Die Hintergründe vorab
Auf den Sachplan Verkehr/Teil Programm und damit auf die Zukunft des Schienengüterverkehrs wirken diverse Faktoren ein (vgl. Abbildung 1). Raumkonzept Schweiz, Verkehrsperspektiven und Strategie Nachhaltige Entwicklung geben die strategische Stossrichtung vor. Auf der Umsetzungsebene kommen Richtpläne, Sachplan Verkehr/Teil Umsetzung, Agglomerationsprogramme sowie die Ausbauschritte für Schiene und Strasse und weitere Grundlagen zum Tragen.
Abbildung 1: Einbettung und Zusammenspiel des Sachplans Verkehr, Teil Programm mit den räumlichen und verkehrlichen Planungsinstrumenten (Bildquelle: Bundesamt für Raumentwicklung ARE, Sachplan Verkehr, Teil Programm)
Mit der Langfristperspektive BAHN 2050 wird das eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) aus den vorliegenden Strategien die für die Bahn relevanten Stossrichtungen zum nationalen und internationalen Personen- und Güterverkehr auf der Schiene und zur Eisenbahninfrastruktur als Basis für die nächsten STEP-Ausbauschritte definieren. Allerdings ist BAHN 2050 keine verkehrsträgerübergreifende Mobilitätsstrategie.
Mit dem Sachplan Verkehr, Teil Programm, stellt das UVEK die Koordination der Verkehrsträger Strasse, Schiene, Luft, Wasser untereinander und mit der Raumentwicklung sicher. Die räumlichen Belange stehen dabei im Vordergrund. Der Sachplan Verkehr besteht aus einem Teil Programm, der die Strategieebene adressiert und vom Bundesrat letzmals am 20. Oktober 2021 aktualisiert wurde, und aus diversen verkehrsträgerbezogenen Umsetzungsteilen.
Die Entwicklung von Siedlungen und Verkehrsinfrastrukturen gehen Hand in Hand. Die Siedlungsstruktur wirkt sich auf das Verkehrssystem aus – und umgekehrt. Die Gestalt der Verkehrsnetze beeinflusst die Standortwahl von Firmen und Menschen, also prägen sie den Raum. Die räumlichen Muster wiederum wirken sich auf die Verkehrsflüsse und die Netzauslastung aus. Zur Weiterentwicklung des Verkehrssystems und zur Abstimmung mit der Raumentwicklung regt das Raumkonzept Schweiz vom 15. Dezember 2012 an, Verkehrsträger entsprechend ihren Stärken zu kombinieren und Siedlungen in jenen Räumen zu entwickeln, wo bereits eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr besteht, etwa in Agglomerationen, in Städten oder in regionalen Zentren.
Für den Güterverkehr wird bis 2040 ein Gesamtwachstum von 45 Prozent prognostiziert. Würde auf den Ausbau der Schieneninfrastruktur verzichtet, so könnte sich die Erreichbarkeit der Städte und Zentren der Metropolitanräume verschlechtern. Mit dem STEP Ausbauschritt 2035 wird die Finanzierung der Infrastrukturen vor allem im Ost-West-Korridor, der Genferseeregion und den Räumen Zürich und Zentralschweiz sichergestellt. Zudem werden Anlagen des Güterverkehrs ausgebaut. Im Güterverkehr generell und vor allem in der Hauptverkehrszeit werden zusätzliche Kapazitäten geschaffen und die Transportgeschwindigkeiten erhöht. Das unterstützt die Anstrengungen für einen eigenwirtschaftlichen Betrieb insbesondere im Güterverkehr in der Fläche.
Am 26. Januar 2022 hat das UVEK den Sachplan Verkehr, Teil Infrastruktur Schiene (SIS) Dieser zeigt Ansätze zur Lösung von Problemen im Bereich der Schieneninfrastrukturen auf, sieht Massnahmen des Bundes vor und legt dar, wie diese Massnahmen untereinander und mit anderen raumwirksamen Aktivitäten im zeitlichen Ablauf koordiniert werden sollen. Diese Massnahmen betreffen die folgenden Bereiche:
- Sachplanrelevante Schienenstrecken
- Umschlagsanlagen für den kombinierten Verkehr von nationaler Bedeutung
- Personenbahnhöfe, Abstellanlagen, Unterhalts- und Serviceanlagen des Rollmaterials oder Güterverkehrsanlagen im vom Bund mitfinanzierten Normal- und Schmalspurnetz
- Übertragungsleitungen für die Stromversorgung des Schienennetzes
- Für die Inbetriebnahme wichtiger Infrastrukturausbauten notwendige Unterwerke
Was wir von der Sache halten
UVEK und Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) haben die Überarbeitung des Sachplans Verkehr, Teil Programm, am 15. September 2020 in die Anhörung gegeben, unsere Antwort finden Sie hier. Wir vom VAP sind überdies im Sounding Board zur Erarbeitung der Langfristperspektive BAHN 2050 des UVEK vertreten und konnten uns verschiedentlich in die Arbeiten einbringen. Nachfolgend haben wir unsere wichtigsten Anregungen zur Verbesserung des Sachplans, Teil Programm für Sie kurzgefasst.
Abbildung 2: Der Sachplan Verkehr, Teil Programm, räumt dem Güterverkehr mehr – wenn auch noch nicht genug – Bedeutung ein. (Bildquelle: Bundesamt für Raumentwicklung ARE, Sachplan Verkehr, Teil Programm)
1. Allgemeine Anmerkungen
Der Sachplan verfolgt konsequent einen Top-down-Ansatz. Dadurch werden potenzielle, nachhaltige Szenarien für einen Bottom-up-Ansatz ausgeklammert. Solche böten ein grösseres Mitgestaltungsrecht der Kantone, Gemeinden und betroffenen privaten Akteure. Dieser Top-down-Ansatz steht im Widerspruch zur Erkenntnis, wonach «die Angebotsformen und die Anbieter vielfältig» seien (vgl. Seite 24). Die definitive Fassung hält an den Staatsebenen fest und klammert die Wirtschaft aus.
Eines der wichtigsten Ziele ist die Erreichung der CO2-Vorgaben. Leider werden im Sachplan die aktuellen Entwicklungen der Verkehrsträger nicht genügend abgebildet. Etwa die komplette Abkehr von Benzinmotoren seitens der Automobilindustrie ab 2030 oder Einsatz modernster Verkehrsleitsysteme im Zusammenhang mit dem (teil-)autonomen Fahren und dadurch besserer Nutzung der Infrastruktur.
Vorschlag VAP: Der «grünen» Logistik als Rückgrat der Schweizer Wirtschaft und als Basis für einen gesicherten Wohlstand der Schweizer Bevölkerung sollte im Sachplan besser Rechnung getragen werden.
2. Gegenstromprinzip gefährdet
Der Sachplan trifft in den Kapiteln «Zielbild Mobilität und Raum» sowie «Entwicklungsstrategien und Handlungsgrundsätze» höchst detaillierte behördenverbindliche Festlegungen. Die im Sachplan ebenso detailliert beschriebene iterative Zusammenarbeit aller Staatsebenen und das damit angesprochene Gegenstromprinzip werden dadurch allerdings massiv eingeschränkt. Der Sachplan verfolgt einen zentralistischen – keinen föderalistischen – Ansatz ohne gesetzliche Grundlage.
Vorschlag VAP: Der Detaillierungsgrad der behördenverbindlichen Festlegungen, Erwägungen und Erläuterungen bietet wenig Raum für Kooperation im Sinne des Gegenstromprinzips. Zur Erleichterung interregionaler Strategien könnte der Bund eine gesamtheitliche Koordination vornehmen.
3. Zielkonflikt öffentlicher Verkehr vs. Schienengüterverkehr
Im Sachplan fehlt eine detaillierte Differenzierung zwischen Personen- und Güterverkehr und den damit einhergehenden Herausforderungen und potenziellen Zukunftslösungen. Im Weiteren spricht der Sachplan von öffentlichem Verkehr als Gegensatz zu motorisiertem Individualverkehr. Diese Sichtweise greift für den Schienengüterverkehr zu kurz, da letzterer nicht zum öffentlichen Verkehr zählt.
Vorschlag VAP: Die verabschiedete Fassung des Sachplans räumt dem Schienengüterverkehr zwar einen höheren Stellenwert ein. Doch noch immer dominieren die Überlegungen zum öffentlichen Verkehr. Die Vertreter des Schienengüterverkehrs müssten wie diejenigen des öffentlichen Verkehrs in die beschriebenen iterativen Prozesse der Staatsebenen einbezogen werden.
4. Privatwirtschaftliche Unternehmen ausgeklammert
Der Sachplan wurde von Bund, Kantonen, Städten/Gemeinden sowie Vertretungen der Agglomerationsträgerschaften entwickelt. Die für den Güterverkehr unverzichtbare Infrastruktur (Umschlagsplattformen, Terminals, Anschlussgleise, Hafeninfrastrukturen an Binnengewässern, Luftfrachtterminals usw.) wird privatwirtschaftlich erstellt und unterhalten. Der Sachplan fasst diese private Infrastruktur unter der Wendung «Verkehrsdrehscheiben und Entwicklungsschwerpunkte» zusammen. Über diese wird der Güterverkehr in multimodalen Logistikketten abgewickelt. Trotzdem ist der Güterverkehr nicht in der vorgeschlagenen Typologie der Verkehrsdrehscheiben enthalten. Unter «Unternehmen» werden Unternehmen des öffentlichen Verkehrs verstanden, nicht die privatwirtschaftlichen Verlader, die die Drehscheiben erstellen, finanzieren und betreiben. Letztere sollen nicht involviert werden.
Vorschlag VAP: Eine erfolgreiche, innovative, kundenorientierte und somit nachhaltige Mobilität bzw. die breite Akzeptanz von Angeboten lässt sich nur durch Einbindung der involvierten privaten Unternehmen realisieren. Diese müssen für Fragen der Verkehrslenkung, besseren Auslastung, Effizienzsteigerung und Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Verkehrsdrehscheiben in die Umsetzung der Ziele des Sachplans einbezogen werden.
5. Infrastrukturausbau wenig nachfrageorientiert
Der Vorschlag einer Präzisierung, wonach vor einem Ausbau zuerst alle anderen Möglichkeiten für gute Verbindungen ausgeschöpft werden, macht die Vernachlässigung des Güterverkehrs im Sachplan überdeutlich. Von Produktions- und Logistikstandorten ist keine Rede. Die Verkehrsdrehscheiben des Güterverkehrs bleiben irrelevant. Der Schienengüterverkehr wird im Sachplan sehr zurückhaltend thematisiert und nicht als Verkehrsdrehscheibe oder Entwicklungsschwerpunkt wahrgenommen.
Der Vorschlag, den Güterverkehr im «Konzept Gütertransport auf der Schiene» alleine abzuhandeln, ist ungenügend. Dies aus zwei Gründen: Der Anteil des Schienengüterverkehrs im Binnenverkehr beträgt lediglich knapp 20%. Das Konzept steht zudem unter dem übergeordneten Dach des Sachplans, es fehlen damit die Stufengerechtigkeit und die Verbindlichkeit.
Vorschlag VAP: Der Sachplan Verkehr darf den Güterverkehr nicht vernachlässigen und die privatwirtschaftlichen Hauptakteure ausklammern. Ansonsten erfolgt der Infrastrukturausbau nicht nachfrageorientiert.
6. Verbindungsqualität optimieren
Die für den Schienengüterverkehr zentrale Ost-West-Achse liegt überwiegend im intermediären Siedlungsraum. Hier befinden sich umfangreiche Produktions‑, Verarbeitungs- und Logistikstandorte sowie Verkehrsdrehscheiben (Anschlussgleise, Terminals). Ihre regionale Anbindung an den Güterfernverkehr zwischen Agglomerationen, aber auch innerhalb oder zwischen Agglomerationsgürteln, wird im Sachplan nicht beschrieben. Insbesondere werden keine Tangentialverbindungen unter Umfahrung der Agglomerationskerne aufgezeigt, obschon eine solche zum Beispiel mit der Güterumfahrungslinie Zürich in den Handlungsräumen vorgesehen ist. Auch für den öffentlichen Verkehr werden keine Tangentiallinien oder äussere Gürtel aufgezeigt, obschon die negativen Auswirkungen der Überlastung der Agglomerationskerne bekannt sind und der Sachplan von einer markanten Verkehrsverlagerung ausgeht.
Vorschlag VAP: Die am öffentlichen Verkehr orientierte Verbindungsqualität ist differenziert nach Raumtypen für den Schienengüterverkehr zu ergänzen. Ebenso die Umfahrung der überlasteten Agglomerationskerne durch die Verbindungen des öffentlichen Verkehrs zwischen Agglomerationen und innerhalb der Agglomerationen via Tangentiallinien und Umfahrungsgürtel.
7. Gefahrguttransporte gesondert regeln
Der Sachplan thematisiert den Zielkonflikt zwischen Umweltschutz (Störfallvorsorge, Verkehrsverlagerung auf Schienengüterverkehr) und Verdichtung in den Zentren unzureichend. Mit der Verdichtung verändert sich die Risikoeinschätzung im Gefahrguttransport. So können risikosenkende Massnahmen zur Aufrechterhaltung bestehender Verkehre nötig werden. Dabei ist das Verursacherprinzip zu respektieren, sodass der Schienengüterverkehr nicht nur aufrechterhalten, sondern wie angepeilt auch erhöht werden kann.
Die Problematik lässt sich prototypisch anhand eines allfälligen Gefahrenguttransport-Verbots am Simplon darstellen. Der Simplon ist der bestausgebaute Passübergang der Schweiz. Zur Erhöhung seiner Sicherheit wurde in den letzten Jahren enorm viel Geld investiert. Nach Artikel 4 der «Verordnung über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse » (SDR) gelten für die Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse auch im nationalen Verkehr die Bestimmungen des «Übereinkommens über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse» (ADR). Der Binnenverkehr am Simplon ist mengenmässig nicht relevant, da es sich hier praktisch nur um internationalen Verkehr handelt.
Verbesserungsvorschlag: Unser Anliegen für eine gesonderte Betrachtung von Gefahrgütern wurde im Sachplan aufgenommen. Allerdings ohne Hinweis auf eine Verursachung und Mehrwertabschöpfung, sondern nur im Sinn einer «vorausschauenden» Planung. Der Zusammenhang zwischen Verkehrsverlagerung auf den Schienengüterverkehr und verdichteter Besiedlung bei Gefahrguttransporten ist unter Berücksichtigung der Umweltanliegen darzustellen. Dazu braucht es verursachergerechte Lösungen.
Den vollständigen Wortlaut unserer schriftlichen Anhörungsantwort an Bundesrätin Simonetta Sommaruga lesen Sie hier.