas Küch­ler: Die SOB-Füh­rung hat das Poten­zi­al der Digi­ta­li­sie­rung zum Glück vor Jah­ren erkannt.
Für uns geht es nicht darum, manu­el­le Pro­zes­se digi­tal abzu­bil­den. Die heu­ti­ge Struk­tur der Bah­nen basiert auf Pro­zes­sen aus dem letz­ten Jahr­hun­dert. Im Bahn­sek­tor wur­den bestehen­de Teil­sys­te­me typi­scher­wei­se mit­hil­fe von Soft­ware rea­li­siert. Eine der gröss­ten Hür­den ist dabei die feh­len­de über­ge­ord­ne­te Durch­gän­gig­keit bei den Informationen.

Wie hat die SOB die Digitalisierung gemeistert?

Tho­mas Küch­ler: Unser Manage­ment hat früh ver­stan­den, dass sich unser Unter­neh­men Rich­tung Digi­ta­li­sie­rung wei­ter­ent­wi­ckeln muss und dafür auf kom­pe­ten­te Unter­stüt­zung ange­wie­sen ist. Wir haben exter­ne Fach­ex­per­ten bei­gezo­gen. Diese brach­ten eine Aus­sen­sicht in unse­re Bahn­welt. So haben wir erkannt, dass für eine erfolg­rei­che Digi­ta­li­sie­rung ein fun­da­men­ta­ler Chan­ge-Pro­zess erfor­der­lich ist. Die­ser tief­grei­fen­de Wan­del muss über­dies bei lau­fen­dem Betrieb voll­zo­gen wer­den. Ein Bahn­un­ter­neh­men kann nicht wie ein Indus­trie­un­ter­neh­men das alte Pro­dukt abset­zen und ein neues Pro­dukt auf den Markt brin­gen. Zudem ist ent­schei­dend, dass die gesam­te Beleg­schaft mit­zieht. Jede Mit­ar­bei­te­rin und jeder Mit­ar­bei­ter muss sich mit der Digi­ta­li­sie­rung im eige­nen Umfeld auseinandersetzen.

Wie haben Sie Ihre konzeptionellen Erkenntnisse konkretisiert?

Tho­mas Küch­ler: Wir haben vier Ele­men­te für eine umfas­sen­de Digi­ta­li­sie­rung ermit­telt: Daten, Orga­ni­sa­ti­on, Sys­tem, Pro­zes­se. Alle vier Ele­men­te sind syn­chron zu adres­sie­ren, sie bil­den den Kern der Umset­zung. Unter­neh­mens­über­grei­fend haben wir – bild­lich gespro­chen – ein SOB-Gebäu­de kon­zi­piert. Wir haben die gemein­sam genutz­ten Daten defi­niert, die für alle auto­ri­sier­ten Nut­zer ver­füg­bar sein müs­sen. In der Folge haben wir die orga­ni­sa­to­ri­schen Ein­hei­ten in die Stock­wer­ke unse­res SOB-Gebäu­des ein­quar­tiert. Sie sind eigen­ver­ant­wort­lich für die Ein­rich­tung ihres Stock­wer­kes und frei in des­sen Ges­tal-tung. Aber sie müs­sen die über­ge­ord­ne­ten Daten­struk­tu­ren respektieren.

Wie haben Sie Ihre Mitarbeitenden einbezogen?

Tho­mas Küch­ler: Das ist einer der gröss­ten Erfolgs­fak­to­ren. Trans­for­ma­ti­on gilt nicht nur für das Kader. Alle Mit­ar­bei­ten­den sind betrof­fen. Des­halb haben wir Betrof­fe­ne zu Betei­lig­ten gemacht. Als sol­che müs­sen sie eine akti­ve Rolle ein­neh­men und die fol­gen­de Frage beant­wor­ten: Wel­che Ver­bes­se­rung ver­ein­facht meine Arbei­ten so, dass bei hohem Sicher­heits­le­vel die Effi­zi­enz steigt. Wir haben fest­ge­stellt, dass gera­de jün­ge­re Mit­ar­bei­ten­de neue Ideen ein­brin­gen, die sich geschickt mit den Erfah­run­gen der lang­jäh­ri­gen Mit­ar­bei­ten­den ver­knüp­fen lassen.

Digitalisierung bringt also Veränderung übers ganze Unternehmen hinweg?

Tho­mas Küch­ler: Oh ja. Bahn­un­ter­neh­men wer­den stark von der Erfah­rung ihrer Mit­ar­bei­ten­den geprägt. Frü­her hat­ten wir einen sehr hohen Anteil lang­jäh­ri­ger Mit­ar­bei­ten­der, die mit ihrer Erfah­rung das Rück­grat un-seres Unter­neh­mens bil­de­ten und ent­schei­dend zur Qua­li­tät unse­rer Pro­duk­ti­on bei­tru­gen. Mit der Zeit hat sich die durch­schnitt­li­che Dauer von Arbeits­ver­trä­gen ver­kürzt; heute haben wir eine höhe­re Fluk­tua­ti­on. Des­halb müs­sen wir uns inten­siv mit dem Wis­sens­er­halt aus­ein­an­der­set­zen. Zudem ändern sich die Berufs­bil­der stär­ker. Auch die­sen Trend müs­sen wir als Unter­neh­men aufgreifen.

Wie hängen Veränderung und Digitalisierung zusammen?

Tho­mas Küch­ler: In dop­pel­ter Hin­sicht. Ers­tens beschleu­nigt die Digi­ta­li­sie­rung die Ver­än­de­rung von Berufs­bil­dern. Das hat durch­aus einen inter­es­san­ten Effekt, denn in vie­len Fäl­len wer­den die Berufs­bil­der attrak­ti­ver. Wich­tig ist, die lang­jäh­ri­gen Mit­ar­bei­ten­den auf diese Reise mit­zu­neh­men.
Zwei­tens ermög­licht die Digi­ta­li­sie­rung die Kon­trol­le des Sys­tems. Diese Kon­trol­le ist für die Pro­zess­si­che­rung ent­schei­dend. Sie hilft uns, ein pra­xis­ge­rech­tes Safe­ty Manage­ment Sys­tem zu betrei­ben, das sämt­li­chen Vor­ga­ben gerecht wird. Schliess­lich konn­ten wir die Abhän­gig­keit von ein­zel­nen Mit­ar­bei­ten­den umgehen.

Veränderung wird aber nicht nur positiv wahrgenommen. Was meinen Sie dazu?

Tho­mas Küch­ler: Wer nach jah­re­lan­ger erfolg­rei­cher Arbeit sein Metier beherrscht, kann auf Ver­än­de­run­gen auch kri­tisch reagie­ren. Aber wir soll­ten eine Eigen­heit des Bahn­sek­tors berück­sich­ti­gen: Viele tra­di­tio­nel­le Arbei­ten im Bahn­all­tag sind kör­per­lich anstren­gend. Sie sind bei Wind, Regen und Schnee zu jeder Tages­zeit zuver­läs­sig und sicher durch­zu­füh­ren. Wir haben heute immer grös­se­re Schwie­rig­kei­ten, dafür neue Mit­ar­bei­ten­de zu rekru­tie­ren. Des­halb werte ich es als posi­tiv, dass Digi­ta­li­sie­rung und Auto­ma­ti­sie­rung tra­di­tio­nel­le «Bähn­ler­be­ru­fe» ändern und neue Berufs­bil­der schaffen.

Ein gutes Bei­spiel dafür ist die Sicher­heit. Frü­her waren viele Tätig­kei­ten im Bahn­be­trieb unmit­tel­bar für die Sicher­heit ent­schei­dend. Der Mit­ar­bei­ten­de prüf­te die freie Stre­cke und erteil­te den Fahr­be­fehl. Heute wird er durch Leit­sys­te­me unter­stützt, die siche­res Fah­ren gewähr­leis­ten. Mit der frü­he­ren Metho­de wäre der dich­te Fahr­plan von heute nicht sicher und effi­zi­ent machbar.

Wie können Technologien Ihre Mitarbeitenden unterstützen?

Tho­mas Küch­ler: Tests haben klar­ge­macht: Wir stre­ben kei­nen voll­au­to­ma­ti­schen Betrieb ohne Per­so­nal an. Viel­mehr sol­len digi­ta­le Tech­no­lo­gien unse­re Mit­ar­bei­ten­den unter­stüt­zen und ent­las­ten, indem sie vor allem bei Abwei­chun­gen die Tras­sen­nut­zung lau­fend optimieren.

Und inwiefern verbessert die Digitalisierung den Betrieb?

Tho­mas Küch­ler: Bei unse­rem Per­so­nen­ver­kehr set­zen wir weit­ge­hend moder­ne Trieb­zü­ge ein. Das sind rich­ti­ge Daten­schleu­dern, sie sam­meln im Betrieb lau­fend Zustands­da­ten. Hier arbei­ten wir mit dem Her­stel­ler Stad­ler zusam­men. Stad­ler sam­melt für uns die Daten. Wir haben die Daten­ho­heit, über­neh­men einen Gross­teil der Roh­da­ten und wer­ten sie teil­wei­se selbst aus. Über die soge­nann­te Zustands­aus­wer­tung kön­nen wir Trends zeit­nah erken­nen, wirk­sa­me Mass­nah­men ergrei­fen und zeit­ge­recht umset­zen. Die Digi­ta­li­sie­rung hilft uns, recht­zei­tig zu reagieren.

Was treibt die SOB zur digitalen Transformation an?

Tho­mas Küch­ler: Ein Bahn­un­ter­neh­men muss sich an den Kun­den ori­en­tie­ren. Kun­den­be­dürf­nis­se wan­deln sich stän­dig. Über ent­spre­chen­de Kenn­zah­len müs­sen wir Trends rasch erken­nen und rich­tig reagie­ren. Mit den erfass­ten Kenn­zah­len kön­nen wir die Wir­kung unse­rer Mass­nah­men beur­tei­len. Damit unser Geschäfts­mo­dell erfolg­reich bleibt, müs­sen wir die Effi­zi­enz stei­gern und gleich­zei­tig Sicher­heit gewähr­leis­ten. Auf diese Weise stel­len wir die Markt­fä­hig­keit unse­res Unter­neh­mens sicher. Die Digi­ta­li­sie­rung ist ein idea­les Tool, unser Geschäft erfolg­reich zu betreiben.

Herr Küchler, besten Dank für das aufschlussreiche Gespräch.
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